OGH 7Ob571/84

OGH7Ob571/8420.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter D*****, vertreten durch Dr. Peter Panovsky, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei Hedwig D*****, vertreten durch Dr. Karl Haas, Rechtsanwalt in St. Pölten, als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 1984, GZ 14 R 272/83‑34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten vom 16. September 1983, GZ 2 Cg 202/81‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00571.840.0620.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im Ausspruch über die Scheidung der Ehe und dass daran die Beklagte ein Verschulden trifft, als Teilurteil bestätigt.

Im Ausspruch über das Mitverschulden des Klägers, sowie im Kostenausspruch werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Der am 27. 8. 1937 geborene Kläger und die am 24. 2. 1937 geborene Beklagte haben am 12. 10. 1974 vor dem Standesamt St. Pölten die Ehe geschlossen. Es handelt sich auf Seiten des Klägers um die erste, auf Seiten des Beklagten um die zweite Ehe. Der Ehe entstammen der am 13. 8. 1974 geborene minderjährige Walter, der durch die Eheschließung legitimiert wurde, und der am 30. 7. 1978 geborene minderjährige Richard. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in *****.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Die Beklagte sei unwirtschaftlich, sie habe die Pflege und Erziehung der Kinder und die Haushaltsführung vernachlässigt. Seit Anfang 1979 unterhalte sie ehewidrige Beziehungen zu anderen Männern. Seit Mitte 1979 verweigert sie den Geschlechtsverkehr.

Die Beklagte bestreitet die ihr angelasteten Eheverfehlungen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Nach seinen Feststellungen erlitt der Kläger im Jahre 1945 bei einem Verkehrsunfall eine Kopfverletzung. Seither leidet er an einer geistigen Schwerfälligkeit, die ihm die Erlernung eines Berufes unmöglich machte. Er erlangte nur einen Hilfsarbeiterposten bei den Österreichischen Bundesbahnen. Mit 1. 3. 1983 wurde er wegen Berufsunfähigkeit pensioniert. Er neigt dazu, sich über Kleinigkeiten aufzuregen und zu weinen. Die Beklagte leidet zwar an gesundheitlichen Normabweichungen, dadurch wird aber ihre Fähigkeit zur Haushaltsführung und Kinderbetreuung nicht eingeschränkt. Bei der Beklagten handelt es sich um eine primitiv strukturierte Persönlichkeit mit schwacher Intellingenzleistung. Sie ist in ihren Vorstellungen sprunghaft, impulsiv, leicht beeinflussbar und unkritisch. Sie neigt zu schwer korrigierbaren stereotypen und schablonenhaften Einstellungen. Ihr Gemütsleben ist labil und von hysteriformen Übersteigerungen und Reaktionen gekennzeichnet.

Anlässlich der Eheschließung richtete die Mutter des Klägers in ihrem Haus den Parteien eine Wohnung ein, um deren finanzielle Lage zu verbessern. Der Kläger verdiente damals nur ca 6.500 S monatlich. Die Ehe verlief zunächst harmonisch. Die Mutter des Klägers überwachte die Beklagte bei der Haushaltsführung und bei der Kindererziehung. Sie half der Beklagten, soweit diese einzelne Aufgaben mangels Verständnisses nicht erfüllen konnte oder infolge Arbeitsunlust nicht erfüllen wollte. Mit der Zeit empfand die Beklagte die Einmischung ihrer Schwiegermutter als lästig. Sie drängte daher auf eine andere Wohnung. Im Jahre 1978 erhielt der Kläger eine Dienstwohnung. Zur Anschaffung der Einrichtung nahm er einen Kredit von 75.000 S auf, den er in Monatsraten von 1.500 S zurückzahlt. Nach der Übersiedlung in die neue Wohnung machte sich das Fehlen der ergänzenden und korrigerenden Maßnahmen der Mutter des Klägers bemerkbar. In der Wohnung herrschte oft Unordnung. Die Beklagte räumte selten die Wohnung auf. Sie ließ größere Mengen schmutzigen Geschirrs oder gebrauchter Wäsche zusammenkommen und herumliegen. Der Kläger musste seinen Schlosseranzug oft wochenlang tragen, auch wenn er schon stark verschmutzt war. Die Kinder betreute die Beklagte nur mangelhaft und gab ihnen zu wenig zu essen, sodass sie Hunger litten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu Walter K***** ein ehewidriges Verhältnis hatte oder ihm Schmuckstücke und andere Wertgegenstände schenkte. Der im Jahre 1902 geborene Otto P***** ist ein alter Bekannter des Klägers. Er kam einige Male in die Dienstwohnung des Klägers, um Reparaturen durchzuführen. Später besuchte er die Streitteile auch. Manchmal traf er hiebei nur die Beklagte an. Einmal gaben ihm die Parteien so viel Wein zu trinken, dass er infolge Alkoholisierung nicht mehr nach Hause gehen konnte. Er übernachtete deshalb mit den Streitteilen gemeinsam in den Ehebetten. Es kann nicht festgestellt werden, dass es hiebei zu Intimitäten zwischen ihm und der Beklagten kam. Er können auch sonst keine ehewidrigen Beziehungen zwischen ihm und der Beklagten festgestellt werden.

Zwischen dem 29. 4. und dem 25. 5. 1981 befand sich die Beklagte wegen Rotlaufs in stationärer Pflege. Da sich der Kläger zur Betreuuung der Kinder außerstande sah, ersuchte er am 18. 5. 1981 das Jugendamt der Stadt St. Pölten um Unterbringung der Kinder in einem Heim. Die Kinder befinden sich auch nach der Entlassung der Beklagten aus dem Krankenhaus im Jugendheim *****, da Rückstände in ihrer geistigen Entwicklung beobachtet wurden, deren Aufholung bei Belassung in der elterlichen Obhut für unmöglich gehalten wird.

Während ihres Krankenhausaufenthalts besuchte der Kläger die Beklagte nur einmal. Nach seinem Besuch fiel der Beklagten ein, dass sie Taschengeld benötigt. Da der Kläger nicht mehr kam, folgte sie dem Otto P***** die Schlüssel zur Ehewohnung aus und ersuchte ihn, ihr 1.000 S aus der Küchenkredenz zu bringen. Dem Kläger blieb dadurch zu wenig Geld, um seinen Lebensunterhalt bis zur nächsten Gehaltsauszahlung bestreiten zu können. Er musste sich von seiner Mutter Geld ausborgen. Dieser Vorfall ließ in ihm den Entschluss zur Scheidung reifen. Seit ca 1 Jahr war er bereits auf die Beklagte schlecht zu sprechen, weil sie seiner Meinung nach ehewidrige Beziehungen zu Walter K***** und Otto P***** unterhielt. Aus diesem Grund kam es im letzten Jahr immer seltener zum Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen. Noch Ende Mai 1981 zog der Kläger aus der Ehewohnung aus. Seither sorgt er nicht mehr für den Unterhalt der Beklagten. Die Beklagte hilft an sechs Tagen der Woche der Josefa P***** im Haushalt und im Garten, wofür sie verpflegt wird und ein Taschengeld bekommt. Otto P***** besucht die Beklagte seit dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung nicht mehr, um keinen Grund für Gerüchte zu liefern. Er unterstützt sie jedoch beim Umgang mit Behörden und begleitet sie bei Einkäufen und bei Besuchen ihrer Kinder. Aufgrund der zumindest auf Seiten des Klägers vorhandenen tiefen Abneigung ist die Ehe der Streitteile so derart zerrüttet, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass die Vernachlässigung des Klägers und der Kinder sowie der Haushaltsführung durch die Beklagte eine schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG darstelle, die zur Zerrüttung der Ehe geführt habe, sodass das Scheidungsbegehren gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht überanhm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichts. Es verneinte die Berechtigung des im Berufungsverfahren gestellten Mitschuldantrags der Beklagten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist zum Teil gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Revision geltend gemachte Aktenwidrigkeit wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Wie sich aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts ergibt, vernachlässigt die Beklagte seit der Übersiedlung in die neue Wohnung den Haushalt forgesetzt grob, betreute die Kinder mangelhaft und gab ihnen insbesondere zu wenig zu essen. Die dauernde und grobe Vernachlässigung des Haushalts und die Vernachlässigung der Kinderbetreuung stellte eine schwere Eheverfehlung nach § 49 Abs 1 EheGH (EFSlg 29.509, 24.957, 22.710 ua). Da die Beklagte nicht berufstätig war und die festgestellten gesundheitlichen Normabweichungen ihre Fähigkeit zur Haushaltsführung und zur Kinderbetreuung nicht beeinträchtigten, ist ihr ihr Verhalten auch als Verschulden anzulasten. Die Schwäche des Klägers kann sie von diesem Vorwurf nicht befreien. Entscheidend ist, dass die Beklagte anders hätte handeln sollen und auch anders hätte handeln können. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte nach ihren subjektiven Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre, die Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten.

Aus der Erhebung der Scheidungsklage und dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung ergibt sich auch, dass er die Verfehlungen der Beklagten als ehestörend empfand, auch wenn er zunächst eine Scheidungsklage nicht erhob und die Verfehlungen der Beklagten durch mehrere Jahre ertrug (EFSlg 41.263, 34.024, 27.438, 25.067, 25.063 ua). Die Hinnahme des Verhaltens desrBeklagten durch mehrere Jahre nahm dem Kläger nicht das Recht, die Scheidungsklage einzubringen. Der Revision kommt daher, insoweit sie sich gegen den Ausspruch über die Scheidung der Ehe und dagegen wendet, dass die Beklagte daran ein Verschulden trifft, keine Berechtigung zu.

Bei Beurteilung des zulässigerweise noch im Berufungsverfahren gestellten Mitschuldantrags der Beklagten ist davon auszugehen, dass der beklagten Partei eines Ehescheidungsprozesses aufgrund eines Mitschuldantrags ein Rechtsanspruch auf Feststellung eines, wenn auch geringen Mitverschuldens des Ehepartners zusteht (EvBl 1961/21; EFSlg 15.987, 12.019). Es trifft nicht zu, dass die von der Beklagten behauptete Misshandlung durch den Kläger bereits Gegenstand des erstgerichtlichen Verfahrens gewesen ist. Eine Prozessbehauptung in dieser Richtung wurde nicht aufgestellt. Die Aussage der Beklagten kann eine fehlende Prozessbehauptung nicht ersetzen. Die vernommenen Zeugen wurden zu der behaupteten Eheverfehlung auch nicht befragt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Beweisergebnisse in dieser Richtung kein ausreichendes Substrat ergeben hätten. Wurde zulässiger Weise im Berufungsverfahren ein Mitschuldantrag gestellt, können die hiefür angebotenen Beweismittel auch nicht gemäß § 179 Abs 1 ZPO zurückgewiesen werden. Vom Zurückweisungsrecht des § 179 Abs 1 ZPO ist überdies mit entsprechender Vorsicht Gebrauch zu machen (RZ 1976/27 und 44). Da der Misshandlungsvorwurf, abgesehen vom zeitlichen Moment, ausreichend substantiiert ist, erweist sich schon aus diesem Grunde eine Verfahrensergänzung als notwendig (§ 496 Abs 3 ZPO). Im Übrigen hat auch das Berufungsgericht die Bestimmung des § 182 Abs 1 ZPO zu beachten.

Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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