VwGH Ro 2021/15/0013

VwGHRo 2021/15/001319.10.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der A G in V, vertreten durch die KPMG Alpen‑Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs‑ und Steuerberatungsgesellschaft in 1090 Wien, Porzellangasse 51, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. April 2021, Zl. RV/4100306/2019, betreffend u.a. Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2014 bis 2016 und Einkommensteuer 2014 bis 2017,

Normen

BAO §21 Abs1
BAO §24 Abs1 litd
EStG 1988 §2 Abs1
EStG 1988 §27
EStG 1988 §27 Abs5 Z3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021150013.J00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer 2014 bis 2016 zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Die Revision wird im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Am 1. Juli 2013 schlossen die damals 61‑jährige Revisionswerberin und ihr damals 65‑jähriger Ehemann einen „Versicherungsvertrag gegen Bezahlung einer Einmalprämie mit aufgeschobener, lebenslanger Rentenzahlung oder mit Kapitalwahlrecht anstelle der Rentenzahlung“ bei einem liechtensteinischen Versicherungsunternehmen ab. Im Rahmen einer Selbstanzeige brachte die Revisionswerberin dem Finanzamt zur Kenntnis, dass ihr Ehemann im Jahr 2013 den Konten- und Depotstand bei einer Bank in Singapur auf eine Er‑ und Ablebensversicherung in Liechtenstein übertragen habe. Das in der Er‑ und Ablebensversicherung befindliche Kapitalvermögen sei weder der Revisionswerberin noch ihrem Ehemann zuzurechnen.

2 Nach einer aufgrund der Selbstanzeige durchgeführten Außenprüfung ergingen unter Zugrundelegung des Prüfungsberichtes Wiederaufnahme‑ und Sachbescheide betreffend Einkommensteuer 2013 bis 2016, nach einer Aufhebung gemäß § 299 BAO ein neuer Einkommensteuerbescheid 2017 sowie Anspruchszinsenbescheide.

3 Die Revisionswerberin erhob fristgerecht Beschwerde. Das Finanzamt legte auf Antrag der Revisionswerberin die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht vor.

4 Das Bundesfinanzgericht hob mit dem angefochtenen Erkenntnis den Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2013 auf, erklärte den Einkommensteuerbescheid 2013 als gegenstandslos und wies die Beschwerde gegen die übrigen Bescheide als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte es aus, Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigte der abgeschlossenen Versicherung seien die Revisionswerberin und ihr Ehemann, im Fall des Ablebens der beiden die Kinder und Enkelkinder gewesen. Der Ehemann habe eine Versicherungsprämie in Höhe von 1,019.232,35 € geleistet. Das Versicherungsunternehmen habe auf Grund des abgeschlossenen Vertrages das Kapital bei einer Depotbank seines Vertrauens deponiert und einen Vermögensverwalter (Asset‑Manager) beauftragt, das Kapital zu veranlagen. Daraus sei der Anlagestock entstanden. Auf die Auswahl der Depotbank und des Asset‑Managers und auf die konkreten Veranlagungsentscheidungen des Asset‑Managers hätten die Versicherungsnehmer keinen Einfluss gehabt. Die Revisionswerber hätten die Anlagestrategie festlegen und auch jederzeit ändern (hohes, mittleres, geringes Risiko) dürfen. Sie hätten weiters auch den Investmentfonds, in welchen investiert werden sollte, auswählen oder ändern dürfen. In Pkt 8.1. der AVB (allgemeine Versicherungsbedingungen, die dem Vertrag mit dem Versicherungsunternehmen zu Grunde liegen) werde festgehalten: „Bei Kurssteigerungen der im Anlagestock enthaltenen Vermögenswerte erzielen Sie Wertzuwächse, Kursrückgänge führen zu Wertminderungen....Sie tragen bei der vorliegenden anteils‑ bzw fondsgebundenen Lebensversicherung das volle Veranlagungsrisiko. Es gibt daher keine garantierte Erlebensleistung.“ Die diesem Vertrag zugeordneten Vermögenswerte würden gesondert vom übrigen Vermögen des Versicherungsunternehmens veranlagt. Durch die Veranlagung dieser Prämie seien im Streitzeitraum Gewinne entstanden. In Bezug auf diese Gewinne sei zwischen den Parteien strittig, ob sie dem Versicherungsunternehmen oder den Versicherungsnehmern zuzurechnen seien. Der Vertrag mit dem Versicherungsunternehmen bestehe insbesondere aus der Polizze und den allgemeinen Versicherungsbedingungen AVB. Die Aufschubdauer habe laut Versicherungspolizze 30 Jahre betragen. Die Revisionswerberin habe somit erwarten können, die ihr zugesagte Rente ab ihrem 91. Lebensjahr genießen zu können. Der Gatte der Revisionswerberin habe erwarten können, die Rente ab seinem 95. Lebensjahr zu genießen. Es bestehe die Möglichkeit, sich bis zum Ablauf eines Monats vor dem vereinbarten Rentenzahlungsbeginn für eine Kapitalabfindung in Höhe des Zeitwertes des Anlagestocks zu entscheiden. Die Todesfallleistung entspreche dem Zeitwert des Anlagestocks abzüglich der bis zum Todeszeitpunkt geleisteten garantierten Renten.

5 Vor dem Rentenbeginn sei schon seit Vertragsbeginn ein garantierter Rentenfaktor vereinbart, der allerdings noch nicht erahnen lasse, wie hoch die Rente einmal sein werde, weil die Höhe der Rente nicht nur vom Rentenfaktor, sondern auch vom Wert des Anlagestocks bei Rentenbeginn abhänge. Zudem stelle der zu Vertragsbeginn garantierte Rentenfaktor nur eine Mindestgarantie dar; der tatsächliche Rentenfaktor könne daher zum Zeitpunkt des Beginnes der Rentenzahlungen auch höher, nicht jedoch niedriger als der bei Vertragsbeginn garantierte Rentenfaktor sein. Die Höhe der Rente werde erst ab Rentenbeginn durch das Versicherungsunternehmen garantiert, was bedeute, dass ab Rentenbeginn die Renten alljährlich in derselben konstanten Höhe bezahlt werden müssten. Jedweder Anspruch der Revisionswerberin auf eine Beteiligung an den Gewinnen des Versicherungsunternehmens sei vertraglich ausgeschlossen worden. Allerdings habe das Versicherungsunternehmen bisher in allen Rentenzahlungsfällen mehr bezahlt als die vertraglich ab dem Rentenzahlungszeitpunkt garantierten Renten, um die Versicherungsnehmer an seinen Gewinnen teilhaben zu lassen, egal, ob eine Gewinnbeteiligung versprochen oder vertraglich ausgeschlossen gewesen sei.

6 Die Versicherungsnehmer dürften den Vertrag nach Ablauf des ersten Jahres während der Aufschubdauer bis zum vereinbarten Rentenzahlungstermin zur Gänze oder teilweise kündigen (= gänzlicher oder teilweiser Rückkauf). Die Kündigungsfrist betrage einen Monat. Diesfalls erhielten sie den Rückkaufswert, also den Portfoliowert. An Stelle einer Kündigung oder teilweisen Kündigung dürften sich die Versicherungsnehmer auch nur für eine Kapitalentnahme entscheiden. Unter Kapitalentnahme sei die teilweise Entnahme des Anlagestocks in Form von Bargeld zu verstehen. In den Jahren 2013 bis 2019 hätten die Revisionswerberin und ihr Gatte Entnahmen in Höhe von 242.000 € in Anspruch genommen.

7 Zum Versicherungsrisiko des Versicherungsunternehmens führte das Bundesfinanzgericht aus, im Ablebensfall während der Aufschubdauer werde den für diesen Fall bezugsberechtigten Kindern der Zeitwert des Anlagestocks abzüglich der Verwaltungskosten, Gebühren und Steuern und abzüglich der Provisionen des Vermittlers, soweit diese Kosten noch nicht abgezogen worden sein sollten, ausbezahlt. Ein Risiko des Versicherungsunternehmens sei insoweit nicht feststellbar, da es keine Versicherungssumme garantiere. Dasselbe gelte für den Fall, dass sich die Revisionswerberin und ihr Gatte während der Aufschubdauer zur Kündigung des Versicherungsvertrages entscheiden würden. Im Fall von Teilzahlungen und Kapitalentnahmen gingen alle Wertänderungen des Anlagestocks auf das Risiko der Versicherungsnehmer. Würden sich die Revisionswerberin und/oder ihr Gatte zum Fälligkeitstermin der ersten Rente (1. Juli 2043) dafür entscheiden, nicht die Rentenzahlungen, sondern die Kapitalabfindungsoption in Anspruch zu nehmen, erhielten sie den Wert des Anlagestocks. Ein Risiko des Versicherungsunternehmens sei damit nicht verbunden. Entschieden sich die Revisionswerberin und/oder ihr Gatte für die Rentenzahlung, treffe das Versicherungsunternehmen das Langlebigkeitsrisiko, das sich verwirkliche, wenn die Rentenzahlungen den Wert des Anlagestocks, wie er beim Beginn der Rentenzahlungen bestanden habe, überschritten. Unter Zugrundelegung des bei Vertragsbeginn prognostizierten Rentenfaktors würde es bis zur zehnten Jahresrente dauern, dass die Summe der Rentenzahlungen den Wert des Anlagestocks zum Rentenzahlungsbeginn (1. Juli 2043) erreichen und übersteigen würde. Die Revisionswerberin wäre nach diesen 10 Jahren am 1. Juli 2053 rund 101 Jahre, ihr Gatte wäre rund 105 Jahre alt. Der gesamte Anlagestock wäre zu diesem Zeitpunkt verbraucht, die Rentenzahlungen müssten aber weiterhin, allerdings nunmehr auf Kosten des Versicherungsunternehmens geleistet werde. Erlebe nur der Ehemann der Revisionswerberin den Rentenzahlungsbeginn, würde sich das Langlebigkeitsrisiko nach 8 Jahren im Alter von 103 Jahre verwirklichen. Ziehe man nicht den prognostizierten, sondern den garantierten Rentenfaktor heran, würde es bis zur 15. Rentenzahlung dauern, bis die Rentenzahlungen den Wert des Anlagestocks zu Rentenbeginn übersteigen würden. Die Revisionswerberin wäre dann 106, deren Gatte 110 Jahre alt. Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Risikos sei, dass die Revisionswerberin und/oder ihr Gatte die Rentenzahlungen ab dem 1. Juli 2043 in Anspruch nehmen. Das Risiko, dass die Revisionswerberin älter als 101 Jahre werde, liege unter Zugrundlegung einer Generationensterbetafel bei 11,41 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Gatte älter als 105 Jahre werde, liege bei 1,74 %, dass er älter als 103 werde, bei 4,63 %.

8 Zur Frage der Dispositionsbefugnisse führte das Bundesfinanzgericht aus, der Anlagestock, der auf Grund des Vertrages gebildet werde, gehöre zivilrechtlich zum Vermögen des Versicherungsunternehmens. Allerdings werde dieses Vermögen gesondert vom übrigen Vermögen des Versicherungsunternehmens verwaltet. Die Versicherungsnehmer hätten bereits nach Ablauf des ersten Jahres der Vertragsdauer das Recht, die Auszahlung eines Betrages in Höhe des Wertes des Anlagestocks zu begehren. Der Vertrag dürfe während der Aufschubdauer ganz oder teilweise gekündigt werden. Die Bezugsberechtigten dürften während der Aufschubdauer nach Ablauf des ersten Jahres jederzeit einen Teil des Kapitals entnehmen, vorausgesetzt, der verbleibende Wert des Anlagestocks betrage mindestens 20% der Einmalprämie. Tatsächlich hätten die Versicherungsnehmer im Zeitraum 2015 bis 2019 bereits 242.000 € aus dem Anlagestock entnommen. Im Fall der Kündigung der Versicherung erhalte der Bezugsberechtigte den Portfoliowert in Geld (Wert des Anlagestocks minus noch nicht belastete Verwaltungskosten, z.B. Provision des Vermittlers, Gebühren und Steuern). Die Versicherungsnehmer würden das volle Veranlagungsrisiko tragen. Das Versicherungsunternehmen garantiere ihnen keine Mindestversicherungssumme. Die Versicherungsnehmer würden daher im Zusammenhang mit diesem Vertrag die Chancen auf Wertsteigerungen haben und das Risiko der Wertminderungen tragen. Alle Abgaben und Steuern auf die Einmalprämie, auf Vermögenswerte, die zum Anlagestock gehörten, auf Versicherungsleistungen gingen zu Lasten der Bezugsberechtigten. Alle Steuererklärungen oblägen den Bezugsberechtigten. Mit Beginn der Rentenzahlung werde die Versicherung in eine konventionelle, nicht fondsgebundene Rentenversicherung umgewandelt und der auf die Versicherung entfallende Teil des Anlagestocks im sonstigen Vermögen des Versicherungsunternehmens angelegt. Die Versicherungsnehmer dürften die Anlagestrategie wählen und ändern (hohes oder niedrigeres Risiko). Sie dürften auch den Investmentfonds wählen, in welchen die Einmalprämie investiert werde. Sie dürften sich auch später für einen anderen Investmentfonds entscheiden. Sie hätten nicht das Recht, die vom Versicherungsunternehmen beauftragte Depotbank oder den Vermögensverwalter zu wählen. Sie hätten auch nicht das Recht, auf die einzelnen Investmententscheidungen des Asset Managers (z.B. Käufe und Verkäufe von Wertpapieren, Erwerb von Anteilen an einem Investmentfonds, Wiederveranlagung von Erlösen) Einfluss zu nehmen.

9 Im Hinblick auf die Zurechnung der Einkünfte ging das Bundesfinanzgericht davon aus, dass es sich ‑ nach dem Willen beider Vertragsparteien ‑ nicht um einen ernst gemeinten Rentenversicherungsvertrag handle. Der tatsächliche Sinn des Vertrages bestehe darin, dass das Versicherungsunternehmen dafür Sorge trage, dass zu Gunsten und auf das Risiko der Versicherungsnehmer das Vermögen bestmöglich veranlagt werde, und dass das durch die Veranlagungsentscheidungen bestmöglich verwaltete Vermögen den Versicherungsnehmern zugewendet werde, sobald diese dies wünschten. Es sei daher bereits bei Vertragsabschluss beiden Vertragsparteien klar gewesen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Bezahlung einer Rente kommen werde, vernachlässigbar gering gewesen sei. Daher spiele das Langlebigkeitsrisiko (insbesondere die Wahrscheinlichkeit von 11,41 %, dass die Revisionswerberin zumindest das 101. Lebensjahr erreiche, und dass ab diesem Alter die Rentenzahlungen den Wert des Anlagestocks erreichen und überschreiten würden), das nur für den Fall einer Rentenzahlung zum Tragen gekommen wäre, keine ins Gewicht fallende Rolle. Da die Rentenzahlung nie geplant gewesen sei, werde sich dieses Langlebigkeitsrisiko nicht verwirklichen. Der Vertrag enthalte somit kein ins Gewicht fallendes Risiko des Versicherungsunternehmens. Dies ergebe sich aus folgenden Erwägungen: Die Aufschubdauer privater Renten beginne im Durchschnitt im Alter von 30 bis 40 bei Frauen und Männern. Der Rentenbezug beginne im Durchschnitt im Alter von 60 bis 70 bei Frauen und Männern. Verglichen mit diesen Erfahrungswerten würden die Aufschubdauer dieses Vertrages (im 61. Lebensjahr der Revisionswerberin und 65. Lebensjahr ihres Gatten) und der vertraglich zugesicherte Rentenbezug (im 91. Lebensjahr der Revisionswerberin und im 95. Lebensjahr ihres Gatten) ungewöhnlich spät beginnen. Wer wirklich eine Rente wolle, werde typischerweise in jüngeren Jahren und nicht erst im 61. Lebensjahr bzw. 65. Lebensjahr mit der Prämienzahlung beginnen. Typischer Zweck einer Rentenversicherung sei die Versorgung des Versicherungsnehmers im typischen Pensionsalter (65+). Da dieser Zweck nicht erfüllt werde, weil die Rente erst im Alter von 91 Jahren bzw. 95 Jahren erstmals ausbezahlt werde, sei zu schließen, dass mit diesem Vertrag mit dem Versicherungsunternehmen von Anfang an etwas anderes beabsichtigt gewesen sei, das nicht dem typischen Zweck eines Rentenversicherungsvertrages entspreche. Es sei daher von den Parteien des Vertrages von Anfang an keine Rentenversicherung ernsthaft geplant gewesen. Wenn so ein Vertrag, wie im gegenständlichen Fall, bereits nach Ablauf des ersten Jahres der Laufzeit die jederzeitige Möglichkeit der Kündigung enthalte, welche zur vollständigen Zuwendung des gesamten Wertes des Anlagestocks abzüglich Verwaltungskosten, Gebühren und Steuern führe, sei davon auszugehen, dass es den Vertragspartnern von Anfang an nur um die Vermögensveranlagung durch den vom Versicherungsnehmer beauftragten Vermögensverwalter gegangen sei. In dieses Bild füge sich, dass die Versicherungsnehmer bereits 242.000 € aus dem Anlagestock, der ursprünglich 980.031,11 € (nach Abzug von Steuern und Gebühren) betragen habe, entnommen hätten. Es passe auch ins Bild, dass bei Anwendung der vertraglichen Bestimmungen über die Rentenzahlung der Wert der Rentenzahlungen für den Fall der Revisionswerberin als Rentenempfängerin mit weitaus überwiegender Wahrscheinlichkeit unter dem Wert des Anlagestocks bleiben würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert der Rentenzahlungen an die Revisionswerberin den Wert des Anlagestocks nicht erreichen würde, betrage bei Anwendung des bei Vertragsabschluss prognostizierten Rentenfaktors 88,59 %, beim Ehegatten 95,4 %.

10 Die Revisionswerberin habe das wirtschaftliche Eigentum am Anlagestock. Daher seien aber auch jedenfalls die Einkünfte aus der Veranlagung dieses Anlagestocks der Jahre 2014 bis 2017 den Versicherungsnehmern zuzurechnen. In Bezug auf das Jahr 2013 seien aus diesem Vertrag noch keine Einkünfte angefallen, die der Revisionswerberin zurechenbar gewesen wären. Daher komme es in Bezug auf das Jahr 2013 auch zu keiner Abgabennachforderung.

11 Zur Wiederaufnahme führte das Bundesfinanzgericht aus, dass neu hervorgekommene Tatsachen vorlägen, die, wenn das Finanzamt von diesen bereits bei Erlassung der Erstbescheide 2013 bis 2016 Kenntnis gehabt hätte, zur Erlassung anderslautender Bescheide geführt hätten.

12 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht zu, weil zu der betreffenden Sachverhaltskonstellation im Hinblick auf die Einordnung des Versicherungsvertrages noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die sich dem Zulässigkeitsausspruch des Bundesfinanzgerichts anschließt und zusätzlich vorbringt, der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner bisherigen Rechtsprechung nur den Sachverhaltstypus „Kapitalversicherungen“ hinsichtlich der ausreichenden Risikotragung durch das Versicherungsunternehmen und der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums zu beurteilen gehabt. Bei Rentenversicherungsverträgen sei nicht das Todesfallrisiko, sondern das Langlebigkeitsrisiko für die Versicherung relevant. Es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Höhe des erforderlichen Langlebigkeitsrisikos. Die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts sei zudem grob rechtswidrig, weil es unterstelle, dass trotz der vertraglichen Hauptleistung „Rentenzahlung“ gar kein ernstgemeiner Rentenvertrag vorliege und nie ernsthaft geplant gewesen sei. Das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum wirtschaftlichen Eigentum am Versicherungsdeckungsstock abgewichen.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Wiederaufnahme der Verfahren zur Einkommensteuer 2014 bis 2016

15 Das Zulässigkeitsvorbringen enthält keine Ausführungen zur Wiederaufnahme. Die Revision war daher diesbezüglich zurückzuweisen.

II. Einkommensteuer 2014 bis 2016

16 Die Revision ist hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2016 zulässig, aber nicht begründet.

17 § 27 Abs. 5 Z 3 EStG 1988 in der im Revisionszeitraum anzuwendenden Fassung lautet:

„(5) Als Einkünfte aus der Überlassung von Kapital im Sinne von Abs. 2 gelten auch:

(...)

3.Unterschiedsbeträge zwischen der eingezahlten Versicherungsprämie und der Versicherungsleistung, die

a)im Falle des Erlebens oder des Rückkaufs einer auf den Er- oder Er- und Ablebensfall abgeschlossenen Kapitalversicherung einschließlich einer fondsgebundenen Lebensversicherung,

b) im Falle der Kapitalabfindung oder des Rückkaufs einer Rentenversicherung, bei der der Beginn der Rentenzahlungen vor Ablauf von fünfzehn Jahren ab Vertragsabschluss vereinbart ist,

ausgezahlt werden, wenn im Versicherungsvertrag nicht laufende, im Wesentlichen gleich bleibende Prämienzahlungen vereinbart sind und die Höchstlaufzeit des Versicherungsvertrages weniger als fünfzehn Jahre beträgt. Im Übrigen gilt jede Erhöhung einer Versicherungssumme im Rahmen eines bestehenden Vertrages auf insgesamt mehr als das Zweifache der ursprünglichen Versicherungssumme gegen eine nicht laufende, im Wesentlichen gleich bleibende Prämienzahlung als selbständiger Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages.“

18 Die steuerrechtliche Frage, wem das Einkommen bzw. Einkünfte oder Einnahmen zuzurechnen sind (§ 2 Abs. 1 EStG 1988), ist in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Entscheidend ist, ob das Zurechnungssubjekt über die Einkunftsquelle verfügt, also wirtschaftlich über diese disponieren und so die Art ihrer Nutzung bestimmen kann. Für Zwecke der Einkünftezurechnung ist nicht zwischen In- und Auslandssachverhalten zu unterscheiden (vgl. VwGH 23.11.2016, Ro 2015/15/0012, mwN).

19 Einkünfte aus Kapitalvermögen sind demjenigen zuzurechnen, dem die Befugnis oder auch nur die faktische Möglichkeit zur entgeltlichen Nutzung der fraglichen Wirtschaftsgüter zukommt. Die Zurechnung von passiven Einkünften (also insbesondere auch solche aus Kapitalvermögen) erfolgt grundsätzlich an denjenigen, der das (wirtschaftliche) Eigentum an den die Einkünfte generierenden Vermögenswerten hat (vgl. VwGH 25.2.2015, 2011/13/0003, mwN).

20 Einem Versicherungsvertrag wohnt ‑ in Abgrenzung zu versicherungsfremden Leistungen ‑ die Übernahme einer gewissen Risikoabsicherung inne (vgl. VwGH 28.5.2013, 2008/17/0081).

21 Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass im Revisionsfall für die Versicherung im Ablebensfall vor Beginn der Rentenzahlung sowie für den Fall, dass die Bezugsberechtigten eine Kapitalabfindung wählen, keinerlei Risiko besteht. Ein Risiko besteht nur im Fall der Rentenzahlung in Form eines Langlebigkeitsrisikos. Dieses beziffert das Bundesfinanzgericht in Bezug auf die Revisionswerberin mit 11,4% und für den Ehemann der Revisionswerberin mit 4,6%. Unter Heranziehung des garantierten Rentenfaktors verwirklicht sich nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts ein Langlebigkeitsrisiko für die Versicherung dann, wenn die Revisionswerberin älter als 106 Jahre wird. Nach den im Akt einliegenden Statistiken, die vom Bundesfinanzgericht herangezogen wurden, beträgt dieses Risiko 1,1%.

22 Das Bundesfinanzgericht hat angenommen, der tatsächliche Sinn des revisionsgegenständlichen Vertrages bestehe darin, dass ein Versicherungsunternehmen dafür Sorge trage, zu Gunsten und auf Risiko der Versicherungsnehmer Kapital bestmöglich zu veranlagen, wobei das durch ‑ stets von den Vorgaben der Versicherungsnehmer abhängige ‑ Veranlagungsentscheidungen verwaltete Kapital den Versicherungsnehmern jederzeit (gegebenenfalls auch in Einzelbeträgen) ausbezahlt werde, sobald sie dies wünschten. Weiters ist das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen, dass der Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages nie ernsthaft gewollt war, sondern die Revisionswerberin und ihr Ehemann tatsächlich immer eine bloße Vermögensveranlagung beabsichtigt hätten.

23 Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts unterliegt der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nur insoweit, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. z.B. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0159).

24 Dem Bundesfinanzgericht ist nicht entgegenzutreten, wenn es unter Würdigung aller Umstände zum Schluss gekommen ist, dass im Revisionsfall primär eine Kapitalveranlagung zugunsten der Revisionswerberin und ihres Ehemannes gewollt war. Es hat sich dabei insbesondere darauf gestützt, dass der Vertrag nach Ablauf eines Jahres jederzeit, kündbar war und die Revisionswerberin stets Teilbeträge ‑ ohne Kündigung des Vertrages ‑ entnehmen konnte (und dies auch erfolgt ist, weil immerhin fast ein Viertel der Einmalprämie entnommen wurde). Es wurde weiters in die Beurteilung einbezogen, dass die Revisionswerberin die Veranlagungsstrategie vorgeben und jederzeit ändern konnte und der Abschluss des Rentenvertrages in einem unüblich hohen Alter mit einer dafür sehr langen Aufschubdauer erfolgte und die Wahrscheinlichkeit der Renteninanspruchnahme durch die Versicherungsnehmer relativ gering war.

25 Die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts, dass die Revisionswerber tatsächlich eine Vermögensveranlagung gewollt hatten, ist ‑ jedenfalls für die gegenständlich relevante 30jährige Aufschubdauer ‑ nicht mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet.

26 Entscheidend ist allerdings, dass sich der am 1. Juli 2013 abgeschlossene „Versicherungsvertrag gegen Bezahlung einer Einmalprämie mit aufgeschobener, lebenslanger Rentenzahlung oder mit Kapitalwahlrecht anstelle der Rentenzahlung“ in wirtschaftlicher Betrachtung als die Vereinbarung von zwei gesonderten Bereichen darstellt: Einerseits einem Auftrag der Anleger für eine (klassische) Vermögensverwaltung betreffend einen Einmalerlag von 1,019.232,35 € und andererseits einem im Jahr 2043 schlagend werdenden Rentengeschäft, welches darin besteht, dass ein im Jahr 2043 gegebenenfalls noch vorhandener Kapitalstand (falls die Anleger nicht widersprechen) dann in das wirtschaftliche Eigentum der Versicherungsgesellschaft übergehen soll und diese dafür auf der Basis des im Jahr 2043 gegebenenfalls noch vorhandenen Kapitalstandes („Anlagestock“) unter Zugrundelegung bestimmter Paramater den Anlegern eine auf deren Lebenszeit begrenzte Rente zahlt. Die Anleger haben an die Versicherung Gebühren und Kostenersätze, insbesondere die Provisionen des Vermittlers, zu zahlen.

27 Revisionsgegenständlich sind die Einkommensteuerverfahren 2014 bis 2017. Von den beiden erwähnten Bereichen des „Versicherungsvertrages“ ist daher nur die Vermögensverwaltung betroffen. Für das Einkommen und die Einkommensteuer der Jahre 2014 bis 2017 hat das im Jahr 2043 allenfalls schlagend werdende Rentengeschäft keine Relevanz.

28 Bei der (klassischen) Vermögensverwaltung, die Finanzinstitute für einen Kunden ‑ auf dessen Risiko ‑ durchführen, bleibt der Kunde uneingeschränkt wirtschaftlicher Eigentümer des Kapitals und Zurechnungssubjekt der Kapitaleinkünfte.

29 Zur Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums bringt die Revision vor, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil Voraussetzung für die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums sei, dass der Steuerpflichtige die Depotbank und die Person des Asset Managers bestimmen könne. Die Revision legt allerdings nicht dar, welche Relevanz es für die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums haben sollte, ob der Steuerpflichtige die Depotbank oder die Person des Asset Managers wählen kann. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige jede einzelne Kapitaltransaktion bzw. jede konkrete Investmententscheidung beeinflussen kann. Entscheidend für die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums ist vielmehr, wer wirtschaftlich über die Einkunftsquelle disponieren und so die Art ihrer Nutzung bestimmen kann. Gegenteiliges ergibt sich ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ auch nicht aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 2016, Ro 2015/15/0012.

30 Die Revisionswerberin ist nach Ablauf eines Jahres jederzeit dazu berechtigt gewesen, den Vertrag zu kündigen; sie war dazu berechtigt, laufend Teilbeträge zu entnehmen. Sie konnte die Veranlagungsstrategie wählen und ändern oder den Investmentfonds, in welchen investiert werden sollte, bestimmen und diesen ändern. Im Hinblick darauf, dass die Chance der Steigerung des Wertes der Wertpapiere genauso wie das Risiko einer Wertminderung ausschließlich bei der Revisionswerberin gelegen ist und ihr - im Hinblick auf die geringe vertragliche Bindung - die Verfügungsmacht über die Wertpapiere zukommt, kann dem Bundesfinanzgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es wirtschaftliches Eigentum der Revisionswerberin an den im Deckungsstock befindlichen Wertpapieren angenommen hat.

31 In der Aufschubphase sind der Revisionswerberin somit die Veranlagungserträge zuzurechnen und gemäß § 27 EStG 1988 zu versteuern.

32 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Wien, am 19. Oktober 2022

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