Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das berufungsgerichtliche Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit 1.196,40 S (darin 87,44 S Umsatzsteuer und 16 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.514 S (darin 105,04 S Umsatzsteuer und 96 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 3. 11. 1980 ereignete sich in Linz auf der Kreuzung Lederergasse - Prunerstraße ein Verkehrsunfall, an dem der vom Kläger gelenkte und gehaltene PKW BMW 3201, *****, und der vom Erstbeklagten gelenkte und gehaltene, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte PKW VW 1200, *****, beteiligt waren.
Der Kläger begehrte von den beklagten Parteien Zahlung des (der Höhe nach außer Streit stehenden) Reparaturschadens von 3.064,46 S sA mit der Begründung, dass der Erstbeklagte, aus einer gemäß § 19 Abs 6 StVO zu qualifizierenden Verkehrsfläche herausfahrend, den Vorrang des die Lederergasse benützenden Klägers verletzt habe und dieser trotz sofortiger Reaktion eine Kollision nicht habe vermeiden können. Der Erstbeklagte habe überdies das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls zugegeben.
Die Beklagten beantragen Klagsabweisung mangels eines Verschuldens des Erstbeklagten, weil die Lederergasse gegenüber der vom Erstbeklagten befahrenen Prunerstraße durch das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ abgewertet sei. Zudem habe sich der Erstbeklagte wegen eines sichtbehindernd abgestellten PKWs in die Lederergasse vorgetastet und sein Fahrzeug sofort bei Ansichtigwerden des vom Kläger gelenkten PKWs zum Stillstand gebracht. Hingegen habe der Kläger wegen überhöhter Fahrgeschwindigkeit sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten können.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Klagsstattgebung ab.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts erheben die beklagten Parteien Revision aus den Gründen des § 503 Z 4, Z 2 und Z 3 ZPO mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.
Der Kläger, der eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt.
Dem angefochtenen Urteil liegt der Sachverhalt zugrunde, wie er vom Erstgericht auf den Seiten 3 bis 5 seiner Entscheidung (= Seite 53 bis Seite 55 des Akts) wiedergegeben wird und vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen wurde.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass sich die für den auf der Lederergasse westwärts fahrenden Verkehrsteilnehmer rechts von ihm befindliche Verkehrsfläche als eine einheitliche Parkfläche darstelle, die nach § 19 Abs 6 StVO zu beurteilen sei, was aber im vorliegenden Fall nicht Platz greife, weil sich der Kläger wegen der „speziellen Norm“ im Hinblick auf das an der Lederergasse angebrachte Verkehrszeichen „Vorrang geben“ im Nachrang befunden habe. Der Kläger hätte daher sich so verhalten müssen, dass ein seine Fahrbahn querender Fahrzeuglenker nicht dazu genötigt wurde, zur Vermeidung einer Kollision sein Fahrzeug unvermittelt abzubremsen oder abzulenken. Da der Kläger diesen Anforderungen nicht entsprochen habe, treffe ihn das Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls. Hingegen könne dem Erstbeklagten ein Mitverschulden nicht angelastet werden, weil ihm ein unfallsvermeidendes Rückwärtsfahren nicht möglich gewesen sei.
Das Berufungsgericht gelangte in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass die durch das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ geschaffene Vorrangregelung nur für den Bereich der Kreuzung gelte, der durch die Verlängerung der Gehsteigränder der Prunerstraße über die vorhandene platzförmige Erweiterung begrenzt werde. Dadurch, dass der Kläger seine Fahrt über die Höhe des genannten Verkehrszeichens hinaus fortgesetzt habe, habe er somit nicht gegen § 19 Abs 4 StVO verstoßen. Hingegen habe sich der Erstbeklagte auf einer untergeordneten Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO befunden und demnach dadurch, dass er mit seinem PKW zwar langsam, aber in einem Zug so weit in die Lederergasse einfuhr, dass die Vorderfront seines Fahrzeugs sich 3 m innerhalb der Fahrbahn der Lederergasse befand, den im Vorrang befindlichen Kläger gemäß § 19 Abs 6 und 7 StVO behindert. Es treffe daher den Erstbeklagten ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls; ein Mitverschulden des Klägers sei aus den Feststellungen nicht ableitbar.
Die Revision macht in ihrer Rechtsrüge geltend, es ergebe sich gemäß § 51 Abs 1 StVO aus der Aufstellung des Vorschriftzeichens, dass dieses für die vom Erstbeklagten benützte Verkehrsfläche Gültigkeit hatte, weshalb der Kläger eine Vorrangverletzung zu verantworten habe.
Der Revision ist beizupflichten. Es ist ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass sich auf die Gültigkeit aufgestellter Verkehrszeichen jedermann verlassen darf. Mündet eine nachrangige Straße in eine platzartige Erweiterung der vorrangigen Straße, so haben auch die auf der platzartigen Erweiterung des vorrangigen Straßenzugs fahrenden Verkehrsteilnehmer Vorrang gegenüber jenen, die sich auf der nachrangigen Straße der platzartigen Erweiterung nähern und das sogenannte negative Vorrangzeichen zu beachten haben (2 Ob 68/69). Das Zeichen „Achtung Vorrang“ verpflichtet zur Wahrung des Vorrangs für die gesamte folgende Kreuzung (ZVR 1965/3 uam); zum Kreuzungsbereich gehört auch dessen Beginn und Ende (8 Ob 40/82 uam). Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger zur Beachtung des Vorrangzeichens gemäß § 19 Abs 4 StVO 1960 verpflichtet war, hingegen der Erstbeklagte - als auf der von der Vorrangregelung umfassten platzartigen Erweiterung der Prunerstraße fahrend - auf die Wahrung seines Vorrangs durch den Kläger vertrauen konnte. Zutreffend hat daher das Erstgericht ein Verschulden des Klägers am Unfall angenommen und in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür ein Verschulden des Erstbeklagten verneint.
Aufgrund dieser rechtlichen Erwägungen war somit das Ersturteil wiederherzustellen, ohne dass es des Eingehens auf die ferner behaupteten Revisionsgründe des § 503 Z 2 und 3 ZPO bedurfte.
Die Wiederherstellung des Ersturteils hatte die Abänderung der Kostenentscheidung der zweiten Instanz zur Folge; der Kostenspruch hinsichtlich des Revisionsverfahrens beruht ebenfalls auf §§ 41 und 50 ZPO.
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