OGH 11Os32/83

OGH11Os32/8328.6.1983

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Eier als Schriftführer in der Strafsache gegen Bahij Mohammed A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach den §§ 75 und 15 StGB als Beteiligter nach § 12 StGB u.a.Del.

nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22. Oktober 1982, GZ 20 a Vr 5.057/81-222 a, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben, und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8. Februar 1953 geborene jordanische Staatsangehörige Bahij Mohammed A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen des teils vollendeten,teils versuchten Mordes nach den §§ 12, 75 und 15

StGB, des Vergehens des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs 1 StGB und des Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit d WaffG schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, I. im April 1981 in Wien den abgesondert verfolgten Hesham Mohammed B, der Heinz C vorsätzlich tötete, durch die Aufforderung, ein Pistolenattentat auf diesen zu verüben, durch gemeinsame Besichtigung des Tatortes, Planung des Tatablaufes und der Flucht des Täters sowie durch übergabe einer Pistole der Marke Makarov samt Munition zur Ausführung dieser Straftat bestimmt, ferner II. im August 1981 in Wien die abgesondert verfolgten Marwan D und Hesham Mohammed B, die 1. Nathan E und Ulrike F vorsätzlich töteten, 2. eine größere, 30 jedenfalls übersteigende Anzahl weiterer Personen vorsätzlich zu töten versuchten, dadurch, daß er sie aufforderte, einen Feuerüberfall auf die Besucher des jüdischen Stadttempels in Wien und die dort Sicherheitsdienst verrichtenden Polizeibeamten zu verüben, und durch übergabe von zwei Maschinenpistolen, Modell 63, Kal 9 mm Makarov, 130 Schuß Munition und sechs Splitterhandgranaten zur Ausführung dieser Straftaten bestimmt und schließlich III. von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 28. Oktober 1981 in Salzburg 1. einen Vorrat von Waffen und Schießbedarf, nämlich zwei automatische Gewehre der Marke Kalashnikov, vier Maschinenpistolen, Modell 63, Kal 9 mm Makarov, neun Pistolen der Marken Llama, FN und Makarov, jeweils mit Zubehör, 707 Schuß Munition, zwölf Handgranaten und 4,8 kg Sprengstoff, angesammelt und bereitgehalten; 2. das unter Punkt 1 bezeichnete Kriegsmaterial unbefugt besessen zu haben.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten im Schuldspruch mit einer auf die Z 1, 4, 5, 6, 8 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Zutreffend macht der Beschwerdeführer nämlich eine nicht gehörige Besetzung der Geschwornenbank geltend.

Gemäß dem § 300 Abs 2 StPO setzt sich die Geschwornenbank aus acht Geschwornen zusammen. Ist zu erwarten, daß die Hauptverhandlung von längerer Dauer sein werde, so kann der Vorsitzende verfügen, daß ein oder mehrere Ersatzgeschworne der Hauptverhandlung beiwohnen, um bei Verhinderung eines Geschwornen an dessen Stelle zu treten (Abs 3 leg cit).

Sind mehrere Ersatzgeschworne beigezogen worden, so treten sie in der Reihenfolge der Dienstliste an die Stelle der verhinderten Geschwornen (Abs 4 leg cit). Nach der Bestimmung des § 304 StPO beginnt die Hauptverhandlung, nachdem die Geschwornen ihre Sitze in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Namen, Ersatzgeschworne aber nach den übrigen Geschwornen, eingenommen haben.

Aus diesen prozessualen Vorschriften ist einerseits abzuleiten, daß bereits vor Beginn der Hauptverhandlung klargestellt sein muß, welcher Laienrichter als Hauptgeschworner und welcher als Ersatzgeschworner an der Verhandlung teilnimmt und daß andererseits nur im Falle einer (später eintretenden) Verhinderung eines Hauptgeschwornen ein Ersatzgeschworner (in der Reihenfolge der Dienstliste) die Stelle des verhinderten Hauptgeschwornen einnehmen darf.

Anders als bei der vor allem die Gerichtsorganisation berührenden Frage, ob die Laienrichter in der gesetzlich vorgesehenen (Geschwornen- und Schöffenlistengesetz) Reihenfolge zu einem bestimmten Termin einberufen werden, handelt es sich bei den vorerwähnten Anordnungen um eine als Prinzip anzuerkennende Regelung des Gesetzgebers, die sicherstellt, daß jedenfalls noch vor Beginn der Hauptverhandlung die Person des Richters - nach außen hin erkennbar -

feststeht und daß ein Wechsel (innerhalb der Hauptverhandlung) in Form der Heranziehung eines Ersatzmitgliedes allein bei einer (unvorhergesehenen) Verhinderung an der weiteren Ausübung der richterlichen Funktion eintreten kann. Damit wird zugleich einer an sich denkbaren Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses durch sachlich nicht gerechtfertigten Ersatz solcher Geschworner, die vielleicht im Laufe der Verhandlung eine gewisse Präferenz für die Lösung der Schuldfrage in bestimmter Richtung erkennen haben lassen, auf welche Möglichkeit auch in der Beschwerde hingewiesen wurde, vorgebeugt (vgl auch Art 83 Abs 2 B-VG). Nur bei strenger Beachtung dieser Vorschrift ist aber das (Geschwornen-)Gericht jeweils gehörig (nämlich mit drei Berufs- und acht Laienrichtern) besetzt, während beispielsweise bei erst späterer Trennung der Haupt- und Ersatzgeschwornen die Geschwornenbank zunächst - weil undifferenziert - zahlenmäßig überbesetzt wäre.

Eben dies trifft aber auf den vorliegenden Fall zu:

Das Hauptverhandlungsprotokoll führt den Namen von zehn Geschwornen in alphabetischer Reihenfolge an. Eine Unterscheidung in Haupt- und Ersatzgeschworne fehlt ebenso wie ein Hinweis auf die Entlassung der Ersatzgeschwornen mit dem Schluß der Verhandlung (vgl §§ 319, 320 Abs 2 StPO).

Nach dem (im Akt - unjournalisiert - erliegenden) Bericht der Verhandlungsschriftführerin handelt es sich dabei keineswegs um einen bloßen Protokollierungsmangel.

Es wurde vielmehr erst nach Schluß der Verhandlung festgelegt, welche acht der beigezogenen zehn Geschwornen an der Beratung und Abstimmung teilnehmen würden (mag auch der Vorsitzende die bezügliche Aufteilung schon bei Beginn der Hauptverhandlung für sich getroffen und nur aus Sicherheitsgründen geheimgehalten haben). Ein Vergleich des Urteilskopfes mit dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, daß die ursprünglich an erster und an sechster Stelle gereihten Geschwornen ausschieden.

Damit wurde aber in solcher Weise gegen den oben dargelegten Grundsatz verstoßen, daß die Geschwornenbank als nicht gehörig besetzt im Sinn der Z 1 des § 345 Abs 1 StPO angesehen werden muß. Zu prüfen war noch, ob sich der Beschwerdeführer mangels rechtzeitiger Rüge des Rechtes auf Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes begeben hat (§ 345 Abs 2 StPO). Dies kann deshalb nicht bejaht werden, weil der Angeklagte an sich während der Hauptverhandlung - dem äußeren Anschein nach - annehmen konnte, die an letzter Stelle gereihten Geschwornen wären als Ersatz einberufen worden.

Der in Wahrheit unterlaufene Fehler mußte ihm frühestens bei Verkündung des Wahrspruches (in Gegenwart jener Geschwornen, die an der Abstimmung teilnahmen) erkennbar geworden sein. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Rüge zu keiner Behebung des Mangels mehr führen können. Wenn aber daraus für die Prozeßökonomie nichts mehr zu gewinnen ist, verliert die Vorschrift des § 345 Abs 2 StPO ihre Bedeutung (vgl auch RiZtg 1974/105).

Es muß daher die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes erst im Rechtsmittelverfahren als berechtigt erkannt werden. Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war gemäß den §§ 285 e, 344 StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Nur der Vollständigkeit halber sei zum weiteren Beschwerdevorbringen noch ausgeführt:

Für das Geschwornenverfahren ist im besonderen Maße zu fordern, den (hier die Schuldfrage allein lösenden) Laienrichtern eine möglichst umfassende Tatsachengrundlage zu vermitteln. Beweisanträge sind daher - bei aller gebotenen kritischen Prüfung - jedenfalls zuzulassen, wenn sie auf eine sachdienliche Erweiterung der Erkenntnismöglichkeit in der Tatfrage abzielen.

Aus dieser Sicht könnte auch der auf die Z 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Verfahrensrüge zumindest teilweise Relevanz nicht abgesprochen werden.

Zwar übersieht der Beschwerdeführer, daß der Schwurgerichtshof über seinen Antrag auf Ladung des Zeugen Abdallah G ohnedies positiv erkannte (S 496 Bd VI des Aktes) und daß auch die Stelligmachung des Zeugen versucht wurde (S 529 Bd VI d.A), die beschlossene Beweisaufnahme aber mangels Erreichbarkeit des Beweismittels nicht durchgeführt werden konnte (S 25, 28, 43, 44 Bd VII d.A). Auch ist dem Schwurgerichtshof beizupflichten, daß von der Beischaffung von Akten über vor Jahren im Ausland begangene Straftaten, die mit den hier zu beurteilenden in keinem erkennbaren unmittelbaren Zusammenhang stehen, für die Schuldfrage nichts zu gewinnen gewesen wäre. Dagegen durfte aber das Begehren auf Vernehmung der Zeugin Renate H (S 494 Bd VI d.A) nicht allein aus der Erwägung, daß es sich um keine Tatzeugin handelt, abgetan werden. Diese Zeugin wurde - aus der Formulierung des Beweisantrages erkennbar - zur Entlastung des Angeklagten mit der Behauptung geführt, sie habe anläßlich von Gesprächen mit Angehörigen der Gruppe Abu I in Damaskus Informationen über den Täter erhalten. Angesichts der bisher bekannt gewordenen Hintergründe der Straftaten ist doch nicht von vornherein auszuschließen, daß von der Aussage dieser Zeugin ein für die Meinungsbildung der Geschwornen erheblicher Beitrag zu erwarten gewesen wäre.

Gefolgt kann allerdings dem Beschwerdeführer nicht werden, wenn er die Ansicht vertritt, die Rechtskraftwirkung des seinerzeitigen, am 21. Jänner 1982 gegen Hesham Mohammed B zu 20 a Vr 11.518/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergangenen Urteils, demzufolge B Heinz C nicht selbst (als unmittelbarer Täter) tötete, sondern durch Beischaffung einer Nato-Jacke nur zur Tötungshandlung eines unbekannt gebliebenen Täters beitrug, binde auch das nunmehr über den Angeklagten A erkennende Gericht und hätte daher sowohl in der Fragestellung als auch in der Rechtsbelehrung einen entsprechenden Niederschlag finden müssen.

Vielmehr ist die Rechtskraft eines Strafurteils (dem eine weitergehende rechtserzeugende Drittwirkung nicht zukommt) auf den ihm zugrundeliegenden konkreten Fall beschränkt, sodaß das jeweils erkennende Gericht die Frage, ob und wie weit der von ihm zu beurteilende Angeklagte schuldig ist, stets selbständig zu lösen hat (vgl SSt 21/

98, 28/87; EvBl 1976/152 ua). Die abweichende Beurteilung der Tat des Hesham Mohammed B in dem gegen diesen anhängig gewesenen Verfahren stand daher der - im übrigen durch dessen mehrfach, zuletzt am 2. März 1982 (S 99 bis 103 Bd VI d.A) abgelegtes (wenn auch nicht immer aufrecht erhaltenes) Geständnis gedeckten - Annahme der hier urteilenden Geschwornen, daß er vom Angeklagten A dazu bestimmt wurde, den Mord an Heinz C nicht (nur) als Beitragstäter, sondern als unmittelbarer Täter zu verüben, durchaus nicht entgegen. Demnach war aber das Erstgericht aus dem in der Beschwerdeschrift angeführten Grund nicht verpflichtet, 'eine seiner rechtlich möglichen Ansicht angepaßte Eventualfrage' zu stellen oder doch 'die Hauptfrage den rechtlichen Konsequenzen der Verurteilung des B anzugleichen', geschweige denn in der Rechtsbelehrung (die sich in dem durch die Bestimmung des § 321 Abs 2 StPO vorgeschriebenen Rahmen zu halten hat) die - wie gezeigt unrichtige - Ansicht zum Ausdruck zu bringen, daß der Hesham Mohammed B betreffende rechtskräftige Schuldspruch 'rechtlich' die Annahme einer Bestimmung des B zur Verübung des Mordes an Heinz C als unmittelbarer Täter ausschließe.

Unabhängig davon wird indes zu berücksichtigen sein, daß die Tatsache des (rechtskräftigen) Schuldspruches des Hesham Mohammed B (bloß) wegen Beitragstäterschaft zum Mord an Heinz C schon durch die Verlesung der Anklageschrift (siehe S 264/Bd VI) in der Hauptverhandlung 'vorgebracht' wurde (§ 314 StPO). Den Geschwornen wird daher jedenfalls die Möglichkeit zu eröffnen sein, ihre Meinung darüber zu bilden (und zu äußern), ob B doch - ungeachtet des vorerwähnten Schuldspruches - die Mordtat (selbst) ausführte, oder ob er bloß einem bisher unbekannt gebliebenen unmittelbaren Täter eine Nato-Jacke beschaffte. Sollten die Geschwornen die letzterwähnte Alternative für wahr halten, obgleich B auch nach seinem Schuldspruch wegen bloßer Beitragstäterschaft (neuerlich) der unmittelbaren Tatausführung geständig war, hätte dies in rechtlicher Hinsicht zur Folge, daß der Angeklagte nur wegen des Versuches der Bestimmung (§ 15 Abs 2 StGB) des B zum Verbrechen des Mordes an Heinz C oder aber, wenn seine Einflußnahme auf B für dessen den Gegenstand seines Schuldspruches bildendes Verhalten kausal war, eines Tatbeitrages (im Sinn des 3. Falles des § 12 StGB) für schuldig befunden werden könnte. Letzteres deshalb, weil neben einer (vollendeten) Täterschaft in Form des 3. Falles des § 12 StGB für eine (bloß) versuchte Bestimmung zu ein und derselben Tat in Hinblick auf die rechtliche Gleichwertigkeit aller Beteiligungsformen des § 12 StGB kein Raum ist.

Schließlich wird im Fall abermaliger Bejahung von auf die Punkte III 1 und 2 der Anklageschrift (S 254 und 255 Bd VI d.A) Bezug nehmenden (Haupt-)Fragen zu bedenken sein, daß es sich bei dem vom Schuldspruch nach dem § 36 Abs 1

lit d WaffG erfaßten Kriegsmaterial vorliegend zugleich um Kampfmittel (in Form von Waffen und Schießbedarf) im Sinn des § 280 Abs 1 StGB handelt. Da dem Angeklagten zudem nach dem Waffengesetz lediglich der Besitz dieses (Kampfmittel darstellenden) Kriegsmaterials angelastet wird, der aber auch schon mit dem im § 280 Abs 1 StGB pönalisierten Ansammeln und Bereithalten notwendig verbunden ist, träfe es dann hier jedenfalls zu, daß die Tat durch ihre Unterstellung unter die strenger strafbare Bestimmung des § 280 Abs 1 StGB in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt bereits hinreichend erfaßt ist und daß deshalb die (verdrängte) Bestimmung des § 36 Abs 1 lit d WaffG nicht mehr zur Anwendung zu gelangen hätte.

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