OGH 1Ob718/81

OGH1Ob718/8117.2.1982

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Schubert, Dr. Gamerith und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Graf, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien Adolf und Rosamunde F*****, vertreten durch Dr. Peter Keul, Rechtsanwalt in Rohrbach, wegen Duldung und Unterlassung (Streitwert 12.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Juni 1981, GZ 14 R 33/81-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Rohrbach vom 23. Jänner 1981, GZ C 154/80 -12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung, allenfalls nach Ergänzung der Berufungsverhandlung, aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung

Die Klägerin behauptet die Ersitzung eines Geh- und Fahrtrechts für landwirtschaftliche Zwecke über die mittelbar benachbarte Liegenschaft der Beklagten und stellt mit der vorliegenden Servitutsklage ein entsprechendes Duldungs- und Unterlassungsbegehren.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren aufgrund der Feststellung statt, dass die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger sowie die Pächter ihrer Grundstücke den strittigen Weg, der von mehreren Zufahrtsmöglichkeiten der am leichtesten zu befahrende ist, seit Beginn der Vierzigerjahre regelmäßig unbeanstandet mit Wirtschaftsfuhren befahren haben, auch nachdem im Jahr 1962 anlässlich der Verlegung der Bundesstraße ein Stück des öffentlichen Guts zum Grundstück der Beklagten zugeschrieben wurde, und dass diese erst im Herbst 1979 von der Pächterin der Klägerin verlangten, dass um Erlaubnis gefragt werden müsse. Die Klägerin habe das strittige Recht durch Ersitzung erworben.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil ohne Eingehen auf die übrigen Berufungsgründe im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens aus der rechtlichen Erwägung ab, dass der Fahrweg nun auch über ein früher zur Bundesstraße gehöriges Wegstück führe, an dem die Klägerin in einem Teil der Ersitzungszeit bloß Gemeingebrauch ausgeübt und daher kein Dienstbarkeitsrecht ersessen habe, und dass damit auch eine über den anderen Wegteil ersessene Servitut ihren Zweck verloren habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Ob die Zuschreibung des strittigen Grundstreifens im Jahr 1962 oder nach der Revisionsbehauptung erst 1968 erfolgte, ist mit Rücksicht darauf ohne Bedeutung, dass eine selbständige, von der vorherigen Mitbenützung der öffentlichen Straße bloß im Rahmen des Gemeingebrauchs unabhängige Ersitzung eines Wegerechts über diese Grundfläche im zweiten Fall mangels Zeitablaufs umso weniger stattgefunden haben könnte (vgl SZ 31/71). Es ist aber der Rechtsrüge der Revisionswerberin dahin zu folgen, dass die Vergrößerung des dienenden Guts durch Zuschreibung eines Teilstücks der früheren Bundesstraße nicht nur das Wegerecht über den restlichen Wegteil nicht gänzlich zwecklos machte (solange nicht feststeht, dass nicht über das Reststück ein Notweg begründet werden könnte), sondern im Gegenteil zur Erweiterung eines ersessenen Rechts auch auf dieses Wegstück geführt hat. Im vorliegenden Fall geht es nämlich nicht um den Erwerb eines von einer Dienstbarkeit freien weiteren Grundstücks, sondern bloß um eine teilweise Veränderung des Verlaufs des Servitutswegs durch Neutrassierung der öffentlichen Straße. Dadurch wurde der strittige Weg um die geringe Differenz der Lageveränderung der Straße zwar verlängert, gleichzeitig aber das Grundstück der Beklagten durch Zuschreibung entsprechend dem im Zuge des Enteignungsverfahrens getroffenen Übereinkommen vergrößert. Nun muss allerdings eine Dienstbarkeit nicht die ganze dienende Liegenschaft belasten (§ 12 Abs 2 GBG; SZ 45/39); auch dürfen Servituten nach § 484 ABGB nicht erweitert, sondern müssen, soweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestatten, eingeschränkt werden. Sind aber Natur und Zweck der strittigen Servitut eindeutig auf den Zugang bis zur (jeweiligen) Grenze des belasteten Grundstücks zur öffentlichen Straße gerichtet, muss der Belastete unbedeutende Änderungen dieses Zugangs mangels Beeinträchtigung eines Rechtsschutzinteresses hinnehmen (vgl EvBl 1962/58). Die Interessen des Berechtigten und die des Belasteten sind zueinander in ein billiges Verhältnis zu setzen (EvBl 1981/83; EvBl 1966/277 ua); selbst durch die Verlegung eines Servitutswegs wird die Identität des Rechtsobjekts nicht berührt (SZ 49/33; zust Pfersmann, ÖJZ 1979, 562; EvBl 1979/166 ua). Hier handelt es sich nach den unbestrittenen Plänen um eine ganz geringfügige Verlegung (Verlängerung) des Wegs; nicht einmal die Beklagten haben daraus in vielen folgenden Jahren und selbst im erstinstanzlichen Verfahren Konsequenzen abgeleitet. Eine allfällig ersessene Servitut erstreckt sich demnach unter den dargestellten Umständen auch auf jenen Teil des belasteten Grundstücks, der vor der Zuschreibung zur Liegenschaft der Beklagten bloß im Rahmen des Gemeingebrauchs an der öffentlichen Straße benützt wurde.

Das Berufungsgericht wird somit die übrigen Berufungsgründe zu prüfen haben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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