Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in dem zum Punkt II./A./
erfolgten Freispruch der Angeklagten Rudolf A und Robert B vom Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB und in dem zum Punkt II./B./ erfolgten Freispruch des Angeklagten Rudolf A vom Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach dem § 209 StGB für die Zeit vom 28.10.1976 bis Oktober 1977 sowie demgemäß auch in dem den Angeklagten Rudolf A betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfange der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 4.5.1958
geborene Vertragsbedienstete (der Post) Rudolf A des Vergehens des Diebstahls (von Damenunterwäsche) nach § 127 Abs. 1 StGB (teils als Beteiligter nach § 12 StGB) -
schuldig erkannt (Punkte I./l./ und 2./ des Urteilssatzes). Von weiteren Diebstahlsvorwürfen wurde er (rechtskräftig) freigesprochen (Punkte II./ C./l./ und 2./ des Urteilssatzes). Schließlich wurden er und der am 8.12.1959 geborene Lehrling Robert B gemäß § 259 Z 3 StPO auch von der wider sie erhobenen Anklage, es hätten in Unken (Salzburg) A./ den am 27.10.1962 geborenen unmündigen Markus Anton C auf eine andere Weise als durch Beischlaf dadurch zur Unzucht mißbraucht, daß sie wiederholt in Abständen von 14 Tagen wechselseitig mit C onanierten, und zwar:
1./ Rudolf A in der Zeit von Sommer 1973
bis 26.10.1976, 2./ Robert B in der Zeit ab 8.12.1973
bis 27.10.l976;
B./ Rudolf A in der Zeit ab 4.5.1976 bis Oktober 1977 als eine Person männlichen Geschlechtes nach Vollendung des 18. Lebensjahres mit einer jugendlichen Person, nämlich dem am 27.10.1962 geborenen Markus Anton C, dadurch gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, daß er mit ihm wiederholt in Abständen von 14 Tagen gegenseitig onanierte, und sie hätten hiedurch das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, Rudolf A auch jenes der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach § 209 StGB begangen, losgezählt (Punkte II./ A./ und B./ des Urteilssatzes).
Zu den letzterwähnten - die Delikte nach § 207 Abs. 1 und 209 StGB betreffenden - Freisprüchen stellte das Erstgericht (kurz zusammengefaßt wiedergegeben) fest, daß die miteinander befreundeten Angeklagten schon zu einer Zeit, als sie beide noch strafunmündig waren, mit sexuellen Spielereien begannen, die sie - in Form wechselseitiger Handonanie - in regelmäßigen Zeitabständen auch nach Erreichen der Strafmündigkeit fortsetzten. Ab Sommer 1973 gewannen sie auch den am 27.10.1962 geborenen, gleichfalls in der Nachbarschaft wohnenden Markus C für eine Beteiligung an den Unzuchtshandlungen, die sodann auf die beschriebene Weise (gegenseitige Handonanie) in unregelmäßigen Abständen teils zu dritt, teils (in wechselnden Kombinationen) aber auch nur zu zweit bis zum Sommer 1977 (zu welcher Zeit sich B, der eine Freundin gefunden hatte, zurückzog) erfolgten. A und C trieben die gleichgeschlechtliche Unzucht darüber hinaus noch bis zum Oktober 1977.
Den beiden Angeklagten war das Alter des Markus C bekannt. Sie wußten aber nicht, daß ihre Handlungsweise gegen ein Strafgesetz verstoße (S. 108). Nicht einmal die Möglichkeit der Strafbarkeit ihres Verhaltens wurde von ihnen eingesehen oder in Kauf genommen (S. 110).
Aus diesem Grund nahm das Erstgericht an, daß die Angeklagten in einem Rechtsirrtum über die Strafbarkeit ihres Verhaltens befangen waren, wobei ihnen dieser Irrtum nach Lage des Falles auch nicht im Sinne des § 9 Abs. 2 StGB vorgeworfen werden könne, weil sie mit den erwähnten Sexualpraktiken bereits im strafunmündigen Alter begannen, diese später nur in gewohnter Weise fortsetzten, ohne einen Anlaß zu haben, das Strafbare dieser Handlungsweise neuerdings in ihre überlegungen einzubeziehen, weil für sie weiters keine besonderen Erkundigungspflichten bestanden hätten, und weil schließlich fraglich sei, ob sie selbst im Falle einer Erkundigung eine richtige und umfassende Auskunft über die schwierige, keineswegs Allgemeinwissen darstellende und selbst für erfahrene Juristen nicht leicht zu bewältigende Materie des Sexualstrafrechts erhalten hätten.
Die Staatsanwaltschaft bekämpft mit Nichtigkeitsbeschwerde lediglich die (zu den Punkten II./A./ und B./ des Urteilssatzes erfolgten) Freisprüche von den Verbrechen nach den § 207 Abs. 1 und 209 StGB, wobei sie sich unter Anrufung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO dagegen wendet, daß den Angeklagten insoweit ein (nicht vorwerfbarer) Rechtsirrtum zugebilligt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt. Zur Annahme eines Rechtsirrtums im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB genügt nicht, daß der Täter die Tat irrig für nicht strafbar hält; denn es ist das Bewußtsein der Strafbarkeit keine Voraussetzung für die Bestrafung des Täters (vgl. Kienapfel, Unrechtsbewußtsein und Verbotsirrtum, ÖJZ 1976, 113 und 114; ÖJZ-LSK 1978/345). Nicht schuldhaft handelt nach der zitierten Gesetzesstelle ein Täter vielmehr nur dann, wenn ihm der (nicht vorwerfbare) Rechtsirrtum das Unrecht der Tat verhüllt. Weiß er hingegen auch nur ganz allgemein um das rechtliche Verbotensein eines Verhaltens oder hat er sogar, wenn auch bloß unsichere, Vorstellungen vom Unrecht seiner Tat (also ohne genau zu wissen, ob sie noch Recht oder bereits Unrecht ist), und handelt er trotzdem - die bloße Möglichkeit, Unrecht zu tun, bedenkend und sich damit abfindend -
mit bedingtem Unrechtsbewußtsein, dann liegt kein Rechtsirrtum vor (Kienapfel a.a.O. 116, ÖJZ-LSK 1976/261 u.a.).
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht lediglich festgestellt, daß die Angeklagten über die Strafbarkeit ihres (unzüchtigen) Verhaltens irrten. Ob sie auch das Unrecht ihrer Taten irrig nicht erkannten, ist dem angefochtenen Urteil hingegen nicht zu entnehmen, sodaß es diesbezüglich mit einem Feststellungsmangel im Sinne der Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO behaftet ist.
Insoferne jedoch die Staatsanwaltschaft in der Beschwerde die Behebung des wegen des Verbrechens nach § 209
StGB hinsichtlich Rudolf A ergangenen Freispruches auch bezüglich der Zeit vom 4.5.1976 bis 27.10.1976
anstrebt, war ihr jedoch ein Erfolg zu versagen, weil der am 27.10.1962 geborene Markus C während dieses Tatzeitraumes noch nicht Jugendlicher im Sinn der bezogenen Gesetzesstelle war, weshalb diese auf das von diesem Angeklagten in der fraglichen Zeit ihm gegenüber gesetzte Verhalten nicht anwendbar ist. Es war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu erkennen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht sohin zu klären und (entsprechend begründete) Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Angeklagten (auch wenn sie die in Rede stehenden Taten irrig für straflos hielten) nicht wenigstens ganz allgemein um das rechtliche Verbotensein ihres Verhaltens wußten oder dasselbe doch in Kauf nahmen. Hiebei wird vom Gericht zu beachten sein, daß das (bloße) Bewußtsein der Unmoral ihres Tuns das vom Gesetz geforderte Unrechtsbewußtsein nicht ersetzt. Mit letzterem zu handeln heißt nämlich erkennen, daß mit der Tat wegen eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung Unrecht verwirklicht wird.
Sollte das Gericht nach einer Prüfung des Sachverhaltes in dieser Richtung zur Annahme gelangen, daß die Angeklagten wegen eines Rechtsirrtums nicht nur die Strafbarkeit, sondern darüber hinaus auch das Unrecht der in Rede stehenden Taten nicht erkannten, wird es im Sinne des Abs. 2 des § 9 StGB auch die Frage der Vorwerfbarkeit eines solchen Irrtums erörtern müssen. Dabei wird von ihm einerseits davon auszugehen sein, daß die strafrechtlichen Verbote des geschlechtlichen Umganges mit unmündigen Personen und der gleichgeschlechtlichen Unzucht (von Personen über achtzehn Jahren) mit Jugendlichen sowie der Unwertcharakter einer solchen Handlungsweise in Österreich allgemein einsichtig und solcherart Bestandteil des allgemeinen Rechtsbewußtseins sind (vgl. EvBl. 1976/185), weshalb ein Irrtum hierüber in der Regel nicht zu entschuldigen vermag.
Andererseits wird es aber auch nicht übersehen dürfen, daß Jugendliche - von den Fällen der verzögerten Reife nach § 10 JGG abgesehen, die schon wegen des damit verbundenen Mangels an Schuldfähigkeit Straflosigkeit bewirken (Kienapfel a.a.O. 121) - mitunter auf Grund besonderer, von ihnen nicht zu vertretender Verhältnisse, insbesondere am Beginn des Alters der sogenannten problematischen Reife vor allem in Beziehung auf das Geschlechtsleben doch nicht jenes Wissen von der sozialen Untragbarkeit (und damit strafrechtlichen Relevanz) eines von ihnen gesetzten, von der Norm abweichenden Verhaltens besitzen, wie es sozial voll integrierten Personen auf Grund der von ihnen im Alltag gewonnenen Einsicht eigen ist. In dem durch Unsicherheit im sozialen Bereich geprägten Pubertätsalter wird ihnen nämlich der Mangel von zutreffenden Wertvorstellungen insbesondere auf sexuellem Gebiet dann nicht zum Vorwurf gemacht werden können, wenn sie solche vor der Tat (mangels entsprechender Aufklärung durch Dritte) nicht vermittelt erhielten und (wegen ihrer beschränkten intellektuellen Begabung) in diesem problematischen Alter nicht aus Eigenem erarbeiten konnten. Wohl aber werden sie für das Fehlen derselben einzustehen haben, wenn sie nach Abschluß des (individuell gestalteten) Reifungsprozesses, in dem sie nach und nach das nötige Verständnis für die herrschende Wertordnung erlangt haben, nicht für die Beseitigung allfälliger bei ihnen diesbezüglich - unter Umständen schon durch das Gefühl, unmoralisch zu handeln - entstandener Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens im Rahmen des ihnen Zumutbaren Vorsorge trugen.
Aus diesem Grund wird sich eine differenzierte Betrachtung der Frage der Vorwerfbarkeit eines allfälligen Irrtums während der Tatzeit hinsichtlich der beiden Angeklagten als notwendig erweisen. Da die Staatsanwaltschaft die hinsichtlich des Angeklagten A angemeldete Berufung weder ausgeführt noch anläßlich der Anmeldung dieses Rechtsmittels die Punkte des Erkenntnisses bezeichnet hat, durch welche sie sich beschwert erachtet, war die von ihr erhobene Berufung gemäß § 294 Abs. 2 StPO zurückzuweisen.
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