OGH 2Ob71/84 (2Ob72/84)

OGH2Ob71/84 (2Ob72/84)15.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Willibald F***** sen, 2.) Maria F*****, beide *****, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, unter Beitritt des Nebenintervenienten Dr. Rudolf E***** auf Seiten der beklagten Partei wegen Schadenersatzes und Feststellung, infolge Revision der erstklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Oktober 1984, GZ 1 R 150, 151/84-16, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. April 1984, GZ 16 Cg 144/83-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Erstkläger hat der beklagten Partei die mit 11.772,15 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.920 S Barauslagen und 895,65 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstkläger erlitt am 15. 6. 1980 bei einem Verkehrsunfall, den der Lenker eines in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen PKWs verschuldet hatte, Verletzungen. Er erteilte dem Nebenintervenienten Vollmacht. Dieser unterfertigte nach Korrespondenz bzw Verhandlung mit der für die Schadensliquidierung zuständigen Haftpflichtversicherungsanstalt namens des Erstklägers eine Erklärung, nach welcher sich der Erstkläger nach Erhalt des Vergleichsbetrags wegen aller wie immer gearteter Ersatzansprüche aus diesem Schadensfall - auch wenn sie noch nicht bekannt, erkennbar oder vorhersehbar sind - für jetzt und für die Zukunft gegen jedermann vollständig abgefunden erklärte. Die Haftpflichtversicherungsanstalt bezahlte den Vergleichsbetrag von 122.333 S (darin enthalten außer dem Ersatz für den Fahrzeugschaden 20.000 S Schmerzengeld sowie Ersatzbeträge für Aushilfsarbeitskräfte und Fahrtauslagen).

Der Erstkläger macht mit seiner Klage weitere Schadenersatzansprüche im Betrag von insgesamt 264.200 S samt Zinsen geltend. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, der Nebenintervenient habe sich bei Abgabe der Abfindungserklärung im Irrtum befunden, was der Beklagten bewusst gewesen sei, zumal sie die Krankengeschichte des Erstklägers in Händen gehabt habe. Die Abfindungserklärung sei rechtsunwirksam.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und verwies auf die Abfindungserklärung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Erstkläger erlitt bei dem Unfall einen Unfallsschock, einen Bruch der dritten, vierten und fünften Rippe rechts, eine Rissquetschwunde am linken Ellenbogen sowie Hautabschürfungen und eine Kontusion am rechten Oberarm. Er befand sich bis 23. 6. 1980 im Krankenhaus. Der Nebenintervenient hatte keine Krankengeschichte des Erstklägers zur Verfügung, er ermittelte aufgrund der Information des Erstklägers ein Schmerzengeld von 20.000 S. Der Erstkläger gab nicht zu erkennen, dass ihm dies zu wenig wäre.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Nebenintervenient sei vom Erstkläger zum Vergleichsabschluss ermächtigt gewesen. Die Abfindungserklärung schließe die Geltendmachung sämtlicher Ersatzansprüche aus. Ein allfälliger Irrtum sei jedenfalls nicht von Personen veranlasst worden, für deren Verhalten die Beklagte einzutreten habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung beider Kläger nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands hinsichtlich des Erstklägers 300.000 S übersteige.

Das Gericht zweiter Instanz erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mangelfrei und die Beweiswürdigung als unbedenklich und führte zur Rechtsfrage aus, es stehe unbekämpft fest, dass der Erstkläger den Nebenintervenienten auch zum Vergleichsabschluss ermächtigt habe. Die Abfindungserklärung habe sich nach ihrem Inhalt auch auf nicht bekannte, erkennbare oder vorhersehbare Ersatzansprüche bezogen. Die Nichtigkeit einer solchen Vereinbarung gemäß § 879 ABGB sei von den Klägern nicht behauptet worden, sie sei nur auf Einwendung wahrzunehmen. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich der Nebenintervenient über die Höhe der Ansprüche des Klägers in einem Irrtum befunden habe, weil kein Anhaltspunkt für die Annahme bestehe, ein derartiger Irrum wäre durch Personen veranlasst worden, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hätte, oder dass diesen der Irrtum aus den Umständen offenbar hätte auffallen müssen oder der Irrtum noch rechtzeitig aufgeklärt worden wäre. Selbst wenn man annehmen würde, dass die Krankengeschichte des Klägers anlässlich des Vergleichsabschlusses vorgelegen wäre, hätte sich daraus keine so schwerwiegende Verletzung des Erstklägers entnehmen lassen, dass ohne weiteres ein Anspruch auf ein höheres als das verglichene Schmerzengeld hätte geschlossen werden konnen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Erstklägers. Er macht als Revisionsgründe Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne der Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als Verfahrensmangel rügt der Erstkläger, dass das Erstgericht nicht aufgrund des vorgelegten Privatgutachtens feststellte, in welcher Höhe ein Schmerzengeld angemessen sei bzw, dass sich aufgrund dieses Gutachtens in rechtlicher Hinsicht ein Schmerzengeld von 100.000 S bis 150.000 S ergebe. Die Festsetzung der Höhe des tatsächlichen Schmerzengeldes sei zur Beurteilung der Frage, ob dem Nebenintervenienten ein Irrtum unterlaufen sei und ob dieser Irrtum der Schadensreferentin der Haftpflichtversicherungsanstalt hätte auffallen müssen, relevant.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor. Für die Beantwortung der Frage, ob ein allfälliger Irrtum der Schadensreferentin hätte auffallen müssen, sind nicht die tatsächlichen Verletzungen und ihre Folgen von Bedeutung, sondern nur die Verletzungen, von denen der Nebenintervenient und die Schadensreferentin Kenntnis haben konnten. Ein Sachverständigengutachten über die tatsächlich erlittenen Verletzungen und ihre Folgen, könnte daher zur Frage, ob der Schadensreferentin ein Irrtum auffallen musste, nicht beitragen.

Mit den Ausführungen zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung versucht der Erstkläger zunächst die Beweiswürdigung zu bekämpfen. Entgegen seiner Ansicht handelt es sich bei der Interpretation einer Zeugenaussage nicht - so wie bei der Urkundenauslegung - um eine Rechtsfrage, sondern um eine Beweisfrage. Auf die diesbezüglichen Ausführungen ist daher nicht einzugehen.

Den Revisionsausführungen, eine Abfindungserklärung könne sich nur auf typische Verletzungen beziehen und ein Verzicht nur auf gewöhnlich vorhersehbare Schäden, ist entgegenzuhalten, dass nach dem klaren Wortlaut der Abfindungserklärung auch Ersatzansprüche, wenn sie noch nicht bekannt, erkennbar oder vorhersehbar sind, abgefunden wurden. Ein derartiger Vergleich ist zulässig (8 Ob 7/80; 8 Ob 177/80 ua). Er kann nicht deshalb angefochten werden, weil die Vertragsteile bei Abschluss des Vergleichs keine genaue Kenntnis über die Verletzungen gehabt haben (8 Ob 154/79). Auf die Frage, ob Sittenwidrigkeit ausdrücklich hätte eingewendet werden müssen, ist daher nicht einzugehen. Auch die Ansicht, der Schadensreferentin hätte ein Irrtum des Nebenintervenienten auffallen müssen, kann nicht geteilt werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Schadensreferentin die Krankengeschichte kannte (die Feststellungen über die Verletzungen des Erstklägers beruhen auf der Krankengeschichte), ergibt sich noch nicht, dass der Nebenintervenient bei Geltendmachung eines Schmerzengeldbetrags von 20.000 S einem Irrtum unterlag, da besonders gravierende Verletzungen in der Krankengeschichte nicht aufscheinen.

Aus allen diesen Gründen musste der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der verzeichnete Streitgenossenzuschlag war der Beklagten nicht zuzusprechen, weil Gegenstand des Revisionsverfahrens nur Ansprüche des Erstklägers sind.

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