EGMR Bsw56483/00

EGMRBsw56483/007.4.2005

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Jancikova gegen Österreich, Urteil vom 7.4.2005, Bsw. 56483/00.

 

Spruch:

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK - Kein Rechtsbehelf gegen Verzögerung in Verwaltungsstrafverfahren.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 3.000, für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Am 16.10.1992 inspizierten Beamte des Landesarbeitsamts Wien ein Grundstück der Bf., auf dem diese ein Haus errichten ließ. Dabei trafen die Beamten vier Arbeiter tschechischer Staatsbürgerschaft an, die mit Isolierungsarbeiten beschäftigt waren und keine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) vorweisen konnten. Der Magistrat der Stadt Wien leitete daraufhin am 21.10.1992 ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Bf. nach dem AuslBG ein. Mit Schreiben vom 29.12.1992 wurde sie aufgefordert, sich zu rechtfertigen. Da sie sich nicht an ihrem Wohnsitz aufhielt, erreichte sie dieses Schreiben erst nach dem 20.1.1993. An diesem Tag wurde ihr vom Magistrat die Zahlung einer Geldstrafe in der Höhe von ATS 66.000, (€ 4.796,41) auferlegt. Dieses Straferkenntnis wurde ihr am 4.2.1993 zugestellt. Erst dadurch erfuhr sie von dem Verfahren.

Die Bf. beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob Berufung. Das Magistrat wies den Wiedereinsetzungsantrag am 19.2.1993 zurück, wogegen die Bf. ebenfalls Berufung erhob. Am 21.3.1994 wies der UVS die Berufung gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags ab, da die Aufforderung zur Rechtfertigung gültig zugestellt worden sei. Die dagegen erhobene Beschwerde an den VwGH wurde am 7.9.1995 abgewiesen.

Am 21.3.1995 wies der UVS auch die Berufung gegen das Straferkenntnis vom 4.2.1993 ab. Die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des am 21.3.1995 mündlich verkündeten Berufungsbescheids erfolgte am 29.11.1996.

Der VfGH lehnte eine Behandlung der dagegen von der Bf. erhobenen Beschwerde am 30.9.1997 wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg ab und trat sie dem VwGH zur Entscheidung ab. Dieser wies die Beschwerde am 13.9.1999 als unbegründet ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK:

Die Bf. bringt vor, das Verwaltungsstrafverfahren habe unangemessen

lange gedauert.

Das Verfahren begann, als die Bf. am 4.2.1993 durch die Zustellung des Straferkenntnisses von dem Verfahren erfuhr und endete mit der Zustellung der Entscheidung des VwGH am 30.9.1999. Es dauerte somit beinahe sechs Jahre und acht Monate.

Das Verfahren war weder besonders komplex noch trug die Bf. mit ihrem Verhalten zu seiner Dauer bei. Der GH stellt hingegen fest, dass es eine circa zwei Jahre dauernde Phase der Inaktivität gab, als die Rechtssache beim UVS anhängig war. Nach der mündlichen Verkündung seiner Entscheidung am 21.3.1995 vergingen ein Jahr und acht Monate bis zur Zustellung des Bescheids am 29.11.1996.

Das Argument der Regierung, die Bf. hätte schon vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eine Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts erheben können, vermag nicht zu überzeugen. Für eine wirksame Verteidigung der Bf. war es notwendig, die genaue Begründung des Bescheids des UVS zu kennen. Daher ist diese Verzögerung den Behörden anzulasten. Der VwGH benötigte ein Jahr und vier Monate, um zu einer Entscheidung zu gelangen.

Angesichts dieser Phasen der Inaktivität der Behörden kann die Verfahrensdauer nicht als angemessen angesehen werden. Dies begründet eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Die Bf. bringt vor, ihr sei hinsichtlich der unangemessenen Verfahrensdauer kein Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden. Die Regierung wendet ein, das Verwaltungsstrafgesetz (VStG) sehe sehr kurze Verjährungsfristen vor, die eine Entscheidung in angemessener Zeit sicher stellen würden.

Die Bf. entgegnet, die Entscheidung des UVS sei ihr erst vier Jahre nach Begehung des Verwaltungsdelikts zugestellt worden. Auch die in § 31 Abs. 3 VStG vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist habe diese Verzögerung nicht verhindern können.

Es ist nicht Aufgabe des GH, die Vereinbarkeit der im VStG vorgesehenen Verjährungsfristen mit der EMRK in abstracto zu prüfen. Er muss vielmehr entscheiden, ob der Bf. ein Rechtsbehelf zur Verfügung stand, der geeignet war, hinsichtlich der überlangen Verfahrensdauer Abhilfe zu schaffen.

Die 15-monatige Frist, innerhalb derer der UVS gemäß § 51 Abs. 7 VStG über eine Berufung zu entscheiden hat, war im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Auch durch § 31 Abs. 3 VStG wurde eine Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung des UVS innerhalb von drei Jahren nicht sicher gestellt. Da auch keine anderen Rechtsbehelfe gegen Verfahrensverzögerungen vorgesehen waren und der Bf. somit kein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung stand, liegt eine Verletzung von Art. 13 EMRK vor (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

€ 3.000, für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Kudla/PL v. 26.10.2000, NL 2000, 219; EuGRZ 2004, 484; ÖJZ 2001, 908.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.4.2005, Bsw. 56483/00, entstammt der Zeitschrift Newsletter Menschenrechte" (NL 2005, 82) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/05_2/Jancikova.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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