OGH 2Ob126/60

OGH2Ob126/6024.6.1960

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Franz St*****, 2. Franziska St*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Günther Frizberg, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Otto W*****, vertreten durch Dr. Erwin Moser, Rechtsanwalt in Leoben, wegen zu 1.) Zahlung von 65.080 S und Feststellung (Streitwert 10.000 S), zu 2.) Zahlung von 50.600 S und Feststellung (Streitwert 10.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. Jänner 1960, GZ 3 R 97/59-46, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 4. April 1959, GZ 6 Cg 57/58-35, abgeändert wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 947 S 25 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat am 17. November 1957 auf der Bundesstraße Nr 17 in Stadlhof, Gerichtsbezirk Knittelfeld, einen Verkehrsunfall verschuldet. Bei dem Unfall wurden beide Kläger schwer verletzt. Mit der vorliegenden Klage verlangen sie den Ersatz ihres Schadens, und zwar der Kläger für Schmerzengeld, Verdienstentgang und Sachschäden den Betrag von 65.080 S und die Klägerin für Schmerzengeld und Sachschaden den Betrag von 50.600 S. Beide Kläger verlangen auch die Feststellung, dass ihnen der Beklagte für alle künftigen Schäden aus dem gegenständlichen Unfall hafte.

Das Erstgericht hat dem Kläger den Betrag von 59.580 S und der Klägerin den Betrag von 30.600 S zuerkannt; ihr Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Infolge Berufung beider Kläger hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass der Klägerin als Schmerzengeld - außer dem bereits vom Erstgericht zuerkannten Betrag von 30.000 S - ein weiterer Betrag von 10.000 S zugesprochen und in Ansehung beider Kläger die Haftung für alle künftigen Schäden festgestellt wurde.

Gegen das Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Beklagten. Er macht den Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, das das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt werde. Hilfsweise stellt er den Antrag, der Revision Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die klagenden Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

1.) Zum Anspruch der Klägerin auf Schmerzengeld:

Nach den Feststellungen der Untergerichte hat die Klägerin, die zur Zeit des Unfalls 39 Jahre alt war, eine schwere Gehirnerschütterung mit Gehirnkontusionen, einen Bruch des linken Schlüsselbeins, eine Prellung der linken Schulter sowie je eine Rissquetschwunde im Bereich der rechten Schläfe, des Ellenbogengelenks und des linken Kniegelenks erlitten. Nach ihrer Einlieferung in das Krankenhaus trat eine Nervenlähmung in der rechten Gesichtshälfte mit Komplikationen hinzu; sie verlor die Fähigkeit, die Augenlider zu schließen, wodurch wieder eine Austrocknung und Entzündung der Hornhautoberfläche ausgelöst wurde. Derzeit besteht noch eine Herabsetzung des Hörvermögens, eine Störung des Geschmack- und Empfindungsvermögens im Bereich der rechten Zungenhälfte, ferner eine Schwäche des linken Armes und die besonders schwerwiegende Gesichtslähmung, die es der Klägerin weiterhin unmöglich macht, das rechte Auge zu schließen. Ferner bestehen noch zeitweilige Schwindelzustände infolge einer durch die Gehirnkontusionen erlittenen Schädigung des Labyrinths. Die schweren Verletzungen haben bei der Klägerin Schmerzen in der Dauer von nahezu zehn Monaten verursacht; zusammengefasst hatte sie durch 40 Tage heftige Schmerzen, durch 50 Tage Schmerzen mittleren Grades und durch mindestens 150 Tage solche leichten Grades. Neben den körperlichen Schmerzen haben psychische Alterationen bestanden, die infolge der unangenehmen Sensationen der Gesichtslähmung aufgetreten sind; sie bestehen auch gegenwärtig noch. Für das Berufungsgericht, das das Schmerzengeld von 30.000 S auf 40.000 S erhöht hat, war die Mehrheit der schweren Verletzungen und ihre ungewöhnliche Intensität sowie die lange Dauer der Heilung bestimmend. Es könne nicht übersehen werden, führt das Berufungsgericht aus, dass die Klägerin auch schweren seelischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, als sie habe erkennen müssen, dass sie für ihren Beruf als Büroangestellte zumindest auf nicht absehbare Zeit untauglich geworden sei. Schwer falle ins Gewicht auch das drückende Gefühl, bei ihrem Alter von 39 Jahren kein körperlich vollwertiger Mensch mehr zu sein und in fraulicher Hinsicht wegen der Gesichtslähmung, die einer erkennbaren Verunstaltung im Gesicht nahe komme, mit ihren Geschlechtsgenossinnen nicht mehr völlig gleichgestellt zu sein.

Der Revisionswerber meint, das seelische Ungemach falle bei dem Umstand, dass die Klägerin bereits ein Alter von rund 40 Jahren erreicht habe, und insbesondere mit Rücksicht darauf, dass sie verheiratet sei und dass gerade bei derartigen Empfindungen der Satz von der heilenden Kraft der Zeit besondere Gültigkeit habe, nicht so schwer ins Gewicht, dass eine Erhöhung des vom Erstgericht mit 30.000 S bemessenen Schmerzengeldes als gerechtfertigt angesehen werden könne. Auch wenn man die starken Schmerzen mit 250 S, die mittleren mit 150 S und die leichten mit 100 S je Tag abgelte, ergebe sich ein Betrag von rund 30.000 S, wie ihn der Erstrichter angenommen habe. Unter Berücksichtigung des von den Untergerichten festgestellten Sachverhaltes ist aber die Bemessung des Schmerzengeldes mit 40.000 S durch das Berufungsgericht keineswegs irrtümlich.

Wenn der Beklagte die erlittenen Schmerzen gewissermaßen nach einem Tagestarif abgelten will, so übersieht er, dass das Schmerzengeld mit einer Gesamtsumme zu bestimmen ist, die nicht nur nach der Dauer und Intensität der Schmerzen, sondern auch nach der Schwere der Verletzungen überhaupt und nach dem Ausmaß der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes zu ermitteln ist, wobei auch auf die mit der Verletzung und ihren Folgen verbundenen Unlustgefühle und seelische Beeinträchtung über die eigentlichen Schmerzen hinaus Rücksicht zu nehmen ist. Im Hinblick auf die Schwere und die besondere Schmerzhaftigkeit der Verletzungen, die lange Dauer der wenn auch an Intensität abnehmenden Schmerzen, schließlich unter Berücksichtigung des mit den Verletzungen infolge der Ungewissheit des Heilungsverlaufs und der verbleibenden Folgen verbundenen seelischen Ungemachs erscheint auch dem Revisionsgericht das vom Berufungsgericht in der Höhe von 40.000 S zuerkannte Schmerzengeld als angemessen bestimmt.

2.) Zum Feststellungsbegehren beider Kläger:

Der Erstrichter hat das mit der Leistungsklage verbundene Feststellungsbegehren beider Kläger abgewiesen; er ist der Meinung, dass vom Kläger, dessen Verletzungen bereits abgeheilt seien, weitere Ersatzansprüche nicht mehr zu erwarten seien und dass auch die Klägerin alle Ersatzansprüche bereits im gegenständlichen Verfahren habe geltend machen können.

Das Berufungsgericht führt aus, es sei widerspruchsvoll, wenn der Erstrichter einerseits annehme, dass die Verletzungen des Klägers völlig abgeheilt seien und keine weiteren Unfallfolgen erwarten ließen, andererseits aber bei Bemessung des Schmerzengeldes feststelle, dass eine Schwellung des Beines, starke Krampfadernbildung und eine leichte Bänderlockerung des auch in seiner Beweglichkeit eingeschränkten Kniegelenks als Unfallsfolgen verblieben seien, dass im oberen und unteren linken Sprunggelenk die Beweglichkeit um 10 % endgradig und im linken Bein um 20 % herabgemindert sei und dass an der unteren Brustkorbhälfte noch mäßiger Druckschmerz bestehe. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass das Feststellungsbegehren nur dann nicht gerechtfertigt wäre, wenn dargetan werden könnte, dass weitere Schäden aus dem Unfall ausgeschlossen seien. Dies wäre beim Kläger nicht der Fall; er habe in schlüssiger Form die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintrittes behauptet und diese Möglichkeit sei nach den obigen Feststellungen nicht mit Bestimmtheit auszuschließen. Bei der Klägerin sei aber das Feststellungsbegehren schon deshalb berechtigt, weil Dauerfolgen verblieben, seien die möglicherweise in Zukunft zu weiteren Schadenersatzansprüchen berechtigen könnten.

Der Revisionswerber führt aus, es sei wohl richtig, dass nach dem Gutachten der Sachverständigen bei beiden Klägern Unfallsfolgen bestünden, die zum Teil sogar dauernd sein werden, doch rechtfertige diese Tatsache allein noch nicht das Feststellungsbegehren, weil alle diese Dauerfolgen durch das gefällte Erkenntnis gedeckt seien. Wäre dies nicht der Fall, so könnte überhaupt sofort das Leistungsbegehren ausgedehnt oder ein neues Leistungsbegehren gestellt werden. Ein Feststellungsbegehren sei nur dann zu rechtfertigen, wenn es sich um Schäden handle, die in dem anhängigen Schadenersatzprozess aus ärztlichen oder sonstigen Gründen noch nicht feststellbar seien, doch nach ärztlicher Bekundung neu entstehen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Revisionsgerichtes ist dann, wenn das schädigende Ereignis und auch schon ein Teil des Schadens eingetreten ist, jedoch die volle Höhe des Schadens noch nicht bekannt ist, aus Gründen der Prozessökonomie, weil ein späterer Streit über den Grund des Anspruchs vermieden werden kann, die Verbindung eines Feststellungsbegehrens für den erst künftig entstehenden weiteren Schaden mit der Leistungsklage für den bereits eingetretenen Schaden zulässig. Unter diesem Gesichtspunkt muss das Feststellungsbegehren der beiden Kläger beurteilt werden. Ihrem Begehren wäre nur dann der Boden entzogen, wenn festgestellt hätte werden können, dass die Kläger weiteren Schaden aus dem Unfall nicht mehr zu erwarten haben. Dies ist nicht der Fall. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, waren beim Kläger die Unfallsfolgen im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung nach den Feststellungen des Erstrichters selbst noch nicht völlig abgeklungen und bei seiner Gattin sind Dauerfolgen eingetreten, die in ihren Auswirkungen noch nicht abgesehen werden konnten. In diesem Zusammenhang braucht nur noch auf die Angaben des Sachverständigen Dr. L***** verwiesen werden, der im Berufungsverfahren ausdrücklich bekundet hat, dass bei der Klägerin wegen des mangelhaften Lidverschlusses leicht eine Infektion der Hornhaut eintreten könnte, deren primäre Ursache dann die als Folge der Verletzungen aufgetretene Gesichtslähmung wäre; auch posttraumatische Folgeerscheinungen hat dieser Sachverständige bei der Klägerin nicht ausschließen können. Da somit die Möglichkeit eines unfallskausalen künftigen Schadenseintrittes noch offen war, hat das Berufungsgericht den Klägern mit Recht das Feststellungsinteresse nicht abgesprochen.

Der Revision musste daher ein Erfolg versagt werden. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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