OGH 7Ob679/84

OGH7Ob679/8422.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Rohringer, Rechtsanwalt in Tamsweg, wider die beklagte Partei Franz H*****, vertreten durch Dr. Waltraude Steger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 62.500 S sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 72.500 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Juni 1984, GZ 2 R 105/84‑32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. Jänner 1984, GZ 2 Cg 439/83‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00679.840.1122.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 3.553,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 600 S Barauslagen und 268,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 18. Jänner 1981 ereignete sich auf der Schiabfahrt des Speierecklifts in St. Michael im Lungau ein Schiunfall, bei dem die Klägerin verletzt wurde. Sie wurde vom Beklagten niedergestoßen. Der Beklagte war hinter ihr nach Benützung einer Nebenspur in die Piste eingefahren und infolge Aufschlagens einer Schibindung zum Sturz gekommen. Er rutschte ca 8 m ab und kollidierte hiedurch mit der langsamer vor ihm fahrenden Klägerin.

Die Vorinstanzen haben das auf Zahlung von 62.500 S sA und Feststellung der Haftung des Beklagten für weitere Unfallsfolgen gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S nicht übersteigt, jedoch die Revision für zulässig erklärt.

Die Vorinstanzen gingen von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus:

Die von der Klägerin befahrene Schitrasse hatte im Bereich der Unfallstelle eine Breite von 30 bis 50 m und eine nur mäßige Neigung. Aufgrund der Geländebeschaffenheit ist es möglich und einladend, die Trassenführung durch Befahren einer ca 70 m langen Variante der Abfahrt in der Falllinie abzukürzen. Diese Trassenkürzung ist für einen geübten Schifahrer ein leicht zu befahrender Abschnitt. Die Abkürzung führt durch ein nicht abgesperrtes Gelände und war zur Unfallszeit nicht präpariert, wohl aber durch mehrere Spuren gekennzeichnet. Der Beklagte, ein guter Schifahrer, befuhr diese Abfahrtsvariante, während die Klägerin auf der präparierten Piste fuhr. Er hielt ein mäßiges Tempo ein und befuhr die Abfahrtsvariante annähernd in der Falllinie in kontrollierter Fahrweise, die seinem schifahrerischen Können durchaus angepasst war. Als er sich bei Wiedereinfahren in die präparierte Piste der vor ihm mit Schwüngen abfahrenden Klägerin bis auf 8 m genähert und zu einem Linksschwung angesetzt hatte, ging die Bindung seines Schis auf, wodurch er stürzte. Er rutschte daraufhin in der Falllinie abwärts, wobei sein Tempo bis auf Schrittgeschwindigkeit vermindert wurde. Er stieß in einem rechten Winkel gegen die Füße der Klägerin, die sich in einem Rechtsschwung fast quer zur Falllinie bewegte und brachte diese dadurch zum Sturz. Beim Sturz erlitt die Klägerin Verletzungen.

Zum Zeitpunkt des Unfalls betrug in diesem Bereich die Schneehöhe mindestens 2,50 m. Bei einer derart hohen Schneelage werden im nicht präparierten Gelände die Konturen bedeutend weicher und die Geländekopierung geringer ausgeprägt. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Aufspringen der Schibindung des Beklagten von einer Bodenwelle verursacht wurde, ob es sich um einen technischen Defekt handelte oder ob die Bindung zu leicht eingestellt war. Der Beklagte hat die Bindung vor Beginn der Schisaison 1980/81 einstellen lassen.

Rechtlich vertraten die Vorinstanzen den Standpunkt, der Unfall sei auf einen Zufall zurückzuführen, der nicht vom Beklagten verschuldet worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Auf den geltend gemachten Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens musste nicht näher eingegangen werden, weil gemäß § 503 Abs 2 ZPO eine lediglich gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zugelassene Revision ausschließlich wegen der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts erhoben werden kann. Bloße einfache Verfahrensmängel sind demnach kein Revisionsgrund in derartigen Fällen.

Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Darstellung der Fahrweise des Beklagten aus dem erstgerichtlichen Urteil (S 140 dA) übernommen. Diese Ausführungen des Erstgerichts sind als Tatsachenfeststellungen zu werten.

Von der Übertretung einer Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB kann hier keine Rede sein, weil diese Gesetzesstelle ausdrücklich von erlassenen Gesetzen spricht. Allerdings sind darunter nicht nur Gesetze im formellen Sinn, sondern sämtliche Rechtsvorschriften, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgen, zu verstehen (ZVR 1979/283, ZVR 1974/35 ua). Immerhin müssen sie aber von einem zur Normsetzung berufenen Organ stammen und dürfen nicht von irgendwelchen Institutionen oder Vereinen erlassen worden sein. Auch kommt bloßen Gesetzes‑ oder Verordnungsentwürfen nicht die Qualifikation eines Gesetzes im Sinne des § 1311 ABGB zu. Die erwähnte Pistenordnung ist demnach keine gültige Rechtsnorm im Sinne des § 1311 ABGB (SZ 44/178, SZ 43/127 ua). Soweit sie allerdings Sorgfaltsgrundsätze zusammenfasst, kommt ihr erhebliche Bedeutung bezüglich der Beurteilung eines Verhaltens im Sinne des § 1295 ABGB zu.

Die in der Revision dem Beklagten vorgeworfenen Verstöße gegen die Pistenordnung liege auf keinen Fall vor, weil der Beklagte nach den getroffenen Feststellungen seinem Können entsprechend kontrolliert gefahren ist. Ob man diese Fahrweise als „schnell“ oder „mäßig“ bezeichnet, ist eine Wertungsfrage. Es kommt aber gar nicht darauf an, ob jemand „schnell“ oder „mäßig“ fährt, sondern ob jemand seine Fahrweise nicht der gegebenen Situation und seinem Können angepasst hat, er also „zu schnell“ gefahren ist. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der Unfall ist nicht auf die Fahrweise des Beklagten zurückzuführen, sondern darauf, dass sich überraschenderweise die Bindung eines seiner Schier geöffnet hatte. Auch allfällige Vorrangregeln können hier keine Bedeutung haben, weil sich die Klägerin zum Zeitpunkt der Einfahrt des Beklagten in die Piste nicht mehr in deren Einfahrtsbereich befunden hat und der Unfall nicht auf ein Überholmanöver des Beklagten zurückzuführen ist. Es fehlt auch an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass die Geländebeschaffenheit irgendetwas mit dem späteren Öffnen der Schibindung zu tun hatte. Das unerwartete Öffnen der Bindung war demnach ein Zufall im Sinn des § 1311 ABGB. Für diesen Zufall würde der Beklagte mangels eines Verstoßes gegen eine Schutzvorschrift nur haften, wenn er ihn verschuldet hätte, ihm also das unerwartete Öffnen der Schibindung zur Last gelegt werden könnte. Ein diesbezüglicher Wartungsfehler des Beklagten lag aber nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.

Mit Recht haben demnach die Vorinstanzen eine Haftung des Beklagten für die Folgen des Unfalls verneint.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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