OGH 8Ob61/84

OGH8Ob61/844.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, wegen 45.852,14 S sA, Revisionsinteresse 43.551,70 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Juni 1984, GZ 1 R 88/84‑28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 9. März 1984, GZ 4 Cg 407/82‑22, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00061.840.1004.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers, den Beklagten zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung zu verhalten, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Am 15. 5. 1982 kam es im Ortsgebiet von S***** auf der Bundesstraße Nr ***** um die Mittagszeit zu einem Verkehrsunfall. Der Kläger als Lenker des Motorrades Marke Kawasaki, polizeiliches Kennzeichen *****, stieß mit dem Hund des Beklagten, einem „Collie“ zusammen.

Der Kläger begehrte vom Beklagten Schadenersatz von 45.852,14 S sA. Der Hund des Angeklagten sei infolge mangelnder Aufsicht über die Straße und in das Motorrad gelaufen, sodass der Kläger zu Sturz gekommen sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Hund sei vom Beklagten ordnungsgemäß auf dessen Liegenschaft hinter einem 2 m hohen Maschendrahtzaun verwahrt gewesen. Es sei unerklärlich, wie der Hund ins Freie gelangt sei. Den Beklagten treffe somit kein Verschulden. Wohl aber treffe ein solches den Kläger, der infolge eigener Unachtsamkeit und einer zu hohen Geschwindigkeit gestürzt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es den Beklagten zur Bezahlung von 43.551,70 S verurteilte. Ein überhöhtes Mehrbegehren von 2.300,44 S wies es ab. Die Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten, die auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 3 und 4 ZPO stützt und worin er die Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteils dahin beantragt, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Im Unfallsbereich ist die Bundesstraße Nr ***** 4,8 m breit und asphaltiert. Das Grundstück des Beklagten liegt östlich der Unfallstelle und ist von einem 1,5 m hohen Drahtmaschenzaun umgeben, der in Abständen von 5 m an Holzpfählen angebracht ist. Er weist entlang der Bundesstraße keine Schäden auf. Dieser Zaun umgibt das ganze Grundstück des Beklagten lückenlos. Die Unterkante des Zaunes ist mit dem Boden verbunden; ein Durchschlüpfen für einen Hund ist unmöglich. Der Zaun wird jedes Jahr repariert. Im Jahre 1982 geschah dies noch vor dem Unfall. Bis dahin war es noch nie vorgekommen, dass der Hund vom Grundstück entwichen war, obwohl er sich fast täglich, auch wenn der Beklagte das Grundstück für kurze Zeit verließ, im östlichen Vorgarten der Gärtnerei aufhielt. Alle in Frage kommenden Türen waren zur Unfallszeit versperrt, weil der Beklagte und seine Ehegattin ihr Haus verlassen hatten, um in einem 150 m entfernten Rasthaus zu Mittag zu essen. Der Hund hielt sich wie gewöhnlich im Vorgarten der Gärtnerei auf, wovon sich der Beklagte noch beim Weggehen überzeugte.

Als der Beklagte vom Mittagessen zurückkam, wurde er Unfallszeuge. Der Kläger näherte sich mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h in einer Gruppe von drei Motorradfahrern. Als der Kläger den Hund des Beklagten aus der östlichen Wiese kommen sah, bremste er sofort. Inzwischen überquerte der Hund die Fahrbahn. Es kam zum Zusammenstoß und der Kläger stürzte.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass der Beklagte habe annehmen und darauf vertrauen dürfen, dass der Hund nicht dazu neigte, den Zaun zu überspringen, und dass somit die Art der Umzäunung hinreichend gewesen sei.

Das Berufungsgericht vertrat den Standpunkt, dass die vom Beklagten gewählte Sicherung seines Hundes in Form einer nur 1,5 m hohen Einzäunung nicht ausreichend war, um einer Gefährdung des Straßenverkehrs durch das von ihm gehaltene Tier zu begegnen. Die Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Hundes, insbesondere bei Abwesenheit seines Herrn infolge des Triebes, diesem zu folgen, sei gerichtsbekannt. Da der Beklagte seinen Hund mangelhaft verwahrt allein ließ, habe er eine Gefahrenquelle für den unmittelbar an seinem Grundstück auf der Bundesstraße vorbeiführenden Verkehr mit einer erkennbar sehr bedeutenden Schadensmöglichkeit geschaffen und aufrecht erhalten. Schon bei durchschnittlicher Sorgfalt hätte der Beklagte erkennen müssen, dass der Zaun zu niedrig war und das freie Herumlaufen des Hundes in dieser Umfriedung in der Nähe der stark befahrenen Bundesstraße keine genügende Verwahrung des Tieres darstellte.

In seiner Revision stellte sich der Beklagte demgegenüber auf den Standpunkt des Erstgerichts. Dazu ist jedoch meritorisch aus nachstehenden Gründen nicht einzugehen:

Der Oberste Gerichtshof hat auch bei der Entscheidung über eine ordentliche Revision – im Zulassungsbereich gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO – zunächst zu prüfen, ob die Revision nach dieser Bestimmung überhaupt zulässig ist. Das Revisionsgericht ist hiebei nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO gebunden (§ 508 lit a Abs 1 ZPO).

Im vorliegenden Rechtsstreit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Verwahrung des Hundes des Beklagten in der festgestellten Art und Weise ausreichend war oder nicht. Bei der Beurteilung der aus § 1320 ABGB abgeleiteten Haftung des Beklagten stützte sich das Berufungsgericht auf die ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofs, wie sie etwa in ZVR 1984/19, ZVR 1983/279, ZVR 1983/277, ZVR 1983/163 ua veröffentlicht wurde. Der Grundsatz, wonach an den Tierhalter höhere Anforderungen gestellt werden müssen, wenn Tiere in unmittelbarer Nähe einer stark frequentierten Straße gehalten werden, kommt in der Entscheidung des Berufungsgerichts ebenso deutlich zum Tragen wie jener, dass im Besonderen die vom Tierhalter nach den erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung im Einzelfall von ihm vernünftigerweise zu erwartende Verwahrung gefordert werden müsse. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Rechtsfalls, in welchem es die gegebenen Umstände des Einzelfalls berücksichtigte und zutreffend darauf verwies, dass der Hund der Rasse „Collie“ eine besonders gewandte Hundeart ist, weshalb bei Abwesenheit des Halters durchaus mit dem Überspringen des bloß 1,50 m hohen Zaunes gerechnet werden müsse (vgl etwa ZVR 1984/19), von der ständigen Judikatur abwich. Die Begründung für die Zulässigerklärung der Revision, wonach sich das Berufungsgericht der in ZVR 1984/123 vom Obersten Gerichtshof ausgesprochenen Rechtsansicht nicht anschließen könne, ist nicht stichhältig: Sie verkennt, dass die genannte Entscheidung die Verwahrung von „Warmblutpferden“ zum Gegenstand hatte, die naturgemäß in wesentlich anderer Weise zu erfolgen hat, als jene eines Hundes, wie es diesfalls ein solcher von der besonders gewandten Rasse der Collies war.

In der Prüfung über die Zulässigkeit der Revision sind auch die vom Revisionswerber angeschnittenen Rechtsfragen miteinzubeziehen, weil er innerhalb des Rahmens der revisiblen erheblichen Rechtsfragen in der Ausführung der Rechtsmittelgründe nicht beschränkt ist ( Petrasch in ÖJZ 1983, 178; 6 Ob 561/84). Abgesehen von der geltend gemachten Aktenwidrigkeit, die nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 ZPO), stellt sich der Beklagte aber lediglich auf den Standpunkt, dass seine Verwahrung des Hundes ausgereicht habe und stützt sich dabei auf die vom Berufungsgericht im obigen Sinn behandelte Entscheidung ZVR 1984/123. Dieses Erkenntnis betraf aber – wie bereits ausgeführt wurde – ein wesentlich anders gelagertes Problem der Verwahrung von Warmblutpferden und vermag in seinem konkreten Ergebnis mit dem vorliegenden Fall zielführend nicht verglichen zu werden.

Die vorliegende Revision war deshalb gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zuzulassen und sohin als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht geltend gemacht; die Rechtsmittelschrift war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich, was nach den zitierten Bestimmungen einen Kostenersatzanspruch ausschließt.

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