Spruch:
Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK - Entlassung von Homosexuellen aus der Armee.
Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).
Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK
iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 3 EMRK, keine Verletzung von ARt. 3 EMRK iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig).
Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Alle Bf. sind homosexuell und dienten zur Zeit der fraglichen Ereignisse in der brit. Armee. Das Verteidigungsministerium führte in der Armee Untersuchungen zur Homosexualität durch, in denen die Bf. sich zu ihrer sexuellen Orientierung bekannten, worauf sie allein aus diesem Grund entlassen wurden. Die Anträge auf eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen wurden im November 1999 vom Court of Appeal zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die ersten beiden Bf. behaupten, die Untersuchungen betreffend ihre sexuelle Orientierung verletzte ihr Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK und stelle überdies eine Diskriminierung iSv. Art. 14 EMRK dar. Die anderen Bf. behaupten überdies eine Verletzung von Art. 3 EMRK (hier: Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) allein und iVm. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot), sowie eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:
Die Reg. bringt im wesentlichen vor, dass Homosexualität insoweit nachteilig für die Streitkräfte sei, als sie deren Moral und Schlagkraft vermindere. Sie beruft sich hierbei auf eine Untersuchung des Homosexual Policy Assessment Teams.
Festgestellt wird, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung sich weitgehend auf negative Vorurteile der mehrheitlich heterosexuellen Armeeangehörigen gegenüber Homosexuellen stützen. Die Politik des Verteidigungsministeriums übersieht dabei moralische wie auch sachliche Argumente, die in besagter Untersuchung kaum Niederschlag gefunden haben.
Obwohl die Verminderung der Moral und Schlagkraft in den Streitkräften nicht nachgewiesen werden kann, können bei einer Änderung der Politik des Verteidigungsministeriums durchaus Probleme auftreten, wie das auch bereits bei der Aufnahme von Frauen bzw. ethnischen Minderheiten in die Armee der Fall war. Solchen Problemen kann jedoch durch genaue Verhaltensregeln entgegengewirkt werden. Der GH weist außerdem auf die im Laufe der Zeit vorgenommenen Änderungen in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten hin, die den Zugang von Homosexuellen zu den Streitkräften nicht mehr erschweren. Die Entlassung der Bf. allein wegen ihrer Homosexualität kann durch Art. 8 (2) EMRK nicht gerechtfertigt werden. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).
Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 3 EMRK allein und iVm. Art. 14 EMRK durch die DrittBf. und den ViertBf.:
Eine Behandlung, die sich auf Vorurteilen einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit gründet, kann auch in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK fallen. Obwohl die Politik des Verteidigungsministeriums für die Betroffenen sicherlich schmerzvoll und demütigend war, erreichte die Behandlung nicht den Grad der Schwere, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen zu können. Keine Verletzung von Art. 3 EMRK, keine Verletzung von Art. 3 EMRK iVm. Art. 14 EMRK (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:
Die DrittBf. und der ViertBf. behaupten, das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidungen stelle keine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz iSv. Art. 13 EMRK dar. Bei der gerichtlichen Überprüfung (judicial review) der Entscheidungen des Verteidigungsministeriums ging es einzig um die Frage, ob diese vollkommen unsachlich (irrational) seien, und das Ministerium seinen Ermessensspielraum überschritten habe. Die Schwelle, ab der eine Verwaltungsentscheidung als vollkommen unsachlich angesehen wird, liegt im engl. Recht sehr hoch. Sowohl in den Urteilen des High Court wie auch des Court of Appeal wurde den Bf. zugestanden, dass die Politik des Verteidigungsministeriums im Widerspruch zu den aus der Konvention erwachsenden Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs stünden. Trotzdem stellten beide Gerichte fest, dass sie an die innerstaatliche Sachlichkeitsprüfung gebunden seien, gemäß welcher das Verteidigungsministerium nicht vollkommen unsachlich gehandelt hatte.
Die Gerichte konnten daher nicht auf die Frage eingehen, ob die Eingriffe in das Privatleben der Bf. einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis entsprachen bzw. verhältnismäßig zu den von der Reg. verfolgten Zielen waren. Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).
Die Frage der Entschädigung nach Art. 41 EMRK ist noch nicht entscheidungsreif (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Dudgeon/GB, Urteil v. 22.10.1981, A/45, EuGRZ 1983, 48. Norris/IRL, Urteil v. 26.10.1988, A/142, EuGRZ 1992, 477. Vereinigung Demokratischer Soldaten Österreichs & Gubi/A, Urteil v. 19.12.1994, A/302, NL 95/1/11; ÖJZ 1995, 314.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 27.9.1999, Bsw. 31417/96, Bsw. 32377/96, Bsw. 33985/96 und Bsw. 33986/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1999, 156) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/99_5/Lustig_Prean.pdf
Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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