OGH 12Os128/84

OGH12Os128/8418.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Oktober 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral, Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Hörburger (Berichterstatter) und Dr. Lachner als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Gurschler als Schriftführer in der Strafsache gegen Stefan A wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127

Abs.1, 128 Abs.1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. April 1984, GZ 10 Vr 4225/83-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Gehart, und des Verteidigers Dr.Hermann Destaller jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches in den Punkten 1 und 2 des Schuldspruches unberührt bleibt, im Punkt 3

des Schuldspruches sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs.2

Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Stefan A wird von der Anklage, am 1.November 1983 in Pöllau dadurch, daß er Rupert B sowie sich selbst die Hosen bis zu den Knien hinunterzog und damit sowohl den Unterkörper des Rupert B als auch seinen eigenen zur Gänze entblößte und versuchte, an Rupert B einen Afterverkehr durchzuführen, öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, unzüchtige Handlungen vorgenommen und hiedurch das Vergehen der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für die ihm laut den unberührt gebliebenen Punkten 1 und 2 des erstinstanzlichen Schuldspruches zur Last fallenden Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs.1 StGB und des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs.1, 128 Abs.1 Z 1 StGB wird Stefan A gemäß § 128 Abs.1

StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu 8 (acht) Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Gemäß § 43 Abs.1 StGB wird die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.September 1963 geborene Elektroinstallateur Stefan A - neben anderen strafbaren Handlungen auch - des Vergehens der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB (Punkt 3 des Urteilssatzes) schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5 und 9 lit.a des § 281 Abs.1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher aus dem erstgenannten Grunde Berechtigung zukommt. Nach den maßgebenden Feststellungen des Erstgerichtes ging der Angeklagte Stefan A am 1.November 1983 in den frühen Morgenstunden (um ungefähr 2 Uhr früh) in Begleitung des Hans C und des Rupert B in den öffentlich zugänglichen Hof des im Ortszentrum gelegenen, von Mietern bewohnten Schlosses Pöllau, wo sich C zunächst von den beiden anderen Männern trennte. An einer durch elektrisches Licht beleuchteten Stelle in der Nähe der im Schloßhof gelegenen Toilettenanlage entblößte der Angeklagte seinen Geschlechtsteil, zog dem B die Hosen herunter und machte Anstalten, einen Analverkehr durchzuführen, wurde jedoch von B abgewehrt. In diesem Zeitpunkt kam C erneut hinzu, weshalb der Angeklagte und B ihre Kleidung wieder in Ordnung brachten. Aus Scham und Wut, von C in einer derartigen Situation angetroffen worden zu sein, mißhandelte der Angeklagte in der Folge den B.

Der Beschwerdeführer zeigt in seiner Rechtsrüge zutreffend Feststellungsmängel auf, welche in objektiver und subjektiver Hinsicht die rechtliche Annahme einer öffentlichen Begehung der Unzuchtshandlung nicht zulassen.

Eine Handlung ist gemäß § 69 StGB dann öffentlich begangen, wenn sie unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann. Der Begriff der öffentlichen Begehung erfordert zwar nicht, daß die Handlung tatsächlich von einem größeren Personenkreis wahrgenommen wurde (EvBl.1977/262 = LSK.1977/270), es genügt aber andererseits auch nicht die bloß abstrakte Möglichkeit ihrer Wahrnehmung, vielmehr ist konkrete Wahrnehmbarkeit durch einen größeren Personenkreis erforderlich, die nur dann gegeben ist, wenn eine Wahrnehmung im Bereich naher Möglichkeit liegt (Leukauf-Steininger, StGB 2 , RN 5 zu § 69; Foregger-Serini 2 , Anm.I zu § 69 StGB und Anm. II zu § 218 StGB; Pallin im Wiener Kommentar zum StGB, RN 7 zu § 218).

Im gegenständlichen Fall kann den erstgerichtlichen Konstatierungen nur entnommen werden, daß die unzüchtige Handlung an einem allgemein zugänglichen und beleuchteten Ort in einem bewohnten Gebäudekomplex begangen wurde, doch ist nicht ersichtlich, ob sich damals (in der Nacht) im Umkreis eine größere Zahl als Beobachter konkret in Betracht kommender Personen aufgehalten hat.

Für einen derartigen, die objektive Tatseite betreffenden Sachverhalt haben sich im gesamten Verfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben. Darüber hinaus fehlen auch Feststellungen zur subjektiven Tatseite, auf der ein zumindest bedingter Wille des Angeklagten, im Wahrnehmungsbereich zahlreicher Personen zu agieren, gegeben gewesen sein müßte. Die Frage eines solchen Vorsatzes hätte umsomehr einer besonderen Erörterung in den Entscheidungsgründen bedurft, als sich der Angeklagte nach überzeugung des Erstgerichtes beim Auftauchen des einzigen festgestellten Beobachters geschämt hat und wütend geworden ist, weil er in dieser verfänglichen Situation angetroffen worden war. Eine solche Reaktion ist jedoch nicht ohne weiters mit der Annahme vereinbar, daß der Angeklagte die Wahrnehmungsmöglichkeit eines größeren Personenkreises bedacht und sich damit abgefunden hat.

Die aufgezeigten Konstatierungsmängel verhindern eine verläßliche rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Tatbegehung und ziehen Nichtigkeit des Schuldspruches im Sinne des § 281 Abs.1 Z 9 lit.a StPO nach sich. Weil nach der Aktenlage keinesfalls zu erwarten ist, daß solche Feststellungen mit zureichender Begründung getroffen werden könnten, war nach Aufhebung des angefochtenen Schuldspruches sogleich mit einem Freispruch des Angeklagten von der Anklage wegen Vergehens der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO vorzugehen (Mayerhofer-Rieder, StPO, Nr.27 und 28 zu § 288; 12 0s 177/83).

Bei der notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe war erschwerend die Begehung von zwei strafbaren Handlungen, mildernd hingegen, daß der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, das reumütige Geständnis und die Begehung der Tat vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres.

Bei sachgemäßem Abwägen der gegebenen Strafzumessungsgründe wird die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) des Angeklagten durchaus gerecht.

Weil der Angeklagte unbescholten, sozial integriert und im Hinblick auf sein Alter noch grundsätzlich resozialisierungsfähig ist, war anzunehmen, daß die bloße Androhung der Vollziehung der Strafe allein genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Auch bedarf es nach Lage des Falles nicht der Vollstreckung der Strafe, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, sodaß diese unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen war (§ 43 Abs.1 StGB).

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