OGH 5Ob134/60

OGH5Ob134/6021.4.1960

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.Kisser als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr.Turba, Dr.Lachout, Dr.Graus und Dr.Greissinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria O*****, vertreten durch Dr.Leo Kaltenböck, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Eduard L*****, öffentlicher Notar ***** als Masseverwalter im Konkurse des ruhenden Nachlasses nach Ing.Karl K*****, vertreten durch Dr.Guntram Hörburger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 24.905,87 S s.A. infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15.Jänner 1960, GZ 1 R 435/59-84, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 4. Dezember 1958, GZ 1 Cg 235/57-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahre 1954 beschloß die Marktgemeinde B***** die Errichtung eines Kurmittelhauses und machte der Baubehörde den Baumeister Ing.Karl K***** als verantwortlichen Bauführer namhaft. Dieser nahm auch an der Bauverhandlung vom 1.10.1954 teil und traf alle Sicherheitsvorkehrungen auf der Baustelle.

Bei Baubeginn ließ die Marktgemeinde zunächst die Baustelle mit einem 1 m hohen Zaun umgeben, der jedoch im Jahre 1956 im Zuge der Bauarbeiten entfernt wurde. Das Baugelände war von da ab frei zugänglich, doch konnte am teilweisen Fehlen der Türen und Fenster sowie am sonstigen Bauzustand jedermann leicht erkennen, daß sich das Haus noch im Rohbau befand und daß noch Fertigstellungs- und Aufräumungsarbeiten im Gange waren. An einer Betonmauer war eine gut sichtbare Tafel mit der Aufschrift: "Nichtbeschäftigten ist das Betreten der Baustelle strengstens verboten!" angebracht, an der die Ehegatten O*****, welche sich seit 24.7.1956 zur Kur in H***** befanden, wiederholt vorübergingen.

Entlang des Hauses verläuft ein in Felder eingeteilter Lichtschacht. Im August 1956 waren die Felder zum größten Teil durch die hiefür bestimmten Eisenroste zugedeckt. Bei zwölf Feldern fehlten die Roste noch, einzelne hievon wurden fallweise mit Brettern zugedeckt. Am Vormittag des 19.8.1956, einem Sonntag, betrat Hans O*****, der Gatte der Klägerin, im Verlaufe eines Spazierganges die Baustelle. Er ging über die Eisenroste der Lichtschachtfelder und blickte durch die Fenster in das Innere des Hauses. Dadurch übersah er, daß das Feld Nr. 11 keinen Eisenrost aufwies und daß auch die darüber gelegten Bretter nicht mehr vorhanden waren. Er stürzte in den 5 m tiefen Schacht und fand hiedurch den Tod. Seine Leiche wurde nach Hannover überführt und dort begraben.

Das Erstgericht sprach zunächst mit Zwischenurteil aus, daß der Schadenersatzanspruch der Klägerin gegenüber dem ruhenden Nachlaß des in der Zwischenzeit verstorbenen Ing.K***** dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe und wies das Klagebegehren hinsichtlich der beiden ursprünglichen Mitbeklagten, nämlich des Baumeisters Ing.Heinrich P***** und der Marktgemeinde B*****, ab. Während das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich des Nachlasses nach Ing.K***** durch die Eröffnung des Konkurses gemäß § 7 Abs 1 KO unterbrochen wurde, wurde das abweisliche Teilurteil hinsichtlich der beiden anderen Beklagten in zweiter und dritter Instanz bestätigt. Zu dem die Verlassenschaft nach Ing.K***** betreffenden Urteilsspruch führte das Erstgericht noch folgendes aus:

Ing.K***** habe bei Baubeginn im Herbst 1954 zunächst einen gewissen E*****, dann einen anderen Arbeiter und im Jänner 1956 den Vorarbeiter Leopold R***** mit der Tätigkeit eines Poliers betraut, obwohl R***** nicht die hiefür erforderliche Fachausbildung genossen hat. Baumeister K***** sei während des Baues wiederholt von Organen des Arbeitsinspektorats auf Mängel in den Sicherheitsvorkehrungen aufmerksam gemacht worden; er habe R***** deren Beobachtung nahegelegt. Sowohl Ing.K***** als auch Leopold R***** hätten gewußt, daß die beim Bau beschäftigten Arbeiter besonders an den arbeitsfreien Wochenenden Bretter, Pfosten und dgl. von der Arbeitsstelle forttrugen. Beiden sei auch bekanntgewesen, daß außerhalb der Arbeitszeit Passanten und Kurgäste die Baustelle ungeachtet der Verbotstafel betraten und besichtigen, dabei sogar bis ins Innere des Baues gelangten und daß Kinder dort spielten. Bereits im Herbst oder Winter 1955 sei der Bauarbeiter Ludwig K***** in den Lichtschacht gestürzt, als er mit einer Scheibtruhe über die darüber gelegten Bretter fuhr. Ein halbes Jahr später habe derselbe Arbeiter noch einen Arbeitsunfall an der Baustelle erlitten. Geraume Zeit seien die Felder des Lichtschachtes völlig unabgedeckt gewesen, sodaß die Beschäftigten über die ungesicherten Schachtöffnungen steigen mußten. Ing.K***** habe auch gewußt, daß am Samstag, dem 18.8.1956, andere Handwerker auf der Baustelle tätig sein werden. Bei Arbeitsschluß am Freitag, den 17.8.1956, seien drei der offenen Felder, nämlich Nr. 11, 21 und 22 noch mit Brettern zugedeckt gewesen. Die Abdeckung sei sehr mangelhaft gewesen, da die Pfosten und Bretter untereinander nicht befestigt, sondern nur so über die offenen Felder gelegt wurden, daß Zwischenräume entstanden. Von Freitag abends bis zum Unfall sei die Baustelle gänzlich unbewacht gewesen. Wer die Bretter von dem Feld entfernte, durch das Hans O***** in den Schacht stürzte, konnte nicht festgestellt werden. Ing.K***** sowie der von ihm bestellte Vorarbeiter Leopold R***** hätten durch diese mangelhafte Absicherung gegen § 39 Abs 1 der Verordnung vom 10.11.1954, BGBl. Nr. 267 verstoßen, nach welcher Bestimmung solche Öffnungen "sicher abzuschranken" seien. Diese Vorschrift diene zwar zunächst dem Schutze der an der Baustelle tätigen Dienstnehmer; die Beobachtung von Unfallverhütungsvorschriften gehöre aber auch zu den allgemein anerkannten Regeln der Baukunst. Ihre Vernachlässigung ziehe gem. § 1299 ABGB die Schadenersatzpflicht nach sich.

Ing.K***** könne sich auch nicht auf § 1315 ABGB berufen, da der von ihm zum Polier bestellte Leopold R***** nicht nur nicht die hiefür erforderliche Qualifikation aufwies, sondern, wie die mehrfachen Arbeitsunfälle und die fortgesetzte Vernachlässigung der notwendigen Sicherungsmaßnahmen beweisen, auch als untüchtige Person angesehen werden müsse. Ing.K***** hätte daher die Baustelle selbst kontrollieren oder durch eine geeignete Person kontrollieren lassen müssen. Durch seine Unterlassung habe er den Unfall mitverschuldet. Den Verunglückten aber treffe, selbst wenn er die Tafel, welche das Betreten der Baustelle untersagte, nicht sah, gleichfalls ein Verschulden, da jedem erwachsenen Menschen bekannt sei, daß eine unfertige Baustelle nicht betreten werden dürfe. Wenn er es dennoch tat, habe er schon damit ein Risiko auf sich genommen, wozu noch komme, daß er am Haus entlanggehend, nur in dessen Inneres geblickt und nicht auf den Weg geachtet habe.

Das Verschulden beider Personen sei gleich zu bewerten, daher bestehe der Klagsanspruch dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es den Klagsanspruch zu einem Drittel als zu Recht, zu zwei Dritteln als nicht zu Recht bestehend erklärte. Es übernahm zur Gänze die Feststellungen des Erstgerichtes und pflichtete auch dessen Ansicht bei, daß Ing.K***** sowohl gemäß § 1299 ABGB als auch gemäß § 1315 ABGB für den Unfall und dessen Folgen verantwortlich sei. Wenn sein Verhalten auch die erste Ursache des Unfalls war, sei es doch unverständlich, wie ein erwachsener und lebenserfahrener Mensch seine Umgebung so sehr vergessen könne, daß er nicht darauf achte, wo er gehe, obwohl es ihm bei einiger Überlegung hätte klar sein müssen, daß bei der verbotenen Besichtigung eines unfertigen Bauwerks jeder Schritt eine Gefahr bedeute. Sein Verschulden müsse daher etwa doppelt so groß angenommen werden, als das des Baumeisters.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung wurden von beiden Parteien Revisionen eingebracht.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes im abändernden Teil, macht den Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO geltend und beantragt, das Ersturteil wiederherzustellen oder das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an eine der Unterinstanzen zurückzuverweisen.

Der Beklagte macht die Revisionsgründe des § 503 Z 3 und 4 ZPO geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß entweder das Klagebegehren abgewiesen oder der Klagsanspruch mit weniger als einem Drittel als zu Recht bestehend erkannt werde. Keiner der beiden Revisionen kommt Berechtigung zu.

I. Zur Revision des Beklagten:

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, enthält die Salzburger Landbauordnung 1952, LGBl Nr. 55/52, wohl Sicherheitsvorschriften für die Bauführung an öffentlichen Strassen (§ 17), in der Nähe von Flüssen und Bächen (§ 19), sowie aus öffentlichen Rücksichten im allgemeinen (§ 20), nicht aber für Bauten auf Privatgrundstücken, bei denen derartige Verhältnisse, die einer besonderen Regelung bedurften, nicht vorliegen. Da auch die Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern (BGBl Nr. 267/1954) ebenso wie die allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung (BGBl Nr. 265/1951) wegen des anderen Schutzzweckes dieser Bestimmungen, nämlich des Schutzes der Dienstnehmer und nicht unberufener Privatpersonen, die sich ohne Notwendigkeit zur Baustelle begeben, auf den gegebenen Fall nicht anwendbar sind, scheidet eine Beurteilung nach § 1311 ABGB aus. Es ist aber den Untergerichten darin beizupflichten, daß der Bauführer oder der von ihm bestellte Besorgungsgehilfe verpflichtet ist, auch ohne besondere gesetzliche Vorschriften eine Baustelle auf Privatgrund den Umständen entsprechend abzusichern. In diesem Sinne können die für Dienstnehmer erlassenen Schutzbestimmungen nur als besondere Regelung der sich aus den §§ 1295 ff ABGB ergebenden allgemeinen Sorgfaltspflichten angesehen werden. Da erwiesen ist, daß sowohl Ing.K***** als auch Leopold R***** wußten, daß die in keiner Weise von der Umgebung abgegrenzte Baustelle während des Wochenendes von anderen Handwerkern, von Passanten, Kurgästen und sogar von Kindern betreten wurde, durfte sie sich nicht auf das Anbringen einer Verbotstafel, die keineswegs von allen Seiten sichtbar war, beschränken, sondern sie waren verpflichtet, den ihnen bekannten Gegebenheiten Rechnung zu tragen und demgemäß für eine wirksame Absicherung der Baustelle zu sorgen.

Daß dieser Sorgfaltspflicht nicht genügt wurde, steht außer Zweifel. Im Gegensatz zu der in der Revision des Beklagten vertretenen Ansicht ist es nicht Aufgabe der Gerichte, auszuführen, welche Maßnahmen erforderlich gewesen wären. Wohl aber kann gesagt werden, daß die Überdeckung der Schachtfelder mit untereinander nicht einmal verbundenen und daher verschieblichen Brettern, zwischen denen Zwischenräume klafften, keine hinreichende Absicherung darstellte, umsoweniger als bekannt war, daß diese Bretter wiederholt von irgendwelchen Arbeitern bei Arbeitsschluß entfernt und mit nach Hause genommen wurden.

Gerade weil diese Umstände dem Ing.K***** bekannt waren und er auch wußte, daß der die Baustelle ursprünglich umgebende Zaun nicht mehr vorhanden war und daß die Baustelle von allen möglichen Personen betreten wurde, durfte er auch nicht die Anordnung und Überwachung der Sicherheitsvorkehrungen ausschließlich dem Vorarbeiter R***** überlassen. Schon darin liegt sein eigenes Verschulden. Außerdem trifft ihn aber auch ein solches nach § 1315 ABGB, da R***** als untüchtiger Besorgungsgehilfe im Sinne dieser Gesetzesstelle qualifiziert werden muß. Hiefür ist - wie schon das Berufungsgericht dargelegt hat - nicht entscheidend, daß er nicht die Polierprüfung abgelegt hat (SZ XXIV 136), wohl aber, daß er sich immer mit dieser unzulänglichen Sicherung der Baustelle begnügte, obwohl er schon mindestens einmal beanständet wurde und obwohl er wußte, daß die Bretter vielfach fortgetragen wurden, daß sich schon mehrere Arbeitsunfälle zugetragen hatten und daß die Baustelle von den verschiedensten befugten und unbefugten Personen betreten wurde. Unbeschadet seiner sonstigen Qualitäten als Maurer und Vorarbeiter, die ihm offenbar das Vertrauen seines Dienstgebers eingetragen hatten, muß er in der ihm übertragenen Funktion eines Poliers als von habitueller Untüchtigkeit gewertet werden (SZ XXV 84 und XXIV 136). Für den hieraus entstandenen Schaden ist daher Ing.K***** gemäß § 1315 ABGB verantwortlich.

Die geltendgemachte Aktenwidrigkeit stellt schon deshalb keinen Revisionsgrund dar, weil das Berufungsgericht die Untüchtigkeit R***** nicht aus mehrfachen Mängelbeanstandungen durch das Arbeitsinspektorat, sondern aus der fortgesetzen Vernachlässigung notwendiger Sicherungsmaßnahmen gefolgt hat.

II. Zur Revision der Klägerin:

Mit Recht hat das Berufungsgericht das Verschulden des Verunglückten doppelt so hoch bewertet als das des Ing.K*****. Die gegenteiligen Ausführungen der Revision der Klägerin wären nur dann berechtigt, wenn Hans O***** aus irgendeiner beruflichen oder sonstigen Notwendigkeit die Baustelle betreten hätte. Er hatte aber dort überhaupt nichts zu tun und es muß jedem erwachsenen Menschen bekannt sein, daß das Betreten eines erkennbar unfertigen Baues Gefahren verschiedenster Art in sich birgt. Hat Hans O***** dessen ungeachtet die Baustelle betreten, dann war er, zumal er - wie die Revision ausführt - schon 72 Jahre alt war und nicht mehr so gut sah zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet; zumindest mußte von ihm verlangt werden, daß er sein Augenmerk auf den Weg, den er verfolgt, richtet. Hätte Hans O***** danach gehandelt, wäre der Unfall überhaupt vermieden worden. Daß auch andere Personen und Kinder an der Baustelle zu sehen waren, vermag das Verschulden Hans O***** nicht zu mindern, da jeder Mensch auf seine eigene Sicherheit bedacht sein muß und sich nicht darauf verlassen darf, was andere tun. Daß durch diese Erwägungen das Verschulden des Baumeisters K***** nicht beseitigt wird, wurde bereits oben dargelegt, wohl aber muß dieses Mitverschulden erheblich geringer bewertet werden als das des Verunglückten. Dem entspricht die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung. Es mußte daher beiden Revisionen ein Erfolg versagt bleiben.

Der Vorbehalt hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 393 Abs 4, 52 Abs 2 und 50 ZPO.

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