Spruch:
Art. 8 EMRK - Abschiebung eines ausländischen Straftäters und Recht auf Familienleben.
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (7:2 Stimmen).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der Bf., ein tunesischer Staatsangehöriger, lebt seit seinem achten Lebensjahr - wie auch seine Eltern und Geschwister - in Frankreich. Der Bf. wurde von seinem 21. Lebensjahr an immer wieder straffällig und mehrmals zu unbedingten Haftstrafen verurteilt. 1988 wurde er wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung nach Tunesien abgeschoben, kehrte jedoch wieder nach Frankreich zurück und hielt sich dort illegal auf. 1991 wurde seinem Antrag auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids nicht stattgegeben, die dagegen eingebrachten Rechtsmittel waren erfolglos.
Der Bf. lebte ein Jahr mit einer Französin zusammen, dieser Beziehung entstammt ein Kind, für das er im April 1994 die Vaterschaft - nachträglich - anerkannte. Sechs Monate später wurde er erneut nach Tunesien abgeschoben.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet, seine Abschiebung habe Art. 8 EMRK (Recht auf Familienleben) verletzt.
Der Begriff Familienleben umfasst auch dann die Beziehung zwischen dem Vater und seinem unehelichen Kind, wenn er nicht mehr mit der Mutter des Kindes zusammenlebt (vgl. Urteile Berrehab/NL, A/138 § 21; Gül/CH, § 32 = NL 96/2/03). Der Bf. hat die Vaterschaft für das Kind - wenn auch verspätet - anerkannt. Ferner halten sich seine Eltern und Geschwister rechtmäßig in Frankreich auf. Seine Abschiebung verursachte unmittelbar eine Trennung von Kind und Familie; ein Eingriff in das Recht auf Achtung seines Familienlebens liegt vor. Zu prüfen ist, ob dieser in Absatz 2 des Art. 8 EMRK Deckung findet: Die Abschiebung war gesetzlich vorgesehen, verfolgte ein legitimes Ziel (Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und Verhinderung von strafbaren Handlungen) und war aus nachfolgend angeführten Gründen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig: Der Bf. hielt sich über 20 Jahre rechtmäßig in Frankreich auf, wo er auch seine Schulausbildung absolviert hatte. Seine Familie und sein Kind leben ebenfalls in Frankreich. Dennoch behielt er seine tunesische Staatsbürgerschaft und zeigte kein Interesse, frz. Staatsbürger zu werden. Insb. erfolgte die Abschiebung nach seiner Verurteilung zu einer mehrjährigen unbedingten Haft. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (7:2 Stimmen).
Anm: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 10.1.1995 eine Verletzung von
Art. 8 EMRK festgestellt (21:5 Stimmen).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 24.4.1996, Bsw. 22070/93, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,85) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/96_3/Boughanemi.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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