OGH 2Ob501/84

OGH2Ob501/8426.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga B*****, vertreten durch Dr. Hans Paar, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Werner D*****, vertreten durch Dr. Max Jöllinger, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. Oktober 1983, GZ 3 R 312/83-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. Juni 1983, GZ 6 C 73/83-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat der Klägerin die mit 2.607 S (darin 192 S Barauslagen und 178,92 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist zu zwei Drittel-Anteilen Eigentümerin des Hauses *****, in welchem der Beklagte seit 1977 eine 4-Zimmerwohnung samt Nebenräumlichkeiten im Ausmaß von 140 m2 gemietet hat. Der monatliche Mietzins samt Betriebskosten beträgt 3.814 S.

Die Klägerin kündigte dem Beklagten das Mietverhältnis unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG zum 1. 6. 1983 gerichtlich auf. Der hierüber ergangene Gerichtsbeschluss vom 22. 2. 1983 wurde dem Beklagten am 24. 2. 1983 zugestellt. Der Beklagte brachte zwei Namensschilder „D*****“ an der Eingangstüre der Wohnung nach der Kündigung an. In der Aufkündigung machte die Klägerin geltend, dass der Beklagte den Mietgegenstand zur Gänze weitergegeben, seinen Hauptwohnsitz in Leoben habe und das Mietobjekt durch Untervermietung gegen eine im Vergleich zu dem von ihm entrichteten Mietzins unverhältnismäßig hohe Gegenleistung verwerte.

Der Beklagte bestritt das Kündigungsvorbringen und wendete ein, dass er den Mietgegenstand in offenbar naher Zeit für sich oder eintrittsberechtigte Personen benötige. Er befinde sich aus beruflichen Gründen derzeit in Leoben, es sei jedoch noch vollkommen unklar, wie lange sein Aufenthalt dort dauern werde. Er bewohne auch derzeit noch die aufgekündigte Wohnung. Eine - teilweise - Weitergabe und Verwertung des Mietgegenstands gegen unverhältnismäßige Gegenleistung liege nicht vor. Die teilweise Untervermietung der Räumlichkeiten sei bereits seit 1980 erfolgt, was der Klägerin bekannt gewesen sei, weshalb sie sich des Kündigungsgrundes verschwiegen habe. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10. 5. 1983 brachte der Beklagte schließlich noch vor, dass die Untermieterin S***** am 30. 4. 1983 nach Aufkündigung ausgezogen sei. Er habe die in Leoben gemietete Wohnung bis Ende Juli 1983 zu räumen. Es liege also nicht nur ein dringender Eigenbedarf seiner Gattin, sondern auch eigener in naher Zukunft vor.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für wirksam und gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte nachstehenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Beklagte, welcher Mitte des Jahres 1981 in Leoben eine Tanzschule pachtete, zog um diese Zeit aus der aufgekündigten Wohnung aus und mietete in Leoben ein Haus, in welchem er auch eine Wohnung von ca 50 m2, bestehend aus zwei Zimmern, Küche und Nebenräumlichkeiten bezog. In dieser war auch das Büro der Tanzschule eingerichtet. In der Folge hielt sich der Beklagte nur mehr selten in der streitgegenständlichen Wohnung auf, er kam immer nur für einige Stunden. In Graz übernachtete er dann bei seiner jetzigen Gattin, die er im Jänner 1983 ehelichte und die ein Kind erwartet, bzw bei deren Eltern. Ab dieser Zeit lautete der Fernsprechanschluss nicht mehr auf den Namen des Beklagten, sondern auf den der Untermieterin S*****. Ab Jänner 1982 wohnte der Beklagte in Leoben. Während des Aufenthalts des Beklagten in Leoben wohnte seine Gattin bei ihren Eltern. Diese müssen ihre Wohnung bis Ende Mai 1983 räumen. Ab diesem Zeitpunkt hat die Ehegattin des Beklagten keine andere Wohnmöglichkeit in Graz. Im Zeitpunkt der Aufkündigung war der Beklagte im gekündigten Bestandobjekt nicht polizeilich gemeldet. Da sich in der Zwischenzeit gezeigt hat, dass die Durchführung eines fixen standortgebundenen Tanzschulbetriebs in Leoben nicht gewinnbringend ist, hat der Beklagte im April 1983 seinen Mietvertrag bezüglich des Hauses, in welchem sich auch die von ihm in letzter Zeit benutzte Wohnung befindet, in Leoben aufgekündigt. Er beabsichtigt, im Herbst 1983 mobile Kurse in diversen kleinen obersteirischen Orten abzuhalten und will in Graz mit seiner Gattin in der aufgekündigten Wohnung wohnen.

Die erste Untervermietung durch den Beklagten erfolgte, nachdem dieser mehrere „Studentenzimmer“ durch Einbau von Zwischenwänden geschaffen hatte, im Oktober 1980 zu einem Untermietzins von 1.500 S. Ab Jänner 1982 war die Wohnung zur Gänze untervermietet. Ab Jänner 1983 standen zwei ehemals untervermietete Zimmer leer. Im Zeitpunkt der Aufkündigung befanden sich 4 Untermieter in der Wohnung und die Mietzinseinnahmen des Beklagten betrugen 5.250 S. Ende April 1983 zog die Untermieterin S***** aus. In den Untermietzinsen waren die Benützung der Gemeinschaftsräume, Küche, Dusche, WC und die Kosten für Strom (monatlich 900 S) und Heizung (letzte Heizperiode 2.416 S) inbegriffen. Die Untermietzimmer wurden vom Beklagten komplett möbliert zur Verfügung gestellt. Im Laufe des Kündigungsverfahrens ging der Beklagte daran, drei freigewordene Räume für seine Zwecke zu adaptieren. Die Klägerin wusste seit ca zwei Jahren, dass der Beklagte die Wohnung teilweise untervermietete. Sie forderte den Beklagten nie auf, seine Untermieter zu kündigen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass aufgrund des festgestellten Sachverhalts, wonach der Beklagte im Zeitpunkt der Aufkündigung die Wohnung teilweise unvermietet hatte, die übrigen Räume unbewohnt waren, von ihm nicht benützt worden seien und er die Wohnung offenbar nicht in naher Zukunft für sich oder eintrittsberechtigte Personen dringend benötige, der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG erfüllt sei. Die freiwillige Aufgabe seiner Wohnung in Leoben während des Kündigungsverfahrens stelle ein Selbstverschulden am Wohnbedarf an der aufgekündigten Wohnung dar. Ein Zuwarten der Klägerin mit der Aufkündigung durch 2 Jahre hindurch sei nicht als stillschweigender Kündigungsverzicht zu werten. Auf die Frage des Kündigungstatbestands nach § 30 Abs 2 Z 4 zweiter Fall MRG müsse bei diesem Sachverhalt nicht mehr eingegangen werden.

Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden habe, 300.000 S übersteige, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Aufhebung der Kündigung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte führt in seinem Rechtsmittel aus, er sei seit Jänner 1982 (richtig wohl: 1983) verheiratet und seine Frau erwarte ein Kind. Seit April 1983 sei hinsichtlich seiner Person keine Wohnversorgung mehr gegeben, seit Mai 1983 hinsichtlich seiner Gattin. Es lägen daher konkrete Gründe dafür vor, dass er für sich und seine Familie offenbar in naher Zeit die aufgekündigte Wohnung dringend benötige. Es liege ein stillschweigender Kündigungsverzicht der Klägerin vor, welcher die Untervermietung seit zwei Jahren bekannt gewesen sei.

Demgegenüber hat das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben, dass Voraussetzung für den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4, erster Fall, MRG ist, dass der Mieter den Mietgegenstand offenbar in naher Zeit nicht für sich oder die eintrittsberechtigten Personen (§ 14 Abs 3) dringend benötigt. Nach den Feststellungen hat aber in der aufgekündigten Wohnung kein gemeinsamer Haushalt des Klägers und seiner Gattin bestanden, sodass schon aus diesem Grund ein Eintrittsrecht der Gattin des Klägers nicht vorliegt und damit ein nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG beachtlicher dringender Wohnbedarf ihrerseits zu verneinen ist.

Was den dringenden Bedarf des Klägers in naher Zeit an der aufgekündigten Wohnung anlangt, wurde festgestellt, dass er im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung die Wohnung teilweise weitergegeben hat und die nicht weitergegebenen Teile nicht zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendet wurden; der Beklagte hatte ab Jänner 1982 seinen Lebensschwerpunkt in Leoben.

Bei der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Weitergabe des Mietgegenstands ist insofern eine Zukunftsprognose zu stellen, als zu beurteilen ist, ob der Mieter den Mietgegenstand offenbar auch in naher Zukunft nicht für sich oder eine eintrittsberechtigte Person dringend benötigt. Diese grundsätzlich allerdings gar nicht auf den Zeitpunkt der Empfangnahme der Aufkündigung, sondern auf den Zeitpunkt der Weitergabe des Mietgegenstands abzustellende Zukunftsprognose kann im folgenden Kündigungsprozess retrospektiv auch aufgrund von Umständen, die für das Gericht erst nach der Empfangnahme der Aufkündigung abschließend beurteilbar geworden sind, gestellt werden. Sie kann aber nicht von Ereignissen abhängen, die erst nach der Weitergabe des Mietgegenstands oder gar erst nach Zustellung der Aufkündigung eingetreten sind (vgl MietSlg 23.381 ua). Die Beweispflicht dafür, dass er in naher Zeit die Wohnung dringend benötigt, trifft den Mieter (vgl MietSlg 31.386 ua). Nach den Feststellungen hat der Beklagte nach der Zustellung der Aufkündigung (24. 2. 1983), nämlich im April 1983, die von ihm in Leoben gemietete Wohnung aufgekündigt und im Laufe des Kündigungsverfahrens begonnen, drei freigewordene Räume in der aufgekündigten Wohnung in Graz für seine Zwecke zu adaptieren. Unter anderem auch aus diesem festgestellten Verhalten des Beklagten hat das Berufungsgericht aber zutreffend gefolgert, dass ihm der Beweis eines bereits im Zeitpunkt der Weitergabe, spätestens aber der Zustellung der Aufkündigung bestehenden dringenden Bedarfs an der aufgekündigten Wohnung in naher Zeit nicht gelungen ist. Ohne Rechtsirrtum ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 MRG erster Fall erfüllt sind.

Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, dass aufgrund des festgestellten Sachverhalts ein stillschweigender Kündigungsverzicht seitens der Klägerin nicht angenommen werden kann. Wird nämlich berücksichtigt, dass nach den Feststellungen der Beklagte erst etwa 1 Jahr vor Einbringung der Aufkündigung ständig in Leoben wohnte, kann aus der Kenntnis der Klägerin von der teilweisen Untervermietung der Wohnung durch den Beklagten seit zwei Jahren nicht ein stillschweigender Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG abgeleitet werden. Zur Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts bedurfte es im Übrigen der von der Revision vermissten weiteren Feststellungen nicht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; eine Änderung der Kostenbemessungsgrundlage hat der nur für die Zulässigkeit der Revision bedeutsame Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht bewirkt.

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