Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140288.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 20. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zunächst mit der Konversion zum Christentum begründete. Im Fall der Rückkehr sei sein Leben in Gefahr, weil er Mitglied eines christlichen Vereins gewesen sei, dessen Verantwortliche bereits verhaftet worden wären.
2 Mit Bescheid vom 3. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine 14‑tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 24. Juni 2022 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das Vorbringen zur Konversion des Revisionswerbers zusammengefasst aus, dieser habe aus näher genannten Gründen nicht glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund einer inneren Überzeugung (letztlich) zum Bahaitum konvertiert sei. Vielmehr handle es sich um eine Scheinkonversion. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich der Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat weiterhin mit diesem Glauben befassen oder nach dem Glauben der Bahai leben oder sich privat oder öffentlich dazu bekennen würde. Es lägen auch vor dem Hintergrund der Länderberichte und den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vor. Weiters überwiege auch unter Berücksichtigung des Privatlebens des Revisionswerbers das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. August 2022, E 2050/2022‑7, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 20. September 2022, E 2050/2022‑9, zur Entscheidung abtrat. In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die vorliegende Revision in ihrer Anfechtungserklärung gegen das gesamte Erkenntnis richtet. In den Ausführungen in der für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG allein maßgeblichen gesonderten Begründung nach § 28 Abs. 3 VwGG bezieht sich der Revisionswerber jedoch ausschließlich auf die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten und auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (wie sich auch aus dem Revisionspunkt ergibt).
10 Der Revisionswerber wendet sich unter mehreren Aspekten gegen die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Beurteilung des Vorliegens einer inneren Glaubensüberzeugung als bekennender Bahai sowie einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Mitgliedschaft zu dieser Glaubensgemeinschaft.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der ‑ zur Rechtskontrolle berufene ‑ Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.9.2022, Ra 2021/14/0373, mwN).
12 Nach der Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist (vgl. VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN).
13 In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe (oder hier [Aufnahmeritual der Bahai]) erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem nunmehrigen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. erneut VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN).
14 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung durchgeführt, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft, ihn näher zu seinen Fluchtgründen befragt und die beantragten Zeuginnen einvernommen hat. Entgegen den Ausführungen in der Revision hat sich das Bundesverwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis eingehend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens mit einer Vielzahl von Aspekten begründet. Es ist auf Grundlage der Beweisergebnisse mit ausführlicher Begründung zusammengefasst zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Konversion des Revisionswerbers aus innerer Überzeugung ‑ insbesondere auch im Hinblick darauf, dass sich der Revisionswerber nicht eigeninitiativ einer neuen Religion zugewandt habe und seine Angaben zu seiner Motivation hinsichtlich der Religionswechsel oberflächlich und sehr vage geblieben seien ‑ nicht glaubhaft sei. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, vermag der Revisionswerber durch das bloße Wiederholen der vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Aussagen sowie das isolierte und aus dem Gesamtzusammenhang der ausführlichen und umfassenden Beweiswürdigung gerissene Herausgreifen einzelner Argumente des Bundesverwaltungsgerichts nicht darzutun. Auch der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Begründungsmangel ist nicht zu sehen, wenn sich das Gericht in seinen Ausführungen unter Darlegung seiner Beweggründe in Widerspruch zum Vorbringen einer Partei setzt. Somit ist den auf der eigenen Prämisse ‑ nämlich der Richtigkeit seines Vorbringens zum Fluchtvorbringen ‑ aufbauenden, aber nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden (vgl. § 41 VwGG) Behauptungen und in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängeln der Boden entzogen.
15 Soweit sich die Revision in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit auf Ermittlungs- und Feststellungsmängel stützt und vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe jegliche Ermittlungen und darauf fußende Feststellungen im Hinblick auf die theologischen Grundlagen und die Glaubenspraxis der Religionsgemeinschaft der Bahai unterlassen, macht sie Verfahrensmängel geltend.
16 Werden solche Mängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/14/0201, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht nach.
17 Zum Vorwurf der Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht bleibt festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 8.9.2022, Ra 2021/14/0368 bis 0369, mwN). Derartiges zeigt die Revision ebenfalls nicht auf.
18 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die dabei nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/14/0195 bis 0196, mwN).
19 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 25.7.2022, Ra 2022/20/0166 bis 0167).
20 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Interessenabwägung die entscheidungswesentlichen Aspekte und nahm dabei ‑ entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung ‑ sowohl auf das Bestehen sozialer und freundschaftlicher Kontakte, als auch auf die Integrationsbemühungen des Revisionswerbers Bedacht. Die Revision zeigt nicht auf, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 17. November 2022
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