Spruch:
Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 6 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 53 EMRK - Anspruch auf ein neuerliches innerstaatliches Verfahren nach Feststellung einer Konventionsverletzung durch den GH? Unzulässigkeit der Beschwerde (mehrheitlich).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der Bf. wurde 1984 wegen Mordes und unerlaubten Besitzes von Schusswaffen zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aufgrund einer von der Staatsanwaltschaft erhobenen Strafberufung verhängte der OGH 1986 eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da der Bf. während der mündlichen Verhandlung vor dem OGH nicht anwesend war, stellte der GH am 21.9.1993 eine Verletzung der Verteidigungsrechte des Bf. nach Art. 6 (1) und (3) EMRK fest und verurteilte Österreich zum Kostenersatz. Aufgrund dieses Urteils beantragte der Bf. Strafmilderung. Diese wurde aber vom OGH am 3.4.1995 abgelehnt, weil die Verletzung seiner Verteidigungsrechte keinen Einfluss auf das Urteil des OGH gehabt habe.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung seiner Rechte gemäß Art. 5 (4) EMRK (Recht auf gerichtliche Überprüfung der Haft) und Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz), da die österr. Behörden nach dem Urteil des GH weder ein neuerliches Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner fortgesetzten Haft durchgeführt noch seine Freilassung angeordnet hätten. Außerdem sei die gegen Art. 53 EMRK verstoßende, unzureichende Umsetzung des Urteils des GH eine fortgesetzte Verletzung seiner Rechte nach Art. 6 EMRK (fair trial). Die Kms. erinnert, dass die durch Art. 5 (4) EMRK geforderte gerichtliche Überprüfung der Haft in der Verurteilung durch das zuständige Gericht beinhaltet ist, wenn die Freiheitsstrafe nach einer solchen Verurteilung vollzogen wurde. Dies gilt für die ursprüngliche Festnahme. Hinsichtlich der auf die Verurteilung folgenden Haft hingegen kann Zweck und Art dieser Haft eine spätere gerichtliche Überprüfung der Frage erforderlich machen, ob die Haftgründe noch weiter vorliegen (vgl. Urteil Thynne, Wilson, Gunnel/GB, A/190-A §§ 60, 69; De Wilde, Ooms, Versyp/B, A/12 § 6). Bei Verurteilungen zu lebenslanger Haft ist zwischen abänderbaren (discretionary) und zwingend unabänderbaren (mandatory) zu unterscheiden: Erstere werden nicht wegen der Schwere des Delikts sondern zum Schutze der Gesellschaft ausgesprochen und setzen Umstände wie Gefährlichkeit oder psychische Instabilität voraus, welche im Laufe der Zeit wegfallen können. Diese Häftlinge sind berechtigt, in regelmäßigen Abständen eine gerichtliche Überprüfung ihrer Haft zu verlangen. Im anderen Fall jedoch verfolgt der lebenslange Freiheitsentzug im wesentlichen den Zweck der Bestrafung. In diesen Fällen wird dem Art. 5 (4) EMRK durch die ursprüngliche Verurteilung Genüge getan (vgl. Urteil Wynne/GB, A/294-A §§ 33-36). Im ggst. Fall wurde die lebenslange Strafe wegen der besonders verwerflichen Beweggründe des Bf. verhängt, sie verfolgt damit lediglich einen Strafzweck.
Nach Meinung des Bf. erfordere aber das Urteil des GH vom 21.9.1993 eine abermalige Kontrolle der Rechtmäßigkeit der verhängten Freiheitsstrafe.
Hierzu erinnert die Kms., dass der GH aufgrund der Konvention auch im Falle einer festgestellten Konventionsverletzung nicht ermächtigt ist, dem beklagten Staat die Durchführung eines neuen Verfahrens oder andere Maßnahmen aufzutragen (vgl. Urteil Saidi/F, A/261-C § 47). Die Gefängnishaft des Bf. beruht auf den Urteilen des Kreisgerichts und des OGH und ist daher Haft nach der Verurteilung durch ein zuständiges Gericht iSd. Art. 5 (1) (a) EMRK. Den Anforderungen des Art. 5 (4) EMRK wurde daher durch das erste Verfahren und das nachfolgende Rechtsmittelverfahren Genüge getan, wobei eine gerichtliche Haftüberprüfung iSd. Art. 5 (4) EMRK nicht immer den Verfahrensgarantien des Art. 6 (1) EMRK entsprechen muss (vgl. Urteil Megyeri/D, A/237-A § 22 = NL 94/4/05). Die durch den GH im Kremzow-Urteil (= NL 93/5/13) festgestellte Verletzung der Verteidigungsrechte war nicht so schwerwiegend, dass eine neuerliche Überprüfung der Verurteilung und der Strafe notwendig geworden wäre (vgl. mutatis mutandis Urteil Drozd & Janousek/F, A/240 § 110 = NL 94/4/07). Daher gibt es keinen Hinweis auf eine Verletzung von Art. 5
(4) EMRK. Da diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich lex specialis ist, muss der Fall nicht mehr unter Art. 13 EMRK geprüft werden (vgl. EKMR, Bsw. 11256/84, Egue/F, Entsch. v. 5.9.1988, DR 57, 47). Die Bsw. wird daher wegen offenbarer Unbegründetheit iSd. Art. 27 (2) EMRK für unzulässig erklärt (mehrheitlich).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 18.10.1995, Bsw. 23888/94, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,17) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut
(pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/96_1/Kremzow.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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