OGH 10Os96/81

OGH10Os96/8122.12.1981

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Dezember 1981

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hoch als Schriftführer in der Strafsache gegen Alfred A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14. April 1981, GZ 20 a Vr 9196/80-35, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Verlesung der Rechtsmittelschrift der Staatsanwaltschaft sowie Anhörung der Ausführungen des Verteidigers Dr. Krepp und des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 10 (zehn) Jahre erhäht; mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Im übrigen wird der Berufung des Angeklagten Folge gegeben und das angefochtene Urteil im Ausspruch, er habe gemäß § 366 Abs 2 StPO der Privatbeteiligten Beatrix A einen Betrag von 10.000 S zu bezahlen, aufgehoben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Alfred A des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 20. September 1980 in Wien (seine geschiedene Ehegattin) Beatrix A durch zwei Messerstiche (in die rechte Hüftgegend und in die linke Brusthälfte) vorsätzlich zu töten suchte.

Die Geschwornen hatten die betreffende (anklagekonforme) Hauptfrage (I.) - mit 6 : 2 Stimmen - bejaht und dementsprechend Eventualfragen (II.) nach versuchtem Totschlag (§§ 15, 76 StGB), (III.) nach versuchter absichtlicher schwerer Kärperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 StGB) sowie (IV.) nach schwerer Kärperverletzung (§§ 83, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB) unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.

Als 'Mangelhaftigkeit der Fragestellung' (Z 6) rügt der Beschwerdeführer, daß der Schwurgerichtshof den Geschwornen zur Hauptfrage (I.) nicht auch eine Zusatzfrage nach (freiwilligem) Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) stellte, die (seiner Ansicht nach) deshalb geboten gewesen wäre, weil das Tatopfer im Vorverfahren (S 98) als Zeugin erklärt habe, sie sei der Meinung, er würde sie umgebracht haben, wenn er es nicht plätzlich 'mit der Angst zu tun gekriegt' hätte.

Schon bei ihrer damit relevierten Vernehmung durch die Polizei - und ebenso bei der Erärterung der betreffenden Niederschrift in der Hauptverhandlung (S 348) - hat aber Beatrix A zugleich auch zum Ausdruck gebracht, daß der Angeklagte ihrer Ansicht nach nur deswegen 'Angst' bekommen und von ihr abgelassen habe, weil sich Angela B, die bis dahin geschlafen hatte, auf Grund ihrer Hilferufe im Bett aufgerichtet habe, wogegen er ansonsten 'weitergemacht' hätte. Von einem nach § 16 Abs 1 StGB 'freiwilligen' Rücktritt vom Mordversuch kann daher bei dieser Darstellung im gesamten, die ganz im Gegenteil dafür spricht, daß der Beschwerdeführer nach dem Erwachen der Angela B im Anschluß an die Flucht seiner geschiedenen Gattin in deren Zimmer eine tatplangemäße (unentdeckte) Ausführung seines Vorhabens als gescheitert ansah, keine Rede sein, sodaß ihretwegen eine darauf abzielende Zusatzfrage keinesfalls in Betracht kam.

Eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung (Z 8) hinwieder erblickt der Angeklagte darin, daß die Erläuterungen über den (für den Tatbestand des § 75 StGB essentiellen) Vorsatz, insbesondere über den bedingten Vorsatz (dolus eventualis), auf die wärtliche Zitierung des § 5 StGB beschränkt seien; auch diese Rüge geht jedoch fehl. Die Kriterien der Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) und der (nach dem äußeren Tatgeschehen - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - keineswegs 'mit Sicherheit auszuschließenden') Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) sind den Geschwornen (abermals dem Beschwerdevorbringen zuwider) ohnedies über den Gesetzeswortlaut hinaus (zutreffend) erklärt worden. Keine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung aber bewirkt das Fehlen einer näheren Auslegung der Legaldefinition für den bedingten Vorsatz (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB), möge auch eine solche, wie der Beschwerde einzuräumen ist, wünschenswert gewesen sein; die verschiedenen Spielarten des Vorsatzes sind nämlich ebenso wie jene der (unbewußten und bewußten) Fahrlässigkeit ohnehin im Gesetz (§§ 5, 6 StGB) allgemeinverständlich beschrieben (13 Os 41/80, 12 Os 134/79, 12 Os 11/77 ua). Die Voraussetzungen einer bloßen Fahrlässigkeit wurden zudem in der Rechtsbelehrung (im Zusammenhang mit der Eventualfrage IV) dargelegt. Die Laienrichter waren demnach (auch durch die zuletzt erwähnten Erläuterungen) in die Lage versetzt, den Unterschied zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit zu erkennen. Dementsprechend waren sie für den Fall der - nur bei Nichtannahme einer Mord-Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) aktuellen - Prüfung der Frage, ob der Angeklagte den Tod seiner geschiedenen Gattin als Folge der beiden gegen sie geführten Messerstiche 'ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand' (S 2 der Rechtsbelehrung, ./C zu ON 34), auch über die rechtliche Konsequenz der diese Annahme ausschließenden anderen Alternative informiert, nach der er (im Sinn seiner Verantwortung) bei der Tat entweder den Tod seines Opfers gar nicht bedacht oder aber, immerhin im Bewußtsein des Naheliegens jener Möglichkeit, doch (obgleich leichtfertig) auf den Nichteintritt des Todeserfolgs vertraut hätte. Von einer zur Irreleitung der Geschwornen geeigneten und darum einer Unrichtigkeit im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes gleichkommenden Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung kann daher gleichfalls nicht gesprochen werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 41 Abs 1 Z 1, 75 StGB zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wertete es seine bisherige Unbescholtenheit und den Umstand, daß das Verbrechen beim Versuch geblieben ist, als mildernd, das zweimalige Zustechen dagegen als erschwerend. Außerdem verpflichtete es den Angeklagten gemäß § 366 Abs 2

StPO zur Bezahlung von 10.000 S an 'die Privatbeteiligte' Beatrix A. Mit ihrer Berufung strebt die Staatsanwaltschaft eine Erhähung der Freiheitsstrafe (unter Ausschaltung der außerordentlichen Strafmilderung) an, während der Angeklagte mit diesem Rechtsmittel eine Strafherabsetzung und überdies die Ausschaltung des Entschädigungszuspruchs begehrt.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Zwar kann die Tatbegehung während der Anhängigkeit eines Strafverfahrens, welches bis jetzt zu keiner Verurteilung geführt hat, nicht als erschwerend gewertet werden.

Umgekehrt kommt dem Angeklagten aber auch seine Alkoholisierung zur Tatzeit gemäß § 35 StGB nicht als mildernd zugute, weil ihm der Alkoholgenuß im Hinblick auf seine früheren mehrfachen Trunkenheitsexzesse nachdrücklich vorzuwerfen ist; ferner kann keine Rede davon sein, daß er die Wiederaufnahme einer Lebensgemeinschaft mit seiner geschiedenen Gattin etwa aus altruistischen (Familien-) Interessen angestrebt hätte. Wohl aber kommt der bisherigen (gerichtlichen) Unbescholtenheit des Angeklagten tatsächlich erheblich geringeres Gewicht zu als vergleichsweise dem (in Ansehung der Voraussetzungen auch nicht teilweise deckungsgleichen) Milderungsumstand des (vom Erstgericht ersichtlich eben wegen seiner vorerwähnten Lebensführung nicht angenommenen) § 34 Z 2 StGB Bei sachgemäßem Abwägen der vorliegenden Strafzumessungsgründe zeigen sich jedenfalls keinerlei Aspekte für die Annahme eines jener atypisch leichten Fälle (vgl Erl. Bem. zur RV des StGB, 30 d. Beil. zu den sten. Prot. des NR, XIII. GP, S 135), in denen (unter anderem) die Milderungsgründe die Erschwerungsumstände beträchtlich überwiegen, sodaß für eine außerordentliche Strafmilderung im Sinn des § 41 Abs 1 (Z 1) StGB schon deshalb kein Raum ist. Die Anhebung der über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe auf das gesetzliche Mindestmaß des § 75 StGB wird seiner tat- und persänlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) gerecht, sodaß der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung in diesem Umfang Folge zu geben und er mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe darauf zu verweisen war.

Berechtigt ist weiters die Berufung des Angeklagten gegen den Entschädigungszuspruch, der bereits darum jeglicher Grundlage entbehrt, weil sich Beatrix A dem Strafverfahren überhaupt nicht als Privatbeteiligte angeschlossen hat. Dementsprechend war in Stattgebung dieser Berufung (nicht ihre Verweisung auf den Zivilrechtsweg, sondern lediglich) die Ausschaltung des bekämpften Ausspruchs aus dem Urteil im Wege der Aufhebung anzuordnen.

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