European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0040OB00502.75.0218.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß dem Rekurs des Noterben Dkfm. J* gegen den Beschluß des Erstgerichtes vom 22. 7. 1974, ON. 9, nicht Folge gegeben wird.
Begründung:
J* ist am *1973 unter Hinterlassung seiner Ehegattin K* und der drei großjährigen Kinder Dkfm. J*, K* und B* verstorben. Er hatte am 16. 3. 1965 ein Testament errichtet, in welchem er seine Frau K* zur Universalerbin bestimmte und gleichzeitig erklärte, daß die drei Kinder ihren Pflichtteil bereits zu seinen Lebzeiten erhalten hätten (ON. 4 S. 19). Bei der vom Gerichtskommissär, Notar A*, zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung abgehaltenen Tagsatzung vom 2. 3. 1974, zu welcher sowohl die Witwe als auch die drei Kinder des Erblassers gekommen waren, blieben die Echtheit und die Gültigkeit der letztwilligen Verfügung zwar unbestritten, doch wurde von Dkfm. J* „allenfalls die Ergänzung des Pflichtteils verlangt“. Die Witwe gab sodann auf Grund des Testamentes vom 16. 3. 1965 zum ganzen Nachlaß die bedingte Erbserklärung ab, worauf die Verhandlung „zur Errichtung der Inventur“ vertagt wurde (ON. 5 S. 21 f). Zur fortgesetzten Verlassenschaftsabhandlung am 16. 3. 1974 erschienen wohl die Witwe und die beiden Kinder K* und B*, nicht aber Dkfm. J*; dieser war, wie es in dem vom Gerichtskommissär über diese Tagsatzung aufgenommenen Protokoll heißt, „telefonisch geladen“ worden, jedoch nicht erschienen. Nachdem die beiden anwesenden Kinder des Erblassers ausdrücklich erklärt hatten, keine Pflichtteilsansprüche geltend zu machen, wandelte K* ihre bedingte in eine unbedingte Erbserklärung auf Grund des mehrfach genannten Testamentes um und errichtete im Anschluß daran ein eidesstättiges Vermögensbekenntnis, welches einen reinen Nachlaß von S 63.421,-- auswies (ON. 5 S: 22 ff). In der Folge gab B* dem Abhandlungsgericht bekannt, daß der Erblasser außer dem im eidesstättigen Vermögensbekenntnis bereits berücksichtigten Hälfteanteil der Liegenschaft EZ. 112 KG. * noch eine weitere Liegenschaft in der KG. * besessen habe. Der Gerichtskommissär hielt deshalb am 2. 7. 1974 eine weitere Tagsatzung zur Ergänzung der Verlassenschaftsabhandlung ab, bei welcher wiederum nur die Witwe K* und die beiden Kinder K* und B* anwesend waren, während Dkfm. J* „trotz gehöriger Ladung nicht erschienen“ war. Dabei wurde der Wert des neu aufgefundenen Liegenschaftsbesitzes des Erblassers in das eidesstättige Vermögensbekenntnis einbezogen und so ein reiner Nachlaßwert von S 83.421,-- ermittelt (ON. 8 S. 39 f). Mit Beschluß vom 22. 7. 1974 (ON. 9 S. 41) nahm das Erstgericht die von der Witwe K* zum ganzen Nachlaß abgegebene unbedingte Erbserklärung zu Gericht an; das Erbrecht wurde als ausgewiesen erachtet, das eidesstättige Vermögensbekenntnis der Abhandlung zugrunde gelegt, die Erklärungen der beiden Kinder K* und B*, keine Pflichtteilsansprüche zu stellen, zur Kenntnis genommen und das Testament vom 16. 3. 1965 für erfüllt erklärt. Mit Einantwortungsurkunde vom selben Tag (22. 7. 1974) wurde der Nachlaß zur Gänze der Witwe K* eingeantwortet und die Verlassenschaftsabhandlung für beendet erklärt (ON. 10 S. 43).
Der Mantelbeschluß ON. 9 wurde von Dkfm. J* fristgerecht mit Rekurs angefochten: Der Pflichtteil des Rekurswerbers sei „nicht berechnet“ worden, weil die notarielle Vorladung zum 16. 3. 1974 „nicht ordnungsgemäß erfolgte“ und die Ladung zum 2. 7. 1974 vom Rekurswerber „wegen beruflicher Verhinderung nicht akzeptiert werden konnte“, was dem Notariat telefonisch bekanntgegeben worden sei. Es werde daher beantragt, den Pflichtteil „von Gerichts wegen festzustellen“ und dabei den tatsächlichen Wert der Nachlaßaktiva zu berücksichtigen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß gab das Kreisgericht Ried i. I. diesem Rekurs Folge. Die das Verlassenschaftsverfahren beendenden Beschlüsse ON. 9 und 10 wurden als nichtig aufgehoben und die vom Gerichtskommissär am 16. 3. und am 2. 7. 974 durchgeführten Tagsatzungen für nichtig erklärt; dem Erstgericht wurde aufgetragen, die Verlassenschaftsabhandlung „nach ordnungsgemäßer Ladung des pflichtteilsberechtigten Dkfm. J* unter Berücksichtigung der von den Beteiligten bei der Tagsatzung vom 2. 3. 1974 abgegebenen Erklärung neu durchzuführen". In der Begründung dieses Beschlusses vertritt das Rekursgericht die Auffassung, daß Dkfm. J* entgegen § 95 Abs. 1 AußStrG zur Tagsatzung vom 16. 3. 1974 nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. Gemäß § 9 GKoärG BGBl. 1970/343 habe die Zustellung von Ladungen durch die Post oder durch das Gericht zu erfolgen; dabei seien, wie sich aus § 6 AußStrG ergebe, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Zustellung im Zivilprozeß anzuwenden. Dkfm. J* sei vom Notar für den 16. 3. 1974 telefonisch geladen worden; eine solche Form der Ladung sei aber den §§ 87 ff ZPO fremd. Dem Rekurswerber sei durch dieses gesetzwidrige Vorgehen des Gerichtskommissärs die Möglichkeit genommen worden, von seinem Recht auf genaue und gewissenhafte Ermittlung des Nachlaßwertes Gebrauch zu machen (§ 102 AußStrG), allenfalls eine Schätzung zu begehren. Diese dem Noterben unter Umständen entstandenen Nachteile könnten auch durch eine Geltendmachung seiner Pflichtteilsansprüche im Prozeßwege nicht behoben werden, weil die Feststellung des Nachlasses und dessen Schätzung im Prozeß zufolge der in der Zwischenzeit auf Grund eines unkontrollierten eidesstättigen Vermögensbekenntnisses verfügten Einantwortung zu unrichtigen, für den Noterben nachteiligen Ergebnissen führen könne. Der vom Notar begangene Formverstoß begründe einen schweren, mit Nichtigkeitsfolge im Sinne des § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO bedrohten Verfahrensmangel, welcher zur Aufhebung des Mantelbeschlusses und der Einantwortungsurkunde sowie zur Nichtigerklärung der vom Gerichtskommissär am 16. 3. und am 2. 7. 1974 durchgeführten Tagsatzungen führen müsse. Die gehörige Ladung des Rekurswerbers zur Tagsatzung vom 2. 7. 1974 könne daran nichts ändern, weil damals nur der nachträglich hervorgekommene Liegenschaftsbesitz des Erblassers in das eidesstättige Vermögensbekenntnis einbezogen werden sollte, ohne daß es dem Rekurswerber möglich gewesen wäre, die durch die vorangegangene ungesetzliche Ladung versäumten Erklärungen nachzuholen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Witwe K* und ihres Sohnes B* mit dem Antrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Rekurs Dkfm. J*s „abzuweisen“ und die Beschlüsse ON. 9 und 10 wiederherzustellen.
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Daß nicht nur dem pflegebefohlenen, sondern auch dem volljährigen Noterben ein Recht zur Beteiligung am Verlassenschaftsverfahren zusteht, ergibt sich unmittelbar aus den ihm vom Gesetz eingeräumten Rechten: Nach § 784 Satz 2 ABGB steht es dem Noterben frei, der Schätzung des Nachlasses beizuwohnen und seine Erinnerungen dabei zu machen; er kann gemäß § 804 ABGB die Errichtung eines Inventars verlangen und gemäß § 812 ABGB unter bestimmten Voraussetzungen auch auf die Absonderung der Verlassenschaft vom Vermögen des Erben dringen. Mit Rücksicht auf diese Befugnisse – und nicht zuletzt auch deshalb, weil dadurch künftige Rechtsstreitigkeiten mit den Erben unter Umständen von vornherein vermieden werden können – ist der Noterbe dem Abhandlungsverfahren beizuziehen; er kann sich auf diese Weise – ohne daß dadurch allerdings einem späteren Pflichtteilsprozeß in irgendeiner Weise vorgegriffen würde – die Grundlagen für die Berechnung seines Pflichtteils verschaffen und so schon in diesem Stadium des Verfahrens einer allfälligen Verkürzung seiner Rechte vorbeugen (vgl. dazu Czerny, Verfahrensrechtliche Stellung des eigenberechtigten Pflichtteilsnehmers, NZ. 1951, 22; ferner auch Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen 65; Schuster, Komm. zum AußStrG 153). Wird dem Noterben die Ausübung der ihm nach dem Gesetz zustehenden Rechte dadurch unmöglich gemacht, daß er dem Verlassenschaftsverfahren nicht zugezogen wird, dann begründet ein solcher Verfahrensverstoß nach ständiger Rechtsprechung die Nichtigkeit (Nullität) des Abhandlungsverfahrens (SZ 24/291; SZ 32/13; SZ 42/130 = EvBl 1970/99 = NZ 1970, 127; NZ 1952, 126; NZ 1965, 73; EvBl 1967/164; EvBl 1974/113 = NZ 1974, 60; 6 Ob 209/73).
Entgegen der im angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung kann jedoch im vorliegenden Fall nach der Aktenlage keine Rede davon sein, daß das Erstgericht Dkfm. J* dem Abhandlungsverfahren nach seinem Vater nicht zugezogen hätte: Ebenso wie seine beiden Geschwister, war auch Dkfm. J* bei der ersten vom Gerichtskommissär zur Durchführung der Verlassenschaftabhandlung abgehaltenen Tagsatzung vom 2. 3. 1974 anwesend. Er erhielt dabei nicht nur vom Inhalt der Todfallsaufnahme, sondern insbesondere auch von dem am 16. 3. 1965 errichteten Testament seines Vaters Kenntnis, nach welchem die Pflichtteilsansprüche aller drei Kinder bereits zu Lebzeiten des Erblassers abgefunden worden waren. Außer der Äußerung, „allenfalls“ die Ergänzung des Pflichtteils zu verlangen, enthält das Verhandlungsprotokoll aber keine weiteren Erklärungen oder Anträge von seiner Seite. Es darf nun sicherlich nicht übersehen werden, daß Dkfm. J* am 2. 3. 1974 einen Antrag auf Schätzung des Nachlasses oder Errichtung eines Inventars möglicherweise nur deshalb unterlassen hatte, weil er mit der Durchführung dieser Maßnahmen schon auf Grund der von seiner Mutter an diesem Tag abgegebenen bedingten Erbserklärung rechnen konnte. Spätestens bei der Tagsatzung vom 2. 7. 1974 – zu welcher er nach seinen eigenen Angaben rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden war – hätte er aber von der nachträglich vorgenommenen Änderung der Erbserklärung seiner Mutter erfahren und dann immer noch ausreichend Gelegenheit gehabt, nun seinerseits die ihm notwendig erscheinenden Anträge zu stellen, insbesondere nun selbst im Sinne des § 804 ABGB die Errichtung eines Inventars zu verlangen; da die Abhandlung damals noch nicht abgeschlossen war, hätte entgegen der Meinung des Rekursgerichtes auch der Umstand, daß die Tagsatzung zunächst nur zur Einbeziehung des nachträglich hervorgekommenen Liegenschaftsbesitzes des Erblassers in das eidesstättige Vermögensbekenntnis anberaumt worden war, Dkfm. J* nicht gehindert, die bis zu diesem Zeitpunkt unterlassenen Erklärungen und Anträge nachzuholen (vgl. dazu auch 2 Ob 817/54; 5 Ob 224/64; 5 Ob 74/74). Die Möglichkeit dazu hat sich Dkfm. J* durch sein Ausbleiben selbst genommen, wobei im Revisionsrekurs in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hingewiesen wird, daß er gegen die Ablehnung einer Verlegung dieser Tagsatzung zwar nichts unternehmen konnte, sich dabei aber ohne weiteres auch durch jemand anderen hätte vertreten lassen können.
Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, daß der Noterbe Dkfm. J* durch gesetzwidriges Vorgehen des Gerichtskommissärs an der Ausübung der ihm in der Abhandlung nach seinem Vater zustehenden Rechte gehindert worden wäre; das Rekursgericht hat also zu Unrecht eine Nullität des Abhandlungsverfahrens angenommen. Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.
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