OGH 7Ob523/84

OGH7Ob523/848.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*****, vertreten durch Dr. Oskar Weiss‑Tessbach, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei N***** Ltd, *****, vertreten durch Dr. Karl Zerner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*****‑Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Werner Masser und Dr. Ernst Grossmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen 31.360.725 sfr (211.496.728,40 öS), samt Nebengebühren, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. Jänner 1984, GZ 13 Nc 4/83‑4, womit der Antrag der beklagten Partei auf Ablehnung des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Professor *****, des Richters des Oberlandesgerichts ***** und des fachmännischen Laienrichters Kommerzialrat ***** zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00523.840.0308.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass dem Antrag der beklagten Partei auf Ablehnung des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Professor *****, des Richters des Oberlandesgerichts ***** und des fachmännischen Laienrichters Kommerzialrat ***** stattgegeben wird.

Die Rekurskosten sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Begründung

Mit Zwischenurteil vom 17. Februar 1983, ON 72, hat das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht – der Berufungssenat bestand aus dem Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Professor *****, dem Richter des Oberlandesgerichts ***** und dem fachmännischen Laienrichter Kommerzialrat ***** – das die Klage abweisende Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Mai 1982, ON 65, dahin abgeändert, dass der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Oberlandesgericht führte in seiner Entscheidung unter anderem aus, die Klägerin und ihre Nebenintervenientin wendeten sich mit ihrer Berufung mit Recht gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Meine das Erstgericht, es könne nicht als erwiesen angenommen werden, dass der Klägerin die Produzenten der bei der Beklagten versicherten Waren nicht bekannt seien, so begegne dies beim Berufungsgericht erheblichen Bedenken, weil angesichts der vorliegenden Beweisquellen und Beweisergebnisse die Begründung der Unglaubwürdigkeit aller vernommenen Personen nicht haltbar sei. Zum einen ließen nämlich die vom Erstgericht für die Widerlegung sämtlicher Aussagen herangezogenen Urkunden den Schluss auf das Wissen dieser, „der Klägerin zuzurechnenden“ Personen nicht nur nicht zwingend, sondern nahezu gar nicht zu. Zum anderen erscheine es geradezu unglaublich, wenn die Klägerin im Falle ihrer Kenntnis der Produzenten und des Besitzes der gewünschten Belege die Erhebungen der Versicherung behindern und sohin die Fälligkeit ihres Anspruchs verzögernd von ihrem Wissen keinen Gebrauch machte oder die geforderten Belege nicht herausgäbe oder sich verschaffte. Doch erachte das Berufungsgericht die Notwendigkeit einer Beweiswiederholung nicht als gegeben, weil es auf die vom Erstgericht vorgenommene Beweiswürdigung für die Zwecke dieser Entscheidung im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht ankomme. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht unter anderem aus, dass die Klägerin nach ihren Bekundungen über ihren Wissensstand hinsichtlich der Erzeuger der Anlage und über ihre Belegbeschaffungsmöglichkeiten keine weiteren Erhebungsresultate mehr beisteuern könne. Dass sie dies nicht wolle, habe sich aus dem bisherigen Verfahren nicht ergeben.

Die Beklagte erhob gegen dieses Urteil Revision unter anderem aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und erklärte, für den Fall, dass der Oberste Gerichtshof das angefochtene Urteil aufheben und die Rechtssache an den Gerichtshof zweiter Instanz zurückverweisen sollte, die Mitglieder des Berufungssenats, die für die angefochtene Entscheidung gestimmt haben, im Sinne des § 19 Z 2 JN als befangen abzulehnen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei derart emotionell und einseitig, dass der Eindruck entstehe, die abgelehnten Senatsmitglieder hätten sich unter dem Einfluss einer vorgefassten Meinung verfangen und fixiert und ließen sich durch die Verfahrensergebnisse davon nicht mehr abbringen. Dieser Eindruck ergebe sich unter anderem aus Aktenwidrigkeiten, die in der Revision aufgezeigt worden seien, und aus in der Revision gerügten Verfahrensmängeln, also Flüchtigkeitsfehlern, die dem Berufungsgericht unterlaufen seien, und die zeigten, dass dieses Gericht offenbar nur vom Vorbringen der Klägerin ausgehe, dabei aber in eklatanter Weise das Vorbringen der Beklagten und die Tatsachenfestellungen der ersten Instanz übergehe bzw missachte. Verstärkt werde dieser Eindruck noch durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweisumwürdigung, wobei es sich – ohne Beweiswiederholung – über die Beweiswürdigung des Erstgerichts mit einer jeglicher Lebenserfahrung widersprechenden, noch dazu äußerst knappen Begründung einfach hinwegsetzte. Das Berufungsgericht habe damit das Ergebnis einer allfälligen und vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Beweiswiederholung bereits vorweggenommen. Durch die Formulierung, der Schluss auf das Wissen der Klägerin sei nicht nur zwingend, sondern „nahezu gar nicht“ zulässig, habe sich das Berufungsgericht in einer Weise festgelegt, die auch nach Beweiswiederholung ein anderes Ergebnis ausgeschlossen erscheinen lasse. Dem Berufungsgericht sei sohin eine Kette erheblicher Verstöße unterlaufen, die die Unbefangenheit der abgelehnten Senatsmitglieder für das weitere Verfahren nicht als gegeben erscheinen lasse.

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 17. November 1983, 7 Ob 38/83, der Revision der Beklagten Folge gegeben, das angefochtene Zwischenurteil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er führte aus, die Beklagte rüge mit Recht, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Zusammenfassung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts von den Feststellungen des Erstgerichts in einzelnen Punkten in aktenwidriger Weise abweiche. Das Erstgericht habe entgegen der Darstellung des Berufungsgerichts nicht festgestellt, dass die zur Auskunftsleistung und Belegvorlage aufgeforderte Beklagte (richtig wohl: Klägerin) diesen Aufforderungen nach ihren Möglichkeiten entsprochen habe und ebensowenig, dass die Klägerin Güter in Erfüllung ihres Vertrags geliefert habe. Es stehe auch nicht außer Streit, dass das Schiff aus einem vom Versicherungsrisiko nicht ausgeschlossenen Grund gesunken sei. Diese Aktenwidrigkeiten sein für die Entscheidung des Berufungsgerichts kausal gewesen. Bezeichne das Berufungsgericht die vom Erstgericht vorgenommene Beweiswürdigung zur Frage, ob die Klägerin Kenntnis davon gehabt habe, wer die tatsächlichen Erzeuger der ihr gelieferten Waren gewesen seien, als „nicht haltbar“, ohne gleichwohl die Notwendigkeit einer Beweiswiederholung als gegeben anzusehen, weil es auf die genannte Feststellung im „gegenwärtigen Verfahrensstadium“ nicht ankomme, wäre dies zwar im Ergebnis vertretbar, wenn diese Feststellung zumindest im gegenwärtigen Verfahrensstadium tatsächlich unerheblich wäre. Der Oberste Gerichtshof teile jedoch nicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts. Überdies gehe das Berufungsgericht selbst bei seiner rechtlichen Beurteilung von einem Sachverhalt aus, der dem vom Erstgericht festgestellten entgegengesetzt sei. Das Berufungsgericht sei damit von einer für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlichen Feststellung des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung abgegangen. Diese Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes stelle einen erheblichen Mangel des Berufungsverfahrens dar. – Die Ansicht des Berufungsgerichts, es werde der eines Versicherungsbetrugs Verdächtige sich bemühen, alles zur Aufklärung eines Sachverhalts Dienende beizutragen, sei geradezu lebensfremd. – Das Berufungsgericht werde daher, wenn es Bedenken gegen die strittige Feststellung haben sollte, das Beweisverfahren insoweit zu wiederholen haben.

Die abgelehnten Richter erklärten, sich nicht befangen zu fühlen.

Das Oberlandesgericht Wien hat mit Beschluss vom 13. Jänner 1984, 13 Nc 4/83‑4, den Ablehnungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Die von der Beklagten vorgebrachten Gründe rechtfertigten nicht die Annahme, dass sich die Mitglieder des Berufungssenats von anderen als sachlichen Gesichtspunkten hätten leiten lassen. Das Zwischenurteil des Berufungsgerichts vom 17. Februar 1983 sei keineswegs emotionell und einseitig verfasst, es lasse auch keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass sich die Mitglieder des Senats auf eine vorgefasste Meinung fixiert hätten. Dass dem Berufungsgericht dennoch Aktenwidrigkeiten und Verfahrensmängel unterlaufen seien, rechtfertige noch nicht die Annahme einer Befangenheit. Unrichtige Sachentscheidungen könnten nämlich zur Begründung der Befangenheit nicht herangezogen werden. Es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass sich das Berufungsgericht im fortgesetzten Verfahren von unsachlichen Gesichtspunkten werde leiten lassen. Der Beklagten sei es nicht gelungen, Gründe, die für eine Befangenheit der Mitglieder des Berufungssenats sprechen, glaubhaft zu machen.

Die Beklagte bekämpft den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien mit Rekurs. Sie führt aus, die Fehler des Berufungsgerichts, wie sie auch der Oberste Gerichtshof aufzeige, seien durchwegs zum Nachteil der Beklagten erfolgt. Schon die in den wesentlichen Punkten falsche Sachverhaltsdarstellung durch das Berufungsgericht, die eine einheitliche Tendenz mit allen anderen Fehlern aufweise, rechtfertige die Besorgnis der Gerichtsbefangenheit. Gleiches treffe auf die dargelegten verfahrensrechtlichen Verstöße zu, von denen wohl der schwerste in der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liege, weil er in seinem Gewicht einer vorgreifenden Beweiswürdigung gleichkomme. Diese stelle ein „Beweis‑Vorurteil“ dar, also ein Urteil, das ohne eigene Erkenntnisbemühungen auf der Grundlage der vorgefassten Meinung gefällt werde. Darin liege aber ein fundamentale Grundsätze richterlicher Wahrheitsfindung verletzender Fehler vor, der nach der Lebenserfahrung die Befürchtung rechtfertigen müsse, es werde sich – durchaus menschlichem Verhalten gemäß für das vorweggenomme Beweisergebnis eine spätere Begründung finden. Ein derartiger innerer menschlicher Vorgang müsse nicht bewusst und vorsätzlich gewollt ablaufen. Bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch sei es nicht notwendig und auch gar nicht möglich, zu prüfen, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen sei, sondern es komme nur darauf an, ob vom Standpunkt der betreffenden Partei aus, dem äußeren Anschein nach, genügend Gründe für ihre Besorgnis und ihr Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters vorhanden seien.

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 19 Z 2 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Richter dann als befangen anzusehen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (JBl 1954, 286; SZ 43/104, 8 Ob 546/82). Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive (SZ 43/104). Es genügt, dass eine solche Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss (JBl 1968, 94; SZ 43/104; 1 Ob 596/80).

In dem dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht vorliegenden Rechtsstreit ist es von wesentlicher Bedeutung, ob die Klägerin zu beweisen vermag, dass sie die von der Beklagten begehrten Auskünfte mangels der erforderlichen Tatsachenkenntnisse nicht erteilen kann oder ob sie, wie vom Erstgericht festgestellt wurde, einen solchen Beweis nicht erbringen will. Das Berufungsgericht hat, wie dargelegt, den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt in aktenwidriger Weise dahin zusammengefasst, die zur Auskunftsleistung und Belegvorlage aufgeforderte Beklagte (richtig: Klägerin) habe diesen Aufforderungen nach ihren Möglichkeiten entsprochen – sodass es schon deshalb zum Ergebnis kommen musste, der Klageanspruch sei fällig (vgl S 17 des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 38/83). Es hat überdies die vom Erstgericht zur Feststellung, es könne nicht als erwiesen angenommen werden, dass der Klägerin die Erzeuger der dem Namen nach von der Firma D***** gelieferten Güter nicht bekannt seien, vorgenommene umfangreiche Beweiswürdigung ohne Vornahme einer Beweiswiederholung als „nicht haltbar“ bezeichnet, da der vom Erstgericht gezogene Schluss nicht nur nicht zwingend, sondern „nahezu gar nicht“ zulässig sei. Wiewohl das Berufungsgericht die Durchführung einer Beweiswiederholung als nicht notwendig erachtet hat, weil es auf die genannte Feststellung gar nicht ankomme, ist es bei seiner rechtlichen Beurteilung von einem Sachverhalt ausgegangen, der dem vom Erstgericht festgestellten entgegengesetzt ist (S 21 der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs).

Der Beklagten ist zuzugeben dass diese Umstände in ihrem Zusammenhang geeignet sind, die Unbefangenheit der Richter des erkennenden Senats des Oberlandesgerichts Wien nach objektiver Beurteilung in Zweifel zu ziehen und die Befürchtung zu hegen, diese würden im neuerlichen Rechtsgang ihre in der aufgehobenen Entscheidung unnötigerweise mehrfach und dezidiert festgehaltene Ansicht über die Unrichtigkeit der vom Erstrichter vorgenommenen Beweiswürdigung unabhängig von den Ergebnissen der Wiederholung der Beweise beibehalten. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine Befangenheit der abgelehnten Richter geradezu evident ist. Es genügt, dass die Beklagte begründeterweise besorgen muss, dass sich die genannten Richter des Oberlandesgerichts Wien im fortgesetzten Verfahren auch von unsachlichen Gesichtspunkten leiten lassen könnten.

Der Ablehnungsantrag der Beklagten erscheint daher gerechtfertigt.

Es war deshalb dem Rekurs Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung spruchgemäß abzuändern.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte