European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00613.840.1108.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Die von der beklagten Partei erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wird verworfen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Zuständigkeitsstreits erster Instanz den Betrag von 12.454 S zu ersetzen.“
Im Übrigen wird die Kostenentscheidung des Erstgerichts aufgehoben. In diesem Umfang bleibt die Entscheidung über die Kosten der Endentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs‑ und des Revisionsrekursverfahrens wird ebenfalls der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
Mit der am 19. September 1983 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger von der Beklagten die Bezahlung von 300.000 S sA als rückständigen Kaufpreisrest für den von ihm der Beklagten im Jahr 1976 verkauften Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ 203 KG *****. Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Ein Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO wurde vom Kläger nicht gestellt.
Das Erstgericht verhandelte über die Zuständigkeitsfrage und verwarf die Einrede der Beklagten. Es stellte im Wesentlichen fest, dass die Beklagte seit 1976 Alleineigentümerin des Hauses *****, ist und dort seit 1976 in der Sommersaison (Juni bis August) eine Fremdenpension betreibt. In dieser Zeit hält sie sich regelmäßig in W***** auf; die übrige Zeit verbringt sie in Wien, wo sie keine Einkünfte erzielt. In den im Jänner 1972 und im Jänner 1984 gegen die Beklagte beim Bezirksgericht Völkermarkt anhängig gemachten Zivilprozessen wurde von der Beklagten eine Einrede der örtlichen Unzuständigkeit nicht erhoben. Bis 20. 2. 1984 war die Beklagte in W***** polizeilich gemeldet. Rechtlich gelangte das Erstgericht zu der Ansicht, es sei unter diesen Umständen nicht zweifelhaft, dass die Beklagte sowohl in Wien als auch in W***** einen Wohnsitz und damit auch ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Dem Kläger sei daher das Wahlrecht zugestanden, bei welchem der mehreren Gerichte er die Klage einbringen wolle.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der Beklagten Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit des Landesgerichts Klagenfurt zurückwies, wobei es den Revisonsrekurs für zulässig erklärte (§§ 526 Abs 3 ZPO in Verbindung mit den §§ 528 Abs 2, 502 Abs 4 Z 1 ZPO). Bei der Prüfung der Frage des Vorliegens eines doppelten Wohnsitzes ging das Rekursgericht davon aus, dass beide Wohnsitze in annähernd gleichem Maße den Mittelpunkt des wirtschaftlichen und privaten Lebens einer Person darstellen müssten, was aber hier nicht der Fall sei. Die Beklagte hielte sich in ***** nur während der Sommersaison auf, den weitaus überwiegenden Teil des Jahres sei sie aber in Wien. Die saisonbedingt immer wiederkehrende regelmäßige Verlagerung eines Gewerbebetriebs zwischen zwei Orten begründe allerdings einen zweiten Wohnsitz, wenn der Ort des Saisonbetriebs zum Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens der Person gemacht werde. Dies gelte aber nur für die Zeit der Verlagerung des Betriebs während der Saison. Da die Beklagte den Berieb jeweils nur bis Ende August geführt habe, die Klage aber erst am 19. September 1983 eingebracht worden sei, habe dieser Gerichtsstand zur Zeit der Klagseinbringung nicht mehr bestanden. Die Klage sei daher beim örtlich unzuständigen Gericht eingebracht worden.
Gegen diese Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Die Beklagte beantragte, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil schon im Hinblick auf die durch die Zivilverfahrens‑Novelle 1983 erfolgte Änderung der Bestimmung des § 66 JN eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt und damit die Voraussetzungen für den Ausspruch der Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegeben sind. Der Rekurs ist auch berechtigt.
Nach § 66 Abs 1 und 2 JN in der Fassung der Zivilverfahrens‑Novelle 1983 wird der allgemeine Gerichtsstand einer Person durch deren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Von einem Wohnsitz kann nur dann die Rede sein, wenn neben dem körperlichen Moment des tatsächlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort das Willensmoment der erweislichen Absicht, dort einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, nach außen hin erkennbar wird ( Fasching , Lehrbuch Rdz 273). Der Ausdruck „bleibend“ im Sinne des § 66 Abs 1 JN bedeutet nicht „immerwährend“, es kann vielmehr auch ein von vornherein durch einen bestimmten Anlass oder Zweck zeitlich beschränkter Aufenthalt einen Wohnsitz im Sinne dieser Gesetzesstelle begründen, wenn nur der Aufenthaltsort bewusst zu einem wirtschaftlichen und faktischen Lebensschwerpunkt gemacht (vgl die mangels Änderung des Wohnsitzbegriffs auch weiterhin heranzuziehenden Entscheidungen EvBl 1967/367; RZ 1984/17) und die Lebensführung in zweckbestimmter Ordnung zwischen diesen Orten verteilt wird (vgl Sperl , Lehrbuch 112 f). Hielt sich die Beklagte aus Anlass der Führung ihres Betriebs der Fremdenpension regelmäßig all die Jahre hindurch in den Saisonmonaten (Juni bis einschließlich August) in ihrem eigenen Haus in W***** auf, so wurde dadurch für sie ein zweiter Wohnsitz begründet, zumal darin ihre Absicht zum Ausdruck kam, auch W***** insoweit zu einem Schwerpunkt ihrer Lebensführung zu machen. Der vom Rekursgericht unter Berufung auf Fasching (I 375) vertretenen Ansicht, von einem Doppelwohnsitz könne hier nicht gesprochen werden, weil die Beklagte den „weitaus überwiegenden Teil des Jahres“ von W***** abwesend sei und sie daher nicht an beiden Orten in annähernd gleichem Maße den Mittelpunkt ihres wirtschaftlichen und privaten Lebens habe, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Für die Begründung eines Mehrfachwohnsitzes genügt vielmehr die Absicht, die mehreren Orte zum jeweiligen Mittelpunkt der Lebensführung zu machen (vgl Fasching , Lehrbuch Rdz 273). Wenn eine Person in den Sprengeln mehrerer Gerichte einen Wohnsitz hat, so ist für sie bei jedem dieser Gerichte ein allgemeiner Gerichtsstand begründet. Es steht in einem solchen Fall dem Kläger die Wahl frei, bei welchem der verschiedenen Gerichte er die Klage anbringen wil (§ 66 Abs 2 JN idF der Zivilverfahrens‑Novelle 1983). Insoweit das Rekursgericht seine Ansicht, der zweite Wohnsitz der Beklagten in W***** werde nur während ihres saisonbedingten Aufenthalts in Weitendorf begründet, auf die auch von Fasching in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung GlUNF 4073 stützt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung zum Gerichtsstand des früheren Wohnsitzes des § 97 JN erging und ihr ein ganz anderer Sachverhalt zugrundelag. Dort hatte der Beklagte seine besondere Niederlassung seines Gewerbes, die er nur während einer Saison an einem anderen Ort hatte, bei Saisonschluss ganz aufgegeben. Auch aus der zweiten Entscheidung GlU 5567) ist für den Standpunkt des Rekursgerichts nichts zu gewinnen, weil in dieser Entscheidung die Frage, ob der zweite Wohnsitz nur während der Zeit des Aufenthalts an diesem Ort gegeben ist, nicht Stellung genommen wird. Da ein einmal begründeter Wohnsitz erst durch den äußerlich sich dokumentierenden Wegfall eines der beiden Elemente des Wohnsitzes (Niederlassung und Aufenthaltsabsicht) untergeht ( Petschek‑Stagel 109), genügt die bloße Absicht, den ständigen Aufenthalt aufzugeben, für die Beendigung des Wohnsitzes nicht ( Pollak , System I, 306; Wolff , Grundriss 2 95). Die von der Beklagten in der Klagebeantwortung (Dezember 1983) aufgestellten Behauptung, sie habe mit 31. 8. 1983 ihren Aufenthalt in Kärnten aufgegeben und sei nach Wien verzogen, weil das Haus nicht winterfest und damit nicht ganzjährig bewohnbar sei, zeigt keinen nach außen hin erkennbaren Wegfall eines der für die Annahme eines Wohnsitzes erforderlichen Elemente auf, zumal die Beklagte auch noch bis 20. 2. 1984 in W***** polizeilich gemeldet war. In der Annahme des Erstgerichts, die Beklagte habe auch im Sprengel des Landesgerichts Klagenfurt einen Wohnsitz, weshalb für sie auch bei diesem Gericht ein allgemeiner Gerichtsstand begründet sei, kann somit ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
Damit erweist sich aber der Revisionsrekurs in der Hauptsache als berechtigt.
Wenngleich Entscheidungen über Prozesseinreden, die die Fortführung des Rechtsstreits erst ermöglichen, keinen endgültigen Prozesserfolg des Klägers im Sinne des § 41 ZPO darstellen und keinen vom Prozessausgang unabhängigen Kostenersatzanspruch schaffen ( Fasching II 315), die Entscheidung über die Kosten des im Zuständigkeitsstreit obsiegenden Klägers daher der Sachentscheidung vorzubehalten gewesen wären, mussten dem Kläger an Kosten des Zuständigkeitsstreits erster Instanz 12.454 S zugesprochen werden, weil die Beklagte insoweit die erstinstanzliche Kostenentscheidung in ihrem Rekurs unbekämpft ließ. Im Übrigen war die erstgerichtliche Kostenentscheidung aufzuheben und die Entscheidung diesbezüglich der Endentscheidung vorzubehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs‑ und Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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