OGH 7Ob511/84

OGH7Ob511/8416.2.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache des beschränkt entmündigten J***** B*****, geboren *****, infolge Rekurses der H***** und des R***** S*****, beide vertreten durch Dr. Eberhard Molling, Rechtsanwalt in Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 5. Dezember 1983, GZ 13 R 864/83‑61, womit der Rekurs der H***** und des R***** S***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 14. Oktober 1983, GZ 2 P 300/81‑57, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00511.840.0216.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

In der Pflegschaftssache des am ***** geborenen, beschränkt entmündigten J***** B***** hat das Erstgericht einen Antrag der Eheleute H***** und R***** S***** abgewiesen. Der Beschluss des Erstgerichts konnte am Montag den 31. 10. 1983 unter der Anschrift der Eheleute S***** nicht zugestellt werden, weshalb er beim Postamt mit dem Vermerk „Beginn der Abholfrist 31. 10. 1983“ hinterlegt wurde. Die Eheleute S***** haben die Sendung nach ihren eigenen Angaben am Mittwoch den 2. 11. 1983 behoben. Den am 16. 11. 1983 zur Post gegebenen Rekurs der Eheleute S***** hat das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss als verspätet zurückgewiesen.

Der von den Eheleuten S***** gegen den Beschluss des Rekursgerichts erhobenen Rekurs ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurswerber behaupten die nicht ordnungsgemäße Zustellung des erstgerichtlichen Beschlusses, weil H***** S***** am 29. 10. 1983 nach Klagenfurt gefahren war und erst am 1. 11. 1983 zurückkam, während R***** S***** seine Wohnung am 30. 10. 1983 verließ und erst am 2. 11. 1983 dorthin zurückkehrte.

Maßgebend für die Beurteilung der ordnungsgemäßen Zustellung sind die nun in Geltung stehenden Bestimmungen des Zustellgesetzes. Dass sich die Rekurswerber regelmäßig an der Abgabestelle (ihrer Wohnung) aufhalten und daher grundsätzlich Zustellungen unter dieser Anschrift vorgenommen werden dürfen, wird von ihnen nicht bestritten. Strittig ist lediglich, ob im konkreten Falle eine Ersatzzustellung wegen vorübergehender Ortsabwesenheit der Rechtsmittelwerber nicht vorgenommen hätte werden dürfen. Diesbezüglich ordnet § 17 Abs 3 ZustG an, dass hinterlegte Sendungen mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt gelten. Dieser erste Tag war hier der 31. 10. 1983, weshalb, ausgehend von ihm, die vierzehntägige Rekursfrist bei Einbringung des Rechtsmittels bereits abgelaufen war. Ginge man dagegen erst vom 2. 11. 1983 aus, wäre das Rechtsmittel gegen den Beschluss der ersten Instanz rechtzeitig erhoben worden.

Nach § 17 Abs 3, vierter Satz, ZustG gelten Sendungen nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte; doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Bei Erlassung der oben angeführten Bestimmung hatte der Gesetzgeber die bisherige Judikatur im Auge, derzufolge eine periodische kurzfristige Abwesenheit tagsüber nicht als Ortsabwesenheit galt, vielmehr eine in ihrer Dauer entweder unbestimmte, oder aber eine, wenn auch kurzfristige, doch unregelmäßige und nicht vorhersehbare Abwesenheit gefordert wurde ( Fasching II, 590). Daraus hat die Judikatur abgeleitet, dass die bloß berufsbedingte Abwesenheit untertags kein Zustellhindernis begründe, und zwar auch dann nicht, wenn der Empfänger am Tage des Zustellversuchs nicht mehr in der Lage war, die Sendung zu beheben. Insbesondere wurde hiebei auch ausgeführt, dass eine Ortsabwesenheit, die einer Zustellung durch Hinterlegung entgegensteht, selbst dann nicht anzunehmen ist, wenn sich der Empfänger untertags nicht in der Gemeinde der Zustellung, sondern außerhalb dieser aufgehalten hat (7 Ob 763/82).

Das Zustellgesetz hat gegenüber der bisherigen Rechtslage, zumindest im Wortlaut, insofern eine Änderung gebracht, als bei den Erfordernissen für die Wirksamkeit einer Zustellung durch Hinterlegung die rechtzeitige Kenntnis vom Zustellvorgang angeführt wurde. Über die Bedeutung dieses Zusatzes sind bisher in der Literatur mehrere Stellungnahmen erfolgt. Achatz (in NZ 1983, 124) und Walter‑Mayer (Zustellrecht, Anm 35 zu § 16) haben ausgeführt, dass die Kenntniserlangung des Empfängers vom Zustellvorgang dann rechtzeitig sein wird, wenn etwa eine mit der gemäß § 16 Abs 1 ZustG zulässig vorgenommenen Ersatzzustellung ausgelöste Frist noch insoweit dem Empfänger bei der Rückkehr an die Abgabestelle offen ist, dass angemessene Zeit zur Verfügung steht, um auf den Inhalt der Sendung rechtzeitig, also wirksam, reagieren zu können. Diese Auffassung geht auf Berchtold (Zustellgesetz, 33) zurück, der sie ausdrücklich auch für Rechtsmittelfristen vertritt und hiebei ausführt, dass die Frage der „angemessenen Zeit“ immer nur an Hand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden könne.

Gegen die oben dargestellte Rechtsansicht hat sich Schwaighofer (in AnwBl 1983, 381) gewandt, wobei er ausführte, eine derartige individuelle Behandlung des Einzelfalls sei nicht erstrebenswert. „Angemessen“ sei die Frist für die Erhebung eines Rechtsmittels immer nur dann, wenn dem Rechtsmittelwerber noch die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht. Es sei nämlich Sache des Gesetzgebers zu beurteilen, welche Frist er für die Erhebung von Rechtsmitteln für notwendig erachtet. Wenn daher durch die Zustellung eines Schriftstücks Fristen in Lauf gesetzt werden, konnte der Empfänger nur dann rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen, wenn ein pflichtbewusster Mensch in dessen Lage Zeit gefunden hätte, die Sendung am ersten Tag, an dem sie zur Abholung bereit lag, entgegenzunehmen.

Die Erwägungen Schwaighofer s sind sicher nicht unbegründet. Insbesondere wird es nicht angehen, die vom Gesetzgeber festgesetzten Rechtsmittelfristen nach Belieben, etwa unter Wertung der objektiven Schwierigkeiten, die die Erhebung des Rechtsmittels mit sich bringen könnte, zu verkürzen. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass im heutigen Berufsleben in einem Großteil der Fälle eine persönliche Zustellung gerichtlicher Entscheidungen an die Partei deshalb nicht möglich sein wird, weil die Partei untertags berufsbedingt nicht an ihrer Anschrift anzutreffen ist. In einer großen Zahl der Fälle kommt es daher zu einer Hinterlegung der Entscheidung, wobei häufig die Rückkehr des Empfängers in seine Wohnung so spät erfolgt, dass eine Behebung des Schriftstücks am selben Tage nicht mehr möglich ist. Schon nach den bisherigen Zustellvorschriften hat dies dazu geführt, dass die gesetzliche Rechtsmittelfirst in vielen Fällen dem Rechtsmittelwerber tatsächlich nicht im vollen Ausmaß zur Verfügung stand. Wie oben aufgezeigt wurde, hat die Judikatur diesen Zustand, als vom Gesetzgeber gewollt, in Kauf genommen und trotz der durch die Berufstätigkeit des Empfängers bedingten Verkürzung der Rechtsmittelfrist die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß bezeichnet. Wenn es daher auch richtig ist, dass Rechtsmittelfirsten nicht aus Ermessenserwägungen nach Maßgabe der Schwierigkeit der Verfassung des Rechtsmittels verkürzt werden dürfen, muss doch davon ausgegangen werden, dass unbedeutende Verkürzungen der oben aufgezeigten Art keine dem Sinn des Gesetzes widersprechende Beeinträchtigung des Rechtsmittelwerbers darstellen.

Bei der Auslegung der Bestimmung des § 17 Abs 3 ZustG muss nun davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Ausdruck „rechtzeitig“ nicht nur um eine inhaltsleere Floskel handelt, diesem Ausdruck vielmehr für die Auslegung Bedeutung zukommt. Hiebei ist zu Berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage, zumindest nicht im Sinne einer Verschlechterung der Möglichkeit der Hinterlegung, ändern wollte. Sinn der Zustellvorschriften (ZPO, AVG) war es schon bisher, den Empfänger vor Nachteilen zu bewahren, die durch eine gesetzwidrige Zustellung entstehen konnten. Die eher schematische Regelung durch die bisherige Rechtslage hat jedoch manchmal dazu geführt, dass über den angestrebten Zweck hinaus auch Verfahrensverzögerungen bewirkt worden sind, die nicht mehr im Interesse des Schutzes einer an der mangelhaften Zustellung nicht schuldigen Partei lagen. Diese nicht gewünschten Nebenwirkungen der bisherigen Zustellregelungen sollten durch die Neufassung beseitigt oder zumindest eingeschränkt werden. Dies zeigt schon der Schlusssatz der Bestimmungen der §§ 16 Abs 5 und 17 Abs 3 ZustG, denen zufolge einer Sanierung mangelhafter Zustellungen nicht mehr vom tatsächlichen Zukommen der Sendung abhängig ist. Das Wort „rechtzeitig“ muss daher auch im Sinne dieser Bestrebungen verstanden werden. Der Gesetzgeber will dem Empfänger nur jenen Schutz zukommen lassen, der notwendig ist, ihn nicht schlechter zu stellen, als Empfänger, denen ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Sohin kann eine Auslegung der Bestimmung des § 17 Abs 3 ZustG nur dahin erfolgen, dass der Empfänger von der Zustellung dann nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt hat, wenn er nicht in der Lage war, auf die Sendung zum gleichen Zeitpunkt zu reagieren, zu dem ein Empfänger überlicherweise reagieren hätte können, dem nach dem Willen des Gesetzgebers durch Hinterlegung zugestellt werden durfte. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden.

Im vorliegenden Fall wurde die Sendung am 31. 10. 1983 hinterlegt. Dies wäre bei einem Großteil der Berufstätigen notwendig gewesen. Dieser Teil hätte die Sendung infolge des nachfolgenden Feiertags nicht vor dem 2. 11. 1983 beheben können. Die Rekurswerber haben die Sendung an diesem Tage behoben, weshalb sie durch den Zustellvorgang nicht gegenüber dem Durchschnitt der Empfänger derartiger Sendungen benachteiligt wurden. Ihnen stand vielmehr die Rechtsmittelfrist im gleichen Ausmaß zur Verfügung, wie dies im Regelfall bei anderen Rechtsmittelwerbern der Fall gewesen wäre. Demnach gilt die Zustellung im Sinne des § 17 Abs 3 ZustG als mit dem Tage der Hinterlegung, der zugleich jener Tag ist, an dem die Abholfrist begann, erfolgt.

Mit Recht ging das Rekursgericht sohin von der Verspätung des Rechtsmittels aus.

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