OGH 4Ob544/75

OGH4Ob544/7524.6.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger, Dr. Friedl, Dr. Resch und Dr. Kuderna als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) E*, Haushalt, *, 2.) M*, Postbeamtin i.R,, *, 3.) H*, Oberförster, *, 4.) L*, 5.) N*, ÖBB-Beamter, *, 6.) E*, Haushalt, *, 7.) H*, Haushalt, *, 8.) H*, Haushalt, *, alle vertreten durch Dr. Friedrich Doschek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei minderjährige G*, vertreten durch den Kurator Dr. Erwin Englert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des Erbrechtes infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandegerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 8. Jänner 1975, GZ. 6 b R 200/74-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21. August 1975, GZ. 17 Cg 290/72-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0040OB00544.75.0624.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 4.274,16 (einschließlich S 600,-- Barauslagen und S 272,16 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

L* ist am 20. August 1970 gestorben.

Ihr Nachlaß wird vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu 6 A 668/70 abgehandelt. Der Beklagte ist ein Sohn des erblasserischen Neffen H*. Er erklärte sich zu 1/5 von 81 % des Nachlasses auf Grund des Gesetzes als Erbe. Die acht Kläger haben – zusammen zum ganzen Nachlaß – Erbserklärungen auf Grund des Testamentes vom 23. Feber 1970 abgegeben. Das Abhandlungsgericht wies ihnen mit Beschluß vom 18. Oktober 1971 gegenüber dem Beklagten gemäß §§ 125 ff AußStrG die Klägerrolle zu. Das Abhandlungsgericht bestimmte ihnen eine Klagsfrist von 4 Wochen. Dieser Bechluß wurde dem Klagevertreter am 21. Oktober 1971 zugestellt, die bestätigende Rekursentscheidung am 11. Jänner 1972, der höchstgerichtliche Beschluß, mit dem der außerordentliche Revisionsrekurs zurückgewiesen wurde, am 6. Juni 1972 .

Mit ihrer am 21. August 1972 erhobenen Klage begehren die Kläger die Feststellung, daß dem Beklagten zum Nachlaß der am 20. August 1970 verstorbenen L* kein Erbrecht, vielmehr ihnen auf Grund des Testaments vom 23. Feber 1970 das Erbrecht zustehe, und zwar dem Viertkläger zu 5/19 und den übrigen sieben Klägern zu je 2/19.

Die Erblasserin habe nämlich mit ihrer handschriftlichen Verfügung vom 23. Feber 1970 über ihren gesamten Nachlaß verfügt, sie habe sich lediglich bei der Abfassung ihrer letztwilligen Verfügung im Ausdruck vergriffen und den Viertkläger zu 5 %, die übrigen Kläger zu je 2 % anstatt – wie beabsichtigt – zu 5/19 und zu je 2/19 als Erben eingesetzt. Dem Beklagten stünde aber auch deshalb kein gesetzliches Erbrecht zu, weil die Erblasser mit ihrer Verfügung vom 4. August 1970 den Vater des Beklagten, ihren Neffen H*, von jedem Erbrecht ausgeschlossen habe und sich dieser Ausschluß auch auf den Beklagten als Nachkommen des Ausgeschlossenen erstrecke.

Der Beklagte behauptet, die Erblasserin habe in der angeführten letztwilligen Verfügung aus sachlichen Gründen nur über 19 % des Nachlasses verfügen wollen. Die Enterbung sollte sich nur auf den Vater des Beklagten, nicht auf diesen selbst beziehen. Außerdem hätten die Kläger die ihnen vom Abhandlungsgericht bestimmte Frist zur Erbrechtsklage versäumt, weshalb ihr Feststellungsanspruch erloschen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest:

Die Erblasserin hatte bereits im anwaltlich verfaßten schriftlichen Testament vom 28. Juli 1967 einen letzten Willen niedergelegt. Ihr handschriftliches Testament vom 23. Feber 1970 lehnt sich in Inhalt und Gliederung weitgehend an das Testament 1967 an. 1970 setzte die Erblasserin den Viertkläger zu 5, alle übrigen Kläger zu je 2 Anteilen als Erben ein, woraus sich 19 Anteile ergeben. 1967 hatte die Erblasserin eine neunte Erbin (L*) zu einem Anteil eingesetzt, die erste und sechste Klägerin zu je 4, den Viertkläger zu 5 und die übrigen Kläger zu je 2 Anteilen, woraus sich 24 Anteile ergeben. Die Erbseinsetzungen im Jahre 1967 waren in Brüchen mit dem Nenner 24, also in Vierundzwanzigstel, ausgedrückt. 1970 setzte die Erblasserin den Anteilen ihrer Erbseinsetzungen jeweils das Prozentzeichen bei, im Fall des dritten Klägers nach einem Schrägstrich (Bruchstrich).

Die Erblasserin hat mit ihrem Testament vom 23. Feber 1970 über ihr gesamtes Vermögen verfügen wollen. Sie hat durch ihre Äußerungen zu Angehörigen erkennen lassen, daß sie (1970) die mit ihr blutsverwandten und die mit ihr verschwägerten Kläger grundsätzlich in gleicher Weise habe bedenken wollen. Die Erblasserin erklärte nach Errichtung der letztwilligen Verfügung vom 23. Feber 1970 gegenüber A*, daß sie das erste Testament abgeschrieben habe bis auf eine Änderung der Quoten.

Die Erblasserin ist im Jahre 1970 ihrem Neffen H* und seiner Familie nicht freundlich gesinnt gewesen, sie hat den Beklagten bewußt übergangen und seinen Vater ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen, um ihrem Ärger Ausdruck zu verleihen.

Bei der rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß die Erblasserin mit der letztwilligen Verfügung vom 23. Feber 1970 die Kläger als Erben zum ganzen Nachlaß einsetzen wollte und sich nur im Ausdruck bei der Formulierung der Quoten vergriffen habe. Der Beklagte könne sich daher nicht auf das gesetzliche Erbrecht hinsichtlich eines Teiles des Nachlasses berufen.

Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und teilte auch dessen Rechtsansicht. Es verwies noch darauf, daß der fruchtlose Ablauf der im Abhandlungsverfahren für die Erhebung der Erbrechtsklage erteilten Frist nur auf das Abhandlungsverfahren Einfluß habe, den Klägern aber nicht das Recht nehme, die Klage zu erheben. Das Feststellungsinteresse müsse bejaht werden, weil vor Beendigung des Abhandlungsverfahrens eine Erbschaftsklage noch nicht erhoben werden könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 50.000,--übersteigt.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, es hätte nicht angenommen werden dürfen, daß die Erblasserin in der letztwilligen Verfügung vom 23. Feber 1970 über ihr gesamtes Vermögen verfügen wollte, da dies mit dem eindeutigen Wortlaut dieser Verfügung in Widerspruch stehe. Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung müsse sich auf ihren Wortlaut beschränken. Eine durch diesen nicht gedeckte Absicht des Testators dürfe nicht berücksichtigt werden.

Demgegenüber erkennt aber die Revision selbst richtig, daß die Auslegung einer letztwilligen Verfügung auch Tatsachenfeststellungen enthält. Der Wortlaut der letztwilligen Verfügung bildet wohl das nächstliegende Mittel zur Erforschung des Willens des Testators, doch sind daneben auch noch andere Erkenntnisquellen möglich. Was der Erblasser gewollt hat und ob dieser Wille in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gebracht wurde, sind der Vergangenheit angehörende Tatsachen (SZ 38/221, 25/85, EvBl 1971/34). Die Untergerichte haben auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens, insbesondere der Aussage über die seinerzeitige Äußerung der Erblasserin gegenüber A*, sie habe das erste Testament bis auf eine Änderung der Quoten abgeschrieben, festgestellt, daß der Wortlaut der letztwilligen Verfügung, nach dem prozentuelle Quoten zugewiesen wurden, nicht dem wahren Willen der Erblasserin, entsprach, sondern diese die Quoten in entsprechend den Bruchteilen des Gesamtnachlasses festlegen und dies zum Ausdruck bringen wollte, sich aber in der Bezeichnung vergriffen habe. Bei dieser Beurteilung handelt es sich um eine Wertung der in der letztwilligen Verfügung enthaltenen Ausdrücke und eine Beurteilung des Sinnes der Verfügung. Die Feststellung, der wahre Wille der Erblasserin sei dahin gegangen, über den gesamten Nachlaß zu verfügen und die Quoten durch Bruchteile, und nicht durch Prozentsätze, festzulegen, war somit eine Tatsachenfeststellung über die wahre Absicht der Erblasserin, die sie in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck bringen wollte. Die Auffassung der Revision, es sei der Entscheidung ein von der Erblasserin in der letztwilligen Verfügung nicht zum Ausdruck gebrachter Wille zugrundegelegt worden, ist daher beim festgestellten Sachverhalt unrichtig. Es wurde vielmehr der Inhalt der letztwilligen Verfügung, nicht nach der allgemeinen Bedeutung der darin enthaltenen Bezeichnungen, sondern nach dem festgestellten Sinn und Zweck, den die Erblasserin tatsächlich anstrebte, erforscht. Die Auslegung der letztwilligen Verfügung blieb somit auf dem zulässigen und gebotenen Rahmen beschränkt, wonach eine in der letztwilligen Verfügung nicht zum Ausdruck gebrachte Absicht unbeachtlich ist, die durch den Inhalt der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gebrachte Absicht aber nach dem wahren Willen des Erklärenden zu beurteilen ist (Koziol-Welser, Grundriß bürgerl. Rechts3 II 228 f.). Da bei letztwilligen Verfügungen nach Möglichkeit dem subjektiven Willen des Erklärenden entsprochen werden muß, kann sich auch niemand darauf berufen, daß er auf den Wortlaut einer letztwilligen Verfügung vertraut habe (Koziol-Welser aaO). Derjenige, der auf Grund eines Wortlautes einer letztwilligen Verfügung, der dem wahren Willen des Testators nicht entspricht, Rechte in Anspruch nimmt, hat diese Rechte in Wahrheit nicht, wenn sie ihm nach dem wahren Willen des Testators nicht zustehen. Die Berufung der Revision auf die Rechtssicherheit zugunsten eines nur nach dem Wortlaut, nicht aber nach dem wahren Inhalt einer letztwilligen Verfügung Berufenen ist daher verfehlt.

Die Revision meint weiter, daß die Kläger wegen der Versäumung der Frist, die vom Abhandlungsgericht zur Erhebung der Erbrechtsklage gesetzt wurde, das Recht zu einer Feststellungsklage verloren hätten und eine Erbschaftsklage erheben müßten. Die Nichteinhaltung der vom Abhandlungsrichter für die Einbringung der Erbrechtsklage gesetzten Frist hat aber weder den Verlust des Klagerechtes noch den Verlust materiell-rechtlicher Ansprüche zur Folge. Die einzige Folge der Versäumung der Frist ist, daß die Verlassenschaftsabhandlung ohne Berücksichtigung der auf den Rechtsweg verwiesenen Ansprüche weitergeführt wird (7 Ob 181, 182/72). Mit Recht hat schon das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß die Kläger eine Erbschaftsklage erst nach der Einantwortung erheben könnten (Weiß Klang2 III 1065 f., SZ 21/115) und ihnen ein Interesse an der alsbaldigen Klärung der strittigen Erbberechtigung zugebilligt werden muß. Es wurde daher auch die Klageberechtigung zutreffend bejaht.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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