OGH 7Ob8/84

OGH7Ob8/8422.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Dr. Siegfried Rack, Rechtsanwalt in Völkermarkt, wider die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Gert Paulsen, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 30.000 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 15. November 1983, GZ 3 R 134/83‑24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bleiburg vom 9. Februar 1983, GZ 2 C 147/81‑17, aufgehoben wurde,

1. zu Recht erkannt:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird, soweit er den Grund des Anspruchs betrifft, dahin abgeändert, dass er als Zwischenurteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren besteht dem Grunde nach zu Recht“.

2. den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00008.840.0322.000

 

Spruch:

Im Übrigen (hinsichtlich der Höhe des Klagsanspruchs) wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war am 12. Oktober 1980 mit seinem PKW, pol Kennzeichen K 81.574, bei der Klägerin gegen Haftpflicht versichert. In der Nacht von diesem Tage auf den 13. Oktober 1980 verschuldete er einen Verkehrsunfall, bei dem mehrere Personen getötet und weitere verletzt worden sind. Die Klägerin musste wegen dieses Unfalls Versicherungsleistungen erbringen. Der Beklagte wurde mit Protokoll‑ und Urteilsvermerk des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. April 1981, 9 Evr 2574/80‑16, rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 30.000 S sA mit der Begründung, der Beklagte habe einerseits den Unfall im alkoholisierten Zustand verursacht und andererseits eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB begangen, weil er sich trotz Vorliegens wesentlicher Verdachtsmomente geweigert habe, eine Blutabnahme an sich vornehmen zu lassen.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen, wobei es von folgenden wesentlichen Feststellungen ausging:

Beim Eintreffen der Gendarmeriebeamten an der Unfallstelle nahmen diese Alkoholgeruch im Auto wahr. Die Aufforderung der Gendarmerieorgane, die Kraftfahrzeugpapiere vorzulegen und deren Versuch, diese aus der Innentasche des Beklagten zu nehmen, beantwortete der Beklagte mit dem Ausruf: „Verschwind“. Der Beklagte wurde in das Landeskrankenhaus Klagenfurt eingeliefert. Der zuständige Stationsarzt war von der Gendarmerie aufgefordert worden, beim Beklagten Blut zur Blutalkoholbestimmung abzunehmen. Obwohl der Arzt den Beklagten mehrfach aufforderte, sich Blut abnehmen zu lassen, verweigerte dies der Beklagte, wobei er erklärte, er sei nicht betrunken. Der Beklagte befand sich nach der Einlieferung in dem Normalzustand eines Schwerverletzten mit Schock, doch hatte der Arzt den Eindruck, er habe die Aufforderung zur Blutabnahme verstanden.

Der Beklagte hat Alkohol in größerem Ausmaß konsumiert als er zugab, doch kann eine Blutalkoholkonzentration von 0,8 % oder darüber nicht festgestellt werden.

Ein die Zurechnungsfähigkeit des Beklagten bei der Weigerung der Blutabnahme ausschließender Schock ist ebensowenig erwiesen, wie die Möglichkeit einer die Fähigkeit zur Lenkung eines Kraftfahrzeugs beeinträchtigenden Alkoholisierung bzw die Beeinträchtigung des Beklagten durch eine Stoffwechselstörung.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, im Hinblick auf den mangelnden Nachweis einer die Fähigkeit zum Lenken eines Kraftfahrzeugs beeinträchtigenden Alkoholisierung der Beklagten seien die behaupteten Obliegenheitsverletzungen nicht gegeben.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und führte aus, dass die Voraussetzungen für ein weiteres Rechtsmittel nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO gegeben seien. Es vertrat den Standpunkt, die Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 lit c AKHB müsse, mangels Vorliegens einer Verurteilung wegen Herbeiführung des Unfalls in alkoholisiertem Zustand, der Versicherer beweisen. Ein solcher Beweis sei ihm hier nicht geglückt. Dagegen müsse der Versicherer bezüglich der Obliegenheitsverletzung nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB nur den objektiven Tatbestand dieser Obliegenheitsverletzung beweisen. Dieser Beweis sei hier der Klägerin gelungen. Zwar setze eine Übertretung nach § 5 Abs 6 StVO, die Grundlage für die erwähnte Obliegenheitsverletzung sei, die Aufforderung zur Blutabnahme durch Organe der Straßenaufsicht voraus, doch genüge es, dass dem Beklagten die diesbezügliche Aufforderung zweifelsfrei mitgeteilt worden sei. Es reiche aus, dass dem Beklagten aus der Aufforderung des Arztes klar geworden sei, dass dieser die Blutabnahme auf Verlangen der Gendarmerie anstrebe. Da sohin die Klägerin den objektiven Tatbestand dieser Obliegenheitsverletzung nachgewiesen habe, wäre es Sache des Beklagten gewesen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz zurückzuführen sei. Einen solchen Nachweis habe der Beklagte nicht erbracht. Da sich ein in einen Unfall mit Personenschaden verwickelter Kraftfahrzeuglenker im Falle des Vorliegens von Verdachtsmomenten bezüglich seiner Alkoholisierung der Blutabnahme auch zu unterziehen habe, wenn nicht erwiesen ist, dass die Konzentration des Blutalkohols 0,8 % überstiegen habe, spiele es keine Rolle, dass ein diesbezüglicher Beweis nicht erbracht worden sei. Der Beklagte habe auch nicht bewiesen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Aufforderung zur Blutabnahme zu verstehen und ihr zu entsprechen. Demnach sei von der Obliegenheitsverletzung auszugehen. Dem Beklagten stehe es allerdings frei zu beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf die Leistung der Klägerin gehabt habe. Er könne diesen Beweis dadurch erbringen, dass er das Fehlen der Beeinträchtigung durch die Alkoholisierung nachweist sowie dadurch dass er mit Erfolg die Behauptung der Erbringung von 30.000 S übersteigenden Leistungen der Klägerin bekämpft. Diese Umstände müssten noch geklärt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Beklagten gegen den Beschluss des Berufungsgerichts erhobene Rekurs ist zwar im Ergebnis nicht gerechtfertigt, doch erweist sich die Sache dem Grunde nach als spruchreif. Der Oberste Gerichtshof war daher in diesem Umfang gemäß § 519 Abs 2 ZPO zu einer Sachentscheidung berechtigt, wobei infolge Fehlens des Verbots der reformatio in peius (SZ 22/186, ÖBl 1972, 65 ua) auch in einem dem Antrag des Rechtsmittelwerbers entgegengesetzten Sinn entschieden werden konnte.

Das Berufungsgericht hat die Rechtslage eingehend und richtig dargestellt, weshalb auf seine Ausführungen verwiesen werden kann. Tatsächlich bekämpft der Beklagte diese Rechtsansicht auch nur in der Richtung, dass die Aufforderung zur Blutabnahme durch den Arzt nicht ausreichend gewesen sei. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden. Vorerst ist davon auszugehen, dass eine Feststellung dahin, der Beklagte sei nicht in der Lage gewesen, die an ihn gerichtete Aufforderung zu verstehen, nicht getroffen worden ist. Die diesbezüglich offengebliebenen Zweifel gehen zu seinen Lasten, weil, wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, die Klägerin nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen hatte, welcher Beweis ihr auch gelungen ist und demnach dem Beklagten der Gegenbeweis oblag.

Richtig ist zwar grundsätzlich, dass die Blutabnahme auf Aufforderung eines Organs des Straßenaufsichtsdienstes zu erfolgen hat (ZVR 1975/225, ZfVB 1978/1/144).

Ob allerdings die für Verwaltungsstrafen geltenden Grundsätze uneingeschränkt auch für Regressansprüche des Versicherers gelten, kann hier unerörtert bleiben. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ZfVB 1978/1/144 lag insoferne ein anderer Sachverhalt zugrunde, als dort der Arzt von keinem Organ des Straßenaufsichtsdienstes aufgefordert worden war, die Blutabnahme vorzunehmen. Gerade dieses fehlende Ersuchen an den Arzt hat der Verwaltungsgerichtshof als entscheidendes Argument für die Verneinung der Erfüllung des Tatbestands nach § 5 Abs 6 StVO herangezogen. Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass der Arzt von der Gendarmerie aufgefordert worden war, dem Beklagten Blut abzunehmen. Es steht ferner fest, dass dem Beklagten klar war, dass diese Blutabnahme der behördlichen Untersuchung des Unfalls im Hinblick auf eine Alkoholisierung dienen sollte. Sohin muss dem Beklagten die Weigerung, sich Blut abnehmen zu lassen, als Verletzung der Aufklärungspflicht nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB angelastet werden.

Richtig hat demnach das Berufungsgericht erkannt, dass die Voraussetzungen des Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB erfüllt worden sind. Es ist zwar richtig, dass es dem Beklagten frei gestanden wäre, das Nichtvorliegen einer Beeinträchtigung durch die Alkoholisierung zu beweisen, doch wurde diese Frage im erstgerichtlichen Verfahren geprüft. Diese Prüfung hat nicht zur Feststellung des mangelnden Einflusses der Alkoholisierung auf die Fahrtüchtigkeit des Beklagten geführt. Weder der Beklagte noch das Berufungsgericht lassen erkennen, welche Schritte zur Aufklärung dieser Frage unterblieben sein sollen bzw welche weiteren konkreten Beweisaufnahmen in dieser Richtung noch denkbar wären. Demnach ist der vom Berufungsgericht in dieser Richtung herangezogene Aufhebungsgrund nicht gegeben. Dies führt aber dazu, dass die Sache im Sinne der Klage dem Grunde nach spruchreif ist, weil im Hinblick auf die Verletzung mehrerer Personen sowie die Tötung weiterer Personen durch den Unfall feststeht, sodass von Leistungen der Klägerin grundsätzlich ausgegangen werden kann.

Richtig hat das Berufungsgericht allerdings erkannt, dass die Regresspflicht des Beklagten keinesfalls größer sein könnte, als die von der Klägerin wegen der Unfallsfolgen erbrachten Leistungen. Da der Beklagte das gesamte Klagsvorbringen, also auch, dass von der Klägerin das Klagebegehren übersteigende Leistungen erbracht worden sind, bestritten hat, mussten zu diesem Punkt Feststellungen getroffen werden. Das Fehlen solcher Feststellungen rechtfertigt die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils bezüglich der Höhe des Anspruchs.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 393 Abs 4 und 52 Abs 2 ZPO.

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