European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022150030.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber hat im Rahmen der so genannten „Barschiene“ Geld beim Finanzberater X veranlagt (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2018/15/0090). Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung traf der Prüfer die Feststellung, dass der Revisionswerber im Streitzeitraum aus dieser Veranlagung Einkünfte aus Kapitalvermögen bezogen habe.
2 Das Finanzamt folgte dem Prüfer, verfügte die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2006 bis 2008 und erließ den Feststellungen des Prüfers entsprechende Einkommensteuerbescheide 2006 bis 2008.
3 Einer Beschwerde gegen die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Bescheide gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge, woraufhin der Revisionswerber die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge. Es stellte fest, gegenständlich sei das „Anlagesystem“ des Finanzberaters X, konkret jene Veranlagungsform, bei der der jeweilige Anleger Geld, das in der Regel bar übergeben worden sei, im Rahmen der so genannten „Barschiene“ veranlagt habe. Die „Barschiene“ sei schon Gegenstand mehrerer Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht gewesen. Wie in diesen Verfahren und auch im vorliegenden Fall festgestellt, habe X zwei Arten von Kapitalveranlagungen angeboten. Einerseits den Erwerb von börsennotierten Substanzgenussscheinen der M AG, bei dem den Anlegern M‑Zertifikate übergeben worden seien. Andererseits die Veranlagung in der so genannten „Barschiene“, bei der die Anleger Bargeld an X übergeben und im Gegenzug dafür bis 2007 Übernahmebestätigungen und ab dem Jahr 2008 Treuhandverträge erhalten hätten. Bei Veranlagungen im Rahmen der „Barschiene“ hätten jederzeit Gelder in beliebiger Höhe eingezahlt, aber auch wieder herausgenommen werden können. Weder bei der Ein- noch bei der Auszahlung seien Kosten oder Spesen (z.B. Agio) angefallen. Die „Wertsteigerungen“ aus dieser Veranlagung hätte sich an den Erträgen orientiert, die die Substanzgenussscheine der M‑AG erbrachten hätten. Die Anleger hätten wählen können, ob sie sich die Zuwächse in bar auszahlen lassen (Auszahlungsvariante) oder weiter veranlagen wollten (Ansparungs- bzw. Thesaurierungsvariante). Der Revisionswerber habe sich laut eigenen Angaben für die Auszahlungsvariante entschieden.
5 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts führte das Bundesfinanzgericht ‑ nach Anführung der bezughabenden Gesetzesstellen und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ‑ aus, die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren sei zu Recht erfolgt, weil die Feststellung von ausbezahlten Erträgen aus dem „Barschiene‑System“ für die Frage des Vorliegens von Einkünfte aus Kapitalvermögen maßgeblich sei und die Kenntnis dieses Umstandes (der die Sache der Wiederaufnahmeverfahren bilde) bei richtiger rechtlicher Subsumtion in den abgeschlossenen Verfahren im Spruch anders lautende Bescheide herbeigeführt hätte.
6 Das Anlagesystem von X sei Gegenstand mehrerer Verfahren vor den ordentlichen Gerichten gewesen. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe sich bereits mehrmals mit dem System befasst. Im Erkenntnis vom 25. Mai. 2020, Ra 2018/15/0090, habe er sich auch inhaltlich damit auseinandergesetzt. Für den Beschwerdefall sei dabei die Rz 22 von Bedeutung, in der er einleitend ausgeführt habe:
„22 Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 Zinsen und andere Erträgnisse aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen zählen somit alle Vermögensvermehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung darstellen. Unerheblich ist es, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Titel zu Grunde liegt (vgl. zu Verzugszinsen VwGH 15.9.2016, Ra 2014/15/0018).“
7 Aus dem Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof seinen weiteren rechtlichen Erwägungen die Definition der Einkünfte aus Kapitalvermögen vorangestellt habe, sei ableitbar, dass er beim auch hier vorliegenden Anlagesystem den jeweiligen Anleger als Gläubiger und X als Schuldner ansehe. In Rz 22 werde auf § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 und das Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2014/15/0018, hingewiesen, in dem vom Verwaltungsgerichtshof klargestellt worden sei, dass zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen gehörten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung darstellten und es unerheblich sei, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Titel zu Grunde liege. Dass es unerheblich sei, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein Kaufvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liege, werde auch vom BFH judiziert.
8 Auch im gegenständlichen Verfahren habe der Revisionswerber Bargeldbeträge zur Veranlagung an X übergeben. Unstrittig sei, dass es im Zusammenhang mit dieser Veranlagung in den Jahren 2006 bis 2008 zu Auszahlungen gekommen sei. Die ersten Einzahlungen seien laut Revisionswerber vor dem Jahr 2006 erfolgt. Unstrittig sei weiters, dass der Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt Substanzgenussscheine der M AG erhalten habe. Auch X habe die 12.000 Genussscheine, an denen er die Anleger zu beteiligen versprochen habe, nicht besessen. Aufgrund der fehlenden Substanzgenussscheine stellten die monatlich ausbezahlten Beträge in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (§ 21 BAO) keine Wertsteigerungen oder Kursgewinne von Wertpapieren (Substanzgewinne) dar. Es könne sich nur um Erträge aus dem eingesetzten Kapital handeln. Diese Erträge seien unter die Zinsen und Erträgnisse aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 (Anm: idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010) zu subsumieren. Auch wenn X die Anleger dahingehend getäuscht habe, dass er für sie Genussscheine der M AG erwerben bzw. diese an seinen Genussscheinen beteiligen werde, ändere dies nichts daran, dass dem Revisionswerber die zugesicherte, monatliche Verzinsung ‑ wenngleich diese anders bezeichnet worden sei ‑ seines hingegebenen Geldbetrages ausbezahlt und damit im Sinne des § 19 EStG 1988 zugeflossen sei.
9 Der Revisionswerber habe bis August 2006 100.000 € investiert und im Oktober 2013 angegeben, X habe seit der letzten Einzahlung im August 2006 100.000 € in seiner Obhut gehabt und dieser Betrag sei auch gerichtlich eingeklagt worden. Diese Angaben deckten sich mit einem das Anlagemodell des Finanzberaters X betreffenden Gutachten, in dem die zuletzt offene Einlage des Revisionswerbers mit 100.000 € beziffert werde. Aus der Aussage des Revisionswerbers und dem Gutachten erhelle, dass das vom Revisionswerber eingezahlte Kapital bis zum Zusammenbruch des „Barschiene-Systems“ im Oktober 2008 und der damit einhergehenden Zahlungsunfähigkeit von X keine Veränderung erfahren habe. Bei den ausbezahlten Beträgen könne es sich demnach ‑ entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers ‑ nicht um die (Teil)Rückzahlung des Kapitals handeln.
10 Die Kapitalerträge seien mangels entsprechender Unterlagen gemäß § 184 BAO geschätzt worden. Bis August 2006 sei der Schätzung ein Veranlagungskapital von 50.000 € und danach ein solches von 100.000 € zugrunde gelegt worden. Die Höhe der monatlichen Zinsen sei anhand von veröffentlichten Indizes betreffend die monatlichen Wertsteigerungen von Substanzgenussscheinen der M AG ermittelt worden.
11 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit ‑ wie im gesamten bisherigen Verfahren ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass es sich bei der sogenannten „Barschiene“ von X nicht um Ausleihungen an X, sondern um die Beteiligung an Zertifikaten der M AG handle, deren Wertsteigerungen bis zur Neufassung des § 27 EStG 1988 durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, nicht steuerbar gewesen seien. Das Finanzamt und ihm folgend das Bundesfinanzgericht deuteten die Investitionen des Revisionswerbers in Zertifikate der M AG in eine Darlehenskonstruktion um, obwohl die vorliegenden Unterlagen ‑ wie etwa die Übernahmebestätigung von August 2006 ‑ ganz klar gegen das Vorliegen einer solchen Konstruktion sprächen. Das Bundesfinanzgericht habe den Parteiwillen nicht ermittelt und sei insoweit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2020, Ra 2018/15/0090, nicht gefolgt.
16 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt.
17 Das Bundesfinanzgericht stellte im angefochtenen Erkenntnis fest, Kunden des X hätten zwischen zwei Arten von Kapitalanlagen wählen können, einerseits dem Erwerb von börsennotierten Substanzgenussscheinen der M AG, bei dem den Anlegern M Zertifikate übergeben worden seien, andererseits der Veranlagung in der so genannten „Barschiene“, bei der die Anleger Bargeld an X übergeben und im Gegenzug dafür bis 2008 Übernahmebestätigungen und ab 2008 Treuhandverträge erhalten hätten. Bei dieser Form der Veranlagung hätten jederzeit Gelder in beliebiger Höhe eingezahlt, aber auch wieder herausgenommen werden können. Die Erträge hätten sich an jenen Erträgen orientiert, die die Substanzgenussscheine der M AG erbracht hätten, und seien von X jedenfalls bis Oktober 2008 auch ausbezahlt worden.
18 Der Revisionswerber habe Geld im Rahmen der „Barschiene“ veranlagt, wobei er sich die Erträge habe auszahlen lassen. X habe ‑ entgegen dem vom Revisionswerber vorgelegten Treuhandvertrag ‑ keine Substanzgenussscheine erworben. Er habe auch nicht die behaupteten 12.000 Genussscheine besessen, an denen er die Anleger zu beteiligen versprochen habe. Folglich seien dem Revisionswerber nie Genussscheine ausgehändigt worden. Bis August 2006 habe der Revisionswerber 100.000 € investiert und nach Zusammenbruch des „Barschiene‑Systems“ im Oktober 2008 habe er diesen Betrag laut eigenen Angaben gerichtlich eingeklagt. Dies decke sich mit den Angaben in einem das Anlagemodell des Finanzberaters X betreffenden Gutachten, in dem die zuletzt offene Einlage des Revisionswerbers mit 100.000 € beziffert werde. Daraus erhelle, dass es sich bei den an den Revisionswerber ausbezahlten Beträgen nicht um die (Teil)Rückzahlung des Kapitals handeln könne.
19 In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Bundesfinanzgericht die Ansicht, das vorliegende Modell stelle ein darlehensähnliches Geschäft dar. Das stößt schon deswegen auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken, weil für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen gemäß § 21 BAO in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend ist. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass es im Abgabenverfahren nicht auf den von den Parteien intendierten Sachverhalt, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (§ 115 BAO). Der Revisionswerber hat ‑ nach den insoweit unstrittigen Feststellungen des Bundesfinanzgerichts ‑ nie Substanzgenussscheine der M AG ausgehändigt erhalten. Auch X hat über keine Zertifikate der M AG verfügt, an welchen eine (Unter)Beteiligung möglich gewesen wäre, womit der im Abgaben- und Beschwerdeverfahren wiederholt behaupteten Beteiligung des Revisionswerbers an Zertifikaten der M AG der Boden entzogen ist. Im angefochtenen Erkenntnis wird auch nachvollziehbar dargelegt, wieso es sich bei den ausbezahlten Beträgen nicht um die Rückzahlung von Kapital handeln kann.
20 Das Bundesfinanzgericht ist im Ergebnis auch den Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2020, Ra 2018/15/0090, gefolgt. Dem angeführten Erkenntnis lag ein Fall zugrunde, in dem sich der Anleger für die Ansparungs- bzw. Thesaurierungsvariante und nicht für die hier gegenständliche Auszahlungsvariante entschieden hat. Die dort angefochtene Entscheidung des Bundesfinanzgerichts wurde aufgehoben, weil ihr ‑ in Bezug auf die Frage des Zuflusses der Einnahmen ‑ nicht zu entnehmen war, welche tragfähigen Feststellungen dafür sprächen, dass sich der dortige Revisionswerber monatlich fällige „Wertsteigerungen“ habe zusagen lassen, die er „wiederveranlagt“ habe.
21 Der Feststellung des Bundesfinanzgerichts, wonach sich der Revisionswerber im vorliegenden Fall für die Auszahlungsvariante entschieden hat, wird in der Revision nicht entgegengetreten. Fragen in Bezug auf den Zufluss wiederveranlagter Erträge stellen sich im vorliegenden Revisionsfall daher von vornherein nicht.
22 Der Rüge, wonach taugliche Wiederaufnahmegründe fehlen, kommt vor dem Hintergrund, dass das Vorliegen von Einkünften aus Kapitalvermögen zu Recht bejaht worden ist, keine Berechtigung zu. Dass Tatsachen, aufgrund deren das Vorliegen dieser Einkünfte angenommen werden konnte, nicht neu hervorgekommen sind, behauptet die Revision nicht.
23 Soweit die Revision die Zulässigkeit auf eine allgemeine Verletzung der Begründungspflicht stützt, ist ihr zu entgegen, dass dem angefochtenen Erkenntnis hinreichend klar zu entnehmen ist, aus welchen Gründen das Bundesfinanzgericht von welchem Sachverhalt ausgegangen ist und welche Rechtsfolgen es daraus ableitet.
24 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. Mai 2022
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