OGH 7Ob225/69

OGH7Ob225/6914.1.1970

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Dinnebier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schopf, Dr. Steinböck, Dr. Neperscheni und Kinzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma Ing. E*****, vertreten durch Dr. Gerhard Blasche, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Ingrid Martinek‑Wehofer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 121.021,56 S sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Juli 1969, GZ 2 R 156/69‑10, womit der Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 29. April 1969, GZ 1 Cg 42/69‑4, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1970:0070OB00225.690.0114.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.333,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin behauptete, die Beklagte sei ihr aus Lieferungen und Leistungen einen Betrag von 121.021,56 S schuldig und beantragte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung dieses Betrags. Zu der infolge dieser Klage vom Erstrichter anberaumten ersten Tagsatzung erschien die Beklagte persönlich und erklärte nach dem Wortlaut des mit ihr aufgenommenen Protokolls nach Belehrung über den Gegenstand und den Zweck einer ersten Tagsatzung, dass sie die eingeklagte Forderung „nicht bestreiten könne und sonst gar nichts mehr sagen wolle“. Im Sinne des Antrags des Vertreters der Klägerin verkündete der Erstrichter sohin das Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens.

Die von der Beklagten gegen dieses Versäumungsurteil erhobene Berufung hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht führte aus, eine unrichtige Protokollierung der von der Beklagten in der ersten Tagsatzung abgegebenen Erklärung werde von der Beklagten nicht behauptet. Dieser protokollierten Erklärung könne jedoch nicht – wie dies die Berufung versuche – die Bedeutung beigelegt werden, die Beklagte müsse den eingeklagten Betrag nicht bezahlen, weil sie dafür nicht hafte. Die weitere Erklärung der Beklagten, dass sie nichts mehr sagen wolle, sei als Weigerung zu verhandeln im Sinne des § 133 Abs 2 ZPO anzusehen. Die formellen Voraussetzungen für die Fällung eines Versäumungsurteils seien daher gegeben gewesen. Da das Klagsvorbringen schlüssig den Urteilsantrag rechtfertige, habe der Erstrichter zutreffend ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens gefällt. Die erst in der Berufungsschrift vorgetragenen Einwendungen gegen den Klagsanspruch seien verspätet und daher nicht zu beachten.

Dieses Urteil bekämpft die Beklagte mit Revision aus den Gründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Urteilsfällung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

Die Beklagte macht den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO geltend und behauptet, durch eine unrichtige Protokollierung ihres Vorbringens bei der I. Instanz sei ihr die Möglichkeit entzogen worden, vor Gericht zu verhandeln. Sie habe nämlich dem Erstrichter nicht erklärt, die Forderung nicht bestreiten zu können, sie habe vielmehr gesagt, dass sie die Forderung nicht bezahlen könne.

Der Revisionsgrund der Nichtigkeit ist schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte nicht eine Nichtigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens, sondern eine Nichtigkeit behauptet, die im Verfahren I. Instanz vorgefallen sein soll. Nichtigkeiten aber, die in I. Instanz unterlaufen sind, können in der Revision nicht geltend gemacht werden (EvBl 1967 Nr 145, RSpr 1934 Nr 365, Slg 2.160 ua). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte die angebliche Nichtigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens nicht geltend gemacht.

Eine Mangelhaftigkeit des „gesamten Verfahrens“ soll auf die unrichtige Protokollierung der Prozessbehauptungen der Beklagten in der ersten Tagsatzung zurückzuführen sein.

Der Erstrichter ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die prozessualen Voraussetzungen für die Erlassung eines Versäumungsurteils gegeben waren. Die Unrichtigkeit dieser Ansicht würde eine Verletzung der Prozessgesetze darstellen. Ein derartiger Verstoß könnte, da keine materiell‑rechtliche Vorschrift verletzt wurde, nur als Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz wahrgenommen werden (JBl 1960 S 156; MietSlg Nr 4936, Nr 5298 uva). Das Berufungsgericht ist dem Erstrichter darin beigetreten, dass die formellen Voraussetzungen für die Erlassung eines Versäumungsurteils vorlagen; es hat sohin eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht als gegeben angenommen. Nun kann aber nach wiederholten Entscheidungen (EvBl 1969 Nr 263 S 379, SZ XXVII 4, SZ XII 106 ua) eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur einmal, und zwar in der nächst höheren Instanz wahrgenommen werden. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt wurden, können daher im Revisionsstadium nicht wieder aufgegriffen werden. Der Oberste Gerichtshof hat sich daher nicht mit der Frage zu befassen, ob die prozessualen Voraussetzungen für die Erlassung eines Versäumungsurteils gegeben waren.

Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Die Beklagte behauptet, das Berufungsgericht sei zu einem unrichtigen rechtlichen Schluss gekommen, weil es den Sachverhalt nicht ausreichend geklärt habe. Bei Ausführung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist jedoch von dem festgestellten Sachverhalt auszugehen; es ist unzulässig, seinen Rechtsausführungen einen anderen als den festgestellten Sachverhalt zugrunde zu legen. Da die Rechtsausführungen der Beklagten dieses Gebot nicht beachten, ist auf die Rechtsrüge mangels gesetzlicher Darstellung nicht weiter einzugehen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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