OGH 2Ob64/54

OGH2Ob64/5410.2.1954

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Ullrich als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lenk, Dr. Gitschthaler, Dr. Meyer‑Jodas und den Rat des Oberlandesgerichts Dr. Köhler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Simon L*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Wilhelm Stecher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Dora Karoline L*****, 2.) Edith L*****, ebenda, 3.) Martha L*****, ebenda, sämtliche vertreten durch Dr. S. Ostersetzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme infolge Revisionsrekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 3. Dezember 1953, GZ 2 R 784/53‑15, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Mai 1953, GZ 14 Cg 573/52‑5, aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1954:0020OB00064.540.0210.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass der erstrichterliche Beschluss wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.356 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsfolge zu bezahlen.

Begründung

Das Erstgericht hat die vorliegende Wiederaufnahmsklage bei der mündlichen Verhandlung vom 12. 5. 1953 gemäß § 543 ZPO als verspätet zurückgewiesen, da der gleiche Sachverhalt, auf den die gegenständliche Klage gestützt wird, schon Gegenstand des Wiederaufnahmsverfahrens zu 14 Cg 524/51 bildete. Wenngleich mit Beschluss vom 6. 3. 1950, GZ 2 A 78/49‑21, Dr. Wilhelm Stecher zum Verlassenschaftskurator bestellt wurde, wären die beiden Miterben Dr. Oswald und Markus L*****, die die Erbserklärung bereits abgegeben hatten, berechtigt gewesen, die Wiederaufnahmsklage als Vertreter der Verlassenschaft einzubringen. Die vorliegende Wiederaufnahmsklage sei demnach, da die Kenntnisnahme einer rechtlich belangreichen Tatsache durch einen Miterben als Kenntnisnahme durch die Verlassenschaft gilt, jedenfalls verspätet.

Dem dagegen seitens der klagenden Partei eingebrachten Rekurs wurde Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund das Verfahren fortzusetzen. Das Rekursgericht ging davon aus, dass die erbserklärten Erben vor der Einantwortung mit der Verlassenschaft nicht als ident anzusehen seien. Im Hinblick darauf, dass der die Verlassenschaft repräsentierende Verlassenschaftskurator ein von den Erben verschiedenes Rechtssubjekt vertrete, könne für die Frage, wann die Verlassenschaft von für ihre Interessen rechtlich belangreichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 530/1 Z 7), nur der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Kurator ausschlaggebend sein. Für diesen laufe somit unabhängig von den Erben die Frist des § 534 ZPO selbständig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Parteien, mit welchem beantragt wird, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der erstrichterliche Beschluss wiederhergestellt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist begründet.

Der Ansicht des Rekursgerichts, dass für die Frage, wann die durch den Kurator vertretene Verlassenschaft von rechtlich belangreichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat, nur der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Kurator ausschlaggebend sein könne und gegen diesen somit unabhängig von den Erben die Frist des § 534 ZPO laufe, kann nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof teilt die von Klang (Kommentar 2. Auflage, Bd 3, S 162 ff) vertretene Rechtsmeinung, dass jeder einzelne Erbe klagen und so Rechte des Nachlasses geltend machen kann (vgl Neumann Kommentar zur ZPO S 438). Die Verlassenschaft wird daher durch jedem von mehreren Miterben vertreten und stehen diese hinsichtlich ihrer Vertretungsbefugnis einem nach § 128 AußStrG bestellten Verlassenschaftskurator gleich. Wenn nun im Abhandlungsverfahren nach Simon L***** mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 6. 3. 1950 OZ 21, Dr. Wilhelm Stecher zum Verlassenschaftskurator bestellt wurde, so bleibt dessen zufolge der bestehenden Interessenkollision mit den Beklagten ursprünglich notwendige Bestellung trotz der mit Beschluss vom 19. 5. 1951, OZ 28 erfolgten Annahme der Erbserklärungen Dris. Oswald L***** und Markus L***** zwar bis zu dessen Amtsenthebung aufrecht, doch ergibt sich aus der grundsätzlichen Vertretungsbefugnis jedes erbserklärten Erben, dass auch jede Kenntnisnahme einer für die Interessen der Verlassenschaft belangreichen Tatsache durch einen der Miterben als Kenntnisnahme durch die Verlassenschaft zu gelten hat. Solange der gemäß §§ 78, 128 AußStrG bestellte Kurator nicht enthoben ist, wird daher hinsichtlich solcher Tatsachen seitens des Miterben, dem diese zur Kenntnis gelangt sind, das Einvernehmen mit dem Kurator zu pflegen sein. Aus dem Akt 14 Cg 524/52 ergibt sich jedoch, dass die mit der vorliegenden Klage als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten neuen Tatsachen den erbserklärten Erben Dr. Oswald L***** und Markus L***** schon am 1. 12. 1951 (siehe Klagsvorbringen S 4) bzw am 10. 6. 1952 (siehe Vorbringen der Berufung S 52/53) bekannt waren, von welchem Zeitpunkt somit auch gegen die Verlassenschaft der Lauf der Frist des § 534 ZPO beginnt. Mit Recht hat demnach das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage als verspätet zurückgewiesen und war demnach wie im Spruch zu entscheiden.

Der Kostenspruch gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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