European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00185.75.0924.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Wiederaufnahmsklägerin ist schuldig, den Wiederaufnahmsbeklagten die mit S 842,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 96,‑‑ Barauslagen und S 55,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
In dem beim Bezirksgericht für ZRS Graz anhängig gewesenen Rechtsstreit 6 C 14/74 wurde die auf § 19 Abs. 2 Z 3 MietG gegründete Aufkündigung 6 K 2/74 vom 18. Jänner 1974 mit Urteil vom 27. Mai 1974 (Schluß der Verhandlung 16. 5. 1974) für rechtswirksam erklärt und die nunmehrige Wiederaufnahmsklägerin schuldig erkannt, die im Hause * im ersten Stock des Hofgebäudes gelegene, aus zwei Zimmern, einer Küche, Vorraum und Klosett bestehende Wohnung zu räumen. Hiebei wurde im Urteil unter anderem festgestellt, daß „erst kürzlich kübelweise der Taubenkot“ von einem Flachdach, auf das ein Fenster der aufgekündigt en Wohnung führt, weggeschafft werden mußte, und daß dieses Flachdach von der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin trotz mehrfacher Abmahnungen und Abstrafungen durch das Gesundheitsamt im Übermaß zur Fütterung von Tauben verwendet werde, so daß andere Mieter in der Ausübung ihres Bestandrechtes beeinträchtigt würden.
Die Beklagte im Vorprozeß und nunmehrige Klägerin begehrt mit der am 21. Juni 1974 eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Vorprozesses, Aufhebung des dort ergangenen Urteiles sowie in der Hauptsache die Aufhebung der Aufkündigung und die Abweisung des Räumungsbegehrens. Sie stützt ihr Begehren auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO. Sie habe erst am 7. Juni 1974 aus dem im Vorprozeß ergangenen Urteil erfahren, daß das Erstgericht die Feststellung getroffen habe, es hätte erst kürzlich kübelweise der Taubenkot weggeschafft werden müssen. Nach Kenntnisnahme vom Inhalt dieses Urteiles habe sie einen Zeugen ausfindig gemacht, der wisse, daß von dem Flachdach keineswegs kübelweise Taubenkot, sondern nur „normaler Schmutz“ habe weggeschafft werden müssen und daß im Vergleich zu den vergangenen Jahren eine wesentlich geringere Verschmutzung des Flachdaches eingetreten sei.
Das Erstgericht wies das Begehren auf Wiederaufnahme des Verfahrens 6 C 14/74 ab und stellte fest: Die Wiederaufnahmsklägerin kenne den seit 1967 im “Krebsenkeller" (die Küche dieses Lokales befinde sich anschließend an die Wohnung der Wiederaufnahmsklägerin) beschäftigten Zeugen L* und habe ihn schon öfters – ca. zweimal monatlich – ersucht, tote Tauben vom Flachdach zu entfernen und dieses zu reinigen. Bei einer solchen Gelegenheit sei auch im April oder Mai 1974 das Dach gereinigt worden, doch sei damals nicht übermäßig viel Taubenkot vorhanden gewesen. Die Verschmutzung des Daches sei praktisch immer gleich und habe sich gegenüber früher nicht verstärkt oder vermindert.
Den festgestellten Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, es sei der Wiederaufnahmsklägerin als Verschulden anzulasten, daß sie den ihr schon seit längerer Zeit bekannten Zeugen nicht schon im Vorprozeß geführt habe. Das spätere Geltendmachen vergessener Beweismittel rechtfertige eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht. Auch hätte die Aussage des Zeugen L* die im Urteil des Vorprozesses getroffenen Feststellungen nicht entkräften und zu keiner anderen Entscheidung führen können. Es komme nicht so sehr darauf an, wieviel Taubenkot weggeschaft worden sei, sondern darauf, daß die Wiederaufnahmsklägerin das Füttern der Tauben nicht aufgegeben und dadurch einer anderen Mitbewohnerin das Zusammenleben verleidet.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz und sprach zunächst nur aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 50.000,‑‑ übersteige. Über Auftrag des Obersten Gerichtshofes (Beschluß vom 30.4.1975, GZ. 1 Ob 46/75) ergänzte das Berufungsgericht sein Urteil durch Aufnahme des Ausspruches, daß die Revision für zulässig erklärt werde. Es käme zwar der in der Wiederaufnahmsklage behaupteten Tatsache, daß vom Flachdach nicht „kübelweise Taubenkot“, sondern nur „normaler Schmutz“ habe weggeschafft werden müssen und daß die Verschmutzung im Vergleich zu den vergangenen Jahren wesentlich geringer gewesen sei und den Feststellungen auf Grund der Aussage des Zeugen L* die abstrakte Eignung zu, eine andere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Damit sei aber für ihren Prozeßstandpunkt im Ergebnis nichts gewonnen, denn es sei dem Erstgericht darin zu folgen, daß der Wiederaufnahmsklägerin ein Verschulden im Sinne des § 530 Abs. 2 ZPO zur Last falle, weil sie schon im Vorprozeß den nunmehr geführten Zeugen hätte namhaft machen können.
Das Urteil des Berufungsgerichtes bekämpft die Wiederaufnahmsklägerin aus dem Revisionsgrund des § 503 Z 2 und 4 ZPO. Sie stellt den Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Wiederaufnahmsklage stattgegeben werde, oder das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.
Die Wiederaufnahmsbeklagten beantragen in erster Linie, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf den Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 5 ZPO zulässig. Da ein Vergreifen in der Entscheidungsform allerdings weder die Zulässigkeit noch die sachliche Behandlung des erhobenen Rechtsmittels beeinflußt (SZ 23/100; JB1 1960, 260 u.a.), für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluß vorliegt, also nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsform maßgebend ist (1 Ob 263/58; 5 Ob 140/73 u.a.), ist im Hinblick auf § 543 ZPO zu untersuchen, ob die Untergerichte über die Wiederaufnahmsklage zu Recht meritorisch mit Urteil entschieden oder die Entscheidungsform verfehlt haben und richtigerweise die Wiederaufnahmsklage mit Beschluß zurückweisen hätten müssen.
Der Oberste Gerichtshof vertritt jedoch in Übereinstimmung mit Fasching IV 520, 541, 551 in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß nach mündlicher Verhandlung mit Urteil zu entscheiden ist, wenn, wie hier, die Wahrnehmung des Verschuldens von strittigen Tatsachen abhing, also Beweise für das Tatsachenvorbringen des Wiederaufnahmsklägers aufgenommen werden mußten (EvBl 1951/439; EvBl 1957/223; EvBl 1972/78 u.a. Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens im Sinne des § 530 Abs. 2 ZPO wäre nur möglich gewesen, wenn sich, das Verschulden der Wiederaufnahmsklägerin bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen der Klage ergeben hätte, oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlte, daß die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozeß ohne Verschulden unmöglich war (EvBl 1972/78 u.a.). Die Untergerichte haben daher zutreffend in Urteilsform entschieden.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Soweit die Wiederaufnahmsklägerin den Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend macht, ist sie darauf zu verweisen, daß nach der auch im Wiederaufnahmsverfahren eines Kündigungsstreites geltenden Bestimmung des § 502 Abs. 4 ZPO die Anfechtung eines bestätigenden Urteiles des Berufungsgerichtes mittels Revision nur aus dem im § 503 Z 4 ZPO bestimmten Grunde, also nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, zulässig ist.
Es geht aber auch die Rechtsrüge fehl. Es ist den Vorinstanzen darin zu folgen, daß die Parteien im Zivilprozeß eine prozessuale Diligenzpflicht trifft. Ein Verschulden liegt vor, wenn die Partei im Hauptprozeß Zeugen zu führen unterläßt, von denen sie voraussetzen mußte, daß ihnen die zu erweisenden Tatsachen bekannt sind, ebenso, wenn die Partei nichts unternommen hat, um während des Verfahrens den Aufenthalt eines Zeugen zu ermitteln (Fasching IV 518 f). Im vorliegenden Fall mußte die Wiederaufnahmsklägerin spätestens im Zeitpunkt der Vernehmung der Zeugin M* im Hauptprozeß am 16. 5. 1974 damit rechnen, daß auf Grund deren Aussage allenfalls die Feststellung getroffen werden könnte, es hätte zufolge der übermäßigen Fütterung von Tauben durch die Wiederaufnahmsklägerin „erst kürzlich kübelweise der Taubenkot weggeschafft werden müssen". Da der Wiederaufnahmsklägerin der Zeuge L* zu diesem Zeitpunkt bereits persönlich bekannt war, sie aber auch wußte, daß er für die Entscheidung des Hauptprozesses Relevantes auszusagen hatte, hatte die Wiederaufnahmsklägerin nach den Feststellungen der Vorinstanzen sich dieses Zeugen doch zur Reinigung des Flachdaches schon wiederholt bedient, wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, zur Widerlegung der Zeugenaussage M* den Zeugen zu führen, und – wie nun verspätet – vorzubringen, durch seine Aussage wäre zu beweisen, daß nur „normaler Schmutz“ habe weggeschafft werden müssen und im Vergleich zu den vergangenen Jahren eine wesentlich geringere Verschmutzung des Flachdaches eingetreten sei.
Da die Wiederaufnahmsklägerin den ihr – entgegen ihrer aktenwidrigen Revisionsbehauptung – schon im Zeitpunkt der Vernehmung der Zeugin M* bekannten L* nicht zeitgerecht zur Vernehmung als Zeuge beantragte, liegt ein Verschulden im Sinne des § 530 Abs. 2 ZPO vor. Zu Recht haben die Vorinstanzen das Klagebegehren abgewiesen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 41 , 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)