OGH 2Ob3/84

OGH2Ob3/8429.2.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gottfried B*****, vertreten durch Dr. Paul Meyer, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagten Parteien 1.) Werner E*****, 2.) V***** Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Hannes Zieger, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 82.100 S und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Oktober 1983, GZ 6 R 153/83-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. Juni 1983, GZ 16 Cg 243/82-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Der Erstbeklagte verschuldete als Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs am 20. Juli 1981 einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Insasse dieses PKWs Verletzungen erlitt.

Der Kläger begehrte einen Schadenersatzbetrag von 82.100 S. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren.

Die Beklagten wendeten unter anderem ein, der Kläger habe auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen verzichtet.

Dazu brachte der Kläger vor, der Beklagte habe ihm eine schriftliche Verzichtserklärung im Krankenhaus einen Tag nach dem Unfall mit dem Bemerken vorgelegt, er (der Beklagte) habe für sämtliche Ersatzansprüche der Beifahrer aufzukommen und ersuchen den Kläger, ihm gegenüber auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zu verzichten, sofern der Erstbeklagte für diese Schäden aufzukommen habe. Der Kläger habe daher nur unter der Voraussetzung auf Schadenersatzansprüche verzichten wollen, falls der Erstbeklagte völlig alleine für die Schäden hafte. Da aber die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer ebenfalls für die Schäden hafte, sei die Verzichtserklärung des Klägers unwirksam, zumal der Erstbeklagte durch die Zweitbeklagte schadlos gehalten werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers. Er macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Da der Streitgegenstand, abgesehen vom Feststellungsbegehren, in einem 60.000 S nicht aber 300.000 S übersteigenden Geldbetrag besteht, ist gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ein Ausspruch des Berufungsgerichts erforderlich, ob der Wert des Streitgegenstands zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil den Betrag von 300.000 S übersteigt. Einen derartigen Ausspruch traf das Berufungsgericht nicht ausdrücklich. Der Ausspruch, die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sei zulässig, wäre jedoch sinnlos, würde der Streitgegenstand 300.000 S übersteigen. Daher liegt darin auch der Ausspruch, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S nicht übersteigt, weshalb die Revision nur aus den Gründen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Revision auf derartige zulässige Gründe gestützt wird, ist sie auch berechtigt.

Die Vorinstanzen legten ihren Entscheidungen folgenden wesentlichen Sachverhalt zu Grunde:

Der Erstbeklagte, der nach dem Unfall im selben Zimmer des Krankenhauses lag wie der Kläger, verfasste eine Verzichtserklärung und gab sie am Tag nach dem Unfall dem Kläger. Dieser las sie durch und unterfertigte sie, ohne einen Vorbehalt zu machen. Es wurde nicht darüber gesprochen, dass der Verzicht nur gegenüber dem Erstbeklagten und nur für leichte Verletzungen gelten sollte.

Rechtlich kam das Erstgericht zu dem Ergebnis, die Verzichtserklärung sei im Sinne der Vertrauenstheorie auszulegen. Bei objektiver Beurteilung dieser Erklärung könne diese nur dahin gedeutet werden, dass der Kläger vorbehaltlos auf jeden wie immer gearteten Schadenersatzanspruch aus dem gegenständlichen Unfall verzichtet habe. Demnach stehe ihm aus diesem Unfallsgeschehen kein Ersatzanspruch zu.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß § 63 Abs 1 KFG könne der geschädigte Dritte dem ihn gegen einen durch eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Versicherten zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrags auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte haftet als Gesamtschuldner. Nach § 894 ABGB komme die Nachsicht oder Befreiung, welche ein Mitschuldner für seine Person erhalte, den übrigen nicht zustatten. Es sei daher durchaus möglich, dass der Gläubiger nur gegenüber einem von mehreren Mitschuldnern auf seine Forderung verzichte. Ob in dem Verzicht auf den Anspruch gegenüber dem Lenker und Halter eines Kraftfahrzeugs auch ein Verzicht gegenüber dem Haftpflichtversicherer zu erblicken sei, sei Auslegungsfrage. Wenn bei einem Solidarschuldverhältnis der Gläubiger einem der Schuldner erkläre, dass er nicht bloß auf die gegen ihn bestehende Forderung, sondern auf die ganze Forderung verzichte, so wirke diese Erklärung auch für andere Mitschuldner. Im vorliegenden Fall habe der Kläger in der schriftlichen Verzichtserklärung klar zum Ausdruck gebracht, er werde aus dem Unfall keinen Schadenersatz verlangen und die Kosten des Krankenhausaufenthalts selbst begleichen. Hiebei handle es sich um eine vorbehaltslose Verzichtserklärung, bezogen auf Ersatzansprüche aus dem Schadensereignis und ohne jede Einschränkung auf die Person des Haftpflichtigen. Eine solche Verzichtserklärung des Verletzten nach einem Verkehrsunfall sei unter den festgestellten Umständen zwar ungewöhnlich, jedoch wirksam. Denn ein dem Kläger allenfalls unterlaufener Irrtum habe nicht ex lege die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit des Vertrags zur Folge. Da der Kläger den von der beklagten Partei behaupteten Verzicht nicht wegen Irrtums angefochten habe (bei unentgeltlichen Geschäften unter Lebenden wäre auch der Motivirrtum iSd §§ 572, 901 ABGB beachtlich), sei die Verzichtserklärung wirksam und der Entscheidung zu Grunde zu legen. Der nach dem Wortlaut der schriftlichen Verzichtserklärung äußerst umfassende Verzicht lasse keine wie immer geartete einschränkende Erklärung erkennen und zwar weder hinsichtlich der Art der Schäden noch hinsichtlich der Person des Schuldners. Da nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts der Kläger keinen Vorbehalt gemacht habe und auch nicht darüber gesprochen worden sei, dass der Verzicht nur gegenüber dem Erstbeklagten gelten solle, könne die Verzichtserklärung nicht in dem vom Kläger gewünschten Sinn ausgelegt werden. Denn nach dem festgestellten Sachverhalt habe der Kläger den Verzicht auf Schadenersatz nicht nur auf die Person des Erstbeklagten beschränkt, der in der Verzichtserklärung ebensowenig genannt worden sei wie der Zweitbeklagte. In der umfassenden und uneingeschränkten Verzichtserklärung des Klägers müsse die Aufhebung des ganzen Schuldverhältnisses aus dem fraglichen Verkehrsunfall gesehen werden. Dass die Zweitbeklagte die Verzichtserklärung des Klägers zumindest konkludent angenommen habe, ergebe sich schon aus ihrem Prozessstandpunkt.

Der Kläger wendet sich in der Revision einerseits gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, er habe die Verzichtserklärung nicht wegen Motivirrtums angefochten, andererseits versucht er darzutun, die Vereinbarung sei dahin auszulegen, dass auf Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung nicht verzichtet worden sei.

Der Ansicht der Vorinstanzen über die Auslegung der Verzichtserklärung könnte höchstens dann gefolgt werden, wenn die Absicht der Parteien dahin gegangen wäre, den Erstbeklagten durch die Verzichtserklärung von einer ihn wirtschaftlich treffenden Zahlungspflicht zu befreien. Auf die (bisher nicht festgestellte) Absicht der Parteien kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht an, weil schon der Beweggrund des Klägers genügt. Da es sich um ein unentgeltliches Rechtsgeschäft handelte, ist gemäß § 901 ABGB nämlich auch ein Motivirrtum von Bedeutung. Ein solcher macht das Geschäft zwar nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar (SZ 54/7 = ZVR 1981/255, S 344), doch ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - davon auszugehen, dass der Kläger den Verzicht wegen eines Motivirrtums anfocht. Sein Vorbringen, der Erstbeklagte hafte (entgegen seiner gegenüber dem Kläger vor Abgabe der Verzichtserklärung aufgestellten Behauptung) nicht allein für die Schäden, sondern werde durch die Zweitbeklagte schadlos gehalten, der Kläger habe nur unter der Voraussetzung auf Schadenersatzansprüche verzichten wollen, falls der Erstbeklagte völlig alleine für die Schäden hafte, muss dahin verstanden werden, dass der Beweggrund des Klägers war, den Erstbeklagten von einer diesen wirtschaftlich treffenden Zahlungspflicht zu befreien und dass der Kläger dabei einem Irrtum unterlegen sei, weil der Schaden ohnedies durch die Haftpflichtversicherung gedeckt werde. Dass der Kläger nicht ausdrücklich ausführte, er fechte den Verzicht wegen des Motivirrtums an, sondern den Standpunkt vertrat, der Vertrag sei unwirksam, gereicht ihm nicht zum Nachteil; es ist davon auszugehen, dass er die Verzichtserklärung wegen eines Motivirrtums anfocht.

Entscheidend ist daher, ob das Motiv des Klägers für die unentgeltliche Verzichtserklärung ausschließlich war, den Erstbeklagten von einer diesen wirtschaftlich treffenden Zahlungspflicht zu befreien. War dies der Fall, dann kann er im Hinblick auf die von den Beklagten unbestrittene Deckungspflicht der Zweitbeklagten den Verzicht mit Erfolg anfechten.

Aus diesen Gründen sind Feststellungen über den Beweggrund des Klägers bei Unterfertigung der Verzichtserklärung erforderlich, weshalb die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden mussten. Falls der vom Kläger behauptete Beweggrund festgestellt werden und die Anfechtung der Verzichtserklärung daher erfolgreich sein sollte, wären außerdem Feststellungen über die Höhe der geltend gemachten Ansprüche sowie über das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Feststellungsurteil erforderlich.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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