OGH 4Ob622/75

OGH4Ob622/7521.10.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger, Dr. Friedl, Dr. Resch und Dr. Kuderna als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, Chemigraph,  *, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei H*, Altenhelferin, *, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz an der Donau, wegen Unterhaltsherabsetzung (Revisionsstreitwert S 36.000,‑‑), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz an der Donau als Berufungsgerichtes vom 4. August 1975, GZ. 13 R 295/75‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 16. Mai 1975, GZ. 11 C 119/75‑44, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0040OB00622.75.1021.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.149,60 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 400 Barauslagen und S 129,60 Umsatzsteuer) sowie die mit S 2.229,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 129,60 Umsatzsteuer und S 480 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde am 24. November 1965 rechtskräftig geschieden. Die Streitteile schlossen am 24. November 1965 vor dem Scheidungsrichter einen Unterhaltsvergleich, wonach sich der Kläger verpflichtete, der Beklagten bis zu deren Wiederverehelichung ohne Rücksicht auf deren allfälligen Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder einem Vermögen einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 20 % seines jeweiligen Nettoeinkommens zu bezahlen. Ferner verzichtete der Kläger im Vergleich auf die Herabsetzung seiner Unterhaltsleistung aus dem Grunde der Wiederverehelichung und der Vermehrung seiner Sorgepflichten.

Der Kläger begehrte zuletzt die Herabsetzung dieser Unterhaltsverpflichtung auf 10 %, hilfsweise aber auf weniger als 20 % seines Nettoeinkommens für die Zeit vom 16. Jänner bis 6. März 1975, sowie die Feststellung, daß seine Unterhaltsverpflichtung ab 7. März 1975 erloschen sei. Er brachte vor, daß der vereinbarte Ausschluß der Umstandsklausel sittenwidrig sei, da er die Existenz seiner zweiten Gattin und der beiden Kinder aus zweiter Ehe gefährde.

Das letzte Dienstverhältnis des Klägers sei mit 6. März 1975 einerseits wegen der Krankheit des Klägers, andererseits wegen betrieblicher Schwierigkeiten einverständlich aufgelöst worden. Derzeit sei der Kläger arbeitslos.

Die Beklagte beantragte das Klagsbegehren abzuweisen und wandte ein, der Kläger habe seit 1970 mehrmals den Dienstgeber in der Absicht gewechselt, die Klägerin in ihren Unterhaltsansprüchen zu verkürzen. In der gleichen Absicht sei auch die letzte einverständliche Auflösung des Dienstverhältnisses erfolgt. Der Kläger habe seit 1. Jänner 1972 monatlich nur jeweils S 800 bis S 900 bezahlt, sodaß er sich auch einen gewissen Fonds habe schaffen können. Seit Abschluß des Vergleiches habe der Kläger überdies ein Haus geerbt und sei dessen Alleineigentümer. Der Kläger habe bereits bei Abschluß des Vergleiches damit rechnen müssen, daß er wieder eine Familie gründen werde. Eine Gefährdung der Unterhaltsberechtigten liege nicht vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Beklagte war bereits während der aufrechten Ehe mit dem Kläger berufstätig und erhielt damals von diesem regelmäßig einen Unterhaltsbetrag. Der Kläger war im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses als Chemigraph beschäftigt. Er verehelichte sich in der Folge neuerlich und hat nunmehr für zwei Kinder aus der zweiten Ehe im Alter von sieben und sechs Jahren zu sorgen. Die Beklagte schloß keine neue Ehe. Der Kläger war vom 27. September 1966 bis 3. Jänner 1970 als Chemigraph im G*‑Verlag in Wien beschäftigt. Seither arbeitete er als Foto‑Litograph, Litograph oder technischer Angestellter bei verschiedenen Dienstgebern, in der Regel nur jeweils wenige Monate. Er wechselte deshalb die Arbeitsplätze so häufig, weil ihm die Arbeitsbedingungen und die Höhe des Einkommens nicht entsprachen. Zuletzt war er vom 2. Dezember 1974 bis 28. Februar 1975 als Chemigraph bei der Firma P* beschäftigt, wovon die Zeit ab 10. Februar 1975 auf Krankenstand entfiel. Während dieser Zeit brachte er im Monatsdurchschnitt ohne Familienbeihilfe rund S 7.400 netto ins Verdienen. Seit 10. März 1975 ist er arbeitslos und bezieht monatlich S 3.366 Arbeitslosengeld, zuzüglich S 30 Wohnbeihilfe und S 1.705 an Familienbeihilfe für vier Kinder, die vierzehnmal jährlich ausbezahlt wird. In seinem Haushalt leben auch die beiden Kinder seiner zweiten Frau aus deren erster Ehe im Alter von 16 und 17 Jahren. Für diese Kinder werden von deren Vater monatlich S 1.200 an Unterhalt bezahlt. Im Arbeitslosengeld sind auch die Familienzuschläge für seine beiden ehelichen Kinder in der Höhe von je S 240 enthalten. Ferner erhält der Kläger eine Rente nach dem KOVG, die seit 1. Jänner 1975 monatlich S 1.167 beträgt. Die zweite Gattin des Klägers ist als Kindergärtnerin beschäftigt und verdient monatlich netto rund S 1.800. Sie erhält von ihrem ersten Mann keine Unterhaltsbeiträge. Die beiden Kinder aus erster Ehe sind bereits in der Lehre und erhalten an Lehrlingsentschädigung wöchentlich S 300 und S 220. Der Kläger bewohnt mit seiner Familie eine 64m2 große Wohnung, die mittleren Vermögens-und Einkommensverhältnissen entsprechend eingerichtet ist. An Vermögen besitzt er noch ein Superädifikat in *, bestehend aus einem Haus in baufälligem Zustand mit einem Einheitswert von S 41.000. Eine Vermittlung des Klägers in seinem ausgeübten Beruf als Chemigraph ist insofern problematisch, da durch die technische Entwicklung die Beschäftigungsmöglichkeiten in dieser Berufssparte immer geringer werden. Der Kläger wird daher auf artverwandte Berufstätigkeiten wie Retoucheur ohne Reproduktionsfotographie ausweichen müssen. Weshalb das Dienstverhältnis des Klägers bei seinem letzten Arbeitgeber gelöst wurde, konnte nicht festgestellt werden. Die Beklagte ist seit etwa 10 Jahren als Altenbetreuerin beim Magistrat Linz beschäftigt und verdient monatlich netto S 5.160 vierzehnmal jährlich. Sie erhielt vom Kläger in den letzten drei Jahren durchschnittlich monatlich zwischen S 800 und S 900 an Unterhalt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß ein Verzicht auf die Umstandsklausel an sich zulässig und wirksam sei. Im Begehren auf Erfüllung des Vergleiches liege im vorliegenden Fall keine Sittenwidrigkeit, da weder die Position des Klägers unbillig verschlechtert werde noch dies zu einer Gefährdung des Unterhaltes der Nachkommen führe. Gerade durch den Bruchteilstitel werde die Verringerung des Einkommens des Klägers angemessen berücksichtigt. Es komme daher auch nicht darauf an, aus welchen Gründen der Kläger sein letztes Dienstverhältnis gelöst habe.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens für die Zeit vom 16. Jänner 1975 bis 6. März 1975, gab jedoch dem Feststellungsbegehren ab 7. März 1975 insoferne teilweise statt, als es feststellte, daß der Kläger nur noch zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 10 % seines jeweiligen gesamten Nettoeinkommens verpflichtet sei. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, daß zwar das Begehren des Klägers für die Zeit vor dem 7. März 1975 im Hinblick auf sein Gesamtnettoeinkommen von S 8.761 (bei Unterhaltsleistungen an die Klägerin von S 1.752) nicht gerechtfertigt sei, da der verbleibende Betrag ausreiche, den Unterhalt des Klägers und seiner Familie zu gewährleisten. Hingegen beziehe der Kläger ab 7. März 1975 nur ein Arbeitslosengeld von S 3.366 und eine Invalidenrente von S 1.361 (richtig nach dem im Akt erliegenden Bescheid und der Feststellung des Erstgerichtes S 1.167), sowie S 30 Wohnbeihilfe. Der an die Beklagte zu entrichtende Betrag von 20 % würde daher S 952 (richtig wohl S 912,60) ausmachen, sodaß dem Kläger nur ein Betrag von S 3.805 (richtig S 3.650,40) verbleibe. Das Begehren auf Erfüllung der unter Verzicht auf die Umstandsklausel abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung sei unter diesen Umständen sittenwidrig, da der Unterhalt der gesetzlich Unterhaltsberechtigten und der eigene Unterhalt des Klägers gefährdet sei. Es sei daher nur noch ein Unterhalt im Ausmaß von 10 % tragbar.

Während der Kläger die Abweisung seines Mehrbegehrens nicht bekämpft, wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Sie beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, oder es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da keine bloße Frage der Bemessung des Unterhaltes vorliegt, sondern die Wirksamkeit der im Vergleich enthaltenen Umstandsklausel strittig ist (Jud. 60 neu = SZ 27/177 u.a.).

Die Revision ist gerechtfertigt.

Nach Lehre und Rechtsprechung (Schwind in Klang 2 I/1, 910; SZ 26/105 und viele andere) ist der Verzicht auf die Umstandsklausel grundsätzlich zulässig und wirksam. Es ist allerdings denkbar, daß das Beharren auf diesen Verzicht sittenwidrig ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ohne Berücksichtigung der nachfolgenden Umstände der Unterhalt anderer Unterhaltsberechtigter gefährdet wäre (3 Ob 106/69 = EESlg 12.049). Gleiches muß auch für den Fall gelten, daß durch ein Beharren auf der Unterhaltsleistung dem Unterhaltspflichtigen die Existenzgrundlage entzogen wurde (EvBI 1974/137, Seite 295 = JB1 1974, 479 = RiZtg 1974/61 Seite 102), er also seine Verpflichtung weder aus dem laufenden Einkommen noch aus seinem Vermögen bestreiten kann, sofern letzteres nicht seine Existenzgrundlage darstellt. Davon kann jedoch im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.

Der Kläger bezieht ein laufendes Einkommen aus Arbeitslosenunterstützung und Invalidenrente von zusammen S 4.563. Da der Unterhalt im Vergleich nicht mit einem bestimmten Betrag, sondern mit einem Prozentsatz festgesetzt wurde, sinkt er automatisch bei sinkendem Einkommen. Dem Kläger verbleibt auch nach Abzug des 20 %igen Unterhaltes für die Beklagte noch ein Betrag von S 3.650,40. Unter Berücksichtigung der vom Kläger zusätzlich bezogenen Familienbeihilfe kann nicht davon gesprochen werden, daß der Unterhaltsanspruch der beiden Kinder des Klägers aus zweiter Ehe gefährdet wäre, zumal auch die zweite Gattin des Klägers berufstätig ist und die Möglichkeit einer Verwertung des Superädifikates des Klägers hier noch gar nicht berücksichtigt wurde. Ebensowenig kann aber auch aus denselben Gründen gesagt werden, daß durch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten die Existenzgrundlage des Klägers beeinträchtigt wäre.

Der Revision war somit Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wurde.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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