OGH 6Ob352/67

OGH6Ob352/6715.2.1968

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Turba als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nedjela, Dr. Greissinger, Dr. Wittmann und Dr. Sperl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde H*****, vertreten durch den Bürgermeister W*****, dieser vertreten durch Dr. Herbert Poleschinski, Rechtsanwalt in Hartberg, wider die beklagten Parteien A***** und T*****, beide vertreten durch Dr. Othmar Franiek, Rechtsanwalt in Pöllau, wegen Feststellung und Leistung (Streitwert 8.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 30. Oktober 1967, GZ 5 R 159/65‑57, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Hartberg vom 6. März 1967, GZ C 185/66 ‑50, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1968:0060OB00352.670.0215.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 891,23 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens zu Recht:

1.) Der von der Abzweigung der Wegparzelle 658/2 KG H***** in nördlicher Richtung bis zum Hause H***** Nr ***** sich erstreckende Teil der Wegparzelle 1809/3, eingetragen unter VZ XIX KG H*****, GB H*****, ist öffentliches Gut.

2.) Die Beklagten sind schuldig, die an der Abzweigung der Wegparzelle 658/2 von der Wegparzelle 1809/3 aufgestellte allgemeine Verbotstafel sowie das dort angebrachte Gestänge zu entfernen.

3.) Die Beklagten sind schuldig, alle Handlungen zu unterlassen, die eine Behinderung des Gehens, Fahrens und Viehtreibens über das Wegstück bewirken können.

Das Erstgericht nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Das strittige Stück der Wegparzelle 1809/3 von der Abzweigung der Wegparzelle 658/2 bis zum Hause H***** Nr ***** bestand seit unvordenklichen Zeiten und wurde von den Beklagten und ihren Vorwirten W*****, den Eheleuten G***** (Haus Nr *****) und deren Vorwirten W***** und A***** sowie von allen Personen, die aus irgendeinem Grund hiezu genötigt waren, insbesondere auch von Arzt und Tierarzt benützt. Für das Haus Nr ***** bildet dieses Wegstück trotz eines freiwillig gestatteten Privatwegs nach der anderen Richtung überhaupt die Zufahrt. Der Weg wurde von allen Benützern als Gemeindeweg angesehen. Es wurde niemals jemand um die Erlaubnis gefragt, ob er benützt werden darf, und es wurde auch niemals ein Benützer beanstandet.

Die ganze Wegparzelle 1809/3 wurde im Jahre 1822 eingemessen und in der amtlichen Fortführungsmappe dargestellt. Sie ist auch heute noch im Verzeichnis des öffentlichen Guts eingetragen. Im Laufe der Jahrzehnte sind in der Natur gewisse Abweichungen gegenüber der Mappe eingetreten. Das strittige Wegstück weist von der Abzweigung weg zunächst eine durchschnittliche Breite von 3,5 m bis 4 m auf, ist grasüberwachsen, lässt aber deutliche Fahrspuren erkennen. Beiderseits des Wegs liegen Grundstücke der Beklagten, die auch immer das auf dem Weg wachsende Gras gemäht haben oder durch ihr Vieh abweiden ließen. Dies geschieht in der Gemeinde H***** auch sonst durch die Anrainer öffentlicher Wege.

Etwa 20 m nördlich der Abzweigung der Wegparzelle 658/2 weicht nach links ein leicht ansteigender, gut ausgebauter Privatweg der Beklagten ab, der in einem Abstand von 5–6 m zu dem strittigen Wegstück annähernd parallel verläuft und zum Hause der Beklagten führt. Auf der zwischen beiden Wegen liegenden Böschung befindet sich eine Reihe von 50‑ bis 60‑jährigen Obstbäumen.

Im Jahre 1952 oder 1953 verlangte der Erstbeklagte vom damaligen Bürgermeister Josef A*****, dass die Gemeinde H***** das strittige Wegstück ausbaue, weil es ein Gemeindeweg sei. Er behauptete, ein Recht darauf zu haben, dass die Gemeinde diesen Weg herrichte. Seinem Verlangen wurde zwar nicht entsprochen, wohl aber erhielten die Beklagten einen Zuschuss von 1.000 S zum Ausbau ihres privaten Zufahrtswegs. Im Jahre 1957 verlangte der Erstbeklagte von Theresia W*****, der Vorbesitzerin der Eheleute G*****, einen Zuschuss zum Ausbau seines Privatwegs, da dieser auch dem Anwesen Nr ***** diene. Theresia W***** lehnte dieses Verlangen mit der Begründung ab, dass der alte (jetzt strittige) Weg für ihren Bedarf genüge, zumal dessen Lehmboden für ihre Kühe günstiger sei als ein angeschotterter Weg.

1960 oder 1961 zäunten die Beklagten einen Teil des strittigen Wegs ein, der dann nicht mehr benützt wurde, 1963 oder 1964 wurde aber der Zaun wieder entfernt. Seit 1964 hindern die Beklagten die Eheleute G***** bei verschiedenen Gelegenheiten an der Benützung des strittigen Wegs. Sie stellten einen Schranken auf, räumten Gerümpel und Eisentraversen hin und errichteten schließlich eine runde Holztafel mit weißem Grund, rotem Rand und der schwarzen Inschrift „Privatweg“.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht wie folgt:

Das bücherliche Eigentumsrecht der klagenden Partei an dem strittigen Weg ergebe sich aus dessen unbestrittener Eintragung als öffentliches Gut. Zwar sei auch an einem solchen Eigentumserwerb durch Ersitzung möglich, doch hätten die Beklagten hiefür den Weg durch 40 Jahre in anderer Weise benützen müssen als dies jederman im Rahmen des Gemeingebrauchs tat. Einen derartigen Sondergebrauch hätten sie nicht einmal behauptet, geschweige denn bewiesen. Das Klagebegehren sei daher gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache, verminderte nur den Kostenzuspruch geringfügig und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 15.000 S übersteige.

Gegen seine Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, in der die Anfechtungsgründe des § 503 Z 2 und 4 ZPO geltend gemacht werden und beantragt wird, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde, oder dieses Urteil sowie allenfalls auch das des Erstgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eines der Untergerichte zurückzuverweisen. Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gewiss wäre es ein Mangel des Berufungsverfahrens, wenn sich das Berufungsgericht mit der Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung in der Berufung nicht befasst hätte (SZ XXV 219, JBl 1959 S 238 ua) oder wenn es nicht die Ergebnisse der gesamten Beweiswürdigung verwertet hätte (ZBl 1933 Nr 229). Davon kann aber im angefochtenen Urteil keine Rede sein; das Berufungsgericht hat sich mit der Würdigung der Beweise durch das Erstgericht und den von den Beklagten in ihrer Berufung dagegen erhobenen Einwendungen ausführlich befasst, ist auf zahlreiche Einzelheiten der vielen Zeugenaussagen eingegangen und hat schließlich die Feststellung des Erstgerichts übernommen. Dass das Berufungsgericht, wenn es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts keine Bedenken hat, nicht verpflichtet ist, auf jede einzelne Zeugenaussage besonders einzugehen, ist ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 412/56, 5 Ob 336/65, 8 Ob 4/68 uva). Indem die Revision auf Zeugen‑ oder Parteienaussagen verweist, aufgrund deren andere Feststellungen möglich gewesen wären, als die Untergerichte ihren Entscheidungen zugrundegelegt haben, bekämpft sie im Revisionsverfahren unzulässiger Weise die Beweiswürdigung. Auf diese Revisionsausführungen ist demnach nicht einzugehen, vielmehr ist der rechtlichen Überprüfung jener Sachverhalt zugrundezulegen, den die Vorinstanzen als erwiesen angenommen haben.

In rechtlicher Hinsicht ist es zwar richtig, dass nach Lehre und Rechtsprechung (Bartsch, Das allgemeine Grundbuchsgesetz, 7. Aufl S 6, R VI 306/12 in NotZ 1914 S 20, ZBl 1916 Nr 2, 5 Ob 2/68) der Aufnahme eines Grundstücks in das Grundstückverzeichnis II als öffentiches Gut keine konstitutive Wirkung zukommt. Dies ergibt sich daraus, dass nach § 62 GV in der Geschäftsabteilung für Grundbuchsachen neben zahlreichen anderen Verzeichnissen ein solches der Grundstücke der Katastralgemeinde (Grundstücksverzeichnis I) und eines jener Grundstücke, die im Grundbuch der Katastralgemeinde nicht eingetragen sind (Grundstücksverzeichnis II) zu führen sind. Auch § 67 GV bestimmt, dass das Grundstücksverzeichnis II alle Grundstücke anzugeben hat, die in der Katastralgemeinde gelegen, aber nicht im Grundbuch eingetragen sind. Es handelt sich somit bloß um einen Behelf der Geschäftsabteilung, dessen Eintragungen für sich allein keinen vollen Beweis für das Eigentum der Gebietskörperschaft an den darin verzeichneten Liegenschaften bildet.

Dennoch ist aber dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, dass die Tatsache, dass das strittige Wegstück seit dem Jahre 1822 in den jeweils in Betracht kommenden Mappen und Verzeichnissen als öffentliches Gut geführt wurde, ohne dass dies je bestritten wurde, in erheblichem Maße dafür spricht, dass es tatsächlich öffentliches Gut ist.

Nimmt man noch hinzu, dass die Wegparzelle seit unvordenklichen Zeiten im allgemeinen Gebrauch gestanden ist, dass sämtliche Benützer immer der Meinung waren, es handle sich um einen Gemeindeweg und dass sogar der Erstbeklagte selbst in den Jahren 1952 oder 1953 von der klagenden Partei die Instandsetzung des Weges mit der Begründung verlangte, er sei ein Gemeindeweg, dann ist an dem Eigentumsrecht der klagenden Partei nicht zu zweifeln. Zutreffend verweist die angefochtene Entscheidung auch darauf, dass der Titel des Eigentumserwerbs von Gebietskörperschaften an öffentlichen Wegen in vielen Fällen nicht genauer feststellbar sein wird, weil er in eine weit zurückliegende Zeit fällt, hinsichtlich deren es keine Beweise gibt und an die sich auch niemand mehr erinnern kann.

Ob die klagende Partei den Weg instandgehalten hat oder nicht, ob sie nach den landesgesetzlichen Bestimmungen hiezu verpflichtet gewesen wäre oder nicht, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, da aus der Vernachlässigung der Erhaltung angesichts der ständigen Weiterbenützung des Weges keinesfalls auf einen Verzicht auf das Eigentumsrecht gemäß § 863 ABGB geschlossen werden könnte.

Unerheblich ist auch, dass sich der in der Natur erkennbare und tatsächlich benützte Weg mit der Mappeneinzeichnung nicht vollkommen deckt, da derartige geringfügige Abweichungen bei Wegen in ländlichen Gegenden häufig vorkommen, ohne dass deswegen Zweifel an dem Wegeeigentum der Gemeinde aufkommen könnten.

Selbst wenn der Zeuge Josef A*****, der von 1950 bis 1960 Bürgermeister der klagenden Partei war, der Ansicht ist, die Gemeinde habe den Weg aufgelassen, so war er allein zu einer derartigen Entschließung mit Wirkung für die klagende Partei jedenfalls nicht berechtigt. Im Übrigen haben die Untergerichte dies auch nicht als erwiesen angenommen.

Nun ist es zwar richtig, dass auch an einem im Eigentum einer Gemeinde stehenden Grundstück von Einzelpersonen Privateigentum ersessen werden kann. Hiezu bedürfte es aber eines 40‑jährigen Ersitzungsbesitzes, der sich von dem Gemeingebrauch unterscheiden müsste. Ein solcher wurde nicht festgestellt. Soweit die Beklagten den Weg ebenfalls zum Fahren, Gehen oder Viehtreiben verwendeten, haben sie nichts anderes getan, als sonstige Wegebenützer aufgrund des Gemeingebrauchs taten. Auch dass sie das auf den Weg wachsende Gras abmähten oder durch ihr Vieh abweideten, ändert hieran nichts, da dies in der Gemeinde alle Anrainer öffentlicher Wege getan haben. Dies kann daher nicht als Ausübung eines Sonderrechts angesehen werden, das zur Ersitzung des Eigentumsrechts an dem Weg der Klägerin führte.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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