OGH 2Ob81/60

OGH2Ob81/6031.5.1960

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Clara St*****, Privaten in *****, 2) mj Norbert St*****, Schülers, ebenda, vertreten durch die Vormünderin Clara St***** (wie zu 1), vertreten durch Dr. Kurt Görlich, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gemeinde Wien, vertreten durch Dr. Otto Ristl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 22.601 S 04 g sA (bezüglich der Erstklägerin) sowie 3.250 S sA (bezüglich des Zweitklägers) infolge Rekurses der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 30. Dezember 1959, GZ 5 R 616/59-51, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 5. September 1959, GZ 21 Cg 357/57-40, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Es wird keinem der beiden Rekurse Folge gegeben.

Die Parteien haben die Kosten der erfolglosen Rechtsmittel selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Erstklägerin fuhr am 25. 1. 1955 gegen 21 Uhr als Lenkerin ihres Personenkraftwagens, in dem sich noch der mj Zweitkläger, ihr Sohn, befand, auf der Heiligenstädterstraße stadtauswärts. Nach den Klagsbehauptungen geriet die Erstklägerin bei Kilometer 5,3 der Franz Josefs-Bahn auf eine nicht bestreute vereiste Fahrbahnstrecke, kam dort selbst trotz geringer Geschwindigkeit ins Schleudern und prallte mit dem Wagen gegen einen Lichtmast. Dadurch wurden beide Kläger verletzt und der Kraftwagen beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles nehmen beide Kläger die Gemeinde Wien auf Schadenersatz in Anspruch, weil von ihren Organen die Instandhaltung der Straße zur Winterszeit in grobfahrlässiger Weise vernachlässigt worden sei. Nach dem letzten Stande des erstgerichtlichen Verfahrens begehrt die Erstklägerin die Zahlung von 22.601 S 04 g sA (darunter Schmerzengeld, Reparaturskosten und Ersatz der Wertverminderung des Fahrzeuges) und der Zweitkläger den Betrag von 3.250 S sA (darunter Schmerzengeld von 3.000 S). Die beklagte Partei hat den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bestritten.

Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt und zuletzt (Zwischenurteil ON 40) entschieden, dass das Klagebegehren des Zweitklägers dem Grunde nach zu Recht bestehe, der Anspruch der Erstklägerin aber dem Grunde nach mit 30 % zu Recht und mit 70 % nicht zu Recht. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die Strecke vom Beginn der Heiligenstädterstraße bis zur Unfallsstelle im Wesentlichen eisfrei gewesen sei; an der Unfallsstelle sei die Fahrbahn ca 100 m lang stark vereist und nicht bestreut gewesen. Die Heiligenstädterstraße sei eine stark frequentierte Ausfallsstraße. Zufolge leichten Nordwindes sei der Niederschlag von Luftfeuchtigkeit an der Unfallsstelle begünstigt worden. Bereits ab 18 Uhr des Unfallstages (25. 1. 1955) seien günstige Bedingungen für die Eisbildung vorgelegen. Für die Entwicklung des Unfalls müsse die rund 100 m lange glatte Eisfläche als kausal angesehen werden. Bereits am Mittag des Unfallstages habe die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik eine Glatteiswarnung für den Fall des Auftretens nässender Nebel durchgegeben. Daher hätte die beklagte Partei mit Glatteisbildung an den einer besonderen Luftfeuchtigkeit ausgesetzten und in dieser Richtung schon bekannten Stellen der Heiligenstädterstraße rechnen müssen. Es wäre somit Pflicht der beklagten Partei gewesen, bei einer solchen Gefahrenlage einen entsprechenden Warndienst einzurichten, damit entweder der motorisierte Streudienst oder die im Rayon befindlichen Bediensteten der Straßenverwaltung verständigt worden wären. Eine derartige Verständigung hätte schnell zur Beseitigung der Glatteisgefahr geführt. Ein grobes Verschulden von Organen der beklagten Partei sei darin zu erblicken, dass trotz der gefährlichen Witterungslage ein Warndienst nicht eingerichtet worden sei. Die Erstklägerin als Kraftwagenlenkerin treffe ein Mitverschulden, das mit 70 % zu bewerten sei, weil sie beim Wahrnehmen des Glatteises falsch reagiert haben müsse, entweder durch Bremsen oder durch Wegnahme der Kraftstoffzufuhr bei eingekuppeltem Motor und niedrigem Gang.

Der Berufung der Erstklägerin und jener der beklagten Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben (ON 51), das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Zugleich hat es ausgesprochen, dass das Verfahren (in erster Instanz) erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichtes richten sich die Rekurse der klagenden Parteien sowie der beklagten Partei. Beide Teile vertreten den Standpunkt, dass die Sache im Sinne ihres Prozessstandpunktes spruchreif sei. Die Kläger beantragen die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und den Auftrag an das Berufungsgericht, in Abänderung des Ersturteils das Begehren beider Kläger als dem Grunde nach zur Gänze zu Recht bestehend zu erkennen; die beklagte Partei beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben "und das Klagebegehren abzuweisen" (dieser Antrag ist prozessual verfehlt, weil der Oberste Gerichtshof im Rekursverfahren nicht mit Urteil zu entscheiden hat), hilfsweise, die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind gemäß § 519 Z 3 ZPO zulässig, sie sind aber im Sinne der folgenden Ausführungen nicht begründet.

In erster Linie ist die Frage der Haftung der beklagten Partei zu erörtern; die Frage des Mitverschuldens der Erstklägerin, wofür allerdings die diese Einrede hilfsweise erhebende beklagte Partei beweispflichtig ist, ist ja erst dann von Bedeutung, wenn die beklagte Gemeinde zufolge der grob fahrlässigen Vernachlässigung der Instandhaltung der Straße seitens ihrer Organe den Klägern zum Schadenersatz verpflichtet ist. In letzterer Hinsicht hat nun das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Verpflichtung der beklagten Partei zu Schutzvorkehrungen einerseits durch das Verkehrsbedürfnis und andererseits durch die Zumutbarkeit zu begrenzen sei. Diese Beurteilung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl zB 2 Ob 112/59 vom 24. 6. 1959, JBl 1959, S 497 f). Wenn nun das Berufungsgericht zur Beurteilung dieser Umstände die Erörterung und Feststellung der von ihm im Einzelnen bezeichneten Tatsachen für erforderlich erachtet hat, dann könnte dagegen von den Rekurswerbern nur insoweit mit Erfolg Stellung genommen werden, als der Verfahrensergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes als der letzten Tatsacheninstanz Umstände beträfe, die für die Beurteilung der Haftung der geklagten Gebietskörperschaft ohne Bedeutung wären. Dies ist jedoch in keinem Punkte dieser Aufträge zur Verfahrensergänzung der Fall, vielmehr wird erst die Vornahme der vom Berufungsgerichte geforderten Feststellungen eine zuverlässige Beurteilung der Frage der Haftung der beklagten Partei ergeben. Dies ist zu den Rekursausführungen grundsätzlich festzuhalten und im Einzelnen folgendes zu bemerken:

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, dass eine Feststellung erforderlich sei, wann die Vereisung begonnen und einen die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdenden Umfang angenommen habe; denn nur auf der Grundlage einer derartigen Bestellung läßt sich beurteilen, ob der beklagten Partei die Bestreuung der kritischen Stelle zumutbar gewesen sei, so dass der glatte Zustand der Unfallstelle eine grob fahrlässige Vernachlässigung der Instandhaltungspflicht ergäbe. Es kann also keine Rede davon sein, dass ohne die erwähnte Feststellung die Sache im Sinne des Standpunktes der Kläger oder jenes der beklagten Partei spruchreif sei. Überzeugend hat das Berufungsgericht aber auch dargelegt, dass bei der derzeitigen Aktenlage nicht beurteilt werden könne, ob Glatteiswarnungen der Polizei oder der Omnibuslenker eine ausreichende Sicherheitsmaßnahme darstellten, derart, dass daneben die Einrichtung eines besonderen Warndienstes der beklagten Partei entbehrlich gewesen wäre. Die Rekursausführungen sind nicht geeignet, die Entbehrlichkeit der vom Berufungsgerichte aufgetragenen Verfahrensergänzung darzutun.

Dasselbe trifft aber auch auf den Auftrag des Berufungsgerichtes zu, das Verfahren hinsichtlich der Frage des Mitverschuldens der Erstklägerin zu ergänzen (auf diese Frage wird allerdings im Sinne der obigen Ausführungen nur dann einzugehen sein, wenn nach den Ergebnissen des künftigen Verfahrens die Haftung der beklagten Partei grundsätzlich zu bejahen wäre). Denn in der Richtung der von der beklagten Partei hilfsweise erhobenen Einrede des eigenen Verschuldens der geschädigten Fahrzeuglenkerin hat das Berufungsgericht im Wesentlichen dargelegt, dass die Begutachtung durch einen Verkehrssachverständigen erforderlich sei; wenn aber das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz diesen Beweis für notwendig erachtet, dann kann nicht dagegen mit Erfolg aus dem Grunde unrichtiger rechtlicher Beurteilung Stellung genommen werden. Aus diesen Erwägungen war den Rekursen nicht Folge zu geben. Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 50, 40 ZPO.

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