European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00071.75.0113.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, daß die abgewiesene (Rest-)Forderung des Klägers nur S 87.509,-- (und nicht S 87.869,--) samt 4 % Zinsen seit 1. April 1974 beträgt.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 3.824,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.200,-- Barauslagen und S 194,40 Umsatzsteuer) binnen14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 3. Oktober 1960 bei der Beklagten beschäftigt gewesen, und zwar zunächst in der zur Gänze der Beklagten gehörenden L* Gesellschaft m.b.H. (LA*) und daran anschließend seit 1. November 1969 im Bankgeschäft der Beklagten. Ende Dezember 1975 kündigte die Beklagte dieses Dienstverhältnis für den 31. März 1974 auf, weil sich der Kläger geweigert hatte, von der Geschäftsleitung angeordnete Überstunden zu leisten. Am späten Vormittag des 29. März 1974 – also am letzten Arbeitstag des Klägers, nachdem das Bankgeschäft der Beklagten am 30. März (Samstag) und 31. März (Sonntag) 1974 geschlossen war – sprach der Vorgesetzte des Klägers, Direktor * L*, die vorzeitige Entlassung des Klägers aus.
Mit der Behauptung, daß diese Entlassung ungerechtfertigt gewesen sei und die Beklagte überdies das Entlassungsrecht durch verspätete Geltendmachung verwirkt habe, verlangt der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten die ihm nach dem Kollektivvertrag bei mehr als zehnjähriger Dienstzeit gebührende Abfertigung von S 77.508,--, ferner eine Urlaubsentschädigung von S 10.001,-- und schließlich Fahrtauslagen von S 360,--, zusammen also S 87.869,-- samt Anhang.
Die Beklagte hat diese Beträge der Höhe nach außer Streit gestellt, im übrigen aber die Abweisung des Klagebegehrens beantragt. Anläßlich eines Gespräches im Büro Direktor L* habe der Kläger am 27. März 1974 den Obmann des Verbandsvorstandes der Beklagten, K*, als „Flasche“ bezeichnet und ihm Unregelmäßigkeiten sowohl bei der Beklagten selbst als auch bei der Firma P*, deren geschäftsführender Gesellschafter K* ist, vorgeworfen; dabei habe er eine Handbewegung gemacht, mit der gewöhnlich das Einstecken von Geld in die eigene Tasche angedeutet wird. Der davon in Kenntnis gesetzte Vorstand der Beklagten habe am 28. März 1974 beschlossen, dem Kläger am nächsten Tag noch eine Gelegenheit zu geben, seine Vorwürfe zurückzunehmen und sich zu entschuldigen. Da der Kläger aber bei diesem Gespräch am 29. März 1974 jede Entschuldigung abgelehnt, vielmehr an seinen Vorwürfen gegen K* festgehalten habe, ohne diese aber in irgendeiner Weise konkretisieren zu können, habe Direktor L* die fristlose Entlassung des Klägers ausgesprochen.
Bei der Verhandlungstagsatzung vom 6. Mai 1975 (ON. 5 S. 51 f.) anerkannte die Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Fahrtkosten von S 360,-- samt Anhang, worauf über diesen Teilbetrag ein Teilanerkenntnisurteil gefällt wurde.
Mit Endurteil vom 6. Mai 1975 erkannte das Erstgericht die Beklagte schuldig, dem Kläger auch den restlichen Klagebetrag von S 87.509,-- samt Anhang zu zahlen. Dieser Entscheidung liegen nachstehende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:
Der Lohnbuchhalter der Beklagten, * T*, hatte schon für Mittwoch, den 27. März 1974 die Abrechnung des Klägers vorbereitet; dieser sollte an Gehalt für März 1979 anteiligen Sonderzahlungen, Abfertigung und Urlaubsabfindung insgesamt einen Betrag von S 105.393,-- brutto erhalten. Im Büro des Lohnbuchhalters erklärte sich der Kläger aber nur zur Entgegennahme des Monatsgehaltes bereit, weil er die Kündigung nicht ernst nehme; außerdem lehne er es ab, die von der Beklagten vorbereitete „Lohnbefriedigungserklärung“ zu unterfertigen, nach welcher mit der Auszahlung des Betrages von S 105.393,-- sämtliche wie immer gearteten Ansprüche aus dem Dienstverhältnis gänzlich berichtigt sein sollten (Beilage I). * T* verständigte hierauf den Direktor des Bankgeschäftes der Beklagten, * L* – also den unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers –, welcher beide Herren in sein Büro bat. Dort wiederholte der Kläger neuerlich, daß er nicht gekündigt werden könne und daß er auch die von ihm verlangte „Lohnbefriedigungserklärung“ nicht unterschreibe. Im Zuge des Gespräches fragte Direktor L* den Kläger, ob er sich nicht beim Verbandsanwalt K* – dem Obmann der aus sechs Mitgliedern bestehenden sogenannten „Verbandsanwaltschaft“, welche das Geschäftsführungsorgan der Beklagten ist – über die Rechtswirksamkeit seiner Kündigung erkundigt habe. Der Kläger erwiderte sinngemäß, daß K* ohnehin eine „Flasche“ sei und bei der Firma P* beim Kohlengeschäft Unregelmäßigkeiten begangen habe; diese Äußerung begleitete er mit der Handbewegung, mit der üblicherweise das unreelle Einstecken von Geld in die eigene Tasche angedeutet wird. K* habe es – wie der Kläger weiter erklärte – außerdem auch versäumt, beim Kartoffelgeschäft der Beklagten Unregelmäßigkeiten abzustellen, obwohl er dazu von ihm (dem Kläger) auf gefordert worden sei. Gegen Schluß des Gespräches meinte der Kläger noch, daß er bereits die Entlassung oder Kündigung der Direktoren L* und Ing. W* – letzterer ist Betriebsleiter bei der LA* – bei Gericht beantragt habe. Direktor L* ersuchte den Kläger vergeblich, seine Vorwürfe und Beschuldigungen zu konkretisieren; der Kläger erklärte dazu nur, daß er das beim Arbeitsgericht tun werde.
Weder bei diesem Gespräch noch nach seinem Ende sprach Direktor L* die Entlassung des Kläger aus, ebensowenig drohte er mit einer solchen Maßnahme. Er gab dem Kläger den Nachmittag dieses Tages oder den nächsten Tag frei, um ihm Gelegenheit zu geben, sich an das Einigungsamt zu wenden. Schon während der Kündigungsfrist hatte Direktor L* den Kläger belehrt, daß er sich einen Arbeitstag pro Woche zur Postensuche frei nehmen könne; der Kläger hatte davon aber keinen Gebrauch gemacht.
Am folgenden Tag (Donnerstag, 28. März 1974) fand eine routinemäßige Vorstandssitzung der Beklagten statt, bei welcher Direktor L* von seinem Gespräch mit dem Kläger und dessen Äußerungen berichtete. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Endes des Dientsverhältnisses des Klägers war der Vorstand der Meinung, daß der Kläger seine Abfertigung bekommen solle, wenn er die Vorwürfe zurücknehme und sich dafür entschuldige. Die bei der Sitzung anwesenden Direktoren L*, G* und Ke* wurden beauftragt, mit dem Kläger am nächsten Tag in dieser Richtung ein Gespräch zu führen. Für den Fall einer Entschuldigung des Klägers wollte man es bei der Kündigung bewenden lassen.
Tatsächlich kam es am Vormittag des darauffolgenden Tages (Freitag, 29. März 197) zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und den drei genannten Direktoren. Dieser Freitag war der letzte Arbeitstag des Klägers; seine Dienstzeit endete an diesem Tag um 18 Uhr. Direktor L* belehrte den Kläger zunächst darüber, daß es nicht angehe, solche Vorwürfe zu erheben, wie sie der Kläger geäußert habe, der Kläger „verzichte“ damit auf viel Geld (womit Direktor L* auf den Verlust des Abfertigungsanspruches für den Fall einer Entlassung anspielte). Sodann wurde der Kläger von dem am Vortag gefaßten Vorstandsbeschluß unterrichtet und aufgefordert, seine Anschuldigungen zurückzunehmen oder sie entsprechend zu begründen; hiefür wurde dem Kläger sogar eine halbstündige Überlegungsfrist geboten. Der Kläger lehnte jedoch sofort mit der Bemerkung ab, daß man sich beim Arbeitsgericht wiedersehen werde. Er war auch nicht bereit, die gegen K* erhobenen Vorwürfe zu konkretisieren oder anzugeben, wo und aus welchem Grund er die Kündigung oder Entlassung der Direktoren L* und Ing. W* beantragt habe.
Am Ende dieser Unterredung – also am späten Vormittag des 29. März 1974 – sprach Direktor L* die fristlose Entlassung des Klägers aus. Er wies den Lohnbuchhalter T* an, eine neue Abrechnung ohne Berücksichtigung der Abfertigung und der Urlaubsabfindung zu verfassen (Beilage II) Da der Kläger auch die Unterfertigung dieser Abrechnung verweigerte, einigte man sich schließlich auf einen neuen Text (Beilage III), welchen der Kläger schließlich unterschrieb; er bekam dabei einen Betrag von S 10.158,-- netto ausgezahlt.
Die Arbeitsleistung des Klägers war bis zum letzten Tag vollkommen in Ordnung gewesen, es hatte nie irgendwelche Beanstandungen gegeben. Grund der Entlassung waren allein die ehrenrührigen, nicht zurückgenommenen Äußerungen des Klägers.
Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, daß den vom Kläger gegen den Verbandsanwalt K* erhobenen Vorwürfen grundsätzlich das Gewicht eines Entlassungsgrundes nach § 27 Z. 6 AngG zukomme. Da aber die vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses nach §§ 25 ff. AngG nur dann zulässig sei, wenn die zu dieser Maßnahme führenden Umstände dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar erscheinen ließen, sei im konkreten Fall mit Rücksicht darauf, daß die Entlassung am späten Vormittag des letzten Arbeitstages des Klägers ausgesprochen wurde, zu prüfen, ob es der Beklagten nicht hätte zugemutet werden können, den Kläger auch noch am Nachmittag dieses Tages weiterzubeschäftigen. Diese Frage müsse bejaht werden: Direktor L* habe die schon am 27. März 1974 gemachten Äußerungen weder zum Anlaß einer sofortigen Suspendierung des Klägers genommen, noch auch ihretwegen eine dringliche Vorstandssitzung einberufen. Auch am folgenden Tag, an welchem eine routinemäßige Sitzung stattgefunden habe, sei die Entlassung noch nicht ausgesprochen worden, sondern die Entscheidung auf den nächsten Tag verschoben worden. Angesichts dieser Umstände wäre es aber der Beklagten durchaus zumutbar gewesen, den Kläger auch noch am letzten Nachmittag seines – immerhin mehr als zehnjährigen – Beschäftigungsverhältnisses Weiterarbeiten zu lassen. Überdies hätte die Beklagte an diesem halben Tag auf die Arbeitsleistung des Klägers ganz verzichten können, zumal der Kläger ohnehin noch Anspruch auf 13 freie Tage zur Postensuche gehabt und einen nicht konsumierten Urlaubsrest besessen habe. Da die Beklagte also trotz der als erhebliche Ehrverletzung zu beurteilenden, nicht entschuldbaren Äußerungen des Klägers zumindest am späten Vormittag des 29. März 1974 zu einer Entlassung des Klägers nicht mehr berechtigt gewesen sei, habe dem Zahlungsbegehren des Klägers – soweit es nicht bereits durch das Teilanerkenntnisurteil erledigt worden war – in vollem Umfang stattgegeben werden müssen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab (wobei ihm allerdings insofern ein offenkundiges Versehen unterlief, als der Spruch seiner Entscheidung unter Außerachtlassung des rechtskräftigen Teilzuspruches von S 360,-- das gesamte ursprüngliche Klagebegehren von S 87.869,-- samt Anhang als abgewiesen bezeichnet). Die in erster Instanz festgestellten, auch vom Kläger nicht bestrittenen ehrenrührigen Äußerungen seien vom Erstgericht zu Recht als Entlassungsgrund qualifiziert worden, welche nach den Umständen des konkreten Falles auch durch die längere Dienstzeit des Klägers und die Einmaligkeit des Vorfalles nicht entschuldigt werden könne. Demgegenüber bilde die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers entgegen der Meinung des Erstgerichtes kein zum jeweiligen Entlassungsgrund hinzutretendes, sondern ein diesem Entlassungsgrund immanentes Tatbestandsmerkmal. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, daß es darauf ankäme, ob die zur Entlassung des Dienstnehmers führenden Umstände, knapp vor Beendigung des Dienstverhältnisses oder schon geraume Zeit vorher eingetreten sind; wiege das Verhalten des Dienstnehmers so schwer, daß es die sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses rechtfertige, dann könne auch die Tatsache, daß sich der Vorfall wenige Tage vor dem Ende des Dienstverhältnisses ereignet habe, an der Berechtigung des Dienstgebers zum Ausspruch der Entlassung nichts ändern. Da die Beklagte diese Maßnahme keinesfalls ungebührlich verzögert, vielmehr dem Kläger sogar noch die Möglichkeit eingeräumt habe, die einschneidenden Konsequenzen eines solchen Ausspruches noch im letzten Augenblick durch eine Entschuldigung abzuwenden, sei auch an der Rechtzeitigkeit der Entlassung nicht zu zweifeln. Damit habe aber der Kläger gemäß § 25 Abs. 7 in Verbindung mit § 17 b AngG seine Ansprüche auf Abfertigung und Urlaubsentschädigung verloren.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird vom Kläger seinem ganzen Inhalt nach mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten; der Revisionsantrag geht auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils.
Die Beklagte hat beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht hat die dem Ersturteil zugrunde liegende Auffassung, daß die Beklagte trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes nach § 27 Z. 6 AngG zumindest am späten Vormittag des 29. März 1974 nicht mehr zu einer Entlassung des Klägers berechtigt gewesen sei, weil ihr die Fortsetzung des Dienstverhältnisses an dem allein noch verbleibenden Nachmittag dieses letzten Arbeitstages ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, mit Recht abgelehnt und dabei zutreffend ausgeführt, daß die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers nicht ein zu den einzelnen Entlassungstatbeständen des Gesetzes hinzutretendes, sondern vielmehr ein diesen Tatbeständen begrifflich immanentes Merkmal ist: Die Entlassung eines Dienstnehmers ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn sein gesamtes Verhalten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise – also nicht nach dem subjektiven Empfinden des Dienstgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen – die Interessen des Dienstgebers so schwer beeinträchtigt, daß ihm nach der Lage des Falles eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum nächsten Kündigungstermin (bzw. bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder für den Rest der schon im Lauf befindlichen Kündigungsfrist) nicht zugemutet werden kann (Arb 8733 = JBl 1970, 438; Arb 9015 = SozM I A d 1049; Arb 9091; 4 Ob 37, 38/74 ua; Kuderna, Das Entlassungsrecht 35, 37 f.). Es liegt auf der Hand, daß dieses Tatbestandsmerkmal vor allem dort von besonderer Bedeutung ist, wo sich das Gesetz zur Umschreibung des Entlassungstatbestandes unbestimmter Begriffe wie „während einer den Umständen nach erheblichen Zeit“ (§ 27 Z. 4 AngG) oder „erhebliche Ehrverletzungen“ (§ 27 Z. 6 AngG) bedient, die Prüfung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers also überhaupt erst die Abgrenzung zwischen einem wichtigen Entlassungsgrund und einem weniger schwerwiegenden oder überhaupt nur geringfügigen Sachverhalt ermöglicht (ähnlich Arb 9255; Kuderna aaO 37 f). Dabei kann es aber immer nur darauf ankommen, ob die dem Dienstnehmer angelastete Verfehlung als solche auf Grund der Umstände des Einzelfalles so schwer wiegt, daß sie eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Dienstgeber und dem Dienstnehmer unmöglich macht und deshalb die sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses rechtfertigt; rechtlich bedeutungslos ist es hingegen, welche Zeitspanne im Einzelfall bis zum Ende der Vertragsdauer oder bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin (bzw. bis zum Ende einer bereits laufenden Kündigungsfrist) tatsächlich noch verstreichen müßte: Die gegenteilige, vom Erstgericht vertretene Auffassung würde nämlich bedeuten, daß ein und derselbe Vorfall verschieden zu beurteilen wäre, je nachdem, welche Kündigungsfrist das Gesetz bzw. der jeweils anzuwendende Kollektivvertrag im konkreten Fall vorsieht und ob daher bis zum Ende der Vertragsdauer bzw. der Kündigungsfrist tatsächlich nur noch wenige Tage oder aber vielleicht noch mehrere Monate verbleiben würden. In logischer Konsequenz müßte eine solche Betrachtungsweise dann auch dazu führen, daß sich der Dienstnehmer mit fortschreitender Zeit, je näher das Ende der vereinbarten Vertragsdauer bzw. der Kündigungsfrist kommt, immer schwererer Verstöße gegen die Interessen des Dienstgebers schuldig machen könnte, ohne deshalb eine Entlassung befürchten zu müssen, und daß schließlich in den letzten Tagen vor dem Ende der Vertragsdauer eine Entlassung praktisch nicht mehr möglich wäre, weil man dann im Sinne der Auffassung des Erstgerichtes vom Dienstgeber so gut wie immer verlangen könnte, für diesen kurzen Zeitraum zumindest auf die Dienstleistung des Angestellten zu verzichten, sofern dieser nicht ohnehin Anspruch auf Freizeit zur Postensuche oder einen noch zu konsumierenden Urlaubsrest hat. Diese Überlegungen zeigen die Unhaltbarkeit einer Auffassung, welche bei der Beurteilung der Berechtigung einer Entlassungserklärung darauf abstellen will, welche Zeitspanne im konkreten Fall noch bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Zeitablauf oder Kündigung verstreiche müßte; richtiger Ansicht nach kommt es allein darauf an, ob das Verhalten des Dienstnehmers eine so schwerwiegende Beeinträchtigung der Interessen des Dienstgebers bedeutet, daß diesem jede weitere Fortsetzung des Dienstverhältnisses – gleichgültig wie lange es nach dem Vertrag oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch gedauert hätte – nicht mehr zugemutet werden kann und ihm daher das Recht zur sofortigen Vertragsauflösung zugestanden werden muß.
In den beanstandeten Äußerungen das Klägers haben beide Untergerichte mit Recht eine erhebliche Ehrverletzung im Sinne des § 27 Z. 6 AngG gesehen: Durch den vom Kläger ausgesprochenen und durch eine unmißverständliche Handbewegung unterstützten Vorwurf, der – vom Kläger gleichzeitig als „Flasche“ bezeichnete –Verbandsanwalt der Beklagten, K*, habe nicht nur beim Kohlengeschäft der Firma P* Unregelmäßigkeiten begangen, sondern es auch trotz Aufforderung durch den Kläger versäumt, Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Warengeschäft der Beklagten abzustellen, wurde K*, wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, nicht nur der widerrechtlichen Aneignung fremden Vermögens, sondern auch der wissentlichen Duldung solcher Handlungen zum Nachteil der Beklagten und damit jedenfalls eines strafbaren Verhaltens bezichtigt. Daß solche Anschuldigungen auch dann, wenn sie nur gegenüber Direktor L* (und dem Buchhalter T*), nicht aber vor einem größeren Personenkreis gemacht wurden, entgegen der Meinung der Revision objektiv geeignet waren, ehrverletzend zu wirken, und im konkreten Fall angesichts der Schwere der erhobenen Beschuldigungen und der Stellung des angegriffenen Verbandsanwaltes auch tatsächlich eine solche Wirkung hatten, steht außer Frage. Besondere Umstände, welche – wie etwa eine gerechtfertigte Entrüstung überein unmittelbar vorausgegangenes Verhalten des Beleidigten – die ehrenrührigen Äußerungen des Klägers den Umständen nach entschuldbar gemacht hätten, sind im Verfahren nicht hervor gekommen; der Kläger hat sich ja nicht etwa im Zuge einer erregten Auseinandersetzung zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen, sondern seine Anwürfe gegen Verbandsanwalt K* ohne stichhältigen Grund vorgebracht und auch noch zwei Tage nach dem ersten Vorfall unverändert aufrechterhalten, obgleich ihm die Beklagte die Möglichkeit eingeräumt hatte, durch eine Entschuldigung die Konsequenzen einer fristlosen Entlassung zu vermeiden. Dabei fällt noch erschwerend ins Gewicht, daß der Kläger den Verbandsanwalt K* völlig ungerechtfertigt beschuldigt hat, was sich schon daraus ergibt, daß er weder am 27. März noch am 29. März 1974 trotz wiederholter Aufforderungen seiner Gesprächspartner zu einer Präzisierung oder näheren Begründung seiner Vorwürfe gegen Verbandsanwalt K* bereit war und auch im vorliegenden Rechtsstreit einen solchen „Wahrheitsbeweis“ für seine schweren Anschuldigungen nicht einmal angetreten hat. Bei dieser Sachlage können aber weder die mehr als zehnjährige Beschäftigungsdauer des Klägers bei der Beklagten noch die Tatsache, daß es sich hier um den ersten Vorfall dieser Art gehandelt hatte, etwas daran ändern, daß sich der Kläger mit seinen Vorwürfen gegen Direktor K* einer erheblichen Ehrverletzung gegen seinen Dienstgeber im Sinne des § 27 Z. 6 AngG schuldig gemacht und damit einen Entlassungsgrund gesetzt hat (vgl. Arb 9111; Arb 9188 = ZAS 1974, 145).
Dem Berufungsgericht ist aber auch insoweit zu folgen, als es die Rechtzeitigkeit der Entlassungserklärung im konkreten Fall bejaht hat: Der Grundsatz, daß die vorzeitige Entlassung des Dienstnehmers bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechtes unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, ausgesprochen werden muß, der Dienstgeber somit mit der Ausübung des Entlassungsrechtes nicht wider Treu und Glauben so lange warten darf, daß der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen könnte (SZ 24/280; Arb 8047 uva), darf nach ständiger Rechtsprechung nicht überspannt werden; das Entlassungsrecht des Dienstgebers geht insbesondere dann nicht verloren, wenn sein Zögern in der Sachlage begründet war und die Entlassung zwar nicht sofort, aber doch ohne unnötigen Aufschub ausgesprochen wurde (SZ 26/256 = Arb 5850; Arb 8634 = SozM I A d 891; JBl 1957, 575 uva, zuletzt etwa 4 Ob 74, 75/74). Von einer solchen schuldhaften Verzögerung des Entlassungsausspruches kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein: Direktor L*, in dessen Gegenwart die ehrenrührigen Äußerungen des Klägers am 27. März 1974 erstmals gemacht wurden, war entgegen der Meinung der Revision nicht verpflichtet, den Kläger deshalb sofort vom Dienst zu suspendieren oder aber eine dringliche Vorstandsätzung einzuberufen, weil ja nach den Feststellungen der Untergerichte für den folgenden Tag ohnehin eine (wenn auch routinemäßige) Sitzung des Verbandsvorstandes der Beklagten anberaumt war, bei welcher das beanstandete Verhalten des Klägers zur Sprache gebracht werden konnte (und auch, tatsächlich zur Sprache gebracht wurde). Daß dann die Entlassung des Klägers nicht schon bei dieser Vorstandssitzung, sondern erst erst am nächsten Vormittag ausgesprochen wurde, hat seinen Grund ausschließlich in dem Bestreben der Beklagten, dem Kläger in einem weiteren Gespräch mit den Direktoren L*, G* und Ke* Gelegenheit zu geben, den bereits verwirklichten Entlassungsgrund durch eine entsprechende Entschuldigung zu beseitigen. Gerade dieser Umstand zeigt, daß es die Beklagte keineswegs darauf angelegt hatte, den Kläger unmittelbar vor dem Ablauf der Kündigungsfrist noch um die ihm zustehende Abfertigung zu bringen, sondern daß sie im Gegenteil bestrebt war, ihm noch eine „goldene Brücke“ zu bauen und ihm die Entlassung mit den sich aus ihr ergebenden nachteiligen Rechtsfolgen nach Möglichkeit zu ersparen. Bei dieser Sachlage kann aber eine verspätete Geltendmachung des Entlassungsrechtes nicht angenommen werden (vgl. Arb 7940 = JBl 1964, 573 = SozM I A d 577; Arb 9091 ua), zumal die Vorstandsmitglieder der Beklagten an ihrer Entschlossenheit, aus dem Verhalten des Klägers bei Ablehnung einer solchen gütlichen Regelung die notwendigen dienstrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, bei der Sitzung vom 28. März 1974 ebensowenig einen Zweifel gelassen hatten wie die Direktoren L*, G* und Ke* bei der darauffolgenden Aussprache mit dem Kläger am Vormittag des 29. März 1974.
Da das Berufungsgericht die Sache somit rechtlich richtig beurteilt hat, mußte sein Urteil – unter gleichzeitiger Berichtigung (§ 419 ZPO) des oben erwähnten offenkundigen Versehens hinsichtlich der Höhe der abgewiesenen (Rest-)Forderung des Klägers – bestätigt und der Revision des Klägers ein Erfolg versagt werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)