OGH 7Ob628/84

OGH7Ob628/8413.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache des mj Jürgen S*****, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Harald S*****, dieser vertreten durch Dr. Gernot Kusatz, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Kreisgerichts Wels als Rekursgericht vom 22. Mai 1984, GZ R 456/84‑26, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 12. April 1984, GZ P 619/82‑22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00628.840.0913.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern des am 4. 3. 1981 geborenen Jürgen S*****, Harald und Rosa S*****, wurde mit Beschluss des Kreisgerichts Wels vom 7. 3. 1983, 7 Cg 542/82‑6, gemäß § 55a EheG geschieden. In Punkt 1. des am gleichen Tage abgeschlossenen Vergleichs kamen Harald und Rosa S***** gemäß § 177 ABGB überein, dass die aus den familienrechtlichen Beziehungen erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten iSd § 144 ABGB dem Vater zustehen sollen. Der Vergleich wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt.

Bereits am 2. 3. 1983 vereinbarten der Vater und die mütterlichen Großeltern vor dem Jugendamt des Magistrats der Stadt Wels, dass die mütterlichen Großeltern das Kind einmal im Monat an einem Freitag von 15 bis 18 Uhr bei sich haben können (ON 5).

Am 4. 3. 1983 stellte die mütterliche Großmutter Erna P***** den Antrag, ihr Besuchsrecht vorläufig an einem Samstag und nicht an einem Freitag festzusetzen, damit auch ihre Tochter Herta A*****, die die Taufpatin des Kindes sei, mit diesem in Verbindung bleiben könne (ON 6).

Der am 26. 3. 1984 hiezu einvernommene Vater sprach sich gegen ein Besuchsrecht der mütterlichen Großmutter aus, da sich seine Spannungen mit der Mutter des Kindes auch auf das Verhältnis zu seiner früheren Schwiegermutter übertragen hätten. Erna P***** möge weder ihn, noch seine jetzige Lebensgefährtin (Friederike P*****, vgl ON 19); der Vater und Friederike P***** habe am 7. 4. 1984 die Ehe geschlossen, AS 52 und 62) und habe diese auch bereits beschimpft. Es sei daher zu besorgen, dass es anlässlich der Abholung des Kindes zu Zerwürfnissen komme und dass Erna P***** dem Kind gegenüber über den Vater abträglich sprechen werde, zumal sie schon einmal angekündigt habe, sie werde das Kind über ihn „aufklären“, sobald es einmal in die Schule gehe. Erna P***** sei eine starke Kaffeetrinkerin und Raucherin und halte sich meist nur in ihrer Wohnung auf, sodass sich das Kind bei ihr nicht sehr wohl fühlen würde. Die – nicht berufstätige – Lebensgefährtin des Vaters betreue das Kind während der berufbedingten Abwesenheit des Vaters und wolle Jürgen adoptieren. Sie werde von dem Kind mit „Mama“ angesprochen, ihre Eltern würden als Großeltern betrachtet. Das Kind werde daher mit Erna P***** „nichts anzufangen wissen“ (ON 21).

Das Erstgericht regelte das Besuchsrecht der mütterlichen Großmutter Erna P***** auf persönlichen Verkehr mit dem Kind in der Weise, dass sie das Kind an jedem ersten Samstag im Kalendermonat um 15 Uhr von der väterlichen Wohnung abholen könne und verpflichtet sei, es um 18 Uhr desselben Tages wieder zurückzubringen. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:

Nach der Scheidung seiner Ehe mit Rosa S***** brachte der Vater das Kind zunächst bei seiner Großmutter unter, die es fürsorglich betreute. Im Dezember 1983 übernahm der Vater mit Hilfe seiner Lebensgefährtin Friederike P***** selbst die Betreuung des Kindes. Das Kind wird ordentlich gepflegt und verhält sich altersbedingt unauffällig; es hat zu seinem Vater und dessen Lebensgefährtin eine herzliche Beziehung. Jürgen kennt und mag sowohl die väterlichen Großeltern als auch die mütterliche Großmutter. Er hat allerdings mit dieser seit Anfang des Jahres 1983 keinen Kontakt mehr, weil sie auf eine gerichtliche Entscheidung über ihren Antrag auf Regelung des Besuchsrechts wartete.

Die Mutter des Kindes hat sich von diesem gänzlich zurückgezogen. Sie übersiedelte zunächst nach Salzburg, wo sie sich im Prostituiertenmilieu aufhielt, und dann in die Bundesrepublik Deutschland. Ihr derzeitiger Aufenthalt ist nicht bekannt.

Erna P***** lebt in Wels bei ihrem Mann und hat noch zwei Töchter, die beide ein Kind erwarten. Außer dass er Streit mit ihr besorge, weil sie ihn nicht gemocht habe, konnte der Vater nichts Nachteiliges gegen seine vormalige Schwiegermutter vorbringen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass § 148 Abs 2 ABGB das Recht der Großeltern auf persönlichen Verkehr mit ihren Enkelkindern statuiere. Dieses Recht könne ihnen nur entzogen werden, wenn dadurch die Ehe oder das Familienleben der Eltern oder deren Beziehungen zu dem Kind gestört werden. Derartige Ausnahmsfälle lägen hier jedoch nicht vor. Die Sorge des Vaters, es könnte Zerwürfnisse geben, reiche nicht aus, um der mütterlichen Großmutter ein Besuchsrecht zu versagen. Dieses Besuchsrecht könne jedoch nur aufrecht bleiben, solange sich die mütterliche Großmutter – besonders im Beisein des Kindes – gegenüber dem Vater und Friederike P***** korrekt verhalte. Die mütterliche Großmutter dürfe nicht versuchen, das Kind gegen seinen Vater oder dessen nunmehrige Partnerin zu beeinflussen und diese herabzusetzen. Andererseits werde der Vater mit seiner Lebensgefährtin das Kind feinfühlend und positiv auf die Besuchssituation vorzubereiten und dafür zu sorgen haben, dass es zu keinen Reibereien komme.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts. Es übernahm dessen Feststellungen und teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass die persönliche Abneigung des Vaters gegenüber seiner früheren Schwiegermutter noch keinen trifftigen Grund für die Untersagung des persönlichen Kontakts der Großmutter mit dem Kind sei.

Der Vater bekämpft die Entscheidung der zweiten Instanz aus dem Rekursgrund der offenbaren Gesetzeswidrigkeit und stellt den Antrag, die von der mütterlichen Großmutter begehrte Besuchsrechtsregelung abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Da gemäß § 16 AußStrG im Fall einer bestätigenden Entscheidung des Rekursgerichts der Revisionsrekurs nur im Fall einer offenbaren Gesetz‑ oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität zulässig ist, ist die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der Begriff der offenbaren Gesetzwidrigkeit ist jenem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht gleichzuhalten (SZ 39/103). Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn die für die Entscheidung maßgebende Frage im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, dass an der Absicht des Gesetzgebers nicht gezweifelt werden kann, und trotzdem anders entschieden wurde (MietSlg 32.747). Eine Ermessensentscheidung – eine nach den gegebenen Umständen zu treffende Regelung – begründet noch keine offenbare Gesetzwidrigkeit, wenn der eine oder andere dieser Umstände nicht gebührend gewertet wurde (7 Ob 186/72), es sei denn, das letzteres einen Verstoß gegen eine eindeutige Gesetzeslage oder gegen die Grundprinzipien des Rechts bedeuten würde (EFSlg 39.836). Ein solches Grundprinzip ist im Pflegschaftsverfahren die Außerachtlassung des Wohles des pflegebefohlenen Kindes (EFSlg 39.836).

Bei der Regelung des Rechts eines Elternteils oder der Großeltern, mit dem Kind persönlich zu verkehren (Besuchsrecht), handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Oberster Grundsatz einer jeden Besuchsrechtsregelung ist das Wohl und das Interesse des Kindes (EFSlg 29.038 ua). Wurde das Wohl des Kindes außer Acht gelassen, stellt dies einen Verstoß gegen die Grundprinzipien des Rechts dar.

Ob und inwiefern den Großeltern ein Besuchsrecht zusteht, hängt daher in erster Linie vom Wohl des Kindes ab (EvBl 1979/32); doch darf darüber hinaus durch das Besuchsrecht der Großeltern auch nicht die Ehe oder das Familienleben der Eltern (eines Elternteils) oder deren Beziehungen zum Kind gestört werden (§ 148 Abs 2 ABGB).

Der Vater macht im Revisionsrekurs geltend, es sei das Wohl des Kindes völlig missachtet worden. Die Kindesmutter (offensichtlich gemeint: die mütterliche Großmutter; vgl AS 51) habe sich kurz nach der Scheidung gegenüber einer dritten Person geäußert, sie werde das Kind einmal nach der Schule „abfangen“ und ihm sagen, was für ein Verbrecher sein Vater sei. Am 25. 5. 1984 habe „eine Frau mit stark steirischem Akzent“ die Frau des Vaters angerufen und habe sie beschimpft. Das Wohl des Kindes wäre bei Besuchen der mütterlichen Großmutter auch dadurch gefährdet, dass es gezwungen wäre, sich bei dieser in stark verrauchten Räumlichkeiten aufzuhalten. Die angefochtene Besuchsrechtsregelung lasse es unter Vernachlässigung des Kindeswohls ferner unberücksichtigt, dass das Kind die Frau des Vaters als seine Mutter ansehe. Erfahre das Kind bei Ausübung des Besuchsrechts die Wahrheit, sei dies sicherlich mit einer schweren Belastung für das Kind verbunden. Dem Kindeswohl sei gegenüber dem Recht der Großmutter auf Besuchsausübung der Vorzug zu geben.

Das in § 148 Abs 2 ABGB geregelte Besuchsrecht der Großeltern ist zwar ein schwächeres als das der Eltern, doch kann nur ein objektiver Beurteilungsmaßstab und nicht die persönliche Einstellung der Eltern (eines Elternteils) dafür maßgebend sein, ob das Besuchsrecht der Großeltern eine Störung ihres Familienlebens oder ihrer Beziehungen zum Kind darstellt. Denn sonst könnte ein solches Recht gegen den Willen der Eltern auch dann nicht eingeräumt werden, wenn das Besuchsrecht im Interesse des Kindes läge und bei einem zumutbaren Verhalten der Eltern und Großeltern auch zu keiner Störung des Familienlebens oder der Eltern‑Kind‑Beziehung führte. Wenn das Wohl des Kindes den persönlichen Kontakt mit den Großeltern wünschenswert erscheinen lässt, muss von den Eltern verlangt werden, dass sie eine Atmosphäre schaffen, die einen solchen Kontakt ermöglicht. Andererseits haben die Großeltern bei Ausübung des Besuchtsrechts alles zu vermeiden, was zu einer Störung des Familienlebens der Eltern oder ihrer Beziehungen zum Kind führen könnte (EvBl 1979/32, EFSlg 33.527).

Die Vorinstanzen haben sich mit den vom Vater angeführten Umständen, die seiner Meinung nach gegen die Einräumung eines Besuchsrechts der mütterlichen Großmutter sprechen, ausführlich auseinandergesetzt und haben ihre Entscheidung unter Beachtung der aufgezeigten Rechtsgrundsätze getroffen. Sie haben auch bereits eindringlich darauf hingewiesen, es müsse einerseits von den Eltern verlangt werden, dass sie das Kind in positiver Weise auf den Besuch der mütterlichen Großmutter vorbereiten, andereseits aber von der mütterlichen Großmutter, dass sie alles vermeide, wodurch das Familienleben des Vaters und seine Beziehung zu dem Kind gestört werden kann, wie insbesondere herabsetzende Äußerungen über den Vater und dessen Frau, da andernfalls dem Kindeswohl und dem ungestörten Familienleben des Vaters gegenüber dem Recht der mütterlichen Großmutter auf Besuchsausübung der Vorzug gegeben werden müsste. Darüber, dass dem Kind nicht auf Dauer vorenthalten werden kann, dass es früher eine andere Mutter als die jetzige Frau des Vaters hatte und daher auch noch eine weitere Großmutter hat, ist sich der Vater, wie aus seiner Einvernahme ON 21 hervorgeht, im klaren. Die guten Beziehungen des Kindes zur Frau des Vaters dürften daher bei einer entsprechenden Aufklärung des Kindes vor dem ersten Besuch der mütterlichen Großmutter keinen Umstand bilden, der geeignet wäre, das Wohl des Kindes zu beeinträchtigen. Die vom Vater behauptete Äußerung der mütterlichen Großmutter, sie werde das Kind, wenn es einmal in die Schule gehe, darüber aufklären, was für ein „Verbrecher“ sein Vater sei – es geht aus dem Akt nicht hervor, worauf sich dieser Vorwurf beziehen könnte – wäre bei Abwägung der Umstände, die für und gegen die Einräumung eines Besuchtsrechts sprechen, sicherlich nicht positiv zu werten. Haben aber die Unterinstanzen dieser Frage keine Bedeutung beigemessen, kann darin eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht gefunden werden, zumal das Kind erst in drei Jahren schulpflichtig wird, sodass hinreichend Zeit vorhanden ist, das Verhalten der mütterlichen Großmutter gegenüber dem Kind, seinem Vater und dessen Frau zu beobachten. Es bildet ebensowenig eine offenbare Gesetzwidrigkeit, dass die Vorinstanzen den Umstand, dass die mütterliche Großmutter eine starke Raucherin ist, nicht als Grund für eine Versagung des Besuchtsrechts angesehen haben. Das im Rechtsmittel des Vaters erwähnte Telefongespräch stellt eine Neuerung dar, die bei einem außerordentlichen Revisionsrekurs (§ 16 AußStrG) nicht berücksichtigt werden kann (EFSlg 39.777), sodass dahingestellt bleiben kann, ob es geeignet gewesen wäre, die Entscheidung in irgendeiner Form zu beeinflussen.

Der Vorwurf einer offenbaren Gesetzeswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ist daher unbegründet. Der außerordentliche Revisionsrekurs war deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

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