OGH 10Os74/80 (10Os75/80)

OGH10Os74/80 (10Os75/80)10.6.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bart als Schriftführer in den Strafsachen gegen Peter A wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Stockerau vom 29. April 1977, GZ U 1000/76-9, und vom 10. November 1978, GZ U 365/78-6, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch die angefochtenen Urteile des Bezirksgerichtes Stockerau ist insoweit, als Peter A damit schuldig erkannt wurde, das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB auch in nachgenannten Zeiträumen begangen zu haben, das Gesetz wie folgt verletzt worden:

1. im Urteil vom 29. April 1977, GZ U 1000/76-9, in bezug auf die Zeit a) vom 16. Februar 1971 bis zum 19. März 1971

Text

Gründe:

Mit den Urteilen des Bezirksgerichtes Stockerau vom 29. April 1977, GZ U 1000/76-9, und vom 10. November 1978, GZ U 365/78-6, wurde Peter A jeweils des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil er in Stockerau seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinem ehelichen Kind Gerhard A, geboren am 11. September 1970, gröblich verletzt und dadurch bewirkt habe, daß der Unterhalt des Kindes gefährdet war oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre; als Tatzeitraum wird vom erstbezeichneten Urteil die Zeit vom 20. Dezember 1970 'bis zum Zeitpunkt der Urteilsfällung', also bis zum 29. April 1977, und vom zweitgenannten Urteil jene vom 29. April 1977 bis zum 17. August 1978 erfaßt.

Mit Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 29. August 1977, AZ 9 b Bl 11/77 (GZ U 1000/76- 16), wurde die vom Angeklagten gegen das Urteil vom 29. April 1977 erhobene Berufung wegen Nichtigkeit zurückgewiesen und seiner Berufung wegen Schuld und Strafe nicht Folge gegeben; das Urteil vom 10. November 1978 ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

Rechtliche Beurteilung

Beide Urteile des Bezirksgerichtes Stockerau stehen teilweise mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1. Zum Urteil vom 29. April 1977, GZ U 1000/76-9.

a) Soweit das damit abgeurteilte Tatverhalten des Peter A in der Zeit vom 16. Februar 1971 bis zum 19. März 1971 gesetzt wurde, war es bereits Gegenstand eines beim Bezirksgericht Stockerau unter dem AZ U 207/71 durchgeführten Strafverfahrens gewesen, in dem der Genannte mit Urteil vom 8. Oktober 1971, ON 18, der 'in der Zeit vor dem 20. März 1971' begangenen Übertretung nach § 2 UschG 1960 schuldig erkannt worden war; jenes (gleichfalls rechtskräftig gewordene) Urteil erfaßte nach Inhalt der Entscheidungsgründe auch die Nichtleistung eines ausreichenden Naturalunterhalts an den am 11. September 1970 geborenen Gerhard A, der sich in dem Zeitraum vom 16. Februar 1971 bis zum 19. März 1971 in Pflege und Erziehung des Beschuldigten (und seiner Gattin) befunden hatte. Dessen neuerliche Verurteilung wegen dieses Tatverhaltens verstieß daher gegen den aus den Bestimmungen des XX. Hauptstückes der StPO (über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens) - wonach ein neues Verfahren wegen einer bereits abgeurteilten Tat nur unter taxativ aufgezählten Bedingungen und Förmlichkeiten abgeführt werden darf - erhellenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft ('res iudicata', 'ne bis in idem').

b) Peter A hatte sich außerdem - wie aus den Akten U 207/71 des Bezirksgerichtes Stockerau (S 79, 81), 12 a E Vr 448/71 des Kreisgerichtes Korneuburg (S 87, 93), 2 a Vr 2466/72 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (S 229, 229 a, 353) und 12 a E Vr 763/74 des Kreisgerichtes Korneuburg (S 51, 53 in Verbindung mit einem dort in Ablichtung angeschlossenen Amtsvermerk der Generalprokuratur vom 29. April 1980, AZ Gw 58, 59/80) hervorgeht - innerhalb des vom 20. Dezember 1970 bis zum 29. April 1977 reichenden Tatzeitraums in der Zeit vom 17. März 1972 bis zum 29. März 1974 und vom 24. Mai 1976 bis zum 20. Juli 1976 in Haft befunden. In bezug auf diese Zeiträume war der Schuldspruch nach dem Gesetz verfehlt, weil dem Beschuldigten insoweit wegen seiner haftbedingten Einkommenslosigkeit eine gröbliche Verletzung seiner Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB nicht angelastet werden kann (vgl. ÖJZ-LSK 1979/169).

Dasselbe gilt für die Dauer von etwa einem Monat ab seiner Entlassung aus längerem - für den Betroffenen erfahrungsgemäß in aller Regel mit einem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenem - Haftvollzug am 29. März 1974, für die ihm eine (die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht hindernde) Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit durch die Notwendigkeit zur Suche einer geeigneten Verdienstmöglichkeit zuzubilligen ist (ÖJZ-LSK 1979/311; Leukauf-Steininger, StGB2, RN 29 zu § 198).

Trotz dem die chronologische Kontinuität seines deliktischen Verhaltens unterbrechenden Entfall der Tatbestandsmäßigkeit der ihm vorgeworfenen Nichtleistung von Unterhalt in den vorerwähnten Zeiträumen kommt dem Beschuldigten aber - wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei - eine Verjährung der Strafbarkeit (§ 57 Abs. 2 StGB) in Ansehung des jeweils vor diesen Unterbrechungen (also in der Zeit vom 20. Dezember 1970 bis zum 15. Februar 1971 und vom 20. März 1971 bis zum 16. März 1972) gesetzten Tatverhaltens ungeachtet dessen nicht in Betracht, daß letzteres zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens im Jänner 1977 (S 4) bereits länger als ein Jahr zurücklag. Denn im Hinblick auf seine im Urteil ersichtlich als erwiesen angenommene Absicht, für das unterhaltsberechtigte Kind grundsätzlich keinerlei Unterhalt zu leisten (S 29), sind alle darauf beruhenden, gegen dasselbe Tatobjekt gerichteten und trotz der in Rede stehenden Intervalle noch in einem erkennbaren zeitlichen sowie - bezogen auf den ihnen zugrunde liegenden einheitlichen Willensentschluß - logischen Zusammenhang stehenden derartigen Unterlassungen nur als Teile einer rechtlichen Verhaltenseinheit und damit insgesamt als 'fortgesetztes Delikt' zu beurteilen, bei dem die aufgezeigten Unterbrechungen nicht zu einem 'Aufhören des mit Strafe bedrohten Verhaltens' (§ 57 Abs. 2 zweiter Satz StGB) geführt haben und demzufolge die Verjährungsfrist (§ 57 Abs. 3 letzter Fall StGB) noch nicht zu laufen begonnen hatte (EvBl. 1973/97, SSt. 35/29 u. a.).

c) Bei der Hauptverhandlung am 29. April 1977 beantragte der Bezirksanwalt im Schlußvortrag (§ 457 StPO) 'wie schriftlich' (S 25). Der betreffende schriftliche Antrag auf Bestrafung des Peter A wegen des Vergehens nach § 198 Abs. 1 StGB (§ 451 Abs. 1 StPO) war am 22. Februar 1977 gestellt worden (S 5); er konnte sich denknotwendig nicht auf zukünftige Ereignisse, sondern nur auf ein Verhalten des Beschuldigten bis zu jenem Tag erstrecken (vgl. EvBl. 1969/134, 12 Os 101/77 u. a.). Eine Ausdehnung der Anklage auf ein Tatverhalten bis zum Tag der Hauptverhandlung ist demnach (teilweise anders als in dem der E. EvBl. 1979/211 zugrunde gelegenen Fall, in dem im Schlußvortrag immerhin 'die Anwendung des Gesetzes' (§ 457 StPO) beantragt worden war - durch die bloße Bezugnahme auf den schriftlichen Strafantrag (wie auch sonst) nicht erfolgt. Soweit der Schuldspruch die Nichtleistung von Unterhalt durch den Beschuldigten in der Zeit vom 23. Februar 1977 bis zum 29. April 1977 erfaßt, hat das Gericht folglich die Anklage überschritten (§§ 468 Abs. 1 Z 4, 281 Abs. 1 Z 8 StPO) und damit das Gesetz im § 267 (§ 447 Abs. 1) StPO - nicht aber auch (unmittelbar) im § 2 (Abs. 1) StPO, der (nur) das Anklageprinzip als solches, also die Unzulässigkeit gerichtlicher Verfolgung wegen einer bestimmten Tat überhaupt ohne einen darauf abzielenden (im gegebenen Fall ohnedies gestellten) Antrag eines Anklägers, normiert, jedoch nicht die (eben im § 267 StPO geregelte, hier aktuelle) Reichweite einer Anklage betrifft - verletzt, nach dem es an die Anträge des Anklägers insoweit gebunden war, als es den Beschuldigten nicht wegen einer Tat verurteilen durfte, auf welche die Anklage weder ursprünglich gerichtet noch während der Hauptverhandlung ausgedehnt worden war.

2. Zum Urteil vom 10. November 1978, GZ U 365/78-6. In dem vom 29. April 1977 bis zum 17. August 1978

reichenden Tatzeitraum hatte sich der Bechuldigte - dem im Akt erliegenden, bereits erwähnten Amtsvermerk der Generalprokuratur vom 29. April 1980 zufolge - in der Zeit vom 30. Oktober 1977 bis zum 23. November 1977 in Haft befunden.

Nach dem oben unter 1. b Gesagten verstieß daher der Schuldspruch in

bezug auf diesen Zeitraum gleichfalls gegen § 198 Abs. 1 StGB.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und gemäß § 292 letzter Satz StPO (wie im Tenor ersichtlich) durch Teilfreispruch (nach Aufhebung der gesetzwidrigen Teile der Schuldsprüche und der Strafaussprüche sowie aller darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen) mit sohin folgender Strafenneubemessung zu beheben. Der auch in Ansehung der Anklageüberschreitung (oben 1. c) nach dem klaren Wortlaut der Z 3 ('in allen anderen Fällen') des (sämtliche Nichtigkeitsgründe taxativ erfassenden) § 288 Abs. 2 StPO - die auch für diesen Fall eine reformatorische Entscheidung verlangt und eben deshalb anordnet, daß jener die in erster Instanz ohne Überschreitung der Anklage festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen sind (vgl. dagegen EvBl. 1979/211) -

gebotene (Teil-) Freispruch hatte in sinngemäßer Anwendung des (wegen des Fehlens einer Anklage nicht unmittelbar anwendbaren) § 259 StPO und des (nur im geschwornengerichtlichen Rechtsmittelverfahren bei einer Anklageüberschreitung ausdrücklich einen Freispruch vorsehenden) § 349 Abs. 1

StPO 'mangels Anklage' zu erfolgen (EvBl. 1979/217). Auf Grund der in den angefochtenen Urteilen im wesentlichen zutreffend festgehaltenen Strafzumessungsgründe und unter Bedacht darauf, daß nunmehr zum Urteil vom 29. April 1977 doch nur ein um rund zweieinhalb Jahre, also nicht unerheblich kürzerer Tatzeitraum anzunehmen ist, wogegen der Verkürzung des Tatzeitraums zum Urteil vom 10. November 1978

um nicht einmal ein Monat für die Strafzumessung keine ins Gewicht fallende Bedeutung zukommt, erscheinen die verhängten Freiheitsstrafen in der im Spruch bezeichneten (nur im Vergleich zum erstangeführten Urteil reduzierten) Höhe als der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Peter A (§ 32 StGB) angemessen.

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