OGH 1Ob27/75

OGH1Ob27/755.3.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Schragel, Dr. Petrasch und Dr. Schubert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, Pensionist, *, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M*, Hausfrau, *, vertreten durch Dr. Manfred Gries, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. November 1974, GZ 10 R 196/74-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 28. Dezember 1973, GZ 14 Cg 217/72-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00027.75.0305.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben; die Urteile der Untergerichte werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

Die zwischen J* und M* am * 1947 vor dem Standesamt Wien-Brigittenau-Leopoldstadt geschlossene Ehe wird geschieden. Den Kläger trifft ein Verschulden.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile, österreichische Staatsbürger, schlossen am * 1947 ihre auf Seiten des Klägers zweite, auf seiten der Beklagten erste Ehe, der der am * 1947 geborene Sohn J* entstammt. Der letzte eheliche Verkehr fand im Frühjahr 1967 statt, mit 8. Jänner 1968 verließ der Kläger die Ehewohnung; seither ist die eheliche und häusliche Gemeinschaft der Streitteile aufgehoben. Der Kläger begehrt Scheidung der Ehe nach § 55 EheG, wogegen die Beklagte Widerspruch erhob.

Im dritten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und stellte im Wesentlichen fest: Erste Spannungen in der Ehe seien nach der Geburt des Kindes aufgetreten, als die Beklagte ihren Arbeitsplatz aufgegeben hatte; der Kläger habe es auf einem Pflegeplatz unterbringen wollen, damit die Beklagte wieder arbeite und er mehr Taschengeld für Gasthausbesuche und Umgang mit Frauen einbehalten könne. Zufolge Weigerung der Beklagten, wiederum arbeiten zu gehen, sei es zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen, bei denen sich die Beklagte geäußert habe: „Du blöder Kerl verstehst nichts". Zu den Streitigkeiten sei es auch aus finanziellen Gründen gekommen, weil der Kläger besseren Verdienst vor allem für sich verwendet, die Beklagte über die Lohnverhältnisse nicht informiert und ihr nur knappes Wirtschaftsgeld übergeben habe. Auseinandersetzungen habe es auch gegeben, weil der Kläger seine eigenen Interessen verfolgt, sich viel außer Haus aufgehalten, auch mit Frauen Lokale und Weinhallen aufgesucht habe und des öfteren alkoholisiert nach Hause gekommen sei; unter anderem mit A* und L* habe der Kläger ehewidrigen Umgang gepflogen. Über Betreiben des Klägers sei dann die Beklagte einer Bedienung nachgegangen, während der Sohn unbeaufsichtigt geblieben sei und sich herumgetrieben habe. Als der Sohn ungenügende Leistungen in der Schule erbracht habe und die erste Volksschulklasse wiederholen habe müssen, habe dies die Beklagte auf die häuslichen Auseinandersetzungen zurückgeführt. Die Beklagte habe dann ihre Tätigkeit eingeschränkt, der Kläger habe verbittert ob der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt, sie könne auch zu Hause bleiben. Der Sohn sei wegen der ständigen Auseinandersetzungen seiner Eltern labil gewesen, die Beklagte habe ihn in übertriebener Mutterliebe noch verwöhnt und sich in Maßnahmen des Klägers eingemengt. Bereits am 30. November 1953 habe der Kläger eine Ehescheidungsklage eingebracht, das Klagebegehren sei jedoch mangels erwiesener Eheverfehlungen der Beklagten abgewiesen worden. Der Kläger sei (im Jahre 1955) über Vermittlung seiner Tochter mit Besserungszusagen in die häusliche Gemeinschaft zurückgekehrt, habe sich aber daran gestoßen, daß die Beklagte ihn nicht mit offenen Armen empfangen und sich nicht zu ihm ins Bett gelegt habe. Als der Sohn die vierte Hauptschulklasse nicht geschafft habe und arbeiten gehen habe wollen, habe der Kläger ihm gesagt, er werde ihm beim Finden eines Arbeitsplatzes behilflich sein, er müsse aber Begonnenes zu Ende führen und durchhalten. Der weiter praktisch kaum beaufsichtigte Sohn habe jedoch auch dann auf Lehrplätzen versagt; bei der Beklagten habe er Deckung gefunden. Sie habe aus übertriebener Mutterliebe immer wieder für den Sohn Partei ergriffen, angesichts der Vernachlässigung durch den Kläger ihre ganze Persönlichkeit auf den Sohn konzentriert und sich gegen jede auch vernünftig scheinende erzieherische Maßnahme des Klägers, der den Sohn zu einem Ausharren auf einem Arbeitsplatz oder einer Lehrstelle veranlassen sollte, aus Unverständnis oder Beharren auf ihrem Standpunkt ablehnend verhalten. Mehrfache Beanstandungen des Sohnes im Prater im Jahre 1963 hätten den Kläger zu einer Heimunterbringung im Wege der Fürsorgeerziehung veranlaßt. Die Beklagte sei uneinsichtig gewesen, was sogar zu einem Besuchsverbot geführt habe. Sie habe Eingaben gemacht, habe, in ihrer Uneinsichtigkeit verbohrt, alle Schuld dem Kläger gegeben, sich in Haßgefühle gesteigert und in kränkenden Beschuldigungen dem Kläger die Verantwortung zugeschoben; sie habe sogar mit Selbstmord gedroht, wenn der Sohn, um dessen Entlassung sich der Kläger dann ohnehin vergeblich bemüht hatte, nicht heimkomme. Die Beklagte habe zum Kläger nur Worte gehabt wie: „Verschwinde, ich will nur den Buben nach Hause haben“. Am 30. Jänner 1964 habe der Kläger eine weitere Ehescheidungsklage erhoben, sie jedoch vor der Verhandlung zurückgezogen. Am 1. November 1966 sei der Sohn entlassen worden. Die Beklagte habe es zunächst einmal für notwendig befunden, daß sich der Sohn erhole. Da nunmehr die Beklagte und der Sohn gegen den Kläger eingestellt gewesen seien, sei es zu keinem besseren Einvernehmen gekommen. Bei entgegengesetzten Vorstellungen habe die Beklagte dem Kläger gegenüber wieder nur Worte, wie „blöder, tepperter Kerl, was verstehst denn, Idiot“ gefunden, in ihrer Erbitterung aber auch gesagt: „Wenn du schon hin wärst, ich will dich nicht mehr sehen, verschwinde aus der Wohnung“. Dieses Verhalten habe die Beklagte auch am Abend oder in den Nachtstunden gezeigt. Der Kläger sei bedrückt gewesen, zumal der Sohn gegen ihn nicht nur Ablehnung, sondern auch ein gewisses Maß an Haß gezeigt habe und die Beklagte trotzdem gegen ihn Partei ergriffen habe. Bereits im Frühjahr 1967 habe der Kläger Verköstigung durch die Beklagte abgelehnt sowie seine Gasthausbesuche und auch Kontakte mit anderen Frauen wieder aufgenommen. In seinem Streben aus der Ehe und nach mehr Geld für eigene Zwecke habe sich der Kläger schließlich um eine eigene Wohnung umgesehen und einen Bestandvertrag mit Wirksamkeitsbeginn 1. Jänner 1968 abgeschlossen. Als die Beklagte vor Weihnachten 1967 dem Kläger vorgehalten habe, er mache durch die Sesselflechterarbeiten, die er zur Erzielung eines Nebenverdienstes durchgeführt habe, Schmutz, habe der Kläger auf ihre unfreundlichen Worte geantwortet: „Du dumme Trutschen“ und habe gegen sie die Hand aufgehoben, worauf sich der Sohn schützend vor die Mutter gestellt habe. Als die Beklagte erklärt habe, der Kläger habe in der Wohnung nichts zu reden, habe er sich entschlossen zu gehen. Im nunmehrigen Verfahren habe sich die Beklagte als unvernünftige und uneinsichtige Person erwiesen, ihr Sohn habe einen schlechten, eine gewisse Verwahrlosung offenbarenden Eindruck gemacht. Die Beklagte wolle keine geschiedene Frau sein, zumal sie aus gutem Haus und katholisch erzogen sei und meine, sie hätte sich nichts zu schulden kommen lassen. Sie sei an der Fortsetzung der Ehe interessiert, bereit, den Kläger bei sich aufzunehmen und die Ehe mit ihm fortzusetzen. Die Ehe sei tiefgreifend und unheilbar zerrüttet, der Widerspruch der Beklagten jedoch zulässig erhoben. Der Beklagte sei allerdings der beharrliche Widerstand gegen die Erziehungsmaßnahmen des Klägers, die dazu führten, daß der Sohn Haßgefühle gegen den Vater hegte, und die kränkenden Worte für den Kläger in diesem Zusammenhang anzulasten. Der Kläger sei sich aber seiner Unterhaltsverpflichtungen von Anfang an nicht bewußt gewesen, er habe Frau und Kind zugunsten von Gasthausbesuchen vernachlässigt und mit anderen Frauen ehewidrigen Umgang gepflogen. Ihm müsse ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angelastet werden. Bei Berücksichtigung der Primitivität, Schwerfälligkeit, Einsichtslosigkeit und mangelnden Initiative der Beklagten müsse bei ihr doch von Ernstlichkeit, die Ehe fortzusetzen, gesprochen werden.

Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren für mangelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und bestätigte dessen Entscheidung. Rechtlich sei zu prüfen, von welchem Ehegatten unter Betrachtung der gesamten Verhaltungsweise die Zerrüttung der Ehe verursacht wurde und welchen Ehegatten im Sinne der §§ 47 bis 49 EheG, der schwerere Schuldvorwurf treffe; auch verziehene oder bereits geltend gemachte Eheverfehlungen seien zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen sei dem Kläger die überwiegende Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten. Er sei es gewesen, der sich zuerst von seiner Frau abgewendet habe, Gasthäuser besucht, sich mit anderen Frauen abgegeben und zur Finanzierung seiner Vergnügungen noch verlangt habe, die Beklagte müsse, anstatt das Kind zu versorgen, eine Arbeitstätigkeit aufnehmen. Diese grobe Vernachlässigung der Familie sei offenbar der innere Grund gewesen, daß die Beklagte nur mehr ihren Sohn im Sinn gehabt habe und in dieser Beziehung gegen den Kläger eingestellt gewesen sei. Die sich daraus ergebenden Spannungen und Zwistigkeiten seien der Ausgangspunkt für die zunehmende Zerrüttung der Ehe gewesen, die der Kläger durch seinen wohl vorbereiteten Auszug beendet habe. Durch seine Lebensweise habe der Kläger auch seine Unterhaltspflicht verletzt. Das Verhalten der Beklagten sei erst eine Folgeerscheinung gewesen, möge es auch teilweise die durch die eheliche Gemeinschaft gegebenen Grenzen und gebotenen Rücksichten überschritten haben. Meinungsverschiedenheiten über Erziehungsfragen, mögen sie auch noch so schwerwiegend sein, stellten keine Rechtfertigung für die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch den Kläger dar. Der Widerspruch der Beklagten sei daher zulässig, aber auch, da sie nicht jede eheliche Gesinnung verloren habe, beachtlich. Der Sohn sei inzwischen erwachsen, so daß Erziehungsfragen nicht mehr strittig sein könnten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers, die die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag geltend macht, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren kostenpflichtig stattgegeben werde.

Die Beklagte beantragte, das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vollinhaltlich zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe einige Feststellungen zum Nachteil der Beklagten nicht in seine Entscheidung aufgenommen. Darauf, in welchem Umfang das Berufungsgericht die erstgerichtlichen – teilweise recht ungeordnet getroffenen – Feststellungen zitierte, kommt es aber nicht an. Es hat alle Feststellungen des Erstgerichts übernommen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt, so daß auch nur diese Feststellungen Grundlage der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes sind. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nicht gegeben.

Bei der rechtlichen Beurteilung ist davon auszugehen, daß im vorliegenden Fall die Voraussetzungen, die § 55 Abs 1 EheG, für ein Scheidungsbegehren wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft erfordert, gegeben sind. Die Bestimmungen des § 55 Abs 1 EheG, schaffen einen rein objektiven Tatbestand, bei dem es auf das Verschulden überhaupt nicht ankommt; neben der dreijährigen Heimtrennung muß nur das objektive Merkmal der tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses vorliegen. Nach der Absicht des Gesetzes sollen solche Ehen geschieden werden, sofern der Kläger die Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses weder ganz noch überwiegend verschuldet hat (JBl 1974, 99; SZ 35/31 u.v.a.). Nach § 55 Abs 2 EheG sind für die Beurteilung der Zulässigkeit des von der beklagten Partei erhobenen Widerspruches die Zerrüttungsursachen in ihrer Gesamtheit, somit auch verjährte und verziehene Eheverfehlungen, zu berücksichtigen; es ist zu untersuchen und festzustellen, welchen von beiden Ehegatten unter Anwendung der Maßstäbe der §§ 47 bis 49 EheG, das schwerere Verschulden trifft (RZ 1974/17; EFSlg 20.445, 18.209, 15.923 u.a.); es kommt auf das Maß der Ursächlichkeit an (EFSlg 18.211 u.a.).

Bei beiderseitigem Verschulden muß jedoch ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teiles annehmen zu können (EFSlg 20.503, 18.263 u.a.; zu § 55 EheG vgl. EFSlg 15.924). Ist eine solche Annahme nicht gerechtfertigt, ist es unbeachtlich, daß der beklagte Ehegatte an der Ehe festhalten will (EFSlg 18.216 u.a.). Um die beiderseitigen Eheverfehlungen richtig beurteilen zu können, müssen sie in ihrer Gesamtheit gesehen werden; es kommt hiebei nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg 20.510, 18.266 u.a.); es ist nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch wer entscheidend dazu beigetragen hat, daß die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (EFSlg 20.508 u.a.).

Beurteilt man, von dieser ständigen Rechtsprechung ausgehend, die Feststellungen der Untergerichte rechtlich, muß man zwischen mehreren Phasen der zweifellos schon bald nicht mehr gut verlaufenen Ehe unterscheiden. In den ersten Jahren war der Kläger offensichtlich nicht gewillt, das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Verpflichtungen zu beachten, so daß er eine Reihe sehr schwerer Eheverfehlungen beging, die zweifellos wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Ehe schließlich scheiterte. Nur um mehr Taschengeld für Gasthausbesuche und Umgang mit anderen Frauen zur Verfügung zu haben, hätte er seinen Sohn am liebsten auf einem Pflegeplatz außer Haus untergebracht und die Beklagte gezwungen, einem Erwerb nachzugehen. Er verstieß durch den ehewidrigen Umgang mit mehreren Frauen, Vernachlässigung der Beklagten, unmäßigen Alkoholgenuß, Verletzung der Unterhaltspflicht und Unverständnis den Bedürfnissen seines labilen Sohnes gegenüber zweifellos schwer gegen die aus dem Eheverhältnis entspringenden Verpflichtungen. Als sein am 30. November 1953 erhobenes Ehescheidungsbegehren abgewiesen wurde, änderte er aber immerhin seine Einstellung und kehrte, wenn auch über Vermittlung seiner Tochter, mit Besserungszusagen in die häusliche Gemeinschaft zurück, wie es dem von der Beklagten erfolgreich gestellten Antrag auf Abweisung des Ehescheidungsbegehrens entsprochen hatte. Wenn es vielleicht auch zu viel verlangt war, daß sich die Beklagte nach langer Prozeßführung und weitgehender Entfremdung nach Rückkehr des Klägers sogleich zu ihm ins Bett gelegt hätte, geht aus den Feststellungen der Untergerichte doch hervor, daß die Beklagte sich in der Folge keineswegs so verhielt, wie es die Verpflichtung einer Ehefrau, die zur Ehe steht, gewesen wäre. Für die folgenden Jahre stellten die Untergerichte jedenfalls praktisch ausschließlich schwere Eheverfehlungen der Beklagten, nicht aber des Klägers fest. Während der Kläger bemüht war, dafür Sorge zu tragen, daß der offenbar nur mäßig begabte und auch sonst schwer zu behandelnde Sohn einen ordentlichen Beruf erlerne und auf Lehrplätzen verbleibe, trug nun die Beklagte dazu bei, die Bemühungen des Klägers zu vereiteln. Aus übertriebener Mutterliebe und Unverständnis, aber auch aus Eigensinn, gab die Beklagte ihrem Sohn auch ungerechtfertigt Rückendeckung und vereitelte jede vernünftige Erziehungsmaßnahme, so daß der Sohn in Fürsorgeerziehung eingewiesen werden mußte. Durch dieses Verhalten verletzte die Beklagte nicht nur ihre Pflichten als Mutter, sondern auch als Ehefrau dem Kläger gegenüber, mußte die Ehe doch durch die ständigen Streitigkeiten stark belastet werden; wie weit dies ging, wird durch die Feststellung deutlich, daß die Beklagte nicht nur uneinsichtig alle Schuld dem Kläger gegeben, sondern sich dem Kläger gegenüber auch in Haßgefühle steigerte und in kränkenden Beschuldigungen dem Kläger die Verantwortung zugeschoben hat. Besonders wesentlich ist dabei die Feststellung, daß die Beklagte zum Kläger nur Worte wie „Verschwinde, ich will nur den Buben nach Hause haben“ gehabt hat; sie hat also nicht nur die zitierte schwere, Beleidigung des Klägers begangen, sondern sich laufend in ähnlich schwerwiegender Weise dem Kläger gegenüber geäußert. Daß der Kläger trotzdem letztlich versuchen wollte, die Ehe aufrechtzuerhalten, ergibt sich daraus, daß er eine weitere im Jahre 1964 erhobene Ehescheidungsklage schon vor der Verhandlung zurückgezogen hat. Er hat auch dem Wunsch der Beklagten nach Heimkehr des Sohnes insofern Rechnung zu tragen versucht, daß er sich, wenn auch vergeblich, darum bemühte. Offenbar noch schlimmer wurde es, als der Sohn Ende 1966 tatsächlich nach Hause kam und nun die Beklagte und er gemeinsam gegen den Kläger eingestellt waren; besonders ins Gewicht fallen müssen dabei die festgestellten Äußerungen der Beklagten, die den Wunsch, der Kläger wäre tot oder würde aus der Wohnung verschwinden, beinhalten. Als der Sohn eindeutig Haßgefühle gegen den Kläger zeigte, hat die Beklagte trotzdem gegen den Kläger Partei ergriffen. Wie unerträglich das Verhalten der Beklagten wurde, ergibt sich aus der Feststellung, daß sie es bis in die Nachtstunden hinein fortsetzte. Erst nach diesem sich insgesamt immerhin durch viele Jahre hinziehenden und nach der Rückkehr des Sohnes zunehmenden bösartige Verhalten der Beklagten hat dann der Kläger, wie festgestellt, Handlungen unternommen, die auf die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft hinausliefen, indem er ab Frühjahr 1967 die Verköstigung durch die Beklagte ablehnte und seine Gasthausbesuche und den Kontakt mit anderen Frauen wieder aufnahm. Aus diesen Feststellungen ergibt sich aber auch, daß der Kläger im Wesentlichen seine Besserungszusagen nach Abweisung des Scheidungsbegehrens im Jahre 1955 eingehalten hatte und erst im Frühjahr 1967, als er auch den ehelichen Geschlechtsverkehr mit der Beklagten einstellte, in sein altes ehewidriges Verhalten zurückfiel. Jedenfalls wurden schwere Eheverfehlungen des Klägers, die nur einigermaßen an Bedeutung den Eheverfehlungen der Beklagten gleichgekommen wären, für die Zeit von seiner Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft im Jahre 1955 bis zur offenbar durch das Verhalten der Beklagten schon weitgehenden Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses im Jahre 1967 nicht festgestellt. Das weitere uneingeschränkte feindselige Zusammenwirken zwischen Mutter und Sohn war dann auch von wesentlichem Einfluß darauf, daß der Kläger nach Beschaffung einer Wohnung die eheliche und häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten aufgab. Wenn nun auch der Kläger durch sein kraß ehewidriges Verhalten in den ersten Ehejahren wesentlich zum Scheitern der Ehe beigetragen hat, weil damit von allem Anfang an die Ehe auf eine ungünstige Basis gestellt wurde, so darf doch nicht unbeachtet bleiben, daß der Kläger nach erfolglos geführter Ehescheidungsklage daraus die Konsequenzen zog und es in der Folge die Beklagte war, die sich schwerstens gegen ihre Eheverpflichtungen verging, Haßgefühle gegen den Kläger zeigte und ihnen durch schwerste Verwünschungen wie Todes- und Entfernungswünsche Ausdruck verlieh; sie hat auch nichts dazu beigetragen, das Verhältnis des Klägers zum Sohn zu verbessern, obwohl der Kläger offensichtlich zumindest versuchen wollte, dem Sohn den rechten Weg zu weisen, sondern hat sich ungerechtfertigterweise immer wieder auf die Seite des noch unreifen Sohnes und gegen den Kläger gestellt. Den entscheidenden Beitrag dazu, daß das eheliche Verhältnis letztlich unheilbar zerrüttet wurde, leistete damit die Beklagte. Unter diesen Umständen kann sich der Oberste Gerichtshof der Auffassung der Untergerichte nicht anschließen, daß ein so erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens der Streitteile bestehe, daß er den von der Beklagten erhobenen Widerspruch zulässig machen würde. Da die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 EheG aber vorliegen, sind die Urteile der Untergerichte dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben wird. Der erhobene Widerspruch der Beklagten ist allerdings als Verschuldensantrag für den Fall der Scheidung der Ehe anzusehen, da sich aus den Umständen des Falles nicht ergibt, daß die Stellung eines Verschuldensantrages von der Beklagten absichtlich unterlassen worden wäre (EFSlg 13.931 u.a.). Der Ausspruch, den Kläger treffe ein Verschulden (§ 61 Abs 2 EheG), ist in das Urteil aufzunehmen, da bei Bedachtnahme auf die auch vom Kläger gesetzten schweren Verfehlungen nicht gesagt werden kann, daß dies unbillig oder ein Rechtsmißbrauch wäre (EFSlg 20.519; EvBl 1971/283; SZ 42/167).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 45a50 ZPO. Auch in einem Fall, in welchem es zu einem Schuldausspruch gemäß § 61 Abs 2 EheG kommt, ist § 45a ZPO anwendbar (EvBl 1965/170); die Aufhebung der Verfahrenskosten gegeneinander wäre bei den gegebenen Umständen (beiderseitiges, jedoch bei keinem Streitteil überwiegendes Verschulden) aber auch nach den Grundsätzen des § 43 Abs 1 ZPO gerechtfertigt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte