OGH 7Ob2/84

OGH7Ob2/845.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*****gesellschaft mbH in *****, vertreten durch DDr. Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei G***** Versicherungs‑AG in *****, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 488.534,09 ATS samt Nebengebühren, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. November 1983, GZ 2 R 273/83‑16, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21. Juli 1983, GZ 5 Cg 57/83‑12, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00002.840.0405.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen. Die Kosten der Rekursbeantwortung der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die klagende Partei begehrt mit der am 13. 12. 1982 erhobenen Klage im Rahmen einer Haftpflichtversicherung ihres Baugewerbes nach den ABHB den Ersatz einer Leistung, die sie an die Post‑ und Telegraphendirektion I***** (im Folgenden kurz: Postdirektion) für die Beschädigung eines Fernmeldekabels der Post erbracht hat, abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts. Die beklagte Partei wendete unter anderem die Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG ein.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen machte nach dem Schadensfall vom 25. 2. 1980 zunächst nur ein anderer Geschädigter, die T***** GesmbH & Co KG, einen Schaden von 5.600,17 ATS geltend. Den Beteiligten war aber bewusst, dass die Postdirektion einen wesentlich höheren Schaden erlitten hatte. Diese machte jedoch vorerst keine Ansprüche geltend. Am 19. 12. 1980 teilte vielmehr der von der beklagten Partei beauftragte Zivilingenieur Dipl.‑Ing. F***** C***** der beklagten Partei mit, dass vom Telegraphenbauamt I***** alles abgeschlossen sei und keine Schadensansprüche mehr gestellt würden; das Telegraphenbauamt sei in dieser Sache finanziell befriedigt. Daraufhin übermittelte die beklagte Partei der klagenden Partei am 5. 1. 1981 ein Schreiben mit der Mitteilung einerseits, dass nun sämtliche Unterlagen vorlägen und nach der Mitteilung des von ihr beauftragten Sachverständigen Dipl.‑Ing. C***** das Telegraphenbauamt I***** aus dem gegenständlichen Schadensfall keinerlei Forderungen stelle, sodass der Gesamtschaden 5.600,17 ATS betrage, sowie andererseits, dass nach Meinung der beklagten Partei Haftungsfreiheit vorliege und deshalb die Klagsaufforderung nach § 12 VersVG erfolge. Die klagende Partei bestritt zwar mit Schreiben vom 13. 1. 1981 ein die Deckung ausschließendes Verschulden ihrer Arbeiter und forderte die beklagte Partei auf, den bereits selbst bezahlten Betrag von 5.600,17 ATS auf ihr Konto zu überweisen, brachte aber innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung des Ablehnungsschreibens vom 5. 1. 1981 die Deckungsklage nicht ein, weil sie aufgrund der Mitteilungen der beklagten Partei der Meinung war, die Postdirektion stelle keine Schadenersatzansprüche und es beschränke sich die Schadenshöhe auf die geringe Forderung von 5.600,17 ATS, deretwegen sie keinen möglicherweise aufwendigen Deckungsprozess führen wollte. Bei einer Besprechung am 7. 4. 1981 war fdie klagende Partei anlässlich der Besprechung eines anderen Schadensfalls in Bezug auf den vorliegenden dem Prokuristen der beklagten Partei kundenfeindliches Verhalten vor. Dieser erklärte darauf, die beklagte Partei würde für den Fall, dass neue Fakten auftauchen, eine Kulanzlösung ins Auge fassen, beschränkt aber auf eine Höchstgrenze von 50 % des Schadens. Er stellte klar, dass die Deckungsablehnung durch die beklagte Partei dennoch grundsätzlich aufrecht bleibe, und sicherte als Serviceleistung der beklagten Partei bloß eine Rechnungsprüfung für den Fall zu, dass die Postdirektion doch noch Forderungen stellen sollte. Mit Schreiben vom 28. 12. 1981 stellte das Telegraphenbauamt I***** tatsächlich aufgrund des Schadensfalls Ansprüche von 526.040 ATS. Die beklagte Partei übermittelte daraufhin der klagenden Partei mit Schreiben vom 26. 1. 1982 die Kopien der „nun doch entgegen allen Erwartungen zugestellten“ Rechnungen über die Sanierungskosten und teilte mit, dass sie die Rechnungsunterlagen an ihren Sachverständigen zur Prüfung weitergeleitet habe und „zwecks endgültiger Erledigung“ mit der klagenden Partei wieder Kontakt aufnehmen werde, sobald das Ergebnis dieser Prüfung vorliege. Mit Schreiben vom 12. 2. 1982 berief sich die beklagte Partei schließlich auf die Deckungsablehnung vom 5. 1. 1981 und lehnte die Liquidierung des Schadens an das Telegraphenbauamt ab. Nach mehreren Schreiben, in welchen die Parteien ihre Standpunkte darlegten, fand im Oktober 1982 in der Kanzlei des Klagevertreters ein Vergleichsgespräch statt, bei welchem die beklagte Partei einen Betrag von 100.000 ATS bot, während sich die klagende Partei einen Betrag von 400.000 ATS vorstellte. Der Vertreter der beklagten Partei erbat sich eine Überlegungsfrist bis 5. 11. 1982, die dann noch um 14 Tage verlängert wurde, lehnte schließlich aber eine Liquidierung des Schadens endgültig ab.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters habe die klagende Partei die im Ablehnungsschreiben gesetzte Klagefrist versäumt, sodass die beklagte Partei ohne Rücksicht auf materielle Gründe leistungsfrei sei. Auf die Ursachen der Versäumung der Klagefrist komme es nicht an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es hielt für entscheidend, dass im Zeitpunkt der Deckungsablehnung durch die Beklagte nur der der T***** GesmbH & Co KG entstandene Schaden geltend gemacht worden war, während seitens der Post und auch nicht von der Klägerin Forderungen auf Liquidierung des der Post entstandenen Schadens erhoben worden seien. Der Deckungsanspruch für solche Leistungen sei deshalb ungeachtet der Klagsfristsetzung nicht untergegangen.

Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurswerberin ist zuzugeben, dass es keine Voraussetzung der Deckungsablehnung unter Setzung einer Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG ist, dass ein bestimmter geschädigter Dritter Ersatzansprüche erhoben hat. Maßgeblich ist vielmehr die Erhebung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag durch den Versicherungsnehmer (SZ 53/28 mwN). Dass hier eine solche Anspruchserhebung vor dem Ablehnungsschreiben vom 5. 1. 1981 noch nicht erfolgt sei, hat die klagende Partei nicht einmal behauptet. Das Gegenteil ergibt sich aus der Schadenanzeige Beilage ./2 vom 28. 2. 1980, in der ausdrücklich die Beschädigung des Postkabels gemeldet wurde (vgl Prölss‑Martin , VVG²² 123).

Damit ist jedoch für die Rekurswerberin nichts gewonnen. Entscheidende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass ihr Ablehnungsschreiben vom 5. 1. 1981 zwar formell eine allgemeine Ablehnung des Versicherungsschutzes beinhaltet, zugleich aber die Bekanntgabe, dass das Telegraphenbauamt keinerlei Forderungen stelle, sodass der Gesamtschaden 5.600,17 ATS betrage. Mit dieser Darstellung hat sie die klagende Partei, wenn auch ungewollt und schuldlos, irregeführt. Ein besseres gegenteiliges Wissen der klagenden Partei etwa aus unmittelbaren Mitteilungen des Telegraphenbauamts hat die beklagte Partei nicht einmal behauptet. Dann durfte aber die klagende Partei entsprechend dem vom Erstgericht festgestellten Motiv für die Unterlassung der Deckungsklage davon ausgehen, dass eine solche Klage nur den minimalen Schaden des zweiten Geschädigten betreffen würde. Entgegen der Meinung des Erstrichters kommt diesem Umstand rechtliche Bedeutung zu. Der Fall ist nach der Interessenlage und aus der Sicht des gutgläubigen Empfängers des irreführenden Schreibens jenem Fall gleichgelagert, in dem Zulässiger weise bloß ein Teilanspruch des Versicherungsnehmers unter Setzung einer Klagefrist abgelehnt wird; die Fristsetzung wirkt dann nur für diesen Teilanspruch ( Stiefel‑Hofmann , AKB 12 387; ZVR 1973/224). Beschränkt sich der Versicherer auf die Ablehnung eines bloßen Teilanspruchs oder erweckt er wie hier den Anschein, dass nur noch ein Teilanspruch behandelt und abgelehnt werde, so setzt er damit in diesem Umfang eine Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG nicht in Lauf, zumal gerade an diese Fristsetzung besonders strenge Maßstäbe gestellt werden müssen, weil der Versicherungsnehmer durch die Unterlassung der Klage die Versicherungsdeckung ohne Rücksicht auf die materielle Rechtslage verliert.

Es kann dann auch nicht darauf ankommen, ob später die zunächst undeutliche und ungenügende Erklärung vom Versicherer vervollständigt oder der beabsichtigte Umfang der Deckungsablehnung aufgeklärt wird. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall die betreffende Aufklärung vom 7. 4. 1981 anlässlich der Behandlung eines anderen Schadensfalls nicht einmal ausdrücklich eine Erweiterung der Deckungsablehnung und der Klagsfristsetzung auf die Ansprüche der Postdirektion beinhaltete, kommen auch insoweit die strengen Anforderungen zum Schutz des Versicherungsnehmers zum Tragen. Wenn er schon den Versicherungsschutz ungeachtet der materiellen Rechtslage durch die Versäumung der Klagefrist verliert, dann muss die Klagsaufforderung den vollen gesetzlichen Inhalt haben. Nach dem Ablauf von mehr als der Hälfte der gesetzten Frist hätte es demnach infolge des Nichtzureichens des ersten Schreibens einer neuen Klagsfristsetzung in einem weiteren, dem § 12 Abs 3 VersVG entsprechenden Schreiben bedurft. Den späteren Vergleichsgesprächen zwischen den Streitteilen kommt hingegen keine rechtliche Bedeutung zu. Die klagende Partei durfte sich in solche Verhandlungen über eine Leistung einlassen, die die beklagte Partei als Kulanzleistung ansah, ohne Rechte zu verlieren, die sie bis dahin noch nicht verloren hatte. Eine Anerkennung der Leistungsfreiheit der beklagten Partei wegen Versäumung der Klagefrist ist darin nicht zu erblicken. Bei der dargestellten Rechtslage erübrigt es sich, auf die von der klagenden Partei behauptete Sittenwidrigkeit der Geltendmachung der Leistungsfreiheit durch die beklagte Partei einzugehen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 bzw § 52 ZPO. Der Rekurs war erfolglos, die Ersatzpflicht für die Kosten der Rekursbeantwortung aber ist mangels eines Zwischenstreits und einer vollständigen Erledigung der Streitsache für die Instanz vom Ausgang des Rechtsstreits abhängig.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte