OGH 11Os206/62

OGH11Os206/6229.11.1962

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. November 1962 unter dem Vorsitze des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hochmann, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Altmann, Dr. Estl, Dr. Spernoga und Dr. Fehrenkampf als Richter, sowie des Richteramtsanwärters Dr. Gutschreiter als Schriftführers, in der Strafsache gegen Josef S***** wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach dem § 335 StG über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengerichtes vom 27. April 1962, GZ 16 Vr 2220/61-24, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters - Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Altmann - der Ausführungen des Verteidigers Dr. Josef Fraiswallner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Arnold, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Nach den Urteilsfeststellungen holte der Angeklagte mit einem LKW, samt Tieflader in Kirchberg in Tirol eine beschädigte Planierraupe ab. Während der Verladetätigkeit, bei der ihm zwei Arbeiter halfen, befanden sich einige Kinder und der 62 Jahre alte taubstumme (als solcher aber nicht gekennzeichnete) Thomas M***** in der Nähe. Nach Beendigung der Arbeit wollte der Angeklagte ohne den beladenen Anhänger auf der dort 2,80 m breiten Straße, einem öffentlichen Interessentschaftsweg, in Richtung Kirchberg im Rückwärtsgang zurückfahren, um den LKW dort zu wenden. Vor Antritt dieser Fahrt überzeugte er sich, ob die Fahrbahn frei war. Als er 18 m zurückgefahren war, fuhr er den auf der linken Fahrbahnseite mit dem Rücken gegen den zurückfahrenden LKW in der gleichen Richtung gehenden Thomas M***** an, stieß ihn nieder und überrollte ihn, wodurch der Fußgänger getötet wurde. Das Verschulden des Angeklagten erblickte das Erstgericht darin, dass er beim Rückwärtsfahren die rückwärtige Fahrbahn ungenügend beobachtete und sich entgegen der Vorschrift des § 14 Abs 3 StVO nicht einweisen ließ. Den sohin gegen ihn ergangenen Schuldspruch wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach dem § 335 StG bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Z 5 und 9a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Mängelrüge behauptet, die Verantwortung des Angeklagten (er habe alles getan, was von einem sich seiner Pflichten gegen die Umwelt bewussten Fahrer durchschnittlich billigerweise verlangt werden könne, er habe sich vor Ausführung der Rückwärtsfahrt überzeugt, ob sich jemand hinter dem LKW auf dem Weg befinde, er habe auch während der im Schritttempo durchgeführten Rückwärtsfahrt abwechselnd in beide Außenspiegel geblickt, aber niemanden gesehen) sei unwiderlegt geblieben und das Gericht wäre verpflichtet gewesen, ihr zu folgen. Es liege ein plötzliches und unvermutetes Betreten der Fahrbahn durch den Fußgänger vor, womit der Angeklagte nicht habe rechnen müssen und vor welchem Hindernis rechtzeitig anzuhalten von ihm nicht verlangt werden könne.

Diese Ausführungen erweisen sich ihrem Wesen nach als eine dem Nichtigkeitsverfahren fremde Schuldberufung und stellen sich im Übrigen als unzulässige Bekämpfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung dar. Sie übersehen vor allem die Urteilsfeststellung, dass der Fußgänger zumindest schon dann auf der Fahrbahn ging, als der zurückfahrende LKW ca 6 m von ihm entfernt war, und dass der Angeklagte, wäre er von einem Einweiser auf den Fußgänger aufmerksam gemacht worden, noch in der Lage gewesen wäre, sein Fahrzeug rechtzeitig anzuhalten. Von einem plötzlichen und unvermutet in die Fahrbahn getretenen Hindernis kann daher keine Rede sein. Die Rechtsrüge bestreitet zunächst die Anwendbarkeit der Bestimmungen der StVO überhaupt, weil der gegenständliche öffentliche Interessentschaftsweg von der Interessentschaft erhalten werde und daher nicht als Straße mit öffentlichem Verkehr anzusehen sei. Gemäß dem § 1 Abs 1 StVO gilt die Straßenverkehrsordnung 1960 für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Als solche gelten Straßen, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können. Ob eine Straße eine Straße mit öffentlichem Verkehr ist, ist nach ihrer Benützung und nicht nach den Besitz- und Eigentumsverhältnissen am Straßengrund zu beurteilen. Entscheidend ist die Bestimmung für den allgemeinen Gebrauch, das heißt die Widmung (Dittrich-Veit, Österr. Verkehrsrecht, Anm 8 und 10, zu § 1 StVO). Von wem die Straße erhalten wird, ist dabei daher ohne Belang.

Die Urteilsfeststellung, dass es sich vorliegendenfalls um einen öffentlichen, also für jedermann benützbaren, Interessentschaftsweg handelt, ist durch die Beweisergebnisse (S 7, 8, 13, 19, 35) eindeutig gedeckt. Es ist dem Erstgericht somit ein Rechtsirrtum nicht unterlaufen, wenn es ohne Überprüfung der Frage, von wem dieser Weg erhalten wird, annahm, der gegenständliche Unfall habe sich auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr zugetragen, und daher die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 anwandte. Nach der Vorschrift des § 14 Abs 3 StVO 1960 muss sich der Lenker beim Rückwärtsfahren von einer geeigneten Person einweisen lassen, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert.

Nun hat das Urteil festgestellt, dass die rückwärtige Bordwandoberkante des LKW vom Boden gemessen eine Höhe von 1,93 m hat und sich schon aus den Ausmaßen des Kraftwagens allein ergibt, dass man einen Menschen hinter dem Fahrzeug entweder gar nicht oder nur sehr schwer wahrnimmt. Dazu kommt, dass sich der Angeklagte bewusst war, dass auch bei Benützung der Außenrückspiegel hinter seinem Fahrzeug ein toter Winkel von ca 10 m besteht und dass bei der Breite des LKWs von 2,35 m bei der minimalen Straßenbreite an der Unfallsstelle von 2,80 m nur eine Fahrbahn von 45 cm freibleibt, die mangels eines Gehsteiges auch von Fußgängern benützt werden musste. Personen, und zwar Kinder und Erwachsene, befanden sich aber in der Nähe des Tiefladers und deshalb und auch sonst konnte sich die Verkehrslage auf der Fahrbahn der öffentlichen Straße jederzeit ändern.

Wenn das Erstgericht unter Berücksichtigung dieser Situation davon ausging, das einmalige Überzeugen vor Antritt der Rückwärtsfahrt sei noch keine ausreichende Vorsichtsmaßnahme gewesen, unter den obwaltenden Umständen habe die Verkehrssicherheit die Inanspruchnahme eines Einweisers erfordert, zumal dem Angeklagten die Heranziehung der beiden Arbeiter, die ihm zur Verfügung standen und die ihm beim Verladen geholfen haben, auch zumutbar war, und wenn das Urteil dem Angeklagten daher die ungenügende Beachtung der rückwärtigen Fahrbahn beim Rückwärtsfahren und die Nichtbeiziehung eines Einweisers als (Mit-)Verschulden an dem tödlichen Verkehrsunfall anlastet, so ist ihm ein Rechtsirrtum nicht unterlaufen.

Rechtliche Beurteilung

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach dem höheren Strafsatz des § 235 unter Anwendung des § 260 lit b StG zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von fünf Monaten, verschärft durch zwei harte Lager während der Strafzeit. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die vier einschlägigen Vorstrafen, als mildernd das Geständnis und ein Mitverschulden des Verunglückten Thomas M*****. Die Voraussetzungen für die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes sowie des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949 hielt das Erstgericht nicht für gegeben, wohl aber nahm es auf die Sorgepflicht für die Ehefrau und ein minderjähriges Kind gemäß dem § 260 lit b StG Bedacht. Mit der Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe sowie die Anwendung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949 an.

Die Berufung ist nicht begründet.

Nach der Meinung des Obersten Gerichtshofes hat das Erstgericht die Strafzumessungsgründe vollständig festgestellt und zutreffend gewürdigt. Die vier einschlägigen Vorstrafen stehen einer weiteren Strafmilderung entgegen. Da die bisher ausgesprochenen Strafen nicht genügten, um den Angeklagten zu der im Verkehr erforderlichen Vorsicht anzuhalten, liegen Gründe, die die bloße Androhung der Vollziehung der Strafe zweckmäßiger erscheinen ließen als die Vollstreckung der Strafe selbst, nicht vor. Es konnte daher das Gesetz über die bedingte Verurteilung 1949 nicht angewendet werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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