OGH 7Ob54/79

OGH7Ob54/7922.11.1979

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Wurz und Dr. Jensik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael K*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Gerald Meyer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 159.772 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. September 1979, GZ 1 R 116/79-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 4. April 1979, GZ 28 Cg 651/77-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 5.580,24 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 960 S Barauslagen und 342,24 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 24. Februar 1977 brannte der dem Kläger gehörige Pkw Lancia Beta 1600 Coupé in der CSSR aus. Deckungspflicht vorausgesetzt, hätte die Beklagte dem Kläger hiefür aus einer bestehenden Kaskoversicherung 159.772 S zu zahlen. Diesem Anspruch setzt sie den Einwand grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger entgegen.

Die Untergerichte haben dem Klagebegehren stattgegeben, wobei sie von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgegangen sind:

Am 23. Februar 1977 erlitt der Pkw des Klägers in Prag beim Überfahren eines etwa 30 m hohen Straßenbahndamms eine Beschädigung. Diese bewirkte, dass der Kläger das Getriebe nicht mehr schalten konnte. Er versuchte, eine Reparatur zu ermöglichen, doch blieb dieses Bemühen erfolglos, weil in der CSSR keine Ersatzteile zu finden waren. Auf Rat eines Berufskollegen wollte er sich hierauf anschleppen lassen, damit er den Wagen, der auch ohne Betätigung der Kupplung bei 3.500 Umdrehungen pro Minute zu schalten gewesen wäre, aus eigener Kraft nach Österreich fahren könne. Der Kläger und sein Bekannter stellten fest, bei welcher Geschwindigkeit der Motor üblicherweise ansprang. Der Bekannte des Klägers, H*****, sollte mit seinem Wagen den Wagen des Klägers jeweils bis zum Anspringen anschleppen. Meist sprang der Motor bei einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h wieder an. Am 24. Februar 1977 fuhren der Kläger und H***** von Prag weg, wobei der Wagen des Klägers von H*****s Wagen gezogen wurde, dadurch wurde ersterer angestartet und konnte mit eigener Motorkraft im zweiten Gang weiterfahren. Bis zur Unfallstelle, die etwa 100 km von Prag entfernt war, starb der Motor mehrmals ab. Jedes Mal wurde er auf die oben geschilderte Art wieder in Gang gesetzt, wobei zwischen H***** und dem Kläger abgesprochen war, dass nicht schneller als 50 bis 60 km/h gefahren werden solle. Wenn der Motor ansprang, signalisierte dies der Kläger durch das Fernlicht, damit H***** stehen bleibe, um die Schleppverbindung zu lösen. Als der Wagen des Klägers wieder einmal durch eine Linkskurve geschleppt wurde, brach er plötzlich nach rechts aus, weil der Motor mit einem Ruck angesprungen war. Daraufhin stieß der Wagen gegen die rechte Leitplanke, wobei das Schleppseil abriss. Der Kläger obwohl angegurtet, rutschte hiedurch nach rechts und verriss dabei automatisch den Wagen nach links, sodass dieser auch gegen die linke Leitplanke stieß. Durch die Gegenlenkung stieß er hierauf gegen einen auf der rechten Fahrbahnseite befindlichen steinernen Brückenpfeiler. Hiebei starb der Motor ab. Der Kläger schaltete die Zündung aus und nahm den Gang heraus. Da es nicht möglich war, den Wagen durch Schieben vom Brückenpfeiler wegzubekommen, legte der Kläger den Rückwärtsgang ein und startete kurz. Der Wagen bewegte sich darauf einen halben Meter rückwärts. Plötzlich stieg aus der Motorhaube schwarzer Rauch. Da die Motorhaube durch den Anstoß verklemmt war, konnte sie nicht geöffnet werden. Dies erschwerte Löschversuche derart, dass ein Löschen erst nach Ausbrennen des Wagens möglich war. Rechtlich vertraten die Untergerichte den Standpunkt, grobe Fahrlässigkeit iSd § 61 VersVG setzte eine solche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt voraus, die sich aus der Vielzahl der auch für den Sorgfältigsten nicht ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit hervorhebe. Die Sorgfaltsverletzung müsse sich daher erheblich und ungewöhnlich vom Regelfall abheben, sodass der Schade als wahrscheinlich voraussehbar und der Sorgfaltsverstoß bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch subjektiv besonders schwer vorzuwerfen sei. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne dieser Bestimmung setze somit ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wusste oder wissen musste, dass es geeignet sei, den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern. Das festgestellte Verhalten des Klägers könne nicht als grob fahrlässig im Sinne der aufgezeigten Grundsätze beurteilt werden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte bringt nichts gegen die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts über das Wesen der groben Fahrlässigkeit iSd § 61 VersVG vor. Demnach kann auf diese Ausführungen verwiesen werden.

Richtig hat das Berufungsgericht auch das Verhalten des Klägers als nicht grob fahrlässig im Sinne seiner Ausführungen qualifiziert. Der Revision sei zwar zugebilligt, dass eine Reihe jeweils für sich allein nicht grob fahrlässiger Fehlhandlungen in ihrer Gesamtheit grobe Fahrlässigkeit begründen können. Voraussetzung hiefür ist aber, dass sie in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigende Sorglosigkeit anzusehen sind.

Im vorliegenden Fall muss davon ausgegangen werden, dass der Abschleppvorgang ausschließlich durch die in Prag erfolgte Beschädigung notwendig geworden ist. Das Ausbrennen des Wagens war aber nicht auf das Abschleppen als solches zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass der Wagen vom Kläger gegen einen Brückenpfeiler gelenkt worden war und dass der Kläger in der Folge versucht hatte, durch eine objektiv vielleicht nicht zweckmäßige Handlung die Beweglichkeit des Wagens wiederherzustellen. Rückblickend mag der Versuch, mit dem Wagen durch Anschleppen über die Grenze zu gelangen, nicht zweckmäßig erscheinen, doch darf nicht übersehen werden, dass sich der Kläger durch das Schadensereignis im Ausland und die Tatsache, dass eine geeignete Reparatur dort ausgeschlossen erschien, in einer Zwangslage befand. Sein auf den Rat seines Bekannten hin gefasster Entschluss, nunmehr zu versuchen, den Wagen mittels Anschleppens über die Grenze zu bringen, kann daher für sich allein keinesfalls eine grob fahrlässige Fehlleistung darstellen. Dies trifft auch in Verbindung mit den späteren Ereignissen nicht zu, weil die in Frage stehende Art der Beförderung des Wagens mit dem Schadensereignis nicht direkt zusammenhängt. Letzteres ist auf eine Fehlreaktion des Klägers zurückzuführen, wie sie im Straßenverkehr immer wieder vorkommt. Derartige Fehlreaktionen begründen allerdings eine Fahrlässigkeit, doch kann diese nicht als grobes Verschulden qualifiziert werden.

Letztes auslösendes Moment für den Brand war aber das Anstarten, um den Wagen frei zu bekommen. Mag sein, dass ein Techniker in einem solchen Falle die Brandgefahr erkennen kann, für einen Laien ist dies jedoch nicht ohne weiteres einsichtig. Dieser wird vielmehr eher von der Annahme ausgehen können, dass das neuerliche Anstarten vielleicht dem Motor schaden könnte, nicht aber wird er mit dem Ausbruch eines Brandes rechnen müssen. Sohin kann in der letzten zum Schadensereignis führenden Handlung des Klägers eine Fahrlässigkeit überhaupt nicht erblickt werden. Diese Handlung kann daher schon deshalb vorangegangene Fahrlässigkeiten, von denen jede für sich allein nur als leicht zu werten ist, in ihrer Gesamtheit nicht zu einer groben Fahrlässigkeit werden lassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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