OGH 5Ob11/75

OGH5Ob11/7518.2.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sobalik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel, Dr. Marold, Dr. Samsegger und Dr. Griehsler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* S*, Hoch- und Tiefbauunternehmer, *, vertreten durch Dr. Hans Skroch, Rechtsanwalt in Bad-Aussee, wider die beklagte Partei S* S*, Industrieller, *, vertreten durch Dr. R. Wolfgang Volker, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 343.145,52 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 18. September 1974, GZ. 3 R 39/74‑73, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 6. Februar 1974, GZ. 3 Cg 34/73‑66, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0050OB00011.75.0218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte vom Beklagten S 343.145,52 samt 10 % Schadenersatzzinsen seit 4. März 1971 für Baumeisterarbeiten, die er über Auftrag des Beklagten anläßlich der Errichtung eines Büro- und Wohnhauses in * durchgeführt hat.

Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und im Wesentlichen eingewendet, daß er unter Berücksichtigung seiner Forderung auf Zahlung einer Vertragsstrafe für die Überschreitung der vereinbarten Bauzeit und eines Abstriches von der Klageforderung infolge von Qualitätsmangeln und nicht ausgeführten Leistungen S 58.877,78 mehr bezahlt habe, als er dem Kläger schulde. Aus mangelhafter Bauführung des Klägers ihm überdies noch zustehende verschiedene Forderungen in der Höhe von insgesamt S 119.094,80 hat der Beklagte aufrechnungsweise geltend gemacht.

Der Kläger hat die Richtigkeit der Einwendungen des Beklagten bestritten und sich für den Bestand seiner Forderung auch auf Sachverständigenbeweis (S 2 und 275) und auf Parteienvernehmung berufen.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, daß dem Kläger für seine Bauleistungen der Betrag von S 661.315,59 zustehe. Davon seien jedoch S 5.996,13 wegen der schlechten Ausführung des Estrichs und S 18.000,– an Vertragsstrafe für die um 18 Wochen (1.000,– S pro Woche) verspätete Baufertigstellung abzuziehen, sodaß unter Berücksichtigung der Teilzahlungen des Beklagten in Höhe von S 640.000,– zu seinen Gunsten ein Saldo von S 2.680,54 bestehe.

Der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben.

In der vom Berufungswerber gerügten Unterlassung der Parteienvernehmung des Klägers erblickte das Berufungsgericht keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens; diesen Umstand hätte der Berufungswerber nur unter dem Anfechtungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung bekämpfen können, da die Parteienvernehmung ein subsidiäres Beweismittel sei und das Erstgericht den streitigen Sachverhalt durch andere Beweismittel als erwiesen erachtet habe.

Das Berufungsgericht hat über die Angemessenheit der Schlußrechnung des Klägers vom 9. Dezember 1970 die Wiederholung des Sachverständigenbeweises beschlossen und dem Kläger aufgetragen, binnen 14 Tagen einen Kostenvorschuß von S 10.000,– bei Gericht zu erlegen. Nach fruchtlosem Verstreichen der Erlagsfrist beantragte der Beklagte mittels Schriftsatz die Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme von dem beschlossenen Sachverständigenbeweis. Bei der daraufhin fortgesetzten mündlichen Berufungsverhandlung wies der Berufungswerber die Einzahlung des Kostenvorschusses von S 10.000,– bei der *kasse * am Tage zuvor nach und das Berufungsgericht beschloß, daß Beweise nicht aufgenommen werden. Unter Beziehung auf die Säumnis des Berufungswerbers mit dem Erlag des ihm aufgetragenen Kostenvorschusses erachtete das Berufungsgericht, von der Durchführung des Sachverständigenbeweises im Sinne der §§ 365 und 332 Abs. 2 ZPO wegen der andernfalls eingetretenen weiteren Verzögerung des Berufungsverfahrens Abstand nehmen zu müssen. Weil dadurch die vom Erstgericht getroffenen, in den Ergebnissen des erstinstanzlichen Verfahrens gedeckten Feststellungen unwiderlegt geblieben seien, legte sie das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde, ohne sich mit den Berufungsausführungen zum Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zufolge Nichtbeiziehung des in erster Instanz beantragten zweiten Sachverständigen sowie zu den Anfechtungsgründen der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen Tatsachenfeststellung bezüglich der Feststellung einzelner Rechnungspositionen zu befassen. Zu dem erstmals im Berufungsverfahren vom Kläger zur Rechtsrüge vorgebrachten Einwand, das Erstgericht hätte die festgestellte Vertragsstrafe von S 18.000,– mäßigen müssen, führte das Berufungsgericht aus, daß eine amtswegige Mäßigung nicht möglich sei und der Kläger im Verfahren erster Instanz auch nicht das Übermaß der Vertragsstrafe behauptet habe.

Die Revision des Klägers ficht das Berufungsurteil wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung an. Der Revisionswerber beantragt, das angefochtene Urteil derart abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde, und begehrt hilfsweise, das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Beweiswiederholung unter Beiziehung eines Sachverständigen aufzutragen oder die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist jedoch berechtigt.

Der Beklagte hatte in erster Instanz behauptet (S 6), die Klageforderung sei vom Kläger an die *kasse * abgetreten worden und diese habe die zur Eintreibung der abgetretenen Forderung beim Kreisgericht Leoben zur AZ 3 Cg 16/71 eingebrachte Klage unter Anspruchsverzicht zurückgezogen; es liege deshalb rechtskräftig entschiedene Sache vor.

Über diese Einrede hatte das Erstgericht nicht entschieden, wohl aber in den Entscheidungsgründen die Feststellung getroffen, die *kasse * habe die Klage mit der Erklärung zurückgezogen, daß sie zufolge Rückzession der Forderung an den Zedenten (und Kläger im vorliegenden Verfahren) am 20. Juni 1971 nun keine Ansprüche mehr gegen den Beklagten habe. In der Berufungsmitteilung (S. 350) hat der Beklagte gerügt, daß das Erstgericht die Klage nicht wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückwies. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Rüge nicht auseinandergesetzt. Im Revisionsverfahren wurde diese Mangelhaftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichtes allerdings nicht gerügt.

Die vom Beklagten behauptete und amtswegig wahrzunehmende Klagezurückziehung unter Anspruchsverzicht (vgl. Fasching III, 146, 600; JBl 1959, 375; 6 Ob 70/73) liegt aber auch nicht vor.

Nach der bereits dargelegten und von den Parteien unbekämpft gebliebenen Feststellung des Erstgerichtes erfolgte die Zurücknahme der Klage durch die *kasse * nach der Rückzession der eingeklagten Forderung an den vormaligen Zedenten und Kläger in diesem Verfahren. Die Forderung befand sich also im Zeitpunkt der Klagezurückziehung nicht mehr in der Rechtszuständigkeit der *kasse *, sodaß sie auch darüber nicht mehr verfügungsfähig war. Der Einrede des Beklagten kommt deshalb keine Berechtigung zu und der Oberste Gerichtshof hat auch keinen Anlaß, amtswegig die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht zur Grundlage einer Entscheidung zu nehmen.

Durch seinen Beschluß, den Beweis über die Angemessenheit der Schlußrechnung des Klägers vom 9. 12. 1970 durch Sachverständigen zu wiederholen, brachte das Berufungsgericht zum Ausdruck, daß es gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des erstinstanzlichen Urteiles Bedenken hatte und ihm die Durchführung dieses Beweises durch Beiziehung eines neuen Sachverständigen aus dem Baufache zur Erledigung der Berufungsanträge notwendig erschien. Es hat damit dem vom Erstgericht gemäß § 275 Abs. 1 ZPO als unerheblich zurückgewiesenen Beweisantrag des Klägers auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen aus dem Baufache Berechtigung zuerkannt und ihm nun – erstmals also – stattgegeben. Das Berufungsgericht hat dabei in Befolgung der zwingenden Vorschrift des § 365 ZPO (vgl. Fasching III, 497) den Kläger als Beweisführer behandelt, denn er hatte in erster Instanz den Antrag gestellt und seine Nichtbefolgung durch das Erstgericht im Berufungsverfahren bemängelt, und dementsprechend ihm allein den Erlag eines Kostenvorschusses aufgetragen. Nach fruchtlosem Verstreichen der Erlagsfrist wurde vom Beklagten als Beweisführungsgegner mittels Schriftsatz gemäß den §§ 332 Abs. 2 und 365 letzter Satz ZPO der Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens ohne Bedachtnahme auf den ausständigen Sachverständigenbeweis gestellt und das Berufungsgericht hat mit Recht bei der daraufhin anberaumten fortgesetzten mündlichen Berufungsverhandlung von der Durchführung dieses Beweises Abstand genommen, da der Kläger erst am Tage zuvor den Kostenvorschussbetrag bei einer Bank eingezahlt hatte, sodaß durch die spätere Benützung dieses Beweismittels eine Verzögerung des Verfahrens eingetreten wäre (§ 279 ZPO, auf den § 332 Abs. 2 ZPO ausdrücklich verweist). Insoweit ist also das Berufungsverfahren mangelfrei geblieben.

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, daß die vom Kläger gerügte Unterlassung seiner Vernehmung als Partei vor dem Prozeßgericht erster Instanz keinen Verfahrensmangel begründen konnte, weil dieses Beweismittel zufolge der ausdrücklichen Anordnung des § 371 Abs. 2 ZPO nur subsidiär benützt werden darf, das Erstgericht aber den streitigen prozeßerheblichen Sachverhalt bereits auf Grund anderer Beweismittel als hinreichend geklärt und damit die erforderlichen Beweise als hergestellt erachtete. In einem solchen Fall kann die Unterlassung der Parteienvernehmung nur im Rahmen der Anfechtung der Beweiswürdigung gerügt werden, es darf jedoch dem Berufungswerber die unrichtige Subsumtion des Anfechtungsgrundes nicht schaden (Fasching III, 519). Das Berufungsgericht war deshalb der unrichtigen Auffassung, sich mit dieser Rüge des Klägers wegen ihrer verfehlten Qualifikation als Verfahrensmangel nicht weiter befassen zu müssen. Weil es sich nicht mit den darauf beziehenden Darlegungen des Berufungswerbers befaßt hat, ist die Entscheidung insoweit mangelhaft begründet.

Die Begründung des Urteiles des Berufungsgerichtes ist überdies noch aus einem anderen Grunde mangelhaft:

Der Ausschluß des Sachverständigenbeweises zufolge der Säumnis des beweisführenden Klägers mit dem Erlag des aufgetragenen Kostenvorschusses konnte das Berufungsgericht nicht der Pflicht entbinden, sich im einzelnen mit den Ausführungen des Berufungswerbers zur Beweiswürdigung des Erstgerichtes soweit zu befassen, als dies ohne Beiziehung eines Sachverständigen möglich ist.

Da sich insoweit die Revision in der Verfahrensrüge als berechtigt erweist, ist das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 510 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Auf die Rechtsrüge kann nicht eingegangen werden, weil sie infolge ihrer nur allgemeinen und nicht begründeten Folgerung, es fehle an einer rechtlichen Beurteilung der Sache und bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre eine Klageabweisung nicht möglich gewesen, nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeführt wurde (Fasching IV, 322; ZBl 1924/279; 1 Ob 187/69).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs. 1 ZPO.

 

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