OGH 7Ob508/84

OGH7Ob508/8416.2.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Vaters W*****, vertreten durch Dr. Fritz Schneider, Rechtsanwalt in Bludenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 20. Dezember 1983, GZ R 767/83‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 10. November 1983, GZ P 131/82‑17, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00508.840.0216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Die Eltern der Minderjährigen leben nicht bloß vorübergehend getrennt. Auf Antrag des Vaters sprach das Erstgericht aus, dass die elterlichen Rechte und Pflichten dem Vater allein zustehen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts verließ die Mutter am 16. 7. 1982 mit dem Kind die eheliche Wohnung in B***** und zog zu M***** in O*****, mit dem sie seither in Lebensgemeinschaft lebt. Die Mutter hat nicht die Absicht, zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Die Pflege‑ und Wohnverhältnisse von Mutter und Kind bei M***** sind nach dem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Hallein geordnet. Die Wohnung des M***** besteht aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Nebenräumen. Das Kind teilt mit seiner Mutter und M***** das Schlafzimmer. Die Mutter besorgt für sich und das Kind den Unterhalt durch Gelegenheitsarbeiten. Sie führt dem M***** den Haushalt, wofür sie ein Wirtschaftsgeld erhält.

Die Minderjährige besucht nunmehr in O***** die Volksschule mit gutem Erfolg. Sie fand bereits Freundinnen an ihrer neuen Umgebung. Sie hatte aber auch in B***** gute Schulerfolge. Sie möchte lieber bei der Mutter bleiben, den Vater aber öfter besuchen.

Der Vater war schon vor der Trennung aufgrund eines mit 90%iger Verminderung der Sehkraft verbundenen Augenleidens von seinem erlernten Beruf als Koch auf den Beruf eines Masseurs umgeschult worden. Er hat aufgrund seiner Berufstätigkeit und einer Pension ein ausreichendes Einkommen und verfügt über eine geräumige Wohnung. Er ist trotz seiner Behinderung in der Lage, den Haushalt selbständig zu besorgen. Er wäre auch im Stande, das Kind zu pflegen und zu erziehen.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass die Zuteilung der elterlichen Rechte an den Vater dem Wohl des Kindes besser entspreche. Er lebe in geordneten Wohn‑ und Einkommensverhältnissen und habe alles getan, um die Ehe aufrecht zu erhalten. Dies gelte nicht aber auch für die Mutter. Sie habe sich nicht dem Wesen der Ehe entsprechend verhalten, wodurch die Gefahr eines Nachteils für das Kind, mitverursacht durch die beengten Wohnverhältnisse naheliege. Der Grundsatz der Wahrung der Kontinuität in der Erziehung könne bei erstmaliger Entscheidung über die elterlichen Rechte nicht zur Folge haben, dass ein Elternteil von vornherein ausscheide, weil mit einer Entscheidung zu seinen Gunsten notwendigerweise ein Wechsel im Aufenthalt des Kindes und in den Pflegeverhältnissen verbunden wäre.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es die elterlichen Rechte und Pflichten der Mutter allein zuerkannte. Die Tatsache, dass die Mutter ihren Ehemann verlassen habe, rechtfertige nicht den Schluss auf ihre geringere Eignung zur Pflege und Erziehung des Kindes. Andere Umstände lägen aber nicht vor. Aus den beengten Wohnverhältnissen könne grundsätzlich kein unwiederbringlicher Nachteil für das Kind abgeleitet werden. Nach den erhobenen Verhältnissen seien beide Elternteile zur Pflege und Erziehung geeignet, wobei offensichtlich beide ohne Zuhilfenahme einer Drittpflege das Kind nicht betreuen könnten. Bei dieser Sachlage sei der Grundsatz der Kontinuität zu beachten, der einen Wechsel in der Pflege und Erziehung eines mj Kindes nur bei Vorliegen besonderer, hier aber nicht gegebener Umstände rechtfertige.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.

Für eine sittliche Gefährdung des Kindes bei der Mutter liegen, wie bereits das Rekursgericht zutreffend hervorhob, keine Anhaltspunkte vor. Dass die Mutter mit ihrem Lebensgefährten und dem Kind in räumlich beengten Verhältnissen wohnt und den Vater verlassen hat, rechtfertigt nicht die Annahme einer sittlichen Gefährdung des Kindes. Die Eheverfehlung der Mutter zieht der Rekurswerber auch nicht mehr zur Begründung seines Antrags heran. Aber auch aus dem Bericht des Bezirksjugendamts Bludenz, auf den er sich beruft, ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für seinen Standpunkt, weil darin nur auf die beengten Wohnverhältnisse hingewiesen wird. Zu Unrecht stützt sich der Rekurswerber auch darauf, dass die Mutter nunmehr ganztägig in einer Bäckerei arbeite und die Betreuung des Kindes einer dritten Person übertragen müsse. Es mag zwar grundsätzlich zutreffen, dass die unmittelbare Pflege und Erziehung eines Kindes durch einen hiezu bereiten und fähigen Elternteil jeder anderen Form der Betreuung des Kindes vorzuziehen ist. Der Entscheidung EFSlg 28.996, auf die sich der Rekurswerber bezieht, lag jedoch – wie sich aus dem vollen Wortlaut der Entscheidung (4 Ob 521/77) ergibt – ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde (3 Jahre altes Kind, das wegen der Berufstätigkeit beider Elternteile ständig bei Pflegeeltern untergebracht war). Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein bereits 10‑jähriges Mädchen, das, wie die Mutter (ON 20) richtig hervorhebt, vormittags die Schule besucht und daher nur stundenweise der Beaufsichtigung einer dritten Person überlassen werden muss. Die bloß stundenweise Beaufsichtigung eines bereits zehn Jahre alten Mädchens durch eine andere Person als die Mutter spricht jedoch unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls, das in erster Linie für die Entscheidung über die elterlichen Rechte und Pflichten maßgebend ist (EFSlg 38.393 f uva) nicht gegen die Übertragung dieser Rechte und Pflichten an die Mutter. Dann ist aber bei Gleichwertigkeit der sonstigen Voraussetzungen der Mutter der Vorzug zu geben (EFSlg 33.625 mwN).

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

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