OGH 6Ob21/84

OGH6Ob21/848.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 15. September 1983 verstorbenen M*****, infolge Revisionsrekurses des erbserklärten Cousins der Verstorbenen K*****, vertreten durch Dr. Josef Deitzer, Rechtsanwalt in Schwechat, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Juni 1984, GZ 44 R 121/84‑67, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hainburg an der Donau vom 12. April 1984, GZ A 174/83‑49, im zweiten Punkt abgeändert und infolgedessen im ersten Punkt als gegenstandslos behandelt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Maria B***** ist am 15. September 1983 gestorben. Eine letztwillige Verfügung wurde nicht kundgemacht. Ein familienfremder Erbansprecher hatte aufgrund eines angeblich im Jahre 1979 errichteten, nicht mehr aufgefundenen Testaments eine Erbserklärung abgegeben, war gegenüber den gesetzlichen Erben auf den Klageweg gewiesen worden, hatte aber die ihm gesetzte Klagsfrist fruchtlos verstreichen lassen. Die Erblasserin war ledig, hatte keine Kinder und wurde auch von keinem Angehörigen der zweiten Linie überlebt. Als gesetzliche Erben der dritten Linie waren ein Sohn und eine Tochter eines Onkels väterlicherseits sowie zwei Kinder einer Tante mütterlicherseits, zwei Kinder eines Onkels mütterlicherseits und ein in Rumänien lebender Sohn einer weiteren Tante mütterlicherseits berufen. Der in Rumänien lebende Cousin der Erblasserin entschlug sich des Erbrechts, seine Entschlagungserklärung nahm das Gericht mit einem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss entgegen.

Die übrigen Cousins und Cousinen der Erblasserin gaben unbedingte Erbserklärungen ab, die zu Gericht angenommen worden sind. Sämtliche erbserklärte Erben sind volljährig.

Die Erblasserin war Alleineigentümerin mehrerer Liegenschaften mit einem im niederösterreichisch‑burgenländischen Landesgrenzbereich gelegenen landwirtschaftlich genutzten Gutsbestand von rund 52 ha Gesamtfläche. Nach der Stellungnahme der Niederösterreichischen Landeslandwirtschaftskammer liegt die Ertragsfähigkeit des in den Nachlass fallenden landwirtschaftlichen Betriebs in den Grenzen des § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG.

In der vor dem Gerichtskommissär am 15. Dezember 1983 abgehaltenen Tagsatzung zur Verlassenschaftsabhandlung erklärten die sechs erbserklärten Erben, sie anerkennten, dass ein behauster landwirtschaftlicher Betrieb vorliege, sie brachten übereinstimmend vor, dass der Cousin väterlicherseits eine landwirtschaftliche Schule besucht habe und als Adjunkt und Verwalter eines Gutshofs landwirtschaftlich tätig gewesen sei. Dieser Cousin stellte den Antrag, den Erbhof ihm als Anerben zuzuweisen. Der in Australien wohnhafte Sohn des Onkels der Erblasserin mütterlicherseits gab seine Erklärungen in der Abhandlung durch seinen Bruder ab, den er mit einer Spezialvollmacht vom 20. Oktober 1983 umfassend, unter anderem auch zur Ausschlagung der Erbschaft bevollmächtigt hatte.

Mit der am 5. März 1984 beim Abhandlungsgericht eingelangten, anwaltlich verfassten Eingabe aller sechs erbserklärten Erben bestritten diese die Erbhofeigenschaft der in die Verlassenschaft gefallenen Grundstücke, weil keine „behauste Hofstelle“ vorhanden sei und die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen seit Jahrzehnten verpachtet gewesen seien. Der Cousin väterlicherseits erklärte sich mangels persönlicher und finanzieller Voraussetzungen außerstande, die in den Nachlass gefallenen landwirtschaftlichen Liegenschaften selbst u bewirtschaften; auch die übrigen gesetzlichen Erben erklärten, ihnen fehle es an den persönlichen Voraussetzungen für einen Anerben, sie seien keine Landwirte. Die erbserklärten Erben beantragten unter ausdrücklicher Rückziehung ihrer Erklärung, die Verlassenschaft nach den Grundsätzen des Anerbengesetzes durchzuführen, den formellen beschlussmäßigen Ausspruch des Abhandlungsgerichts, „dass die gegenständliche Verlassenschaft nicht nach den Grundsätzen des Anerbengesetzes, sondern nach den normalen Verlassenschaftsregeln des ABGB durchzuführen ist“.

Das Abhandlungsgericht holte ungeachtet dieser Eingabe das Gutachten eines Sachverständigen für Landwirtschaft zur Beurteilung der Erbhofeigenschaft des landwirtschaftlichen Betriebs ein und fasste hierauf den Beschluss (ON 49), mit dem es 1. feststellte, dass der in den Nachlass fallende, mit seinen Bestandteilen näher umschriebene landwirtschaftliche Betrieb einen Erbhof iSd § 1 AnerbenG bilde, und mit dem es 2. den Antrag der erbserklärten Erben, die Verlassenschaft nicht nach den Grundsätzen des Anerbengesetzes durchzuführen, abwies.

Die vier erbserklärten Erben der mütterlichen Verwandtschaft der Erblasserin erhoben gegen beide Punkte dieses erstgerichtlichen Beschlusses Rekurs.

Mit dem angefochtenen Beschluss änderte das Rekursgericht den zweiten Punkt des erstinstanzlichen Beschlusses im Sinne des Antrags der sechs erbserklärten Erben ab; eine Entscheidung über die Anfechtung des ersten Punktes der erstrichterlichen Entscheidung erachtete das Rekursgericht damit als hinfällig; eine spruchmäßige Erledigung unterblieb.

Nachdem die Ausfertigung der Rekursentscheidung zunächst irrtümlich dem anwaltlich vertretenen Cousin väterlicherseits zugestellt worden war, wurde die Zustellung am 7. September 1984 zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters bewirkt. Am selben Tag erschien der Cousin väterlicherseits vor dem Gerichtskommissär und gab folgende Erklärungen und Anträge zu Protokoll: Er sei bereit, den Erbhof der Erblasserin zu übernehmen; er erkläre den Erbhof als Anerbe zu übernehmen und verzichte auf einen Widerruf dieser Erklärung; er beantrage, ihm den Erbhof zuzuweisen.

Der Cousin väterlicherseits ficht die abändernde Rekursentscheidung mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses gerichteten Abänderungsantrag an.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittelwerber fehlt eine verfahrensrechtliche Beschwer; sein Rechtsmittel ist aus diesem Grunde zurückzuweisen.

Die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts entspricht dem erstinstanzlichen Antrag des Rechtsmittelwerbers. Daran ändert nichts, dass er die antragsabweisende Entscheidung der ersten Instanz unangefochten gelassen hat. Dass er nach Erlassung der zweitinstanzlichen Entscheidung den gemeinsam mit den übrigen erbserklärten Erben gestellten Antrag wieder zurückgezogen hat, ist ‑ unabhängig von einer materiell‑rechtlichen Bindung der Mitglieder der Erbengemeinschaft über deren Aufhebung ‑ aus dem hier allein erheblichen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt unbeachtlich, dass eine verfahrensbestimmende Erklärung, über die bereits eine Beschlussfassung im Sinne des Erklärenden erging, grundsätzlich nicht mit rückwirkender Kraft zurückgenommen werden kann; eine erst nach der angefochtenen Entscheidung abgegebene, neue, gegensätzliche Erklärung muss ‑ unabhängig von ihrer Zulässigkeit ‑ aber auch im Fall eines Rekurses gegen eine abändernde Entscheidung der zweiten Instanz (§ 14 AußStrG) als unstatthafte Neuerung unbeachtet bleiben.

Es bleibt deshalb zu prüfen, ob und in welchem Umfang den erbserklärten Erben ‑ für den hier noch nicht rechtskräftig entschiedenen, aber für die zu lösende Frage zu unterstellenden Fall, dass die in den Nachlass fallenden Liegenschaften einen Erbhof gemäß § 1 AnerbenG bilden ‑ eine verfahrensgestaltende Befugnis im Sinne ihrer Erklärungen zugestanden ist.

Die anerbengesetzlichen Zielsetzungen, die Erbengemeinschaft am bäuerlichen Sondergut nur auf eine solche Weise auseinanderzusetzen, dass dieses in seinem für ein mittleres Bauerngut notwendigen Ausmaß ungeschmälert auf eine einzige Person übergeht und dieser die Befriedigung aller von diesem Nachlassbestandteil zu berechnenden erbrechtlichen Ansprüche in einer Weise ermöglicht wird, dass der Hof wirtschaftlich auch in der Hand des einen Übernehmers erhalten werden kann, werden vom Bundesgesetzgeber nicht nur in voller Wahrung der Testierfreiheit durch eine entsprechende letztwillige Anordnung des Erblassers bewusst aufs Spiel gesetzt, sie können mangels höferechtlicher Beschränkungen auch durch den sondererbrechtlich bestimmten Hofübernehmer selbst nach vollzogener Rechtsübertragung durch rechtsgeschäftliche Verfügung vereitelt werden. Daraus darf aber keinesfalls gefolgert werden, dass es der Erbengemeinschaft anheimgestellt wäre, die Anwendung der anerbengesetzlichen Regeln bei Vorliegen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen durch übereinstimmenden Willensakt auszuschließen. In diesem Sinne wäre auch die anerbengesetzliche Regelung, dass bei gesetzlicher Erbfolge nach dem Alleineigentümer (oder Miteigentümer gemeinsam mit seinem Ehegatten) ein Erbhof im Erbweg nur an eine einzige natürliche Person übergehen soll, einer gegenteiligen Absprache der Miterben zur Auseinandersetzung ihrer Erbengemeinschaft entzogen. Andererseits ist aber den nach der sondergesetzlichen Auswahl zur Hofübernahme berufenen Personen zuzubilligen, den in den Nachlass gefallenen landwirtschaftlichen Besitz nicht selbst führen zu wollen, ohne deshalb der allgemein bürgerlich‑rechtlichen Erbansprüche auch nur in Ansehung der Sondermasse „Erbhof“ verlustig zu gehen.

Entäußert sich der Anerbe des ihm in der Abhandlung zugewiesenen und übertragenen Erbhofs unmittelbar nach der Einantwortung, steht dies unter der sondererbrechtlich konstruierten Sanktion der Nacherbteilung nach § 18 AnerbenG, nicht aber unter der Sanktion völligen Rechtsverlustes ein zur Hofübernahme Berufener, der bereits im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens seine entsprechende Absicht erklärt, kann bei Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht schlechter gestellt werden. Die Weigerung des nach der Auswahlordnung des Anerbengesetzes, zur Hofübernahme Berufenen, den Betrieb zu übernehmen, ist also nicht nur voll beachtlich, sie muss auch die allgemein bürgerlich‑rechtliche Erbansprüche des betreffenden Miterben in Ansehung des Erbhofs unberührt lassen. Ein Zwang durch Zuweisung an einen erklärtermaßen übernahmsunwilligen Miterben ist dem in seinen sonstigen Regelungen betont „milden“ (vgl EZ 76 BlgNR VIII. GP, S 12 in Abschnitt VI der Allgemeinen Erläuterungen) Gesetz entgegen den Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen (aaO, 18 f zu § 6) nicht zu entnehmen. Ein solcher Zwang erschiene auch rechtspolitisch zur Erreichung der gesetzgeberischen Zielsetzungen wenig sinnvoll. Der erkennende Senat vermag sich daher der gegenteiligen Ansicht von Edelbacher (MGA Bd 43., 30 in Anm 2 zu § 3) nicht anzuschließen. Er tritt vielmehr ‑ ohne die gesetzliche Berufung zum Anerben einem erbrechtlichen Institut zuzuordnen und daraus Folgerungen zu ziehen ‑ aus der zitierten Regelung des § 18 AnerbenG heraus der Ansicht bei, dass der gesetzlich zur Hofübernahme Berufene im Zuge der Abhandlung die Hofübernahme ablehnen kann, ohne dadurch seine sonstige erbrechtliche Stellung (und zwar nicht nur in Ansehung des „hofesfreien“ Nachlasses, wie Weiß in Klang‑Komm 2 III, 181 meint) zu schmälern, (vgl Webhofer, JBl 1958, 481 ff, 483; Kralik Erbrecht, 387; im selben Sinn bereits Ehrenzweig System2 II/2, 397; Koziol‑Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts6, II, 257; Meyer, Juridica‑Kurzkommentar, 25 in Anm 3 zu § 4 und NZ 1959, 106; Pfeifer NZ 1959, 17 ff, 18; Possolt NBlRA 1959, 13 ff, 15; zum Ktn ErbHG: Schellander, JBl 1953, 368 ff, 373; SZ 28/20).

Ist aber die Weigerung eines gesetzlich zur Hofübernahme Berufenen, den Erbhof zu übernehmen, bereits im Zuge der gerichtlich vorzunehmenden Erbteilung beachtlich, kann der Fall eintreten, dass keiner der hiezu in Betracht zu ziehenden Miterben sich zur Hofübernahme bereit findet. eine gesetzliche Regelung hiefür fehlt. Diese Lücke dadurch zu schließen, die Weigerung gleich einem Ausschließungsgrund zu behandeln (§ 5 Abs 2 AnerbenG), liefe auf den rechtspolitisch als unzweckmäßig und mangels höferechtlicher Bindung auch überaus unwirksam erkannten Zwang zur Hofübernahme hinaus. Die Weigerung sämtlicher hiezu in Betracht kommender Personen, den Erbhof zu übernehmen, macht vielmehr die Erbteilungsregeln des Anerbengesetzes unanwendbar (so ausdrücklich Kralik, Meyer, Pfeifer, Possolt und Schellander jeweils am oben angeführten Ort; vgl zum Ktn ErbHG SZ 6/157 und SZ 28/20).

Wesentlich ist im gegebenen Zusammenhang, dass die Erreichung des gesamtwirtschaftlich im Interesse der Erhaltung eines lebensfähigen Bauernstands motivierten gesetzgeberischen Anliegens, für die erbrechtliche Nachfolge einer einzigen natürlichen Person in das Eigentum an einem Erbhof vorzusorgen, der Einzelinteressenverfolgung der Miterben überlassen bleibt und nicht etwa einer Behörde oder Interessenvertretung zur Wahrung übertragen wurde; der Einzelne kann aber auf die Befugnisse aus der gesetzlichen Berufung zum Hofübernehmer auch wirksam verzichten.

Die übereinstimmende Erklärung aller nach allgemeinem bürgerlichem Erbrecht an der Auseinandersetzung ihrer erbrechtlichen Gemeinschaft an der in den Nachlass gefallenen Liegenschaften Beteiligten, den Hof nicht übernehmen zu wollen, machte die Anwendung der anerbengesetzlichen Erbteilungsvorschriften, die das Vorhandensein eines Anerben voraussetzen, unmöglich. In diesem Sinne war die Erklärung des Rechtsmittelwerbers verfahrensbestimmend und nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil sie eine unverzichtbare Rechtslage zum Inhalt gehabt hätte.

Der Rechtsmittelwerber kann sich daher nicht deshalb beschwert erachten, dass mit der angefochtenen Entscheidung seiner Erklärung voll Rechnung getragen wurde. Mangels Beschwer ist sein Rechtsmittel unzulässig. Es war aus diesem Grunde zurückzuweisen.

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