OGH 3Ob650/52

OGH3Ob650/5214.1.1953

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch Senatspräsidenten Dr. Wahle als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernard, Dr. Deutsch, Dr. Bistritschan und Dr. Kisser als Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei Oswald S*****, vertreten durch Dr. Hans Schmölzer, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei Stadtgemeinde Steyr, vertreten durch Dr. Erhard Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen 2.686,90 S s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Berufungsgerichtes vom 28. August 1952, GZ R 236/52-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 9. Mai 1952, GZ C 562/50 -24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird in dem Sinne geändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kam am 16. Mai 1950 auf der Lahrnsdorfer Bezirksstraße, und zwar auf einem Straßenstück, dessen Verwaltung und Erhaltung der Stadtgemeinde Steyr obliegt, in der Nähe des Kasinos in Steyr infolge schlechter Beschaffenheit der Straßendecke zum Sturz. Er klagte die Gemeinde Steyr auf Zahlung eines Schadenersatzbetrages in der Höhe von 2.386,90 S. Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil ONr 24 das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt. Auf die Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht das Ersturteil in dem Sinne, dass der Klagsanspruch nicht zu Recht besteht, und wies für den Fall der Rechtskraft das Klagebegehren ab. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die klagende Partei Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Der Revisionsantrag geht dahin das Ersturteil wiederherzustellen oder das Berufungsurteil aufzuheben und die Rechtssache zur Behebung der behaupteten Verfahrensmängel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt Berechtigung zu.

Was zunächst den von der beklagten Partei neuerdings erhobenen Einwand der unheilbaren Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes betrifft, so schließt sich der Oberste Gerichtshof in dieser Hinsicht der Rechtsauffassung der Vorinstanzen vollinhaltlich an. Wenn das Amtshaftungsgesetz in näherer Regelung der im Art 23 B-VG (in der Fassung des BGBl 20/1949) ausgesprochenen Norm seine Anwendbarkeit darauf abstellt, dass das den Schaden zufügende Organ der Gebietskörperschaft "in Vollziehung der Gesetze" tätig gewesen sein müsse, so entspricht dies dem schon in der Bundesverfassung von 1920 enthaltenen, damals mangels eines Ausführungsgesetzes allerdings nur theoretischen Grundgedanken der Schadenshaftung der Gebietskörperschaften für üble obrigkeitliche Verwaltung. "In Vollziehung der Gesetze" deutet auf die Besorgung hoheitsrechtlicher Aufgaben hin. Während aber bis zur Erlassung des Amtshaftungsgesetzes ein Schadenersatzanspruch gegen eine Gebietskörperschaft wegen pflichtwidrigen Verhaltens ihrer Organe - abgesehen von den Fällen des Syndikatsgesetzes - nur im Bereich der sogenannten Wirtschaftsverwaltung geltend gemacht werden konnte, besteht nunmehr der Unterschied zwischen der Haftung der Gebietskörperschaften für Rechtsverletzungen auf dem Gebiet der Hoheits- und der sogenannten Wirtschaftsverwaltung darin, dass sich im ersten Fall die Haftung nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes, im anderen Fall nach den allgemeinen Vorschriften des zivilen Rechtes richtet und demgemäß auch die Entscheidungskompetenz verschieden ist.

Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 22. 5. 1928, SZ X/138, ZBl Nr 292, ausgesprochen hat, hängt die Unterstellung eines gegen eine Gebietskörperschaft erhobenen Schadenersatzanspruches unter die Normen des allgemeine Zivilrechtes - und damit auch die Entscheidungskompetenz - davon ab, ob die Gebietskörperschaft als gleichgeordnetes Glied der Gemeinschaft im Privatrechtsverkehr gestanden ist oder nicht. Nicht nur in dieser Entscheidung, sondern in einer Vielzahl anderer Erkenntnisse vor und nach Erlassung des B-VG hat der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht vertreten, dass die Verpflichtung zur Straßenerhaltung, mag sie auch auf verwaltungsrechlichen Normen beruhen, kein Ausfluss des staatlichen Hoheitsrechtes ist (vgl GlUNF 2721, 4535, 4633, 5202, 5650, SZ I/47, JBl 1931, S 220, SZ XX/246). Der Oberste Gerichtshof hat auch nach dem Wirksamkeitsbeginn des Amtshaftungsgesetzes an der Rechtsauffassung festgehalten, dass die Straßenpflege nicht zu den hoheitsrechtlichen Aufgaben gehört (vgl 3 Ob 573/50, 2 Ob 126/50). Die Ausführungen der Revisionsbeantwortung bieten keinen Anlass von dieser der ständigen Judikatur zugrundeliegenden Rechtsauffassung abzugehen.

Wenn sich die beklagte Partei zur Bekräftigung ihres gegenteiligen Standpunktes auf den Satz im Kommentar zum Amtshaftungsgesetz von Loebenstein-Kaniak Seite 46 beruft: "Die Sorge für die Erhaltung der Bundesstraßen ist Hoheitsverwaltung", so vermag dieser Hinweis nicht zu überzeugen. Denn dieser Satz stützt sich gerade auf die Entscheidung SZ X/138; aus dieser ist aber das Gegenteil dessen abzuleiten, was die Revisionsbeantwortung wahrhaben will. In der Sache selbst vermag das Revisionsgericht aber die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes nicht in allen Punkten zu teilen. Bei Schäden infolge Vernachlässigung der Straßenerhaltungspflicht sind wie das Berufungsgericht zutreffend ausgesprochen hat, für die Beurteilung der Voraussetzungen der Haftung die Bestimmungen des § 11 des Bundesstraßengesetzes (BGBl Nr 59/1948) heranzuziehen. Da die oberösterreichische Straßenverwaltungsgesetze keine Haftungsvorschriften enthalten, entspricht es den Grundsätzen der Rechtsanalogie, auf die die gleiche Materie betreffende Regelung des Bundesstraßengesetzes zu greifen, dies um so mehr als die Haftungsvorschriften dieses Gesetzes kraft ausdrücklicher Vorschrift des § 11 Satz 2 für die Gemeinden, soweit es sich um die den Gemeinden zur Erhaltung übergebenen Ortsdurchfahrten handelt, unmittelbar gelten. Der Oberste Gerichtshof stimmt daher grundsätzlich mit dem Berufungsgericht darin überein, dass die beklagte Partei nur grobes Verschulden zu vertreten hat. Er ist aber im Gegensatz zum Berufungsgericht der Auffassung, dass der beklagten Partei ein solches Verschulden insofern zur Last fällt, als sie die Beseitigung des gefährlichen Straßenzustandes in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt hat. Selbst wenn man dem Verhalten des Straßenwärters M*****, der einerseits nach den Feststellungen des Erstgerichtes die Straße "versauen" ließ, andererseits aber doch auf die Beseitigung des gefährdeten Zustandes drängte, wegen dieses letzteren Umstandes nicht als grob fahrlässig qualifizieren müsste, so würden die übrigen Feststellungen des Erstgerichtes ausreichen, um ein grob fahrlässiges Verhalten der mit der Straßenbetreuung betrauten Organe der beklagten Partei anzunehmen. Am 17. 12. 1949 und am 16. 1. 1950 erstattete die Bundespolizei in Steyr dem Magistrat und dem Stadtbauamt in Steyr Meldung, über die gefährliche Beschaffenheit der Straße nächst dem Kasino, wobei darauf hingewiesen wurde, dass sowohl Kraftradfahrer als auch Radfahrer beinahe zum Sturz gekommen wären. Darauf haben aber die für den Straßenzustand verantwortlichen Stellen in Steyr nichts veranlasst, sie haben nicht einmal Warnungszeichen aufgestellt. Wenn auch die Unterlassung der Aufstellung von Warntafeln für den Unfall, der den Anlass zum vorliegenden Rechtsstreit gegeben hat, nicht kausal war, weil der Kläger den schlechten Straßenzustand kannte, so zeigt dieses Verhalten doch, wie wenig sorglich die zur Straßenverwaltung bestellten Organe ihren Aufgaben nachkamen. Dabei kommt es nicht darauf an, welchem einzelnen Organ ein Verschulden zuzuschreiben ist, auch nicht darauf, ob entsprechende Anordnungen unterlassen oder ihre Durchführung nicht kontrolliert worden ist, es genügt, dass die Straßenverwaltung ihren Aufgaben nicht nachgekommen ist. Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Kläger Eigenverschulden an dem Unfall anzulasten ist, schließt sich der Oberste Gerichtshof der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Der Kläger ist nach den Feststellungen im Bereich des schadhaften Straßenstückes nur mit einer Geschwindigkeit von 15 Stundenkilometer gefahren. Da es sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen um eine stark frequentierte Straße handelt, konnte dem Kläger nicht zugemutet werden, seine Fahrgeschwindigkeit noch weiter herabzusetzen, weil er ja sonst den Verkehr behindert hätte. Im Übrigen kann gar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger durch Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit und Schleifen der Füße auf dem Boden die Gefahr eines Sturzes noch vergrößert hätte.

Die Bestimmungen des § 24 des oberösterreichischen Straßenverwaltungsgesetzes in der Fassung des Landesgesetzes vom 20. 2. 1947, LGBl Nr 20, kommen im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Es kann daher ununtersucht bleiben, ob diese Gesetzesbestimmung auch die Haftung für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden ausschließt, und es muss demgemäß auch nicht auf die Frage eingegangen werden, ob diese Bestimmung allenfalls dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt ist. Jedenfalls kommt nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes diese Gesetzesstelle weder für die Beurteilung des Grades des Verschuldens der beklagten Partei, noch für die Beurteilung eines Eigenverschuldens des Klägers in Betracht.

Aus diesen Erwägungen musste der Revision Folge gegeben werden. Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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