EGMR Bsw16313/10

EGMRBsw16313/1017.3.2016

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Kahn gg. Deutschland, Urteil vom 17.3.2016, Bsw. 16313/10.

 

Spruch:

Art. 8 EMRK - Veröffentlichung von Bildern der Kinder eines bekannten Fußballtorhüters.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 8 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

 

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. wurden 1998 bzw. 2003 geboren und sind der Sohn (»der Bf.«) und die Tochter (»die Bf.«) von Oliver und Simone Kahn, dem früheren deutschen Fußballnationaltorhüter und seiner Ex-Frau.

Nachdem im Juli 2004 in vier unterschiedlichen Ausgaben des Magazins »neue woche« Fotos von den Bf. mit ihren Eltern veröffentlicht worden waren, erließ das LG Hamburg gegen den Verlag am 21.1.2005 unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,–gemäß § 890 Abs. 1 ZPO (Anm: Dieser regelt die Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen und sieht bei Nichteinbringbarkeit des Ordnungsgeldes auch eine bis zu zweijährige Ordnungshaft vor.) ein generelles Verbot, Fotos der Bf. zu veröffentlichen oder sonst zu verbreiten.

Am 7.7.2007 wurden im genannten Magazin zwei Fotos veröffentlicht, die die Bf. mit ihren Eltern zeigten. Das von den Bf. angerufene LG verhängte am 12.9.2007 gegen den Verlag ein Ordnungsgeld von je € 5.000,– pro Bf. und Foto.

Im Magazin »Viel Spaß« desselben Verlags vom 11.7.2007 wurde ein Foto der Bf. gezeigt (»sechste Veröffentlichung«) wie sie mit ihrem Vater spazieren gingen, und die Frage aufgeworfen, ob Oliver Kahn sich im Zuge seiner Ehekrise von seinen Kindern trennen werde. Das LG verhängte am 23.11.2007 gegen den Verlag zwei Ordnungsgelder in Höhe von je € 7.500,–. Dessen Berufung gegen diese Entscheidung wurde abgewiesen.

Im Magazin »neue woche« vom 19.7.2008 wurde ein Foto veröffentlicht, das den Bf. beim Golfen mit seinem Vater zeigte und dem ein Artikel über die Versöhnung von Oliver Kahn mit seiner Frau beigeschlossen war. Der Bf. scheint dagegen rechtlich nicht vorgegangen zu sein.

Am 4.10.2008 erschien im selben Magazin ein Foto der Bf. mit ihren Eltern auf dem Oktoberfest in München (»achte Veröffentlichung«), das von einem Artikel über Oliver und Simone Khan begleitet war. Das LG verurteilte den Verlag am 13.7.2009 zur Zahlung von zwei Ordnungsgeldern zu je € 15.000,–. Am 17.8.2009 wies das Berufungsgericht die Berufung des Verlags gegen diese Entscheidung zurück.

Im genannten Magazin erschien sodann am 3.6.2009 ein Foto, das die Bf. mit ihrem Vater zeigte, wobei der Artikel dazu die neuerliche Zerrüttung der Ehe von Oliver Kahn behandelte. Die Bf. zog diesen vierten Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Verlag schließlich zurück.

Am 27.12.2007 klagten die Bf. aufgrund der bisher von ihnen erschienenen Fotos den Verlag wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte auf Zahlung einer Entschädigung von € 40.000,– pro Person. Das LG Hamburg (Anm: 324 O 1173/07.) sprach ihnen am 11.7.2008 die beanspruchten Summen zu. Nachdem der Verlag dagegen berufen hatte, hob das OLG Hamburg die Urteile des LG am 4.11.2008 auf (Anm: 7U 72/08.), da das vom LG verhängte allgemeine Veröffentlichungsverbot zum Schutz der Bf. ausreichen würde, mit dem Ordnungsgelder gegen den Verlag verhängt werden konnten, auch wenn die betreffenden Gelder an die Staatskasse gingen und nicht an die Bf. selbst.

Der BGH wies die Anträge der Bf. auf Zulassung der Revision am 9.6.2009 ab (Anm: VI ZR 339/08 und 340/08.), ebenso am 30.6.2009 die Gehörsrüge der Bf.

Am 23.9.2009 entschied das BVerfG, die Verfassungsbeschwerden der Bf. nicht zur Entscheidung anzunehmen (Anm: 1 BvR 1.681/09 und 1.742/09).

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupteten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens).

Zur Zulässigkeit

(49) Die Regierung rügt die Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs. Da die Bf. ihren Antrag auf [...] Entschädigung mit den zu niedrigen Beträgen der verhängten Ordnungsgelder begründet hätten, wäre es ihnen freigestanden, die Entscheidungen des LG Hamburg, mit denen diese Ordnungsgelder festgesetzt wurden, gemäß § 793 ZPO vor dem Berufungsgericht zu bekämpfen [...]. Was den vierten Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes anbelangt, [...] hätten die Bf. diesen später vor dem LG zurückgezogen und daher diesbezüglich ebenfalls den Instanzenzug nicht erschöpft.

(51) Der GH erinnert daran, dass [...] – wenn ein Rechtsmittel eingelegt wurde – es nicht erforderlich ist, einen anderen Rechtsbehelf zu verwenden, dessen Ziel praktisch dasselbe ist. Er bemerkt, dass die Entschädigungsklage der Bf., genau wie ihre vorangegangenen Anträge betreffend die Verhängung von Ordnungsgeldern, darauf abzielte, den Verlag für die in Verstoß gegen das 2005 ausgesprochene Verbot der Veröffentlichung von [...] Fotos zu sanktionieren, und dass die Bf. diese Klage auf Entschädigung vor drei zivilgerichtliche Instanzen und das BVerfG gebracht haben. Er befindet daher, dass die Bf. die diesbezüglich im deutschen Recht verfügbaren Rechtsbehelfe ausgeschöpft haben. Die Einrede der Regierung ist somit zurückzuweisen.

(52) Der GH stellt außerdem fest, dass die Beschwerde weder offensichtlich unbegründet [...] noch aus einem anderen Grund unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Entscheidung in der Sache

(63) [...] Die Veröffentlichung eines Fotos greift [...] in das Privatleben einer Person ein, auch wenn es sich dabei um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. Soweit die Bf. ihre Rügen auch auf das Recht auf Achtung ihres Familienlebens stützen, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Veröffentlichung eines Fotos auch in das Familienleben einer Person eingreift, wenn diese Person in Begleitung ihrer Eltern gezeigt wird. Der GH befindet dennoch, dass er diese Frage im vorliegenden Fall offen lassen kann, da die Veröffentlichung der strittigen Fotos gewiss das Privatleben der Bf. betrifft, und er erkennt keine Aspekte des Familienlebens der Bf., die nicht von der Prüfung der Vereinbarkeit der strittigen Entscheidungen mit den aus Art. 8 EMRK erfließenden positiven Verpflichtungen unter dem Aspekt des Privatlebens abgedeckt wären.

(65) Die Wahl der geeigneten Maßnahmen für die Gewährleistung der Einhaltung von Art. 8 EMRK in Beziehungen zwischen einzelnen Individuen liegt grundsätzlich im Ermessensspielraum der Vertragsstaaten, egal ob es sich um positive oder negative Verpflichtungen des Staates handelt. Insbesondere hat der GH bereits festgestellt, dass die Achtung des Privatlebens auf verschiedene Weise sichergestellt werden kann, insbesondere was Fragen der Entschädigung für immateriellen Schaden anbelangt. [...]

(68) Die Frage, die sich im vorliegenden Fall [...] stellt, ist nicht, ob die Bf. von einem Schutz gegen die nicht bestrittenen Eingriffe in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens profitierten, sondern ob der gewährte Schutz – das heißt die Möglichkeit, die Verhängung von Ordnungsgeldern gegen den Verlag zu erlangen – vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK ausreichend war, oder ob allein die Zuerkennung einer geldwerten Entschädigung geeignet war, den Bf. den notwendigen Schutz gegen den Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens zu verschaffen.

(69) [...] Die Regierung behauptet insbesondere, dass die Verhängung der Ordnungsgelder den Bf. einen ausreichenden Schutz verschaffte und betont im Übrigen, dass auch die Verurteilung des Verlags durch das LG vom 11.7.2008 zur Zahlung der beanspruchten geldwerten Entschädigung diesen nicht daran hinderte, in der Folge andere Fotos zu veröffentlichen.

(70) Der GH bemerkt zunächst, dass als das Foto, das Gegenstand des zweiten Ordnungsgeldes (»sechste Veröffentlichung«) war, veröffentlicht wurde, noch keine Geldstrafe gegen den Verlag wegen Verstoßes gegen das allgemeine Veröffentlichungsverbot aus 2005 verhängt worden war, da die Bf. das LG noch nicht mit ihrem ersten Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes angerufen hatten. Er betont, dass das LG das zweite Ordnungsgeld im Verhältnis zum ersten trotzdem erhöhte. Was das dritte Ordnungsgeld (»achte Veröffentlichung«) betrifft, beobachtet der GH, dass die Höhe desselben vom LG im Vergleich zum vorangegangenen Ordnungsgeld verdoppelt wurde.

(71) Der GH betont sodann wie die Regierung, dass die Bf. die Möglichkeit hatten, die Höhe der vom LG festgesetzten Ordnungsgelder vor dem Berufungsgericht anzufechten. Nun muss aber festgehalten werden, dass die Bf. gegen die drei Entscheidungen über das Ordnungsgeld, von denen im Übrigen zwei vom Berufungsgericht nur bestätigt wurden, weil der Verlag berufen hatte, keinen Rechtsbehelf eingelegt haben. Der GH beobachtet insbesondere, dass die Bf. nicht erklärt haben, warum ein solches Rechtsmittel beim Berufungsgericht zum Scheitern verurteilt oder nicht in der Lage gewesen wäre, Abhilfe in Bezug auf die Festsetzung eines in ihren Augen zu geringen Ordnungsgeldes zu schaffen.

(72) Der GH bemerkt auch, dass die Bf. ihren Antrag vor dem LG betreffend ein viertes Ordnungsgeld aus dem Grund zurückzogen, dass dieser Antrag nach dem Urteil des BGH vom 6.10.2009 (Anm: Darin hob das Gericht hervor, dass die Zulässigkeit der Veröffentlichung eines Fotos immer von der Abwägung des öffentlichen Interesses an Information mit dem Interesse des Betroffenen am Schutz seiner Privatsphäre unter den Umständen des Einzelfalls abhängt. Es gebe daher kein Recht auf ein allgemeines Veröffentlichungsverbot von Fotos, auch nicht bei Minderjährigen.) keine Chance mehr hatte, zum Erfolg zu führen. Zu diesem Punkt beobachtet der GH, dass die Rechtsprechung des BGH, die die Möglichkeit, allgemeine Veröffentlichungsverbote zu verhängen, in Frage stellt, schon vor diesem Urteil existierte (Anm: Siehe schon VI ZR 265/06 und 369/06 vom 13.11.2007.). Allerdings haben die Bf. dennoch die Verhängung von Ordnungsgeldern gegen den Verlag erreicht, insbesondere des dritten Ordnungsgeldes im Juli 2009. Der GH hält im Übrigen fest, dass der BGH in seinem Urteil vom 6.10.2009 angeführt hat, dass die Situation der Bf. aufgrund der Rechtskraft des 2005 verhängten allgemeinen Veröffentlichungsverbots anders wäre, auch wenn seine neue Rechtsprechung der Erhebung eines neuen Antrags auf Ordnungsgeld nach Oktober 2009 nicht unbedingt entgegengestanden zu sein scheint. Angesichts dieser Umstände kann der GH weder über das Ergebnis des vierten Ordnungsgeldverfahrens, wenn die Bf. ihren Antrag aufrechterhalten hätten, spekulieren, noch über das Ergebnis einer eventuellen Klage auf geldwerte Entschädigung gestützt auf die neue Rechtsprechung des BGH.

(73) Der GH bemerkt, dass die Klagen der Bf. zur Verurteilung des Verlags zur Zahlung von Ordnungsgeldern in Höhe von etwa 68?% der von den Bf. im strittigen Verfahren beanspruchten Summe führten. Im Übrigen wies das Ordnungsgeldverfahren insofern einen schnellen und vereinfachten Charakter auf, als das LG sich darauf beschränkte festzuhalten, dass der Verlag das allgemeine Publikationsverbot verletzt hatte, und dem einige Erwägungen zur Beurteilung der angemessenen und steigenden Höhe der Ordnungsgelder hinzufügte.

(74) In diesem Kontext befindet der GH es auch für notwendig, die Natur der strittigen Veröffentlichungen zu berücksichtigen, deren Unrechtmäßigkeit [...] von den nationalen Gerichten festgestellt wurde und von den Parteien nicht bestritten wird. Er bemerkt, dass das Berufungsgericht befunden hat, dass – auch wenn die Veröffentlichung das Recht der Bf. an ihrem Bild verletzt hatte – der Eingriff nicht von besonderer Schwere war, die die Zuerkennung einer finanziellen Entschädigung gerechtfertigt oder notwendig gemacht hätte. Der BGH präzisierte seinerseits, dass die Bf. (deren Gesichter nicht sichtbar oder verpixelt waren) auf den Fotos nur über die Fotos ihrer Eltern und die Begleittexte identifiziert werden konnten und dass der maßgebliche Gegenstand der Berichte nicht die Bf. waren, sondern die Beziehung ihrer Eltern nach ihrer gescheiterten Ehe. Der GH kann den Schlussfolgerungen der deutschen Gerichte zustimmen, dass die Natur der veröffentlichten Fotos nicht die Zuerkennung einer zusätzlichen Entschädigung erforderte. Er bemerkt im Übrigen, dass gemäß der Rechtsprechung des BGH [...] die Möglichkeit zur Erlangung einer geldwerten Entschädigung nicht aus dem alleinigen Grund ausgeschlossen ist, dass der Betroffene die Verhängung von Ordnungsgeldern gegen den Verlag beantragen kann, sondern dass diese Frage vor allem von der Schwere des Eingriffs und der Gesamtheit der Umstände des Falles abhängt.

(75) Unter diesen Umständen befindet der GH, dass nicht behauptet werden kann, dass der den Bf. von den deutschen Gerichten gebotene Schutz im Hinblick auf die positiven Verpflichtungen des Staates nicht wirksam oder ausreichend gewesen wäre und er das Wesen des Rechts der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens ausgehöhlt hätte. Insbesondere kann man aus Art. 8 EMRK nicht den Grundsatz ableiten, dass – um das Privatleben einer Person effektiv zu schützen – die Verurteilung eines Verlags zur Zahlung einer Geldsumme wegen Verstoßes gegen ein Veröffentlichungsverbot nur ausreichend sein kann, wenn diese Summe dem Opfer zufällt, falls der Staat in Ausübung des ihm in diesem Bereich zukommenden Ermessensspielraumes den verletzten Personen andere Mittel zur Verfügung stellt, die sich als wirksam erweisen können und von denen man nicht sagen kann, dass sie die Möglichkeit unverhältnismäßig beschränken, die Wiedergutmachung der behaupteten Verletzungen zu erlangen.

(76) Diese Elemente reichen für den GH aus, um zum Schluss zu kommen, dass die deutschen Behörden ihre positiven Verpflichtungen gegenüber den Bf. nicht verletzt und ihnen einen ausreichenden Schutz im Hinblick auf Art. 8 EMRK gewährt haben. Daher kam es zu keiner Verletzung dieses Artikels (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Armoniene/LT v. 25.11.2008 = NL 2008, 345

Biriuk/LT v. 25.11.2008 = NL 2008, 345

Axel Springer AG/D v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 42 = EuGRZ 2012, 294

Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278

Von Hannover/D (Nr. 3) v. 19.9.2013 = NLMR 2013, 322

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 17.3.2016, Bsw. 16313/10, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2016, 134) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/16_2/Khan.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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