European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0030OB00003.75.0121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Der am * 1970 geborene R* ist das uneheliche Kind des F* und der I*, nunmehr verehelichte S*. Die Eltern lebten bei Geburt des Kindes in Lebensgemeinschaft, gingen jedoch im Frühjahr 1973 auseinander. Dies hatte zur Folge, dass der Vater am 7. 5. 1973 die Übergabe des Kindes in seine, allenfalls seiner Eltern Pflege und Erziehung beantragte. Das Kind war vorher bis Weihnachten 1972 hauptsächlich von der mütterlichen Großmutter, seither ständig von den väterlichen Großeltern betreut worden.
Das Erstgericht hatte zunächst entsprechend einer Stellungnahme des zuständigen Jugendamts dem Eventualantrag des Vaters stattgegeben, das Rekursgericht ordnete jedoch an, dass das Kind der Mutter in Pflege und Erziehung übergeben werde (auf Grund dieser damals noch nicht rechtskräftigen Entscheidung erhielt die Mutter das Kind im September 1973 tatsächlich ausgefolgt). Der Oberste Gerichtshof hob mit Beschluss vom 15. 1. 1974, 3 Ob 227/73‑21, die Entscheidungen der Vorinstanzen auf, im wesentlichen mit der Begründung, dass zwar auch eine berufstätige Mutter durchaus imstande sein könne, ein Kind zu pflegen und zu erziehen, dass aber die vom Vater gegen die Eignung der Mutter zur Kindererziehung vorgebrachten und sich teilweise bereits aus dem Akt ergebenden Bedenken auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen seien. Im einzelnen wird auf die Ausführungen zu 3 Ob 227/73 hingewiesen.
Nach Durchführung der aufgetragenen Erhebungen – sie wurden in einem Punkt erst vom Rekursgericht vorgenommen – überwies das Erstgericht das Kind in die Pflege und Erziehung des Vaters.
Zur Frage, ob bei der gemäß § 170 Abs 1 ABGB primär zur Pflege und Erziehung des Kindes berufenen Mutter dessen ordnungsgemäße Betreuung und Erziehung erwartet werden kann, stellten die Vorinstanzen im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Mutter hat sich um das Kind bis zur Antragstellung seitens des Vaters nur sehr wenig gekümmert und überließ die Pflege und Erziehung des Kindes bis Weihnachten 1972 fast gänzlich ihrer Mutter, anschließend gänzlich den väterlichen Großeltern. Sie lebte und lebt auch seit ihrer am 15. 9. 1973 erfolgten Eheschließung im Familienverband ihrer Eltern, in welchem sich neun weitere Kinder (ihre Geschwister) und zwei uneheliche Enkelkinder aufhalten. Auch die bereits arbeitsfähigen Geschwister arbeiten nur zeitweise, wechseln häufig ihre Arbeitsplätze und zeigen wenig Freude an der Arbeit, sie sind außerdem teilweise wegen Eigentumsdelikten mehrfach vorbestraft. Ihr um vier Jahre jüngerer Ehemann H* ist wegen Schändung der damals achtjährigen Tochter seiner früheren Lebensgefährtin sowie wegen Diebstahls und Betrugs vorbestraft, er hat innerhalb des letzten Jahres vor der nunmehrigen Ableistung des Präsenzdienstes sechsmal seinen Arbeitsplatz gewechselt.
Die Mutter verfügt im Haus der Eltern und der übrigen Familie zwar mit ihrem Gatte über vier eigene Räume, doch ist namentlich infolge des Naheverhältnisses zu den übrigen Mitbewohnern die Erziehung des Kindes zu einem arbeitsamen und gesetzestreuen Menschen in Frage gestellt.
Hingegen sind der Vater und dessen Eltern, bei welchen das Kind während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters faktisch betreut wurde bzw künftig betreut werden soll, einfache und fleißige Menschen mit gefestigten sittlichen Grundsätzen, die dem Leben realistisch gegenüberstehen und Herzenswärme erkennen lassen.
Bei diesem Sachverhalt gelangte das Erstgericht zur Überzeugung, dass zum Wohl des Kindes dem Antrag des Vaters stattzugeben sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichts. Es führte unter anderem aus, dass für das Wohl des Kindes weniger die rein größenmäßig bei der Mutter günstigeren räumlichen Bedingungen, sondern weit mehr die persönlichen Verhältnisse seiner Betreuer und deren gesamte Umwelt ausschlaggebend seien; den im Rekurs neu vorgebrachten Umständen – den Ursachen der Auflösung der Lebensgemeinschaft der Mutter und ihrer gegenwärtigen Schwangerschaft zu einem ehelichen Kind – komme für die Entscheidung keine wesentliche Bedeutung zu.
Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der ao Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, das derzeit bei ihr befindliche Kind in ihrer Pflege und Erziehung zu belassen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus nachstehenden Gründen unzulässig.
Zufolge § 16 AußStrG kann in Außerstreitsachen (wie hier) bestätigende Entscheidung der zweiten Instanz nur bei Vorliegen einer offenbaren Gesetzwidrigkeit, einer Aktenwidrigkeit oder einer Nichtigkeit („Nullität“) angefochten werden.
Eine Aktenwidrigkeit oder Nichtigkeit im eigentlichen Sinn wurde nicht behauptet. Die Nichtbeachtung von Neuerungen – im vorliegenden Fall wurde nach den Rechtsmittelausführungen die im Rekurs neu behauptete Schwangerschaft der Mutter nicht berücksichtigt – stellt grundsätzlich bloß die Behauptung eines Verfahrensmangels dar, der im Rahmen eines ao Revisionsrekurses, wenn überhaupt, nur aufgegriffen werden könnte, wenn er in seinen Auswirkungen einer Nichtigkeit gleichkommt (ebenso EF‑Slg 16.809, 19.048 ua), also etwa, falls eine Neuerung geeignet ist, die gesamten Entscheidungsgrundlagen zu verändern oder umzustoßen (EF-SIg 19.053).
Ein derart gravierendes Neuvorbringen kann in der Behauptung der nunmehrigen Schwangerschaft der Rechtsmittelwerberin keinesfalls erblickt werden.
In rechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass § 170 Abs 1 ABGB der unehelichen Mutter zwar primär, aber nicht ausschließlich und unbedingt das Recht zur Pflege und Erziehung eines unehelichen Kindes einräumt, dieses Recht daher entgegenstehenden Interessen des Kindes weichen muss (ebenso EF‑SIg 15.475, 17.796 ua). Ob es im Interesse des Kindes liegt, eine von der primären Vorschrift des § 170 Abs 1 ABGB abweichende Anordnung zu treffen, hängt stets von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Da von einer „offenbaren Gesetzwidrigkeit“ im Sinn des § 16 AußStrG nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur gesprochen werden kann, falls eine bestimmte Frage im Gesetz selbst klar in einem bestimmten Sinn beantwortet wird, aber trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (ebenso EF-SIg 16.818, 19.061 uva), vermag die Behauptung, dass in einem konkreten Fall nicht alle Umstände gebührend berücksichtigt worden seien, bzw bei richtiger Würdigung dieser Umstände die angefochtene Anordnung nicht zu treffen gewesen wäre, die im § 16 AußStrG angeführte Rechtsmittelvoraussetzung offenbarer Gesetzwidrigkeit nicht herzustellen (ebenso EF-Slg 14.686, 19.070 uva).
Da somit keine der Anfechtungsvoraussetzungen des § 16 AußStrG gegeben ist, war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
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