Spruch:
Art. 9 EMRK, Art. 14 EMRK - Glaubensbekundung am Arbeitsplatz.
Verbindung der Beschwerden (einstimmig).
Unzulässigkeit der Beschwerde des ZweitBf. hinsichtlich direkter Diskriminierung (einstimmig).
Zulässigkeit der Beschwerde im Übrigen (einstimmig).
Verletzung von Art. 9 EMRK hinsichtlich der ErstBf. und keine Notwendigkeit, ihre Beschwerde auch nach Art. 14 iVm. Art. 9 EMRK zu untersuchen (5:2 Stimmen).
Keine Verletzung von Art. 9 EMRK allein oder iVm. Art. 14 EMRK hinsichtlich der ZweitBf. (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 9 EMRK allein oder iVm. Art. 14 EMRK hinsichtlich der DrittBf. (5:2 Stimmen).
Keine Verletzung von Art. 9 EMRK allein oder iVm. Art. 14 EMRK hinsichtlich des ViertBf. (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 2.000,- an die ErstBf. für immateriellen Schaden, € 30.000,- an die ErstBf. für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Vorliegende Beschwerde wurde von vier britischen Staatsangehörigen - allesamt praktizierende Christen - eingebracht.
Zu den Fällen von Frau Eweida und Frau Chaplin
1. Die ErstBf. arbeitete beim Bodenpersonal von British Airways, einer privaten Fluggesellschaft. Für das in Kontakt mit der Öffentlichkeit tretende Personal war eine spezielle Dienstkleidung vorgesehen. Gegenstände, zu deren Mitführung sich eine weibliche Angestellte aus religiösen Gründen verpflichtet fühlte, mussten unter der Kleidung getragen werden, außer es lag eine Genehmigung der Geschäftsleitung vor. Eine generelle Ausnahme wurde für männliche Angestellte, welche der Sikh-Religion angehörten, gemacht (sie durften ihre Arbeit mit Turban verrichten), ähnliches galt für Frauen muslimischen Glaubens (ihnen war erlaubt, den »Hidschab«, die traditionelle Frauenbekleidung, zu tragen).
Die Bf. trug bis zum 20.5.2006 ein Kettchen mit einem Silberkreuz unter ihrer Kleidung. Am selbigen Tag entschloss sie sich, das Kreuz als Zeichen ihres Glaubens offen zu tragen, legte es jedoch nach Ermahnung durch ihren Vorgesetzten wieder ab. Nach zwei weiteren Verwarnungen wurde sie schließlich im September nach Hause geschickt. Man teilte ihr mit, dass sie kein Gehalt bekommen würde, solange sie sich nicht an die Kleidungsvorschriften halte. Im Oktober wurde ihr ein Verwaltungsposten angeboten, für den letztere nicht galten, die ErstBf. lehnte dieses Angebot jedoch ab.
Ende 2006 änderte British Airways ihre Praxis hinsichtlich der Dienstuniform. Mit Wirkung vom 1.2.2007 wurde das sichtbare Tragen von religiösen Symbolen unter Genehmigungsvorbehalt gestattet, wobei für das Kreuz und den Davidsstern keinerlei vorherige Genehmigung eingeholt werden musste. In der Folge nahm die ErstBf. ihre Tätigkeiten wieder auf, jedoch weigerte sich ihr Arbeitgeber, ihr für die Zeit, in der sie nicht zur Arbeit erschienen war, Ersatz zu leisten. Sie wandte sich daraufhin an das Employment Tribunal und forderte Schadenersatz wegen Diskriminierung aus religiösen Gründen. Ferner behauptete sie eine Verletzung ihres Rechts auf Glaubensbekundung iSv. Art. 9 EMRK. Ihre Klage wurde jedoch mit dem Hinweis abgewiesen, das sichtbare Tragen des Kreuzes wäre kein obligatorischer Bestandteil des christlichen Glaubens, sondern persönliche Entscheidung der ErstBf. gewesen. Es sei nicht erwiesen, dass die einheitliche »Kleidungspolitik« von British Airways Christen in ihrer Eigenschaft als Religionsgruppe generell benachteiligt hätte, was jedoch notwendige Voraussetzung für das Vorliegen von indirekter Diskriminierung im Sinne der »Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003« darstelle. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben alle erfolglos.
2. Die ZweitBf. war als Krankenschwester in der Geriatrie-Abteilung eines staatlichen Hospitals tätig. Um Infektionen vorzubeugen bzw. um Verletzungen des Personals durch verwirrte Patienten zu verhindern, war diesem auch das Tragen von Halsketten verboten.
Im Juni 2007 führte das Spital eine neue Dienstkleidung ein, die für weibliches Personal zum ersten Mal das Tragen einer Bluse mit V-Einschnitt vorsah. In der Folge wurde die ZweitBf. von ihrem Vorgesetzten aufgefordert, ihre Halskette zu entfernen. Ihre Bitte, das Kreuz weiterhin tragen zu dürfen, wurde mit dem Hinweis abgelehnt, auch bei vorsichtiger Handhabung könne es zu einem Kontakt mit offenen Wunden kommen. Da sich die beiden Seiten nicht einigen konnten, wurde die ZweitBf. im November 2009 auf eine Nichtpflege-Stelle versetzt, die mit Juli 2010 endete. Sie rief daraufhin das Employment Tribunal an, welches ihre Klage wegen Diskriminierung aus religiösen Gründen unter anderem mit der Begründung abwies, die Position des Hospitals beruhe auf gesundheitshygienischen - und nicht religiösen - Erwägungen. Die ZweitBf. verzichtete nach Kenntnis von der Entscheidung der Rechtsmittelgerichte im Fall Eweida auf die Einlegung eines Rechtsmittels.
Zu den Fällen von Frau Ladele und Herrn McFarlane
3. Die DrittBf. war Standesbeamtin in einem Londoner Bezirk. Sie vertritt den Standpunkt, dass es sich bei der Ehe um eine lebenslange Verbindung zwischen Mann und Frau handle und dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften gegen göttliche Gesetze verstoßen würden.
Nachdem im Dezember 2005 der »Civil Partnership Act 2004« in Kraft getreten war, wurde die DrittBf. angewiesen, auch Trauungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen vorzunehmen, was sie jedoch mit dem Hinweis auf ihren Glauben verweigerte. In der Folge wurde ein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet. Ihre Klage wegen direkter bzw. indirekter Diskriminierung aus religiösen Gründen wurde vom Employment Tribunal erster und zweiter Instanz mit dem Hinweis abgewiesen, die Vorgangsweise der Behörde sei berechtigt gewesen, da diese das legitime Ziel der Gewährleistung von Dienstleistungen auf einer nicht-diskriminierenden Basis verfolgt habe. Der Court of Appeal wies das dagegen erhobene Rechtsmittel ab: Die Standesbehörde verfolge das Ziel, jegliche Diskriminierung sowohl nach innen als auch nach außen zu vermeiden. Die Weigerung der DrittBf., Trauungen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren zu vollziehen, habe nicht nur letztere, sondern auch ausweislich Kollegen diskriminiert, welche sich zu ihrer Homosexualität bekennen würden. Ein Antrag der ZweitBf. auf Erlaubnis zur Anrufung des Obersten Gerichtshofs wurde am 4.3.2010 abgelehnt.
4. Der ViertBf. ist der festen Überzeugung, dass die Bibel homosexuelle Aktivitäten für sündhaft erkläre und dass er solche nicht fördern dürfe. Er war bei »Relate« (Anm: Es handelt sich hierbei um eine nationale Organisation, welche eine vertrauliche Paartherapie und Sexualberatung anbietet. Sie verfolgt eine strikte Gleichbehandlungspolitik.) als Berater angestellt. Im Herbst 2007 wurde sein Arbeitgeber darauf aufmerksam, dass der ViertBf. offenbar ein Problem mit der Beratung von gleichgeschlechtlichen Paaren habe, was dieser auch zugab. Es wurde schließlich ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, das mit seiner Entlassung wegen grober Missachtung seiner Dienstpflichten endete, da er sich dazu bereit erklärt hätte, die Politik von »Relate« zu befolgen, dies allerdings niemals beabsichtigt habe. Eine Klage wegen ungerechtfertigter Entlassung bzw. direkter und indirekter Diskriminierung wurde vom Employment Tribunal erster und zweiter Instanz abgewiesen. Ein Antrag auf Anrufung des Obersten Gerichtshofs blieb erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. rügen Verletzungen von Art. 9 EMRK (Recht auf Religionsfreiheit), jeweils alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).
Der GH beschließt, die Beschwerden gemäß Art. 42 Abs. 1 VerfO miteinander zu verbinden (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 9 EMRK
Die Bf. rügen, dass ihr Recht auf Bekundung ihres Glaubens gesetzlich nur unzureichend geschützt werde. Sie beklagen sich ferner über Einschränkungen ihres Rechts auf (sichtbare) Bekundung ihres Glaubens bzw. über Sanktionen, die sie als Folge ihrer an den Tag gelegten religiösen Überzeugungen hätten erdulden müssen.
Zur Zulässigkeit
Die Regierung bringt vor, die ZweitBf. habe den innerstaatlichen Instanzenzug nicht ausgeschöpft, da sie gegen die Entscheidung des Employment Tribunal kein Rechtsmittel eingelegt habe. Im Gegensatz zur ErstBf. sei Letztere bei einer staatlichen Behörde angestellt gewesen und hätte daher ihre Argumente unter Art. 9 EMRK direkt gerichtlich geltend machen können. Ferner habe die ZweitBf. die Folgerung des Employment Tribunal, ihre Klage wegen direkter Diskriminierung sei durch Beweise nicht gestützt, unangefochten gelassen.
Der GH stimmt mit der Regierung überein, dass die ZweitBf. im Hinblick auf ihre Beschwerde unter Art. 9 iVm. Art. 14 EMRK wegen direkter Diskriminierung den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hat. Das Employment Tribunal hielt nämlich fest, es sei nicht erwiesen, dass Angehörige des medizinischen Personals muslimischen Bekenntnisses oder jenes der Sikh, die religiöse Gegenstände zu tragen wünschten, gegenüber Christen eine bevorzugte Behandlung erfahren hätten. Da die ZweitBf. diese Schlussfolgerung nicht angefochten hat, ist dieser Teil der Beschwerde zurückzuweisen (einstimmig).
Andererseits sieht es der GH nicht als erwiesen an, dass der ZweitBf. hinsichtlich Art. 9 EMRK alleine ein effektives Rechtsmittel zur Verfügung stand. Er ist nicht davon überzeugt, dass die Rechtsmittelinstanzen ihren Fall anders wie den der ErstBf. beurteilt hätten.
Der Rest der Beschwerde und die Beschwerden der Erst-, Dritt- und ViertBf. sind weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie sind daher für zulässig zu erklären (einstimmig).
In der Sache
Es besteht kein Zweifel, dass die Bekundung des Glaubens am Arbeitsplatz dem Schutz von Art. 9 EMRK unterliegt. Aufgabe des GH ist es lediglich zu prüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen gerechtfertigt waren und ob zwischen den widerstreitenden Rechten und Interessen ein angemessenes Gleichgewicht hergestellt wurde.
Zum Fall von Frau Eweida
Die zwischen September 2006 und Februar 2007 erfolgte Weigerung von British Airways, der ErstBf. das Tragen eines Kreuzes während der Arbeit zu gestatten, stellt einen Eingriff in ihre Rechte nach Art. 9 EMRK dar. Da letzterer dem britischen Staat nicht direkt zurechenbar ist, muss geprüft werden, ob dieser seiner positiven Verpflichtung auf ausreichenden Schutz der Rechte der ErstBf. unter dieser Bestimmung nachgekommen ist.
Ähnlich wie in vielen anderen Vertragsstaaten existieren in Großbritannien keine spezifischen rechtlichen Bestimmungen, die das Tragen religiöser Kleidung bzw. von religiösen Symbolen am Arbeitsplatz regeln. Im vorliegenden Fall haben die Gerichte den Fall zwar hauptsächlich unter dem Blickwinkel einer diskriminierenden Behandlung untersucht, jedoch wurde von ihnen auch die Frage der Zulässigkeit der speziellen Kleidungsvorschrift bzw. der Verhältnismäßigkeit der vom Arbeitgeber ergriffenen Maßnahmen überprüft. Der GH ist daher nicht der Ansicht, dass der mangelnde spezifische Schutz in diesem Bereich zur Folge hatte, dass die Rechte der ErstBf. nur unzureichend geschützt wurden.
Dennoch ist er der Auffassung, dass im Fall der ErstBf. kein faires Gleichgewicht zwischen ihrem Wunsch auf öffentliche Bekundung ihres Glaubens und jenem ihres Arbeitgebers auf Vermittlung eines bestimmten Unternehmensbildes gezogen wurde: Das von ihr getragene Kreuz war diskret und vermochte nicht von ihrem beruflichen Erscheinungsbild abzulenken. Es besteht kein Hinweis, dass das Tragen anderer - von ihrem Arbeitgeber bereits autorisierter - religiöser Kleidungsstücke, wie Turban und »Hidschab«, negative Auswirkungen auf dessen »Marke« gehabt hätte. Die Tatsache, dass British Airways ihre Kleidungspraxis änderte, zeigt, dass das frühere Verbot nicht von eminenter Wichtigkeit war.
Da keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche Beeinträchtigung der Interessen anderer vorliegen, unterließen es die nationalen Behörden, das Recht der Bf. auf Bekundung ihres Glaubens ausreichend zu schützen. Verletzung von Art. 9 EMRK; eine separate Behandlung der Beschwerde unter Art. 14 ist nicht notwendig (5:2 Stimmen; gemeinsames - teilweise abweichendes - Sondervotum der Richter Bratza und David Thr Björgvinsson).
Zum Fall von Frau Chaplin
Die ZweitBf. war bei einer öffentlichen Behörde angestellt. Der GH muss folglich untersuchen, ob der Eingriff in ihr Recht auf sichtbare Glaubensbekundung in einer demokratischen Gesellschaft zwecks Verfolgung der in Art. 9 Abs. 2 EMRK festgelegten Ziele notwendig war. In diesem Fall besteht kein Zweifel, dass der Grund für Einschränkungen bezüglich des Tragens von Schmuck inklusive religiöser Symbole der Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Krankenschwestern und Patienten war. Außerdem war bereits eine andere Krankenschwester christlichen Glaubens ersucht worden, Kreuz und Kette abzulegen, und wurden zwei Krankenschwestern des Bekenntnisses der Sikh aufgefordert, auf das Tragen des traditionellen Armreifs bzw. zeremoniellen Dolchs (»Kirpan«) zu verzichten. Vom Angebot der Krankenhausleitung, das Kreuz in einer auf ihrer Dienstkleidung befestigten Spange oder gut verschlossen unter der Bluse zu tragen, machte die ZweitBf. keinen Gebrauch.
Der GH ist daher der Ansicht, dass der Schutz der Gesundheit und Sicherheit in einem Krankenhaus mehr wog als das Interesse der ZweitBf. an der sichtbaren Bekundung ihres Glaubens. Keine Verletzung von Art. 9 EMRK alleine und iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig).
Zum Fall von Frau Ladele
Der GH hat Verständnis für das Vorbringen der DrittBf., wonach die Anweisung, an der Eintragung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mitzuwirken, wegen ihrer religiösen Überzeugungen einen besonders nachteiligen Einfluss auf sie hatte. Zu prüfen ist, ob die Entscheidung des Standesamts, für die DrittBf. und andere in ihrer Situation keine Ausnahme zu machen, auf eine indirekte Diskriminierung hinauslief.
Der Court of Appeal stellte in diesem Zusammenhang fest, dass es Ziel der Behörde gewesen sei, einen Service zu bieten, welcher der allumfassenden Politik einer Förderung von gleichen Möglichkeiten Rechnung trage und der daher von Mitarbeitern verlange, in nicht-diskriminierender Art und Weise zu handeln.
Der GH hat bereits festgehalten, dass eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Geschlechts einer besonderen Rechtfertigung bedarf und dass sich gleichgeschlechtliche Paare gegenüber heterosexuellen in einer ähnlichen Situation befinden, wenn es um die rechtliche Anerkennung und den Schutz ihrer Beziehung geht. Angesichts des weiten Ermessensspielraums der Staaten in diesem Bereich war das von der Behörde verfolgte Ziel daher legitim.
Zur Frage der Verhältnismäßigkeit ist zu sagen, dass die Folgen, welche die DrittBf. für das Einstehen für ihre religiöse Überzeugungen zu tragen hatte, ernst waren: Sie sah für sich nur die Möglichkeit, disziplinarrechtliche Sanktionen auf sich zu nehmen, um nicht an der Registrierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mitwirken zu müssen, und wurde schließlich entlassen. Es kann auch nicht gesagt werden, dass sie zum Zeitpunkt der Unterzeichnung ihres Dienstvertrags freiwillig auf ihr Recht auf Glaubensbekundung verzichtet hätte, da die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Eintragung von Lebenspartnerschaften von ihrem Arbeitgeber erst nachträglich eingeführt wurde. Andererseits war dessen Politik auf die Gewährleistung der Rechte anderer gerichtet, die dem Schutz der Konvention ebenfalls unterliegen. Der GH ist daher nicht davon überzeugt, dass die nationalen Behörden bzw. Gerichte ihren Ermessensspielraum überschritten, indem sie gegen die DrittBf. ein Disziplinarverfahren veranlassten bzw. ihre Klage wegen Diskriminierung abwiesen. Keine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 9 EMRK (5:2 Stimmen; gemeinsames - teilweise abweichendes - Sondervotum von Richterin Vucinic und von Richter De Gaetano).
Zum Fall von Herrn McFarlane
Der GH akzeptiert, dass die Weigerung des ViertBf., homosexuelle Paare zu beraten, eine Manifestation seiner Religion bzw. seines Glaubens iSv. Art. 9 EMRK darstellte. Er räumt ein, dass der Verlust der Arbeit eine schwerwiegende Sanktion mit gravierenden Folgen für ihn war. Andererseits hatte der ViertBf. unter anderem freiwillig an einem von »Relate« angebotenen Aus- und Fortbildungsprogramm teilgenommen und musste ihm bewusst sein, dass ein »Filtern« von Kunden nach ihrer sexuellen Orientierung nicht möglich sein würde.
Als wichtigsten hier berücksichtigungswürdigen Faktor macht der GH die Tatsache aus, dass die Maßnahmen des Arbeitgebers auf die Sicherung von dessen Politik einer Dienstleistung ohne Diskriminierung gerichtet waren. Die staatlichen Behörden genossen daher einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung, wo sie die Grenze zwischen dem Recht des ViertBf. auf Bekundung seines religiösen Glaubens und dem Interesse seines Dienstgebers an der Sicherung der Rechte anderer ziehen sollten. Sie haben diesen im vorliegenden Fall nicht überschritten. Keine Verletzung von Art. 9 EMRK alleine oder iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK
€ 2.ooo,- an die ErstBf. für immateriellen Schaden (5:2 Stimmen; Sondervotum der Richter Bratza und David Thr Björgvinsson), € 30.ooo,- an die ErstBf. für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Leyla Sahin/TR v. 10.11.2005 (GK) = NL 2005, 285 = EuGRZ 2006, 28 = ÖJZ 2006, 424
Schalk und Kopf/A v. 24.6.2010 = NL 2010, 185 = EuGRZ 2010, 445 = ÖJZ 2010, 1089
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 15.1.2013, Bsw. 48420/10 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 23) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/13_1/Eweida.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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