OGH 7Ob504/77

OGH7Ob504/773.2.1977

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Kfm. P*, Angestellter, *, vertreten durch Dr. Herbert Hochegger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma S*, Aktiengesellschaft *, *, vertreten durch Dr. Heinrich Siegl, Rechtsanwalt in Wien, als Kurator, wegen Löschung einer Eintragung im Handelsregister (Streitwert 120.000,-- S) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Dezember 1976, GZ 1 R 224/76‑14, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. Juli 1976, GZ 13 Cg 81/76‑10, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0070OB00504.77.0203.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, beim Handelsregister des Handelsgerichtes Wien zu HRB 8322 in beglaubigter Form zu unterfertigen, daß die Funktionsdauer des Klägers als Vorstand der Beklagten abgelaufen und der Kläger nicht mehr wiederbestellt worden sei, weshalb die Eintragung beantragt werde: „Dipl kfm. P* ist nicht mehr Vorstand“. Nach dem Klagsvorbringen sei der Kläger im Jahre 1962 zum alleinigen Vorstand der Beklagten bestellt worden, doch sei nach Ablauf der fünfjährigen Funktionsperiode keine neuerliche Bestellung erfolgt. Anläßlich einer Sitzung des Aufsichtsrates vom 18. Juli 1975 sei der Kläger für seine Tätigkeit als Vorstand entlastet und J* zum Vorstand bestellt worden. Trotz wiederholter Aufforderung habe es die Beklagte bisher unterlassen, den Kläger im Handelsregister als Vorstand löschen zu lassen. Der Kläger habe in der Sitzung des Aufsichtsrates vom 18. Juli 1975 seine Befugnisse zurückgelegt, was der Aufsichtsrat zur Kenntnis genommen habe.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, die Funktion des Klägers sei von ihm auch nach Ablauf der Funktionsperiode ausgeübt worden. Für den Kläger sei wohl vom Aufsichtsrat J* zum Vorstand bestellt worden, doch habe letzterer die Annahme dieser Funktion abgelehnt. Der Aufsichtsrat, der angeblich die Funktionsrücklegung des Klägers angenommen habe, sei amtswegig mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 23. Juni 1975 bestellt worden. Diese Bestellung sei jedoch rechtswidrig erfolgt, weshalb die vom Aufsichtsrat gesetzten Maßnahmen unwirksam seien. Im übrigen sei über den Antrag des Klägers im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden.

Das Erstgericht verwarf die Einreden der Unzulässigkeit des Rechtsweges und der sachlichen Unzuständigkeit und gab dem Klagebegehren statt. Es ging hiebei von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger ist sei 3. April 1962 als alleiniger Vorstand der Beklagten eingetragen. Eine Antragstellung auf Löschung dieser Eintragung im Register ist bisher nicht erfolgt.

Nach der Satzung der Beklagten besteht deren Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern. Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat bestellt.

Mit Eingabe vom 20. Juni 1975 teilte der Kläger, als einziges Vorstandsmitglied der Beklagten, dem Handelsgericht mit, daß zwei der bestellten Aufsichtsratmitglieder verstorben seien und das dritte erklärt habe, seine Funktion nicht mehr ausüben zu wollen. Er beantragte daher nach § 89 AktG die gerichtliche Bestellung dreier Aufsichtsratmitglieder, wobei er für diese Funktion Dr. H*, E* und L* vorschlug. Mit Beschluß vom 23. Juni 1975, 7 HRB 8322‑164, nahm das Handelsgericht die Bestellung der drei vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder nach § 89 AktG vor und forderte gleichzeitig den Kläger auf, die Neuwahl des Vorstandes durch die nächste Hauptversammlung zu veranlassen und dem Registergericht mitzuteilen, daß die Voraussetzungen für die amtswegige Bestellung weggefallen seien, sowie das Belegblatt der Wiener Zeitung über die Veröffentlichung des Ausscheidens der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder und über die amtswegige Bestellung der neuen Mitglieder vorzulegen.

Mit Eingabe vom 1. September 1975 legte der Kläger dem Handelsgericht Wien das geforderte Belegexemplar über das Ausscheiden der früheren und die Bestellung der nunmehrigen Aufsichtsratmitglieder vor. Gleichzeitig legte er ein Protokoll über die Aufsichtsratsitzung vom 18. Juli 1975 vor. Tatsächlich hat der Kläger, wie sich aus dem Protokoll ergibt, in dieser Aufsichtsratsitzung gegenüber den neu bestellten Aufsichtsräten seinen Rücktritt als Vorstand erklärt, welche Erklärung der nunmehrige Aufsichtsrat zur Kenntnis nahm. Weiter hat dieser Aufsichtsrat J* zum neuen Vorstand bestellt. J* beantwortete allerdings die Aufforderung des Handelsgerichtes, eine entsprechende Registerbereinigung vorzunehmen, dahin, daß er mit seiner Bestellung zum Vorstand nicht einverstanden gewesen sei und diese auch nicht akzeptiere.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, für die vorliegende Klage sein sowohl der streitige Rechtsweg zulässig als auch das angerufene Gericht zuständig.

Das Aktiengesetz regle zwar in § 75 nur die Beendigung der Funktion des Vorstandes durch Abberufung durch den Aufsichtsrat, doch bestehe kein Zweifel, daß eine Zurücklegung des Mandates durch den Vorstand und die Annahme dieser Erklärung durch den Aufsichtsrat einen in gleicher Weise relevanten und rechtlich wirksamen Vorgang zur Beendigung der Vorstandsfunktion darstelle. Der Kläger sei daher mit 18. Juli 1975 aus seiner Funktion als Vorstand der Beklagten wirksam ausgeschieden, weshalb sein Begehren gerechtfertigt sei. Für die bloße Behauptung, die Bestellung des neuen Aufsichtsrates durch das Gericht sei ohne rechtliche Grundlage erfolgt, habe die Beklagte keinerlei konkrete Tatsachen angeführt. Es könne daher nur vom Registerakt ausgegangen werden, demzufolge eine rechtswirksame Bestellung angenommen werden müsse.

Das Berufsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm zwar die erstrichterlichen Feststellungen und trat auch vollinhaltlich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes in den wesentlichen Punkten bei, doch führte es aus, die Bestellung eines Aufsichtsrates durch das Gericht könne den bestellten Mitgliedern gegenüber nur durch Zustellung des Gerichtsbeschlusses an sie wirksam erfolgen. Aus dem Registerakt ergebe sich eine solche Zustellung nicht. Wäre dieser Beschluß den Aufsichtsratsmitgliedern nicht zugestellt worden, so wäre ihre Bestellung nicht wirksam erfolgt, weshalb sie auch die Rücktrittserklärung des Klägers nicht entgegennehmen hätten können. Diesfalls wäre das Ausscheiden des Klägers als Vorstand unwirksam. Das Erstgericht müsse daher prüfen, ob dieser Beschluss den bestellten Aufsichtsratsmitgliedern zugestellt wurde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, sie aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Erstgerichtes aufzutragen. Hilfsweise beantragt der Kläger die Abänderung des angefochtenen Beschlusses in den Entscheidungsgründen dahin, daß dem Erstgericht aufgetragen werde, zu prüfen, ob und in welcher Form die Aufsichtsratsmitglieder von dem Bestellungsbeschluß Kenntnis erlangt haben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gerechtfertigt.

Grundsätzlich hat das Berufungsgericht mit Recht die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes in den wesentlichen Punkten gebilligt. Da von keiner der Parteien gegen diese zutreffende Rechtsansicht etwas vorgebracht wird, kann darauf verwiesen werden.

Das Berufungsgericht übersieht allerdings, daß von bestimmten, hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, im Zivilprozeß nicht der Grundsatz der Amtswegigkeit, sondern der der Parteienmaxime herrscht. Es ist daher nicht Sache des Gerichtes, Untersuchungen über Umstände anzustellen, die von den Parteien nie in Zweifel gezogen worden sind.

Fest steht, daß das Registergericht die vom Kläger vorgeschlagenen Personen beschlußmäßig zu Mitgliedern des Aufsichtsrates bestellt hat. Es ist zwar richtig, daß eine Zustellung dieses Beschlusses an die bestellten Aufsichtsratsmitglieder dem Registerakt nicht zu entnehmen ist. Ohne auf die Frage, inwieweit eine derartige Zustellung für die Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses erforderlich wäre, einzugehen, muß jedoch darauf verwiesen werden, daß Beschlüsse die nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sind, gemäß § 108 ZPO auch dann wirksam werden, wenn sie der Partei, für die sie bestimmt sind, zukommen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem im Registerakt erliegenden Protokoll über die Aufsichtsratsitzung vom 18. Juli 1975 zweifelsfrei, daß die drei vom Gericht bestellten Personen in der damaligen Aufsichtsratsitzung als Aufsichtsratsmitglieder eingeschritten sind, ohne einen Einwand bezüglich der Wirksamkeit ihrer Bestellung zu erheben. Daraus ist zwingend abzuleiten, daß ihnen ihre Bestellung als Mitglieder des Aufsichtsrates bekanntgeworden ist. Inwieweit dieses Bekanntwerden einer rechtswirksamen Zustellung gleichzusetzen ist, hat unerörtert zu bleiben, weil die Beklagte in keinem Stadium des Verfahrens die Mangelhaftigkeit der Bekanntgabe eingewendet hat. Vielmehr geht die Beklagte sowohl in der Klagebeantwortung als auch in der Berufung ausdrücklich davon aus, daß der vom Gericht bestellte Aufsichtsrat in der erwähnten Aufsichtsratsitzung als Aufsichtsrat tätig geworden ist. Die Beklagte bestreitet demnach nicht nur eine rechtswirksame Zustellung des Bestellungsbeschlusses an die Aufsichtsratsmitglieder nicht, sondern gesteht sie geradezu zu. Bestritten wird lediglich, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsrates vorgelegen wären.

Da demnach aus dem Registerakt die gerichtliche Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder zu entnehmen ist, aus der Tatsache des Einschreitens dieser Mitglieder bei der Aufsichtsratsitzung entnommen werden muß, daß ihnen die gerichtliche Bestellung zugekommen ist, und da ferner die Beklagte eine wirksame Zustellung nicht nur nicht bestreitet, sondern von ihr geradezu ausgeht, bedurfte es keiner weiteren Prüfung dieser Frage.

Der von Berufungsgericht angenommene Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens liegt demnach nicht vor. Die Sache ist vielmehr im Sinne einer Bestätigung des Urteiles des Erstgerichtes spruchreif, weshalb der Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Rechtssache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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