European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00565.840.0510.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 3.689,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 335,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 25. Mai 1979 wurde die Firma „B*****“ ***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in T***** in das Handelsregister eingetragen. Das Stammkapital betrug 100.000 S. Die Beklagte und Gerhard H***** erlegten je 25 % und Ingeborg H***** 50 % in bar. Im Jahre 1980 erhielt jeder Geschäftsführer, das waren die Beklagte und Gerhard H*****, die Einzelvertretungs‑ und Zeichnungsbefugnis. Tatsächlich führte Gerhard H***** allein die Geschäfte und trat auch nach außen als alleinbefugter Geschäftsführer auf. Er holte die Bankauszüge ab und übergab sie sofort dem Steuerberatungsbüro D***** Gesellschaft mbH, dass die Buchhaltung, die Lohnverrechnung und die steuerlichen Belange der Gesellschaft abwickelte. H***** tätigte auch den Einkauf, unter anderem den klagsgegenständlichen Ankauf von Waren von der Klägerin in der Zeit vom 8. September bis 15. Dezember 1980 zum Gesamtpreis von 81.821,97 S. Allerdings könnte ein Teil der Lieferungen auch durch die Beklagte bestellt worden sein. Im Übrigen erledigte die Beklagte die Büroarbeiten, wobei sie nach den Anweisungen des Gerhard H***** handelte.
Im Gründungsjahr hatte die Gesellschaft Anlaufverluste, weil noch kein Kundenstock vorhanden war. Aufgrund der im Juli 1980 erstellten Bilanz für 1979 betrugen die Verluste 417.000 S. Der Umsatz belief sich auf 1.055.981 S. Im Jahre 1980 kam es zu einer beträchtlichen Steigerung des Geschäftsgangs, wodurch bis Oktober 1980 ein Umsatz von 2.660.263 S und ein Gewinn von 250.000 S erzielt wurde. Nach dem Höchstumsatz im Oktober 1980 von 436.056 S fielen die Umsätze allerdings im November 1980 auf 127.225 S, im Dezember 1980 auf 219.885 S und im Jänner 1981 unter 50.000 S. Trotz der beträchtlichen Umsatzsteigerung endete demnach das Geschäftsjahr 1980 mit einem Verlust von ca 50.000 S. Anlässlich der Bilanzerstellung 1979 hatte Dr. K***** Gerhard H***** auf die bestehende Überschuldung aufmerksam gemacht, doch erklärte H*****, dieser Verlust sei aufzuholen, wobei er auf die Halbfertigware im Ausmaß von 600.000 S verwies. Mit der Beklagten führte Dr. K***** keine Gespräche. Im Hinblick auf die starke Umsatzausweitung und die wirtschaftliche Verbesserung der Situation der Firma gegenüber 1979 war die Beklagte bis Ende 1980 der Meinung, dass auftretende Schwierigkeiten nur auf saisonale und witterungsbedingte Einflüsse sowie Probleme mit den Arbeitern zurückzuführen seien. Auch Dr. K***** sah bis mindestens Oktober 1980 keinerlei Anlass zur Besorgnis. Erst aufgrund der im Februar 1981 erstellten Umsatzlistung für Jänner 1981 ergaben sich für ihn ernstliche Bedenken. Bis Anfang 1981 war die Gesellschaft noch zahlungsfähig und es gab weder andrängende Gläubiger noch Exekutionen. Erst durch die Nichteinlösung eines Wechsels und die Kündigung der Bankkredite wurde überraschend der Zusammenbruch der Gesellschaft ausgelöst, der schließlich im April 1981 zur Eröffnung des Ausgleichsverfahrens und schließlich zum Anschlusskonkurs führte.
Die Vorinstanzen haben das Begehren der Klägerin auf Zahlung von 81.821,97 S sA mit der Begründung abgewiesen, nach den Umständen des konkreten Falls könne der Beklagten kein Verschulden an dem Entstehen der Schuld der Firma angelastet werden.
Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Grundsätzlich ist es zwar richtig, dass gemäß § 25 GmbHG jeden Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung Überwachungspflichten treffen und dass nach § 85 GmbHG bereits im Falle der Überschuldung die Verpflichtung zur Konkursanmeldung besteht. Es ist auch richtig, dass der Maßstab, der an die Sorgfaltspflichten des Geschäftsführers anzulegen ist, ein strenger sein muss und den Geschäftsführer die Beweislast dafür trifft, dass er die ihm obliegende Sorgfalt angewendet hat (RdW 1984, 42, 2 Ob 565, 566/82 ua). Im vorliegenden Fall kann allerdings dahingestellt bleiben, ob die Verpflichtung zur Anmeldung des Konkurses bereits im Jahre 1979 wegen der damals vorhandenen Überschuldung bestanden hat. Maßgebend für die behauptete Haftung der Beklagten ist nämlich, ob zum Zeitpunkt der bei der Klägerin getätigten Bestellungen eine solche Verpflichtung bestand bzw ob der Beklagten erkennbar sein musste, dass eine die Verpflichtung zur Konkursanmeldung auslösende Überschuldung vorhanden war. Grundsätzlich ist eine Gesellschaft dann überschuldet, wenn das Aktivvermögen unter Berücksichtigung etwaiger stiller Reserven und ihrer voraussichtlichen Verwertungsmöglichkeit nicht mehr die echten Verbindlichkeiten deckt (EvBl 1983/93, GesRZ 1981, 183, SZ 51/88 ua). Allerdings wird man eine Überschuldung dann nicht annehmen können, wenn zwar die bilanzierten Werte selbst unter Offenlegung der stillen Reserve eine „rechnerische“ Unterbilanz ergeben, aber diese Unterbilanz doch durch den Ertragswert, das ist also durch eine geschätzte zukünftige positive Entwicklung ausgeglichen werden kann ( Doralt GesRZ 1982, 93).
Im vorliegenden Fall hat sich die Situation der Gesellschaft im Jahre 1980 derart positiv entwickelt, dass selbst der Steuerberater dieser Gesellschaft, also ein Fachmann, mit einer Sanierung der Gesellschaft gerechnet hat und auch rechnen konnte. Bei dieser Sachlage kann es der Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf das Fehlen einer negativen Reaktion des von der Gesellschaft eingesetzten Fachmanns verlassen hat. Es erscheint nach den aufgezeigten Grundsätzen überhaupt fraglich, ob auch nach § 85 GmbHG bis Ende 1980 die Verpflichtung zur Konkursanmeldung bestanden hat. Keinesfalls kann es aber der Beklagten als Verschulden angelastet werden, dass sie die Umstände für diese Verpflichtung nicht erkannte. Demnach kann ihr ein Verschulden, das einen direkten Ersatzanspruch der Klägerin gegen sie begründen würde, bezüglich der eingeklagten Forderungen nicht angelastet werden. Bei der Prüfung des Verschuldens muss nämlich immer auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden. Selbst unter Zugrundelegung grundsätzlich strenger Maßstäbe trifft die Beklagte unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls kein Verschulden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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