OGH 7Ob580/78

OGH7Ob580/7811.5.1978

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick, Dr. Kuderna, Dr. Wurz und Dr. Winklbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard W*****, vertreten durch Dr. Richard Larcher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 40.000 S s. A. und Feststellung (Gesamtstreitwert 60.000 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 9. Februar 1978, GZ 2 R 15/78-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. November 1977, GZ 6 Cg 619/76-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 3.720,72 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.200 S Barauslagen und 186,72 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte, seine Ehegattin, der Kläger und eine Bekannte des Klägers unternahmen am 31. 8. 1976 gemeinsam eine Bergtour im Gebiet der Seegrubenspitze. Es handelt sich hiebei um eine relativ leichte Route des Schwierigkeitsgrades I plus. Der Beklagte ging voran, hinter ihm seine Ehegattin, dann der Kläger und den Abschluss bildete die Bekannte des Klägers. Nachdem die Gesellschaft zuerst eng aufgeschlossen gegangen war, verlor die Bekannte des Klägers den Abschluss, weshalb sich der Kläger nach ihr umsah und hiebei seine Schritte verlangsamte. Hiedurch wurde sein Abstand zum Beklagten auf 4 bis 5 m erweitert. Als er sich wieder umdrehte, rollte und flog ein vom Beklagten losgetretener Stein auf ihn zu. In der Meinung, er könne diesem Stein nicht mehr ausweichen, versuchte der Kläger ihn mit der Hand abzuwehren, wobei er an der Hand erhebliche Verletzungen erlitt. Infolge des zu geringen Abstandes zu dem fallenden Stein hätte auch ein Warnungsruf des Beklagten den Unfall nicht verhindern können. Dem Beklagten war es nicht zumutbar, sich immer wieder umzudrehen, um festzustellen, ob die nachfolgenden Personen größere Abstände zu ihm hielten. Auch für einen erfahrenen Bergsteiger ist es nicht möglich und nicht zumutbar, so vorsichtig zu gehen, dass er auf schottrigem oder felsigem Gelände nicht zurückrutscht und keinen Stein lostritt. Das Lostreten eines Steines kommt beim Aufwärtsgehen in schottrigem und brüchigem Felsgelände immer wieder vor. Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 40.000 S und Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden gerichtete Schadenersatzbegehren mit der Begründung ab, dem Beklagten sei nicht die Funktion eines Führers der Gruppe zugekommen. Er habe aus diesem Grund keine besonderen Obsorgepflichten gegenüber seinen Begleitern gehabt. Die durch das Gehen des Beklagten hervorgerufene Gefahr sei eine solche, die mit den Risiken des Bergsteigens üblicherweise verbunden ist. Ein Verschulden könne dem Beklagten nicht angelastet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes, wobei es aussprach, dass der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S übersteigt. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dessen Feststellungen es in dem oben wiedergegebenen Umfang übernahm. Wesentliche Bedeutung maß es der Frage bei, ob der größere Abstand des Klägers zum Beklagten schon längere Zeit bestanden habe. Da das Verfahren ergeben habe, dass dies nicht der Fall gewesen sei, könne dem Kläger ein Vorwurf aus dem Nichterkennen dieses Abstandes nicht gemacht werden.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erblickt die Revision darin, dass das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von einer kurzen Dauer des vergrößerten Abstandes zwischen den Streitteilen ausgegangen sei. Derartiges könne den Feststellungen des Erstgerichtes nicht entnommen werden, weshalb die diesbezüglichen "Feststellungen" des Berufungsgerichtes ohne Beweiswiederholung nicht hätten getroffen werden dürfen.

Bei diesen Ausführungen übersieht aber der Kläger, dass nach den Feststellungen des Erstgerichtes die Abstände zwischen den einzelnen Personen 1 bis 1 1/2 m betrugen. Sie vergrößerten sich, weil der Kläger schaute, ob seine Begleiterin nachkommen würde. Hiebei wurde er langsamer. Bereits als er nach dem Umschauen weitergehen wollte, kam von oben der Stein. Diese Feststellungen lassen einwandfrei erkennen, dass auch nach Auffassung des Erstgerichtes die Vergrößerung des Abstandes nur durch das Umschauen des Klägers entstanden ist. Da der Kläger hiebei nicht angehalten, sondern nur seine Schritte verlangsamt hat, kann der größere Abstand nur in einem ganz kurzen Zeitraum entstanden sein. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes stellen daher nur eine zwingende Schlussfolgerung aus den Feststellungen des Erstgerichtes dar, weshalb die Nichtdurchführung einer Beweiswiederholung zu diesem Zweck keinen Verfahrensmangel bildet. Die Frage, ob vor Übernahme der erstgerichtlichen Feststellungen weitere Kontrollbeweise aufzunehmen gewesen wären, fällt in das Gebiet der Tatsachenfeststellung und ist daher für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist daher nicht gegeben.

In der Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, der Beklagte sei faktisch Führer der Gruppe gewesen. Woraus diese Ansicht abgeleitet wird, ist unerfindlich. Offenbar vertritt der Kläger diesen Standpunkt nur im Hinblick auf die Tatsache, dass der Beklagte die Spitze der Gruppe bildet. Daraus kann jedoch keineswegs geschlossen werden, dass dem Beklagen die Eigenschaft eines Führers zugekommen wäre. Im Übrigen ist eine übertriebene Sorgfaltspflicht dem Bergsteigen nicht nur wesensfremd, sie widerspricht auch den Erfahrungen des täglichen Lebens und geht weit über die Maßnahmen, die ein pflichtbewußter Bergsteiger zur Anwendung von Gefahren trifft, hinaus (Hörburger, in ÖJZ 1971, 59). Bei Berücksichtigung der beim Bergsteigen notwendigen Eigenverantwortlichkeit kann bei einem Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Mehrgeübte oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden, weil er die Führung übernommen, das Unternehmen geplant oder die Route ausfindig gemacht hat; auch nicht eine Person, die innerhalb einer Gruppe hinsichtlich des Betretens von gefährlichem Gelände eine deutlich erkennbare Initiative entwickelt. Die Rechtslage wäre nur anders, wenn jemand die Führung aus Gefälligkeit übernimmt, den Routenverlauf kennt und die erst später auftretenden, für seine unerfahrenen Begleiter vorher nicht erkennbaren Gefahren und Schwierigkeiten verschweigt oder wenn jemand einen Bergunerfahrenen mit der Behauptung der Ungefährlichkeit zu einer schwierigen Bergfahrt überredet (Hörburger aaO, 58 f). Letzteres wurde nicht festgestellt. Vielmehr hat das Verfahren ergeben, dass sich die Streitteile und ihre weiblichen Begleiter gleichrangig zu der Bergfahrt zusammengefunden haben. Dass der Beklagte hiebei an der Spitze ging, machte ihn weder zum Führer der Gruppe noch verantwortlich für die übrigen Teilnehmer dieser Bergfahrt. Das Verhalten des Beklagten verstieß nach den getroffenen Feststellungen nicht gegen die bei Bergtouren einzuhaltenden üblichen Verhaltensregeln. Richtig haben die Untergerichte auch erkannt, dass von demjenigen, der an der Spitze einer Gruppe eine Bergtour unternimmt, nicht erwartet werden kann, dass er sich ständig nach seinen Begleitern umsieht. Vielmehr ist es Sache eines Begleiters, der den Anschluss verliert, seinen Vordermann durch Zuruf darauf aufmerksam zu machen. Dass im vorliegenden Fall das Verlieren des Anschlusses durch den Kläger schon so lange zurücklag, dass das Entstehen eines größeren Abstandes dem Beklagten hätte auffallen müssen, wurde nicht festgestellt. Richtig haben daher die Untergerichte erkannt, dass dem Kläger kein Verschulden an der Verletzung des Beklagten trifft.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, und 50 ZPO.

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